„Dafür ist die Welt zu schön“

Sie ist immer noch aktiv: trotz ihrer 86 Lebensjahre. Heute lebt Annemarie Leven in einem Seniorenheim in Köln. Bis zu ihrer Rente arbeitete sie als Apothekerin. Die 86-Jährige gehört seit einem halben Jahrhundert dem Opus Dei an – als Assoziierte. Sie behielt ihren Beruf , ihre Wohnung. Überhaupt änderte sich an ihren Lebensumständen praktisch nichts. Aber Annemarie Leven gab vor Gott ein Versprechen der Ehelosigkeit ab und führt ein in materieller Hinsicht anspruchsloses Leben.

Eigentlich wollte sie einen Forscher heiraten und mit ihm die Welt bereisen. Aus dem Traum ihrer Jugend wurde zwar nichts, aber den Unternehmungsgeist hat sich Annemarie Leven dennoch bewahrt. Heute lebt die 86-Jährige im St. Vincenz-Haus, einem Seniorenheim in Köln. Annemarie Leven gehört zu den ersten Frauen, die in Deutschland das Opus Dei aufbauten. Das liegt inzwischen ein halbes Jahrhundert zurück. Die studierte Apothekerin bat bereits 1957 um Aufnahme in das Opus Dei, dem sie als Assoziierte angehört. Damit gab sie vor Gott ein Versprechen der Ehelosigkeit. Viele Jahrzehnte lebte Annemarie Leven dann mit ihrer pflegebedürftigen Mutter unter einem Dach. Zwar hatte die Apothekerin sich aus apostolischen Gründen für die Ehelosigkeit entschieden. Aber die so genannten Assoziierten leben entweder für sich alleine oder bei ihrer Familie.

Über Jahrzehnte führte die bis heute rüstige alte Dame eine Apotheke in Köln-Kalk. Beruf und Freizeit versuchte sie auf Gott auszurichten. Und das war sehr konkret. Zum Beispiel beim Geld: Jeden Euro, den sie nicht zum eigenen Lebensunterhalt brauchte, gab die Unternehmerin dem Opus Dei, um mit diesem Geld apostolische Projekte zu unterstützen. Ob sie das Überwindung gekostet hat? „Natürlich. In meinem Leben hat es Krisen gegeben. Momente, in den ich mich zerrissen fühlte zwischen dem Wunsch nach materieller Sicherheit und der Sehnsucht, mich Gott ganz zu überlassen.“ Aber sie sei eben nicht enttäuscht worden. Das Opus Dei helfe ihr heute, auch finanziell, wie in einer ganz normalen Familie. Die alte Frau sucht Blickkontakt, bevor sie eine Erkenntnis weitergibt, die sie wohl kaum aus Büchern gewonnen hat: „Krisen sind immer auch etwas Aufgeblasenes. Erst wenn sie vorbei sind, merkt man, was daran überspitzt war.“ Sagt Annemarie Leven und sitzt ganz entspannt in ihrem Sessel. Sie wirkt dabei aber nicht abgeklärt. Ganz im Gegenteil: Die 86-Jährige ist eine Frau voller Leidenschaft.

„Mich hat stets die ungeheure Möglichkeit des Menschen fasziniert, zu Gott zu gelangen. Und dass diese Begegnung möglich ist, ohne etwas Besonderes zu tun“, erzählt Annemarie Leven. Ins Kloster wäre sie jedenfalls nie gegangen, fügt die alte Dame hinzu und schmunzelt: „Ganz früher wollte ich mal Lehrerin werden. Aber dann habe ich irgendwo etwas über die freiwillige Jungfrauenschaft der katholischen Lehrerin gelesen. Das war für mich ein Typ, der ich absolut nicht sein wollte.“

Als Apothekerin habe sie später viel und gerne gearbeitet - aber nicht um der Maloche willen. „Ich bin fürs Genießen. Das kann mal ein guter Wein sein oder schöne Gedichte. Und auch bei der Arbeit darf der Spaß nicht zu kurz kommen.“ Die Freude am Schönen jedenfalls lässt sich Annemarie Leven nicht nehmen, auch nicht im Alter. Die 86-Jährige schüttelt den Kopf: „Dafür ist die Welt zu schön.“ 

Vielleicht ist es das, was Annemarie Leven vor 50 Jahren am Opus Dei faszinierte. „Die Welt leidenschaftlich lieben“ war auch das Thema einer bedeutenden Predigt des heiligen Josefmaria Escriva, der 1928 das Opus Dei gegründet hat. In Kontakt mit der Prälatur kam die Apothekerin durch eine Kollegin: Hele Steinbach, eine junge geschiedene Frau mit zwei kleinen Kindern. „An ihrem freien Tag fuhr sie immer nach Bonn. Und weil sie so fröhlich zurück kam, dachte ich, sie hätte sich neu verliebt. Erst später erfuhr ich, dass Hele an religiösen Bildungsmitteln des Opus Dei teilnahm.“

Irgendwann fuhr auch Annemarie Leven mit nach Bonn. Dort hörte sie einen spanischen Priester, Dr. Alfons Par, über Gott sprechen. „In sehr schlechtem Deutsch. Aber es hat mich getroffen und aufgewühlt. Ich hatte schnell das Gefühl, etwas in meinem Leben ändern zu müssen.“ Auch das sei eine heftige Krise gewesen, erinnert sich Annemarie Leven. „Bis dahin wollte ich unbedingt heiraten. Außerdem hatte ich damals eine relativ feste Beziehung zu einem Mann, die keine Zukunft haben konnte. Aber trotzdem liebte ich diesen Mann. Und es hat mich sehr viel Kraft gekostet, die Beziehung zu lösen.“ Erst danach habe sie eine „ruhige Sicherheit“ gewonnen. Und auch die Überzeugung, ihren Weg gefunden zu haben. „Plötzlich war Klarheit da. Ich bin vor Freude fast aus dem Beichtstuhl gehüpft.“

Annemarie Leven hat auch die Anfangsjahre des Opus Dei in Deutschland erlebt. Entbehrungsreiche Jahre, wie sie damals aber wohl viele Menschen durchmachten. Und ganz sicher galt das inmitten der durch den Krieg zerstörten Stadt Köln. Und hier, am Kölner Eigelstein, fanden die ersten Frauen des Opus Dei in Deutschland , drei Spanierinnen, eine Wohnung, aus der sie kurze Zeit später ein Studentinnenheim machten. Die drei Numerarierinnen, die wie Annemarie Leven ehelos lebten, waren arm. „Ich wusste damals nicht, wie wenig Geld sie hatten. Am Anfang gab es noch nicht einmal einen Herd. Da habe ich in der Apotheke etwas für sie gekocht.“

Aktiv ist sie eben immer gewesen. Selbst im Seniorenheim übernimmt Annemarie Leven noch verschiedene Aufgaben. Sie ist im Beirat des St. Vincenz-Hauses. „Hier leben und arbeiten viele gute Leute“, freut sich die 86-Jährige. Umgeben von vielen Menschen, die dem Tod wohl näher sind als der Durchschnitt der Bevölkerung, ergeben sich natürlich häufiger Gespräche über die Ewigkeit. „Eigentlich kenne ich keine wirklichen Atheisten“, meint Annemarie Leven. „Manche behaupten das zwar von sich. Aber am Ende glauben auch sie, dass es etwas im Leben gibt, das größer ist als sie selbst.“

Dankbar ist die 86-Jährige insbesondere für die Ausbildung im Glauben, die sie bis heute durch das Opus Dei erhält. „Das fängt bei Hinweisen auf gute religiöse Lektüre an, aber es gibt auch regelmäßige Vorträge, etwa über die neue Enzyklika von Papst Benedikt XVI.“ 14 Tage im Jahr widmet Annemarie Leven sogar ganz dieser Fortbildung. Eine Zeit, die ihr viel bedeutet – eben Erholung an Leib und Seele. Klar sei das mitunter auch anstrengend. „Aber was andere vielleicht als Last empfinden würden, das ist für mich eine Freude.“

Von Rebekka Zumloh