Fragen an Prälat Ocariz über „Christen im 21. Jahrhundert“

In dem Interview-Buch „Christen in der Gesellschaft des 21. Jahrhundert“ beantwortet Prälat Fernando Ocariz Fragen der Journalistin Paula Hermida Romero zu Kirche und Welt. Sie wollte wissen, ob ein durchschnittlicher Christ heute noch den Offenbarungsschatz, den Christus seiner Kirche anvertraut hat, im persönlichen, sozialen und kulturellen Umfeld leben und weitervermitteln kann.

Die Welt scheint inzwischen so unsicher und vielschichtig, dass Wahrheiten verdunsten. Prälat Ocariz scheint das nicht zu beunruhigen. Er antwortet: „Das Gebot der Nächstenliebe gilt weiterhin, auch in unserer globalisierten, fragmentierten und komplexen Welt.“ Und: „Jede Zeit hat ihre eigenen Herausforderungen und wir Christen müssen eine Antwort für die Menschen unserer Zeit“ bereithalten. Diese und andere Orientierungen sind in dem Büchlein von 84 Seiten nachzulesen. Es ist auf Spanisch schon im Jahr 2020 erschienen, wurde aber nach der Corona-Zeit um ein COVID-Kapitel ergänzt. Es greift aktuelle Fragestellungen rund um das Leben des Christen, den Ruf zur Heiligkeit und zur Hingabe in der Nachfolge Christi auf. Die Interviewerin arbeitet viele Problemkreise aus Gesellschaft und Kirche auf, die sie in ihren Fragen zuspitzt. In seinen Antworten greift Prälat Ocariz häufig auf Autoren, Päpste oder Heilige der Kirche zurück, die zum jeweiligen Thema etwas zu sagen haben. Dazu gehören Josefina Bakhita, C.S. Lewis (Dienstanweisungen für einen Unterteufel), die Päpste Pius XII., Johannes Paul II., Papst Franzikus, der Gründer des Opus Dei Josefmaria Escriva, aber auch der polnische Soziologe Zygmunt Baumann („die flüssige Gesellschaft“), Jan Tyranowski, Mutter Teresa und oft auch der hl. Paulus mit seinen Briefen oder einfach das Vorbild Jesu.

Die Enzyklika „Laudato si“ von Papst Franziskus wird beim Thema Ökologie angesprochen. Hiermit sind die Fragen von Klimaschutz, Umweltschutz, Naturschutz und Artenschutz verstärkt in das christliche Bewusstsein gerückt. Wichtig ist dem Prälaten in seiner Antwort, dass alles, was mit dem Begriff „Humanökologie“ verbunden ist, wie etwa in der Soziallehre der Kirche formuliert, auch als gleichberechtigt angesehen werden, wie das Johannes Paul II. formuliert hatte, der den Begriff geprägt hatte.

Bei der Frage nach dem Stellenwert eines „digitalen Apostolats“ antwortet Ocariz: „Es gibt viele apostolische Initiativen im digitalen Bereich, einige voller Kreativität, die Zugang zu Bildungsressourcen ermöglichen oder sogar ein Leben aus dem Gebet unterstützen (…). Zugleich denke ich nicht, dass digitale Kommunikation den persönlichen Kontakt ersetzen kann. Kurioserweise können zwei Menschen keinen Sichtkontakt herstellen, wenn sie sich über einen Bildschirm unterhalten - zumindest noch nicht -, denn dazu müssen sie mit ihren Augen in die Kamera schauen.“ In diesem Kontext erwähnt er sogar das Beispiel Jesu: „Im Evangelium sehen wir, wie bedeutsam der persönliche Umgang ist, von Angesicht zu Angesicht, von Mensch zu Mensch. Jesus Christus hätte auf einen Schlag Sammelheilungen durchführen können, doch der heilige Text sagt uns, dass er die Menschen einen nach dem anderen heilte.“ Auch sei Körperlichkeit für unsere Art des Umgangs von Bedeutung, „größer als es zunächst auf den ersten Blick erscheint.“ (S. 60)

Nachfragen zu Predigten des Prälaten finden sich ebenfalls in den Fragen, wie etwa, wieso christliche Haltungen wie das „Um-Vergebung-Bitten“ und „Vergeben“ nicht demütigen, sondern groß machen. Der Prälat antwortet: „Zum 90. Jahrestag des Opus Dei wollte ich neben dem Dank an Gott im Namen aller Mitglieder des Werkes um Vergebung bitten. Dabei dachte ich unter anderem an die Menschen, die mit dem Opus Dei in Kontakt waren und die wir nicht mit der Selbstlosigkeit und Zuneigung behandelt haben, die sie verdient oder gebraucht hätten. Auch an jene, denen wir Leid zugefügt haben. Vergeben – und um Vergebung bitten – ich spreche jetzt nicht von einem oberflächlichen Meakulpismus – fügt uns in die Logik wahrer Menschenwürde ein und mit Gottes Gnade in die übernatürliche Logik der Töchter und Söhne Gottes in Jesus Christus.“ (S. 62)

Das Büchlein enthält viele andere wertvolle Impulse, wie etwa Gedanken zu Treue oder Abgrenzung des Freiheits- und Toleranzbegriffes. Nach heutigem Verständnis bedeutet vielen der Begriff „Toleranz“, dass Staaten vollständig auf Wertvorstellungen verzichten, was eigentlich kein christlicher Gedanke sein kann, wenn sich das Christentum nicht völlig auf den privaten Sektor zurückziehen möchte. Sünde und Priestertum werden angesprochen, einige Überlegungen zum Wirken des Teufels angehängt, wie auch Grundgedanken der Jugend-Synode „Die Jugendlichen, der Glaube und die Erkenntnis der Berufung“, die vor der Coronazeit im Vordergrund stand. Nicht zuletzt werden Fragen zu Sexualität und Keuschheit beantwortet, ferner immer wieder eingestreut, die Mission oder Vision vom Opus Dei, die der Gründer entfacht hat und für deren Weiterbrennen die jetzigen Mitglieder Verantwortung tragen. Angehängt sind einige nachträgliche Fragen der Autorin zur Coronazeit und den Veränderungen durch die COVID-19-Krankheit, die der Prälat ebenfalls beantwortet hat. RK

Fernando Ocariz, Christen in der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts. Ein Gespräch des Prälaten des Opus Dei mit Paula Hermida Romero. Fe Verlag, ISBN: 978-3-86357-351-5, 1. Aufl. 2022