Betrachtungstext: Dritter Sonntag des heiligen Josef

Der heilige Josef unterrichtet Jesus – Jesus vernimmt das Gesetz aus dem Munde Josefs – Josef erfährt Gottes Zärtlichkeit

KINDERN beim Heranwachsen zuzusehen, ist eine der größten Freuden, die das Leben bietet. Diese Freude erlebte der heilige Josef, als er Jesus aufwachsen sah, an Weisheit und an Größe und an Gunst bei Gott und den Menschen (Lk 2,52). Die wichtigste Aufgabe der Väter besteht darin, ihre Kinder darauf vorzubereiten, ihre eigene Aufgabe finden und erfüllen zu können. Josef stand Jesus mit liebevoller Fürsorge bei seinen ersten Schritten auf Erden bei. Deshalb muss Jesus, in seinem verborgenen wie in seinem öffentlichen Leben, „in seiner Arbeitsweise, in seinem Charakter und in seiner Redeweise Josef ähnlich“ gewesen sein, wie der heilige Josefmaria konstatierte. „Die Kindheit und die Jugend Jesu, sein Umgang mit Josef werden sich später im Leben des Herrn widerspiegeln: in seinem Wirklichkeitssinn, in seiner Art, sich zu Tisch zu setzen und das Brot zu brechen, in seiner Vorliebe für die konkrete Darstellung der Lehre anhand alltäglicher Beispiele.“1

Papst Franziskus merkte einmal an, dass der heilige Josef in der Synagoge während des Psalmengebets sicherlich „wiederholt gehört hat, dass der Gott Israels ein barmherziger Gott ist“2. Und dies war dann auch seine väterliche Haltung Jesus gegenüber. Der heilige Patriarch war wahrscheinlich nicht mehr dabei, als sich das Kommen des Reiches Gottes abzeichnete: als zahlreiche Jünger seinem Sohn folgten, Jesus wundersame Heilungen vollbrachte oder die Menschenmenge seinen Worten lauschte. Josef hatte sich jedoch stets in der Abgeschiedenheit der familiären Erziehung des Herrn, in jener häuslichen Umgebung entfaltet, die so verborgen und zugleich so fruchtbar und voller Liebe war. Die Früchte jener Jahre ließen nicht lange auf sich warten. Der Gründer des Werkes schrieb: „Da ist Jesus, ein Mensch, der in seinem Sprechen den Akzent seiner Landsleute hat, ein Mensch, der im Aussehen dem Handwerker Josef ähnelt ‒ und dieser Mensch ist Gottes Sohn. Kann überhaupt jemand Gott etwas lehren? Und doch ist dieser wirklich Mensch und lebt wie alle anderen: zuerst als Kind, dann als Jugendlicher, als Lehrling in Josefs Werkstatt, und später als erwachsener Mann in der Fülle des Alters.“3 Die Zärtlichkeit Josefs lebt in dem Sohn weiter, der unter seinem Dach aufgewachsen ist und der ihm so sehr gleicht.


DIE UNTERWEISUNG im Gesetz des Mose war die Pflicht und das Vorrecht des Familienvaters. Daher hatte Josef die besondere Aufgabe, den Messias in der Geschichte Israels und im Glauben an den Bund zu unterrichten. Maria und ihr Mann sahen, dass Jesus ein Kind wie viele andere war, doch zugleich wussten sie, dass das ganze Geheimnis Gottes in ihm wohnte. Ihnen wurde die Verantwortung anvertraut, der fleischgewordenen zweiten Person der Dreifaltigkeit den Namen „Jesus“ zu geben und ihn in der Tradition des auserwählten Volkes zu erziehen. Der Prophet schreibt: Als Israel jung war, gewann ich ihn lieb, ich rief meinen Sohn aus Ägypten. (...) Ich war da für sie wie die, die den Säugling an ihre Wangen heben. Ich neigte mich ihm zu und gab ihm zu essen (Hos 11,1-4). Wenn die christliche Tradition in diesem Orakel einen Hinweis auf Christus gesehen hat, kann man darin auch eine Anspielung auf Maria und Josef erkennen. Die Liebe Gottes zu Israel wird mit der Liebe eines Vaters und einer Mutter zu ihrem Kind verglichen. Gott war es, der sich immer um seinen Sohn gekümmert hat, aber er tat es durch die Heilige Familie; Gott ist es, der lehrt, aber durch Menschen.

Ein kleiner Junge in Israel verbrachte die meiste Zeit damit, mit anderen Jungen seines Alters auf der Straße oder auf den Plätzen zu spielen. Die Plätze der Stadt werden voller Knaben und Mädchen sein, die auf ihren Plätzen spielen (Sach 8,5), sagt der Prophet; und auch der Herr spricht von Kindern, die auf den Plätzen sitzen (vgl. Mt 11,16). Das Leben in Nazaret war ein Leben unter freiem Himmel. In diesem Zusammenhang gaben die Eltern ihren Kindern die ersten Grundlagen der Glaubenserziehung mit auf den Weg: Höre, mein Sohn, auf die Mahnung des Vaters, und die Unterweisung deiner Mutter verwirf nicht! Sie sind ein schöner Kranz auf deinem Haupt und eine Kette für deinen Hals (Spr 1,8-9). Der Jesusknabe hat die Lehren Josefs und die Anweisungen Marias seinem Herzen eingeprägt. Diese Lehren des heiligen Josef an seinen Sohn sind das, was wir heute als „Familienkatechese“ bezeichnen, die Weitergabe des Glaubens in Wort und Tat. „Das Zuhause muss weiter der Ort sein, wo gelehrt wird, die Gründe und die Schönheit des Glaubens zu erkennen, zu beten und dem Nächsten zu dienen“4, so betonte einmal Papst Franziskus. In dieser familiären Atmosphäre tritt Gott unmerklich in das Leben unserer Kinder ein; die ersten Gebete und Äußerungen der Frömmigkeit, die wir erlernt haben, bleiben für immer in der Tiefe unserer Seelen.


MARIA UND JOSEF lehrten Christus die Sitten und das Gesetz des Mose, doch sie entdeckten auch selbst das Geheimnis Gottes in ihrem Sohn und erkannten, dass sie viel von ihm lernen würden. Der Evangelist Lukas berichtet uns zweimal, dass Maria die Ereignisse und Worte ihres Sohnes in ihrem Herzen bewahrte und über sie nachdachte. Wie wichtig ist es, zu beobachten und zuzuhören, wie es die heilige Jungfrau und ihr Mann Josef taten!

Wie oft muss der heilige Patriarch beim Anblick Jesu erstaunt gedacht haben: Wie gut ist Gott! Wie gütig und zärtlich! Wie geduldig und uns nahe! Geduld und Verständnis sind grundlegende Eigenschaften, die jeder Vater ‒ und ganz allgemein jeder Lehrer ‒ haben muss, vor allem angesichts der eigenen Fehler und der Fehler der anderen; denn „wir müssen“, wie Papst Franziskus schrieb, „lernen, unsere Schwachheit mit tiefem Erbarmen anzunehmen. Der Böse lässt uns verächtlich auf unsere Schwachheit blicken.“5 Wir müssen hingegen immer wieder das Positive in uns selbst und in den anderen entdecken, denn so nähert sich Gott unserem Leben. Der Papst fährt fort: „Die Wahrheit, die von Gott kommt, verurteilt uns nicht, sondern nimmt uns auf, umarmt, unterstützt und vergibt uns. Die Wahrheit zeigt sich uns immer wie der barmherzige Vater im Gleichnis (vgl. Lk 15,11-32): Sie kommt uns entgegen, sie gibt uns unsere Würde zurück, sie richtet uns wieder auf.“6 Es gibt nichts, was mehr zu einem besseren Verhalten anspornt als Ermutigung, freundliche Worte, Verständnis angesichts der Schwäche.

Der heilige Josef lernte von seinem Sohn, der Gott war, die Welt mit Mitgefühl und Zärtlichkeit zu sehen. Der heilige Josefmaria sagte: „Josef wurde von Jesus Christus innig geliebt; Maria war seine Mutter, die er wie verrückt liebte. Wir werden also eine große Verehrung für den heiligen Josef hegen, eine zarte, feine, liebevolle Verehrung. Wir nennen ihn unseren Vater und unseren Herrn: Lasst uns also wie Kinder zu ihm gehen, in einem fort! Habt ihr die Darstellungen der Heiligen Familie gesehen, mit dem Kind in der Mitte, der Jungfrau zur Rechten und dem Heiligen Josef zur Linken, die sich an den Händen halten? Nun, diesmal sind wir es, die Maria und Josef an den Händen halten, und auf diese Weise werden sie uns zu Jesus führen.“7


1 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 55.

2 Franziskus, Apostolisches Schreiben Patris corde, Nr. 2.

3 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 55.

4 Franziskus, Apostolisches Schreiben Amoris laetitia, Nr. 287.

5 Franziskus, Apostolisches Schreiben Patris corde, Nr. 2.

6 Ebd.

7 Hl. Josefmaria, Notizen eines Familientreffens, 27.9.1973.