DAS IST mein Bund mit dir: Du wirst Stammvater einer Menge von Völkern werden (Gen 17,3-9) – so spricht Gott zu Abraham, als er seinen ewigen Bund mit ihm schließt. Und während Abraham noch mit dem Gesicht nach unten auf der Erde liegt, verheißt ihm der Herr ein großes Volk und ein Land – und verspricht, diesem Volk treu zu sein: Für dich und deine Nachkommen nach dir werde ich Gott sein (Gen 17,7).
Doch über diese Verheißungen legte sich im Lauf der Geschichte immer wieder ein Schleier des Vergessens. Es gab Momente, da schienen sie sogar gänzlich vergessen zu sein, nämlich als Gott Abraham aufforderte, seinen Sohn Isaak zu opfern. Menschlich betrachtet war ein solches Verlangen unverständlich. Und doch weiß der Patriarch, dass Gott treu ist. Er denkt vom Glauben her, nicht mit menschlicher Logik. Er weiß: Gottes Pläne erschließen sich nicht immer im Hier und Jetzt. Darum vertraut er Jahwe, dem Allwissenden, und hat gegen alle Hoffnung voll Hoffnung geglaubt (Röm 4,18). Und im letzten Moment wird anstelle von Isaak ein Widder geopfert – der Sohn bleibt am Leben und die Verheißung einer zahlreichen Nachkommenschaft kann sich erfüllen.
Dieser Blick auf Abraham hilft uns, uns innerlich auf die Heiligen Drei Tage vom Gründonnerstag bis zur Osternacht vorzubereiten. Bald werden wir uns daran erinnern, dass diese geheimnisvolle Episode im Leben des Patriarchen am Kreuz Christi ihre volle Bedeutung findet: So wie das Lamm das Kind Isaak im letzten Moment ersetzte, wird Jesus Christus – das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinweg nimmt – sich selbst zum Opfer geben, um alle, die an ihn glauben, vom Tod zu befreien. Mit ihm und durch ihn wird sich die Tür zur endgültigen Heimat öffnen – für ein sehr zahlreiches Volk.
JESUS ENTHÜLLT, dass die Verheißungen an Abraham über das irdische Leben hinausreichen. Amen, amen, ich sage euch: Wenn jemand an meinem Wort festhält, wird er auf ewig den Tod nicht schauen (Joh 8,51). Für manche seiner Zuhörer war das schwer zu fassen. Sie warfen ihm vor: Jetzt wissen wir, dass du von einem Dämon besessen bist. (...) Abraham und die Propheten sind gestorben. (...) Für wen gibst du dich aus? (Joh 8, 52-53) Doch gerade aus dieser Empörung erwächst ungewollt die Erfüllung der Verheißung – denn sie wird Jesus als Opferlamm ans Kreuz bringen. So war es immer wieder im Lauf der Heilsgeschichte: Wenn Gottes Pläne in Gefahr schienen und alles auf einen Zusammenbruch hindeutete, spann sich der Faden der Verheißung unversehrt weiter – durch jede Epoche hindurch.
Euer Vater Abraham jubelte, weil er meinen Tag sehen sollte. Er sah ihn und freute sich (Joh 8,56), sagt Jesus. Für den, der hofft, ist das Feststehen in den Verheißungen des Herrn die tiefste Quelle des Friedens und der Freude. Und niemand kann dem Gläubigen diese Gewissheit nehmen, denn sie gründet auf der unerschütterlichen Treue Gottes. Was auch immer geschieht: Er hat uns versprochen, unser Gott zu sein – für immer.
Die Hoffnung ist, in den Worten von Papst Franziskus, „jene demütige Tugend, die unter dem Wasser des Lebens fließt, uns aber trägt, damit wir nicht ertrinken in all den Schwierigkeiten und nicht die Sehnsucht verlieren, Gottes wundervolles Antlitz zu finden, das wir alle eines Tages schauen werden“1. Seit Christus setzt sich der Faden der an Abraham gerichteten Verheißungen in der Kirche fort. Wie ein feiner, aber unzerreißbarer Hoffnungsfaden durchzieht er die Geschichte. Und selbst in den finstersten Momenten – wenn alles verloren scheint – treten Männer und Frauen auf, die wie Abraham wissen, dass Gott treu ist. Sie erkennen sich selbst als Träger göttlicher Verheißung und hoffen gegen jede Hoffnung. „Ich habe gesehen“, sagte der heilige Josefmaria, „wie die Hoffnung auf Gott in vielen Menschen einen wunderbaren Brand der Liebe entfacht hat, dessen Feuer die Herzen so kräftig schlagen lässt, dass sie nicht zaudern und nicht nachlassen, auch wenn sie auf dem Weg leiden, manchmal sogar viel leiden müssen.“2
DIESER FADEN der Hoffnung war auch das Thema einer Betrachtung, die der heilige Josefmaria am 26. Juli 1937 hielt.3 Er hatte mit einigen jungen Männern in der Gesandtschaft von Honduras in Madrid Zuflucht gefunden. Das Opus Dei war noch jung, und der Spanische Bürgerkrieg hatte seine Verwirklichung fast vollständig zum Stillstand gebracht. Das Leben der ersten Gläubigen des Werkes war in Gefahr, die Gräuel des Krieges waren dazu angetan, ihnen den Mut zu nehmen. Der heilige Josefmaria wollte daher ihren Blick heben und sie daran erinnern, dass Gott treu ist – immer – und in jeder Zeit Menschen beruft, durch die er die Hoffnung neu aufleuchten lässt.
Er begann seine Betrachtung mit einer Erinnerung an die ersten Christen. Sie unterschieden sich von ihren Zeitgenossen durch nichts außer durch „das lebendige Licht“, das in ihrem Inneren brannte. Sie ließen die Stimme Christi immer kraftvoller erklingen. Und als mit dem Übergang ins zweite Jahrtausend der erste Eifer nachzulassen schien, erweckte Gott den heiligen Franziskus und den heiligen Dominikus – und eine neue geistliche Lebendigkeit belebte die Welt. Im 16. Jahrhundert waren es Ignatius von Loyola und Franz Xaver, deren Evangelisierung selbst die fernsten Länder erreichte, und ebenso Teresa von Ávila, die mit der Gründung ihrer Klöster wahre „Motoren intensiven geistlichen Lebens“ in die Kirche einbrachte.
Der heilige Josefmaria stellte seinen jungen Zuhörern diese geschichtlichen Wegmarken vor Augen, um zu zeigen: Gott bleibt seinen Verheißungen treu. „Die Hand Gottes ist nicht kleiner geworden. Non est abbreviata manus Domini! (Jes 59,1) Immer wieder geschehen durch ihn neue Wunder zugunsten der Menschen.“ Auch wir sind eingeladen, Träger dieses Hoffnungsfadens zu sein, der jede Geschichtsepoche belebt. Die Gottesmutter, unsere Hoffnung, wird uns helfen, die Freude Christi zu allen Menschen zu bringen.
1 Franziskus, Predigt, 17.3.2016.
2 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 205.
3 Hl. Josefmaria, Nach innen wachsen, Non est abbreviata manus Domini, 26.7.1937.