Betrachtungstext: 33. Woche im Jahreskreis – Sonntag (A)

Unsere Talente wiederentdecken – Wenn die Angst lähmt – Ohne Angst vor Risiko

EIN MANN entschied sich, seine Diener zu rufen, bevor er auf Reisen ging, und ihnen seinen Besitz zu übergeben: Dem einen gab er fünf Talente Silbergeld, einem anderen zwei, wieder einem anderen eines, jedem nach seinen Fähigkeiten (Mt 25,15). Während seiner Abwesenheit machten die ersten beiden Diener Geschäfte mit dem ihnen Anvertrauten und verdoppelten es. Der dritte jedoch, der ein Talent erhalten hatten, grub ein Loch in die Erde und versteckte das Geld seines Herrn (Mt 25,18).

Mit dem Gleichnis von den Talenten lehrte Jesus seine Jünger, ihre Gaben gewinnbringend einzusetzen. Papst Benedikt erklärt: „Gott beruft jeden Menschen zum Leben und übergibt ihm Talente, wobei er ihm gleichzeitig eine Sendung überträgt, die es zu erfüllen gilt.“1 Wir alle besitzen Fähigkeiten, die uns einzigartig machen. Manchmal können wir jedoch die anderen um ihre Talente beneiden und uns beklagen, dass wir nicht so einsatzfähig sind wie sie. Christus aber hat uns auf vielerlei Weise gesegnet, und eine davon ist, dass er uns ganz bestimmte Fähigkeiten verliehen hat, um den uns anvertrauten Auftrag zu erfüllen. Die Entdeckung der besonderen Art und Weise, wie jeder von uns Gott und den anderen dienen kann, ermöglicht es uns, unsere Talente mit den Augen des Herrn zu sehen. Der Prälat des Opus Dei schrieb: „So wird nach und nach eine Einstellung in uns heranreifen, die uns für die Bedürfnisse der anderen öffnet. Wir werden uns in den Dienst aller stellen und noch klarer erkennen, welchen Platz uns Gott in dieser Welt anvertraut hat.“2

„Dein Leben soll dir gehören?“, schrieb der heilige Josefmaria. „Dein Leben gehört Gott, und aus Liebe zu Gott soll es allen Menschen dienen. Grabe dein Talent aus! Mache es produktiv. Und du wirst die Freude erfahren, dass es bei diesem übernatürlichen Geschäft gar nicht ankommt auf ein großartiges Ergebnis auf Erden, das die Bewunderung der Menschen findet.“3 Wichtig ist vielmehr, dass wir unseren Teil tun, um unsere unmittelbare Umgebung – Familie, Arbeitsplatz, Freundeskreis – zu einem besseren Ort zu machen, an dem wir mit unseren Talenten anderen die Freude am Leben mit Jesus weitergeben.


WÄHREND diejenigen, die mehrere Talente erhalten hatten, mit diesen handelten, verbarg der Diener, der eines erhalten hatte, dieses in der Erde. Als der Hausherr nach langer Zeit zurückkehrte, trat jener Diener vor ihn hin und gestand: Herr, ich wusste, dass du ein strenger Mensch bist; du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst, wo du nicht ausgestreut hast; weil ich Angst hatte, habe ich dein Geld in der Erde versteckt. Sieh her, hier hast du das Deine (Mt 25,24-25). Er hatte die Sicherheit des Erdlochs dem Abenteuer vorgezogen, das Talent seines Herrn gewinnbringend einzusetzen.

Angst ist eine natürliche Reaktion auf das Unbekannte oder existenzielle Probleme. Wenn wir ihr jedoch zu viel Bedeutung beimessen, „ist sie eine Haltung“, so Worte von Papst Franziskus, „die uns schadet, uns schwächt, uns eingehen lässt und lähmt. So sehr, dass ein Mensch, der von der Angst gefesselt ist, sich nicht bewegt, nicht weiß, was er tun soll: Er ist ängstlich, auf sich gerichtet und wartet darauf, dass etwas Schlimmes eintritt.“4 Die Angst führt dazu, dass wir unsere Aufmerksamkeit auf all das richten, was schief gehen kann, anstatt uns an den Talenten zu erfreuen, die Gott uns gegeben hat.

Der christliche Ansatz besteht nicht darin, mögliche Schwierigkeiten naiv zu ignorieren. Er lädt vielmehr dazu ein, auf die bedingungslose Liebe des Herrn zu vertrauen und sich daran zu erinnern, dass wir in seinen Händen sind, die uns schützen und bewahren. Wie der Prälat des Opus Dei schreibt: „Wenn die Sicherheiten der Kindheit einmal ins Wanken geraten und vielleicht auch das Licht des Glaubens schwächelt, sollten wir uns an die tiefste Wahrheit unseres Lebens erinnern: Wir sind Kinder Gottes und wurden aus Liebe geschaffen.“5 Auf diese Weise relativiert sich die Bedeutung dessen, was wir vielleicht zu verlieren fürchteten – sei es unsere Gesundheit, bestimmte Güter, die Wertschätzung der anderen –, denn wir wissen, dass Christus über uns wacht und nie aufhören wird, uns zu lieben. Diese Gewissheit wird es uns ermöglichen, Rückschlägen mit Mut und Kraft zu begegnen, denn, wie der heilige Paulus sagte: Ist Gott für uns, wer ist dann gegen uns? (Röm 8,31). In dieser Zeit des Gebets wollen wir unsere Ängste erkennen und sie den Händen des Herrn überlassen, um das Leben, das er uns anvertraut hat, in vollen Zügen zu genießen.


DIE ANGST kann sich einschleichen, wenn wir vor lebensverändernden Entscheidungen stehen. Möglicherweise sind wir uns unsicher, wie wir mit den Hindernissen umgehen sollen, die uns auf dem Weg begegnen könnten, und fürchten, zu scheitern. Dies kann dazu führen, dass wir die Entscheidung aufschieben oder uns mehr auf die Schwierigkeiten konzentrieren als auf die Freuden, die uns erwarten. So verleitet die Angst dazu, Sicherheit als das ultimative Ziel unseres Lebens zu betrachten, Risiken zu vermeiden und ständig nach Halt und Gewissheit zu suchen. Auf diese Weise leben wir gewissermaßen als Sklaven der Zukunft, anstatt die Gegenwart im gemeinsamen Miteinander mit Gott zu erleben, der der Herr der Geschichte ist.

„Die Suche kann eine gewisse Unruhe erzeugen, da uns die Freiheit schwindlig werden lässt. Werde ich glücklich sein? Werde ich stark genug sein? Wird sich eine feste Bindung lohnen? Doch auch dann lässt uns Gott nicht allein“6, betont Msgr. Fernando Ocáriz. Jedes lohnende Abenteuer birgt ein gewisses Risiko. Alles unter Kontrolle haben zu wollen, ist nicht nur unmöglich – es werden immer Umstände eintreten, mit denen wir nicht gerechnet haben –, sondern führt auch dazu, dass wir die Angst ins Zentrum unseres Lebens rücken und nicht so sehr den Wunsch, etwas Sinnvolles zu tun. Daher will der Herr uns von unseren Ängsten befreien, die oft aus unserer Fantasie stammen und nicht der Realität entsprechen. Wenn wir uns entscheiden, begeistert und freudig, einen Weg einzuschlagen, gewinnen wir eine Festigkeit und eine Sicherheit, die wir vorher nicht hatten, weil wir wissen, dass unser Leben einen klaren Sinn hat. Und wir wissen auch, dass der Herr in jedem Augenblick an unserer Seite steht und sich in irgendeiner Weise bemerkbar macht, feinfühlig und behutsam.

Auch die Jungfrau Maria verspürte Angst, als sie den Gruß des Engels hörte. Daher sagte Gabriel zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria; denn du hast bei Gott Gnade gefunden (Lk 1,30). Jene anfängliche Angst hinderte sie nicht daran, sich auf das Abenteuer einzulassen, die Mutter Gottes zu werden. Obwohl sie nicht wusste, welche Schwierigkeiten auf sie zukommen würden, wusste sie, dass sie immer auf den Herrn zählen konnte, für den nichts unmöglich (Lk 1,37) ist. Die Ankündigung des Engels erfüllte sie sofort mit Freude und Entschlossenheit. Und so entschied sie sich, im Vertrauen auf die göttliche Kraft und ohne Berechnungen anzustellen, freudig diesen Weg zu gehen: Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast (Lk 1,38).


1 Benedikt XVI., Angelus-Gebet, 13.11.2011.

2 Msgr. Fernando Ocáriz, Licht zur Erkenntnis, Kraft zur Liebe, in ABC, 18.1.2018.

3 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 47.

4 Franziskus, zitiert in: Salvo Noé, La paura como dono, 2023.

5 Msgr. Fernando Ocáriz, Licht zur Erkenntnis, Kraft zur Liebe, ABC, 18.1.2018.

6 Ebd.