Betrachtungstext: 27. Woche im Jahreskreis – Sonntag (A)

Ein Weinberg, der Frucht bringt – Erinnerung an die Pflege des Weinbergs – Christus, Eckstein des Weinbergs

EINMAL STIMMTE der Prophet Jesaja ein Lied auf die Sorge eines Freundes für seinen Weinberg an (vgl. Jes 5,1-7). Das Weingut lag auf fruchtbarem Boden, und der Besitzer hatte alles getan, um eine gute Ernte zu erzielen: Er hatte das Erdreich von Steinen befreit, rund um das Weingut eine Hecke gepflanzt, eine Mauer gezogen und sogar einen Turm errichtet, um seinen Weinberg bei Tag und bei Nacht zu bewachen. Schließlich grub er noch eine Kelter, um nach der Ernte die Trauben pressen zu können. Nach getaner Arbeit wartete er ab. Doch statt der erhofften köstlichen Trauben fand er zur Zeit der Ernte nichts als faule Früchte mit muffigem Geschmack vor. Man kann sich die Enttäuschung des Gutsbesitzers vorstellen. Was hätte es für meinen Weinberg noch zu tun gegeben, das ich ihm nicht getan hätte? (Is 5,4), fragt er sich. Das Problem lag weder am Boden, noch am Weinstock, noch am Landwirt, noch an den äußeren Bedingungen; allein die Rebe hatte versagt.

Dieser Weinberg wurde in der Tradition als Bild für das Haus Israel gesehen, das trotz aller Fürsorge nicht die Früchte brachte, die der Herr erwartete. Er kann jedoch auch für jeden von uns stehen, wenn wir uns der Gnaden nicht bewusst sind, die Gott uns geschenkt hat. Durch die Reue können wir entdecken, welche Mühe der Herr auf uns verwendet hat und welchen Schmerz wir ihm mit unseren Sünden bereiten. Wir beweinen dann nicht unseren verletzten Stolz, nicht richtig gehandelt zu haben; nein, wie Papst Franziskus sagt: „Hier weint man, weil man dem Herrn nicht entspricht, der uns so sehr liebt. Und uns betrübt der Gedanke an das nicht getane Gute; das ist das Sündenbewusstsein. Hier sagt man: ,Ich habe jemanden verletzt, den ich liebe.‘“1

Wenn diese Tränen aus der Liebe kommen, werden sie uns helfen, mit Freude von Neuem zu beginnen. „Wenn dich einmal ein Koller erfasst“, sagte der heilige Josefmaria, „weil du nicht bist, wie du sein solltest, und mit dir allein – mach keinen Skandal daraus – eine faustgroße Träne vergießt, dann erinnere dich an diese Verse, die ziemlich schlecht sind, aber tröstlich: ,Mein Leben besteht nur aus Liebe. Und sollte ich in der Liebe bewandert sein, dann Kraft des Schmerzes. Denn es gibt keinen besseren Liebhaber als den, der viel geweint hat.‘ Du und ich, wir wollen viel weinen, allein, in der Gegenwart Gottes, weil wir nicht das sind, was wir aus Liebe zu Gott gerne wären.“2


IM PSALM dieses Sonntags bitten wir den Herrn darum, er möge den Weinberg – in Erinnerung an seine Fürsorge – nicht verwerfen, sondern weiterhin pflegen, ihn wiederherstellen und nicht in die Hände seiner Feinde übergeben: Einen Weinstock hobst du aus in Ägypten, du hast Völker vertrieben und ihn eingepflanzt. Seine Ranken trieb er bis zum Meer und seine Schösslinge bis zum Eufrat! (...) Gott der Heerscharen, kehre doch zurück, blicke vom Himmel herab und sieh, sorge für diesen Weinstock! Beschütze, was deine Rechte gepflanzt hat, und den Sohn, den du dir stark gemacht! (Ps 80,9.12-16).

Manchmal neigen wir dazu, uns Gott auf eine sehr menschliche Weise zu denken, wo die Geduld eine Grenze hat. Wir sind uns sicher, dass er uns liebt, aber wir denken, dass er früher oder später enttäuscht sein wird, wenn wir nicht entsprechen, und aufhören wird, sich um uns zu kümmern. Nichts könnte von der Wahrheit weiter entfernt sein. Papst Franziskus wies darauf hin, dass der Herr „es nie müde wird, zu vergeben, doch wir werden bisweilen müde, die Vergebung zu erbitten“3. Ein Winzer pflegt sein Land nicht, weil es das verdient, sondern weil es seine Pflege braucht. Genauso erreicht die Barmherzigkeit Gottes die Menschen nicht, weil sie verdient haben, sondern weil sie sie benötigen.

„Wenn du niedergeschlagen bist“, schrieb der Gründer des Opus Dei, „wenn du dein eigenes Elend vielleicht besonders eindringlich spürst, dann ist der Moment gekommen, dich vollkommen, fügsam, den Händen Gottes zu überlassen.“4 Dann können wir uns an all die Zuwendung erinnern, die wir vom Herrn erhalten haben, an all die Momente unseres Lebens, in denen wir seine Nähe, das Glück, ihm nahe zu sein, besonders gespürt haben. Und auf diese Weise werden wir die Überzeugung entwickeln, dass, wer das gute Werk bei euch begonnen hat, es auch vollenden wird bis zum Tag Christi Jesu (Phil 1,6).


IM EVANGELIUM hören wir auch Jesus von einem Weinberg reden, für den der Besitzer eben so viel Sorgfalt aufgewendet hat wie der Freund des Propheten Jesaja. Diesmal hat der Weinberg aber Früchte getragen und kann nicht aufhören, Früchte zu bringen (vgl. Mt 21,33-34.43). War der erste Weinberg das Haus Israel, so ist dieser Weinberg das neue Israel, die Kirche, der Leib Christi, der untrennbar mit seinem Haupt verbunden ist. Und Jesus ist der neue Weinstock, der in den Weinberg seines Vaters gepflanzt ist, der Eckstein, der uns garantiert, dass Gott seinen Weinberg niemals verwerfen wird (vgl. Mt 21,42). So wissen wir, dass wir immer Frucht bringen werden, wenn wir mit ihm verbunden bleiben (Joh 15,1-8).

Der Weinberg des Herrn befindet sich nicht in einem Gewächshaus, sondern ist mitten in die Welt hinein gepflanzt. Daher ist er nicht frei von Schwierigkeiten. So beschreibt Jesus etwa, dass diejenigen, die mit der Pflege des Weinbergs betraut wurden, beschlossen, sich das Land anzueignen, was den Besitzer schließlich erzürnte: Er wird diese bösen Menschen vernichten und den Weinberg an andere Winzer verpachten, die ihm die Früchte abliefern, wenn es Zeit dafür ist (Mt 21,41). Jene Männer hatten vergessen, dass der Weinberg nicht ihnen gehörte, sondern dem Besitzer: Dieser hatte ihn angelegt und alles vorbereitet, damit er Früchte trage.

Gott hat uns einen Teil seines Weinbergs anvertraut. Nämlich Menschen, denen wir durch unser Gebet, unsere Liebe und unser eigenes Beispiel helfen können, Früchte zu tragen. Das Beste, was wir für sie tun können, ist, dass sie sich in Jesus verlieben und er zum Eckstein ihres Lebens wird. „Um Christus muss es uns zu tun sein, nicht um uns“5, wiederholte der heilige Josefmaria. Und ein anderes Mal fügte er hinzu: „Mit Christus sein heißt, sicher sein. Sich in Christus wiedererkennen, heißt, jeden Tag besser sein können. Mit Christus Umgang haben, heißt notwendigerweise, Christus lieben. Und Christus lieben heißt, sich die Seligkeit sichern.“6 In diesem neuen Weinberg des Herrn rechnen wir mit einer erfahrenen Winzerin, der Jungfrau Maria. Wir bitten sie, uns in der Hoffnung zu festigen, reiche Frucht zu bringen, und uns mit ihrem Sohn in der Liebe und in dem sicheren Glauben zu verbinden, dass er uns nie verlässt.


1 Franziskus, Audienz, 12.2.2020.

2 Hl. Josefmaria, Beisammensein, 4.3.1975, citado en Camino, ed. Histórico-crítica, comentario al n. 436.

3 Franziskus, Angelus-Gebet, 17.3.2013.

4 Hl. Josefmaria, Carta 2, Nr. 25.

5 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 163.

6 Hl. Josefmaria, Im Zwiegespräch mit dem Herrn, S. 46.