Betrachtungstext: 25. Juli – Hl. Apostel Jakobus

Die Berufung von Jakobus und Johannes – Blitz und Donner – Die Größe des Jakobus

ALS Jesus am Ufer des Sees von Galiläa entlangging, „sah er Jakobus, den Sohn des Zebedäus, und seinen Bruder Johannes, die ihre Netze herrichteten; und er berief sie“1, so beten wir im Eingangsvers der heutigen Messe. Und nachdem sie alles verlassen hatten, folgten sie ihm nach. So begann das neue gemeinsame Leben der beiden Brüder mit dem Herrn. Das Abenteuer des Jakobus wird ebenso intensiv sein wie schnell vorübergehen: Er wird der erste der Apostel sein, der sein Leben für Christus hingibt, der ihn bald zu sich holen wollte (vgl. Apg 12,2). Johannes hingegen wird vom Herrn gebeten, geduldig auf seine Abberufung zu warten. Er wird so lange leben, dass die Jünger schon dachten, er würde niemals sterben (Joh 21,23).

Der Meister bat die beiden Brüder, sich ganz hinzugeben, wenn auch auf unterschiedliche Weise. Er bot ihnen beiden an, aus demselben, seinem Kelch zu trinken, und sie nahmen die Einladung mit der glühenden Leidenschaft ihrer Natur an (vgl. Mt 20,22). Jesus nannte die Brüder Boanerges, das heißt „Donnersöhne“ (Mk 3,17), und lehrte sie, ihre ganze Energie in die vollkommene Selbsthingabe im Dienst zu lenken. Als ihre Mutter ihn bat, ihren Söhnen den ersten Platz in seinem Reich zu gewähren, erklärte Jesus ihnen, dass Herrschen in seinem Reich Dienen bedeutet; dass der Erste in seinem Reich derjenige ist, der sich zum Letzten und zum Diener aller macht (vgl. Mt 20,25-28). Diese Logik steht oft im Gegensatz zu unserer eigenen und ist revolutionär, da sie sich gegen die Herrschaft des einen über den anderen wendet. Deshalb mahnt uns Jesus auch zur Wachsamkeit, zur ständigen Aufmerksamkeit, damit wir uns nicht von abgeschwächten Lesarten seines Evangeliums täuschen lassen.

Papst Benedikt XVI. erklärt in diesem Sinn, dass Christus, „seine Freiheit nicht als Willkür oder als Herrschaft gelebt hat. Er hat sie als Dienst gelebt. Auf diese Weise hat er die Freiheit, die sonst ,leere‘ Möglichkeit bliebe, etwas zu tun oder zu lassen, mit Inhalt ,gefüllt‘. Wie das Leben des Menschen selbst schöpft auch die Freiheit Sinn aus der Liebe.“2 Jesus half Jakobus und Johannes, ihr Leben mit Sinn zu füllen, mit der Liebe zu anderen Menschen, und eröffnete diesen einfachen Fischern aus Galiläa ungeahnte Horizonte, „die Horizonte des Dienens“3, wie Papst Franziskus sagte, die weit über das hinausgehen, was sie sich hätten vorstellen können. Und so verwandelte er ihr Leben in ein aufregendes Abenteuer.


VON JESUS beflügelt hatten es Jakobus und Johannes „eilig damit, zu lieben“ 4, ihr ganzes Dasein auf ein Leben des intensiven Dienstes zu setzen. Jakobus, der seinem Beinamen alle Ehre machte, war wie ein Blitz, der in einem Augenblick über den Himmel zuckt und ihn mit Licht erfüllt. Er machte sich sofort auf den Weg und trug Jesus Christus bis an die Enden der damals bekannten Welt, bevor er nach Jerusalem zurückkehrte und mit seinem Blut die Frühzeit der Aussendung der Kirche befruchtete. Das Leben des Johannes hingegen war wie ein Donner, der ohne Eile, aber kraftvoll und gewichtig anrollt und alles mit seinen tiefen und schönen Worten erfüllt. Johannes war in der Lage, das Leben und die Lehre Jesu ausführlich zu betrachten und uns den Schatz seiner Schriften zu hinterlassen.

Blitz und Donner bedingen einander, sie zeigen die gleiche Kraft und bringen die gleiche Botschaft. Wir können sie nicht trennen, genauso wenig wie wir die Boanerges voneinander trennen können. Solange er bei ihnen war, wollte Jesus, dass sie zusammen sind. Tatsächlich bildeten die beiden zusammen mit Petrus eine kleine Gruppe von Jüngern, mit denen der Meister eine besonders innige Beziehung hatte. Als der Herr in den Himmel auffuhr, führten Jakobus und Johannes die Verbreitung der Botschaft fort, jeder auf seine Weise.

Der heilige Jakobus tut dies bis heute und ruft die Völker an sein Grab in Santiago de Compostela. Er lädt uns ein, uns auf den Weg zu machen und bereit zu sein, an die Enden unserer Welt zu gehen und uns über unsere Sicherheiten und Bequemlichkeiten hinwegzusetzen. Papst Franziskus ruft zum Aufbruch auf: „Das ist grundlegend für die Christen: Sitzen wir als Jünger Jesu, als Kirche und warten darauf, dass die Menschen zu uns kommen, oder stehen wir auf, um uns mit den anderen auf den Weg zu machen, die anderen zu suchen? Es ist keine christliche Haltung, zu sagen: ,Sie sollen kommen, ich bin hier, sie sollen kommen.‘ Nein, geh du zu ihnen, mach du den ersten Schritt.“5 Johannes erinnert uns hingegen daran, dass all unsere Bewegung und unser Gehen wenig wert sind, wenn wir nicht in der Liebe Jesu Christi verwurzelt sind. Der heilige Augustinus schrieb: „Wer abseits vom Wege läuft, läuft umsonst, ja er läuft sich nur wund, irrt um so mehr, je mehr er neben dem Wege läuft. Welches ist der Weg, auf dem wir laufen sollen? Christus sagt: Ich bin der Weg; welches ist das Vaterland, dem wir entgegeneilen? Christus sagt: Ich bin die Wahrheit(Joh 14,6). Auf ihm läufst du, zu ihm läufst du, in ihm ruhst du.“6


ES GIBT etwas Großes im Leben des Apostels Jakobus, das unseren Augen verborgen bleibt. Wir wissen sehr wenig über diesen Apostel, dessen Leben von kurzer Dauer war und der keine Schriften hinterlassen hat. Auch das Evangelium gibt nur wenige Worte von ihm wieder. Im Gegensatz zum schweigsamen Sohn des Zebedäus tritt eine andere Gestalt namens Jakobus hervor, der bedeutende Titel trägt wie Bruder des Herrn (Gal 1,19), besonderer Zeuge seiner Auferstehung (vgl. 1 Kor 15,7), Bischof von Jerusalem (vgl. Apg 15,12-21) und Säule der Kirche (vgl. Gal 2,9). Dieser andere Jakobus genoss hohes Ansehen in der frühen christlichen Gemeinde, wie die Apostelgeschichte und die Briefe des Paulus bezeugen. Er gibt sogar einer der Schriften des Neuen Testaments seinen Namen. Es ist daher bemerkenswert, dass die Überlieferung dem Bruder des Johannes, über den wir nur wenig wissen, den Titel des „Älteren“ verliehen hat.

Der Sohn des Zebedäus wurde zum „Älteren“, weil er dem Weg folgte, den der Meister ihm vorgeschlagen hatte. Jesus sagte zu ihm: Bei euch soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll euer Sklave sein. Wie der Menschensohn nicht gekommen ist, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele (Mt 20, 26-28). Das tat Jakobus: Er lebte, um zu dienen und sein Leben hinzugeben. Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht (Joh 12, 24), schreibt Johannes in seinem Evangelium und wirft damit etwas Licht auf das Geheimnis des Lebens und des Todes seines Bruders Jakobus. Ein Geheimnis, das bis heute in der beeindruckenden Anziehungskraft des Apostelgrabes weiterlebt.

Jesus gab den Boanerges ein herausragendes Beispiel für die Größe des Dienens: die Jungfrau Maria, mit der sie oft zusammen waren. Sie wird auch uns helfen, uns mit Worten des heiligen Josefmaria auf das Abenteuer einzulassen, „in der Freundschaft mit Gott glücklich zu sein und ein Leben der Hingabe und des Dienens zu führen“7.


1 Schott Messbuch, Eingangsvers zum Fest des Apostels Jakobus.

2 Benedikt XVI., Angelusgebet, 1.7.2007.

3 Franziskus, Audienz, 11.1.2023.

4 Vgl. Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 140.

5 Franziskus, Audienz, 11.1.2023.

6 Hl. Augustinus, Predigt X über den ersten Johannesbrief.

7 Hl. Josefmaria, Brief 6, Nr. 35.