ALS Jesus am Ufer des Sees von Galiläa entlangging, „sah er Jakobus, den Sohn des Zebedäus, und seinen Bruder Johannes, die ihre Netze herrichteten; und er berief sie“1, so hören wir im Eingangsvers der heutigen Messe. Und nachdem sie alles verlassen hatten, folgten sie ihm nach. So begann das neue Leben der beiden Brüder mit dem Herrn. Das Abenteuer des Jakobus wird ebenso intensiv wie schnell vorbei sein: Er wird der erste der Apostel sein, den Christus zu sich ruft (vgl. Apg 12,2). Johannes hingegen ist vom Herrn gebeten, geduldig auf seine Abberufung zu warten. Er wird so lange leben, dass die Jünger schon dachten, er würde niemals sterben (Joh 21,23).
Der Meister bat die beiden Brüder, sich ganz hinzugeben, wenn auch auf verschiedene Weise. Er bot beiden an, aus seinem Kelch zu trinken, und sie nahmen die Einladung mit der Leidenschaft ihres Wesens an (vgl. Mt 20,22). Jesus nannte die Brüder Boanerges, das heißt „Donnersöhne“ (Mk 3,17), und lehrte sie, ihre ganze Energie in die Selbsthingabe zu lenken. Als ihre Mutter ihn bat, ihren Söhnen den ersten Platz in seinem Reich zu gewähren, erklärte ihnen Jesus, dass Herrschen in seinem Reich Dienen bedeutet; dass der Erste in seinem Reich derjenige ist, der sich zum Letzten und zum Diener aller macht (vgl. Mt 20,25-28). Diese Logik steht oft im Gegensatz zu unserer eigenen und ist revolutionär, da sie sich gegen die Herrschaft des einen über den anderen wendet. Deshalb mahnt uns Jesus auch zur Wachsamkeit, damit wir uns nicht von einer schwachen Auslegung seines Evangeliums täuschen lassen.
Papst Benedikt XVI. erklärt in diesem Sinn, dass Christus, „seine Freiheit nicht als Willkür oder als Herrschaft gelebt hat. Er hat sie als Dienst gelebt. Auf diese Weise hat er die Freiheit, die sonst leere Möglichkeit bliebe, etwas zu tun oder zu lassen, mit Inhalt gefüllt. Wie das Leben des Menschen selbst schöpft auch die Freiheit Sinn aus der Liebe.“2 Jesus half Jakobus und Johannes, ihr Leben mit Sinn zu füllen, mit der Liebe zu anderen Menschen, und eröffnete diesen einfachen Fischern aus Galiläa ungeahnte Horizonte – „die Horizonte des Dienens“3, wie Papst Franziskus sagte –, die weit über das hinausgehen, was sie sich hätten vorstellen können. So verwandelte er ihr Leben in ein Abenteuer.
VON JESUS beflügelt hatten es Jakobus und Johannes „eilig damit, zu lieben“ 4, ihr ganzes Dasein auf ein Leben des Dienstes zu setzen. Jakobus, der seinem Beinamen alle Ehre machte, war wie ein Blitz, der in einem Augenblick über den Himmel zuckt und ihn mit Licht erfüllt. Er machte sich sofort auf den Weg und trug Jesus Christus bis an die Enden der damals bekannten Welt, bevor er wieder nach Jerusalem zurückkehrte und mit seinem Blut die Frühzeit der Aussendung der Kirche befruchtete. Das Leben des Johannes hingegen war wie ein Donner, der ohne Eile, aber kraftvoll und gewichtig anrollt und alles mit seinen tiefen und schönen Worten erfüllt. Johannes war in der Lage, das Leben und die Lehre Jesu ausführlich zu betrachten und uns den Schatz seiner Schriften zu hinterlassen.
Blitz und Donner bedingen einander, sie zeigen die gleiche Kraft und senden die gleiche Botschaft. Wir können sie nicht trennen, genauso wenig wie wir die Donnersöhne voneinander trennen können. Solange er bei ihnen war, wollte Jesus, dass sie zusammen blieben. Tatsächlich bildeten die beiden gemeinsam mit Petrus eine kleine Gruppe von Jüngern, mit denen der Meister eine sehr innige Beziehung pflegte. Als der Herr in den Himmel auffuhr, führten Jakobus und Johannes die Verbreitung der Botschaft fort, jeder auf seine Weise.
Der heilige Jakobus tut dies bis heute, indem er die Völker an sein Grab in Santiago de Compostela ruft. Er lädt uns ein, uns auf den Weg zu machen und bereit zu sein, an die Enden der Welt zu gehen und unsere Sicherheiten und Bequemlichkeiten abzustreifen. Papst Franziskus ruft ebenfalls zum Aufbruch auf: „Das ist grundlegend für die Christen: Sitzen wir als Jünger Jesu, als Kirche, und warten darauf, dass die Menschen zu uns kommen, oder stehen wir auf, um uns mit den anderen auf den Weg zu machen, die anderen zu suchen? Es ist keine christliche Haltung, zu sagen: ,Sie sollen kommen, ich bin hier, sie sollen kommen.‘ Nein, geh du zu ihnen, mach du den ersten Schritt.“5 Johannes erinnert uns hingegen daran, dass all unsere Bewegung und unser Gehen wenig wert sind, wenn wir nicht in der Liebe Jesu Christi verwurzelt sind. Der heilige Augustinus schrieb: „Wer abseits vom Wege läuft, läuft umsonst, ja er läuft sich nur wund und irrt um so mehr, je mehr er neben dem Weg läuft. Welches ist der Weg, auf dem wir laufen sollen? Christus sagt: Ich bin der Weg; welches ist das Vaterland, dem wir entgegeneilen? Christus sagt: Ich bin die Wahrheit (Joh 14,6). Auf ihm läufst du, zu ihm läufst du, in ihm ruhst du.“6
ES GIBT etwas Großes im Leben des Apostels Jakobus, das unseren Augen verborgen ist. Wir wissen sehr wenig über diesen Apostel, dessen Leben von kurzer Dauer war und der keine Schriften hinterlassen hat. Auch das Evangelium gibt nur wenige Worte von ihm wieder. Im Gegensatz zum schweigsamen Sohn des Zebedäus tritt in der Schrift eine andere Gestalt namens Jakobus hervor, der bedeutende Titel trägt wie Bruder des Herrn (Gal 1,19), besonderer Zeuge seiner Auferstehung (vgl. 1 Kor 15,7), Bischof von Jerusalem (vgl. Apg 15,12-21) und Säule der Kirche (vgl. Gal 2,9). Dieser andere Jakobus genoss hohes Ansehen in der frühchristlichen Gemeinde, wie die Apostelgeschichte und die Briefe des Paulus bezeugen. Er gibt sogar einer der Schriften des Neuen Testaments seinen Namen. Es ist daher bemerkenswert, dass die Überlieferung dem Bruder des Johannes, über den wir nur wenig wissen, den Titel des „Älteren“ verliehen hat.
Der Sohn des Zebedäus wurde zum „Älteren“, weil er dem Weg folgte, den der Meister ihm vorgeschlagen hatte. Jesus sagte zu ihm: Bei euch soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll euer Sklave sein. Wie der Menschensohn nicht gekommen ist, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele (Mt 20, 26-28). Das tat Jakobus: Er lebte, um zu dienen und sein Leben hinzugeben. Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht (Joh 12, 24), schreibt Johannes in seinem Evangelium und wirft damit Licht auf das Geheimnis des Lebens und des Todes seines Bruders Jakobus. Ein Geheimnis, das bis heute in der beeindruckenden Anziehungskraft des Apostelgrabes weiterlebt.
Jesus stellte den Donnersöhnen ein herausragendes Vorbild für die Größe des Dienens vor: die Jungfrau Maria, mit der sie oft zusammen waren. Sie wird auch uns helfen, uns mit Worten des heiligen Josefmaria auf das Abenteuer einzulassen, „in der Freundschaft mit Gott glücklich zu sein und ein Leben der Hingabe und des Dienens zu führen“7.
1 Schott Messbuch, Eingangsvers zum Fest des Apostels Jakobus.
2 Benedikt XVI., Angelusgebet, 1.7.2007.
3 Franziskus, Audienz, 11.1.2023.
4 Vgl. Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 140.
5 Franziskus, Audienz, 11.1.2023.
6 Hl. Augustinus, Predigt X über den ersten Johannesbrief.
7 Hl. Josefmaria, Brief 6, Nr. 35.