Betrachtungstext: 24. Juni – Geburt des heiligen Johannes des Täufers

Gott erwählt den Menschen – Die Wege Jesu vorbereiten – Demut im Apostolat

DIE KIRCHE gedenkt der Heiligen gewöhnlich am Tag ihres Heimgangs in die ewige Heimat. Vor allem in den Anfangszeiten des Christentums fiel dieser Tag häufig mit dem Tag ihres Martyriums zusammen. Im Fall von Johannes dem Täufer wird seit den ersten Jahrhunderten außerdem seine Geburt gefeiert. Sie wird sechs Monate vor der Geburt Jesu gefeiert. Entsprechend den Aussagen der Heiligen Schrift hielt die Kirche immer daran fest, dass der Täufer schon im Mutterleib vom Heiligen Geist erfüllt wurde (vgl. Lk 1,15), in dem Moment nämlich, als Maria, mit Jesus in ihrem Schoß, ihrer Cousine Elisabeth einen Besuch abstattete.

Im heutigen Evangelium werden wir Zeugen der Geburt und Namensgebung von Johannes dem Täufer – zwei Ereignisse, die uns dazu einladen, den göttlichen Plan zu betrachten, der jeder Geburt und Namensgebung vorausgeht. Der Herr hat mich schon im Mutterleib berufen; als ich noch im Schoß meiner Mutter war, hat er meinen Namen genannt (Jes 49,1). Diese Worte des Propheten Jesaja bringen eine der tiefsten Wirklichkeiten des menschlichen Daseins zum Ausdruck: Wir sind nicht zufällig auf dieser Welt, und wir sind auch nicht nur ein weiteres anonymes und unbedeutendes Exemplar unserer Spezies. Unsere Ankunft im Leben ist zugleich ein Ruf Gottes, eine Wahl, die Glück und eine Sendung verspricht. Er hat uns geschaffen, so wie wir sind, mit all unseren persönlichen Merkmalen; er hat unseren Namen ausgesprochen und wollte uns einzigartig und unwiederholbar. Du selbst hast mein Innerstes geschaffen, hast mich gewoben im Schoß meiner Mutter, sagt der Psalmist. Ich danke dir, dass ich so staunenswert und wunderbar gestaltet bin. Ich weiß es genau: Wunderbar sind deine Werke (Ps 139,13-14).

Papst Franziskus erinnert uns an diesen Ruf Gottes: „Gott will etwas von dir, Gott wartet auf dich (...). Er lädt dich ein zu träumen, er will dich erkennen lassen, dass die Welt mit dir anders sein kann. Es ist so: Wenn du nicht dein Bestes gibst, wird die Welt sich nicht verändern. Das ist eine Herausforderung.“1 Damit wir das Licht erhalten, das den Sinn unseres Daseins erhellt, müssen wir, so erklärte der heilige Josefmaria, „lieben, demütig anerkennen, dass wir der Erlösung bedürfen, und wie Petrus ausrufen: Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte ewigen Lebens (...). Wenn wir den Ruf Gottes in unser Herz dringen lassen, werden wir auch wahrhaft sagen können, dass wir nicht im Dunkeln wandeln; denn über unseren Armseligkeiten und persönlichen Mängeln erstrahlt das Licht Gottes wie die Sonne über Gewitterwolken.2


UND DU, KIND, wirst Prophet des Höchsten heißen; denn du wirst dem Herrn vorangehen und ihm den Weg bereiten (Lk 1,76). Diese Worte des Zacharias, die wir im Ruf vor dem Evangelium heute wiederholen, zeigen die untrennbare Verbindung zwischen Berufung und Sendung, zwischen Ruf und Aussendung. Die Größe der Berufung des Johannes beruht tatsächlich auf der einzigartigen Bedeutung seiner Sendung. „Der größte aller Menschen wurde gesandt, um von dem zu zeugen, der mehr ist als ein Mensch“3, betonte der heilige Augustinus die Rolle des Vorläufers. Und Origenes fügt einen weiteren Aspekt hinzu, der bis in unsere Zeit reicht: „Das Geheimnis des Johannes verwirklicht sich noch heute in der Welt. Wer dazu bestimmt ist, an Jesus Christus zu glauben, muss zuerst den Geist und die Kraft des Johannes in seine Seele einlassen, um dem Herrn ein wohlgesinntes Volk zu bereiten (Lk 1,17) und die Wege zu ebnen und die Pfade gerade zu machen (Lk 3,5) von den Unebenheiten des Herzens. Nicht nur damals wurden die Wege geebnet und die Pfade gerade gemacht, sondern auch heute gehen der Geist und die Kraft des Johannes dem Kommen des Herrn und Erlösers voraus.“4

Jeder Christ ist dazu berufen, die Sendung von Johannes dem Täufer fortzusetzen und die Menschen auf die Begegnung mit Christus vorzubereiten. Der heilige Josefmaria schrieb: „Wie liebenswert ist das Verhalten Johannes des Täufers! Wie rein, wie edel, wie selbstlos! Er bereitete wahrhaft dem Herrn den Weg. Seine Jünger kannten Christus nur vom Hörensagen, und er drängt sie zum Gespräch mit dem Meister. Er richtet es so ein, dass sie ihn sehen und ihm begegnen. Er führt die Gelegenheit herbei, dass sie die Wunder bestaunen, die er wirkt.5 Johannes der Täufer führte ein nüchternes und bußfertiges Leben, das der Botschaft der Umkehr entsprach, die er verkündete. Seine Predigt war mutig, er verkündete die Wahrheit Gottes, für die er bis zu seinem Märtyrertod Zeugnis ablegte. Wie er, sind auch wir gerufen, Christus dorthin zu bringen, wo sich unser Leben abspielt. Daher richten wir unsere Augen wie Johannes und seine Jünger auf Jesus, damit wir, erfüllt von seinem Leben, unsere Mitmenschen dazu einladen können, dasselbe zu tun.


ALS DAS LEBEN des Johannes sich seinem Ende näherte, sagte er: Ich bin nicht der, für den ihr mich haltet; aber siehe, nach mir kommt einer, dem die Sandalen von den Füßen zu lösen ich nicht wert bin (Apg 13,25). Johannes der Täufer ist ein Beispiel der Demut und lauteren Absicht. Er hat nie versucht, mit seinem Licht selbst zu glänzen, sich selbst zu verkünden, seine Berufung zu nutzen, um sich zu profilieren oder persönliche Vorteile zu erlangen. Kein Mensch kann etwas nehmen, wenn es ihm nicht vom Himmel gegeben ist (Joh 3,27), erklärte er einigen seiner Jünger, die sich wegen des Rückgangs seiner Anhänger Sorgen machten. Diese Freude hat sich nun bei mir vollendet. Er muss wachsen, ich aber geringer werden (v. 29-30), fuhr er fort. Das Apostolat und die Bekehrung der Herzen sind eine Sache Gottes, bei der wir demütig mitarbeiten. Er ist Herr über Frucht und Zeit. Nach dem heiligen Augustinus war sich Johannes immer bewusst, „dass er die Stimme war, der Herr aber das Wort, das schon anfangs da war. Johannes war eine vorübergehende Stimme, Christus das ewige Wort von Anfang an.6

Auch in unserem Leben als Apostel soll Christus wachsen und wir selbst sollen klein werden. Dies erfordert eine tiefe Demut, wie der heilige Josefmaria erklärte: „Ich kann mir vorstellen, dass ihr alle euch bemühen wollt, sehr demütig zu sein. So werdet ihr euch viele Unannehmlichkeiten im Leben ersparen und wie ein prächtiger Baum sein – nicht prächtig an Blättern und auch nicht an Früchten, die hohl sind und kein süßes, saftiges Fruchtfleisch und daher auch wenig Gewicht haben, so dass die Zweige des Baumes sich eitel nach oben strecken. Wenn die Früchte hingegen ausgereift und voll sind und das Fruchtfleisch, wie ich vorher sagte, süß und schmackhaft ist, dann neigen sich die Zweige in Demut. (...). Demut also. Wir wollen Maria, unsere Mutter, darum bitten. Es hat ja seinen Grund, weshalb ich euch empfohlen habe, den Anruf Ancilla Domini stets auf euren Lippen zu haben: als ein charmantes Kompliment für unsere Mutter!“7


1 Franziskus, Ansprache, 30.7.2016.

2 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 45.

3 Hl. Augustinus, Sermo 289.

4 Origenes, Kommentar zum Evangelium nach Lukas, 4.

5 Hl. Josefmaria, Briefe 4, Nr. 21.

6 Hl. Augustinus, Sermo 293.

7 Hl. Josefmaria, Aufzeichnungen von einem Familientreffen, 27.12.1972.