Betrachtungstext: 2. Fastensonntag (A)

Die Wüste und die Berge sind Orte der Stille – Gott vergöttlicht uns im Gebet – Das Geheimnis Gottes wird uns nach und nach offenbart

DIE LITURGIE des vorigen Sonntags führte Jesus und den Teufel in der Wüste zu einer Begegnung von Angesicht zu Angesicht. An diesem zweiten Fastensonntag hingegen begeben wir uns auf den Berg Tabor, um Zeuge des glorreichen Ereignisses der Verklärung des Herrn zu werden. Wenn wir in der Wüste ”Jesus als vollkommenen Menschen, der wie wir sogar der Versuchung ausgesetzt ist”1, sehen, so betrachten wir ihn auf dem Tabor “als Sohn Gottes, der unser Menschsein vergöttlicht”. Doch trotz des Kontrasts nehmen beide Ereignisse das Ostergeheimnis vorweg: “Der Kampf Jesu mit dem Versucher läßt den großen abschließenden Zweikampf der Passion vorausahnen, während das Licht seines verklärten Leibes die Herrlichkeit der Auferstehung vorwegnimmt”2, lehrt Benedikt XVI.

Die Wüste und das Gebirge haben gemeinsam, dass sie abgeschiedene Orte sind, an denen Einsamkeit herrscht. Zu ihnen zieht sich Jesus, bewegt vom Heiligen Geist, zurück, um mit dem Vater zu beten. Die Heilige Schrift zeigt uns, dass sich Gott in diesen lärmfreien Räumen auf besondere Weise offenbart. Deshalb brauchen wir alle Räume und Zeiten der Stille, in denen wir den Lärm, der uns umgibt, ausblenden und eine innere Einkehr pflegen können, in der wir Gottes Flüstern hören. “Die Stille ist in der Lage, einen inneren Raum tief in uns selbst zu schaffen, um Gott dort wohnen zu lassen, damit sein Wort in uns bleibt, damit die Liebe zu ihm in unserem Geist und in unserem Herzen verwurzelt ist und unser Leben beseelt”3.

Es ist normal, eine gewisse Angst vor der Stille zu haben, denn sie verlangt, dass wir in uns gehen, um die Wahrheit unserer Existenz zu entdecken. Es ist auch normal, dass es uns anfangs schwer fällt, den Lärmpegel in solchen Momenten zu senken. Aber wenn wir die Stille inmitten der täglichen Hektik, inmitten des oft beschleunigten Kommens und Gehens suchen, dann öffnen wir einen Weg zur Gegenwart Gottes. Der Herr wartet oft auf unser Schweigen, um sich zu offenbaren.

PETRUS, Jakobus und Johannes, die auf den Tabor hinaufsteigen, werden unerwartet in das Gebet Jesu hineingezogen. Sie hatten das Gesicht des Meisters in der Vergangenheit oft gesehen; sie hatten ihn gesehen, als er betete, als er das Kommen des Reiches predigte oder viele Kranke heilte. Vielleicht hatten sie im Antlitz Christi die Gefühle gesehen, die ihr Herz erfüllten. Auf dem Gipfel des Tabor jedoch sehen sie das geliebte Gesicht auf eine neue Weise.

Jesus offenbart den drei Freunden seine Herrlichkeit: “Und er wurde vor ihnen verwandelt; sein Gesicht leuchtete wie die Sonne und seine Kleider wurden weiß wie das Licht” (Mt 17,2). Der Anblick des verherrlichten Körpers des Herrn beeindruckte sie so sehr, dass Petrus, ohne zu wissen, was er sagte, begeistert ausrief: “Herr, es ist gut, dass wir hier sind. Wenn du willst, werde ich hier drei Hütten bauen, eine für dich, eine für Mose und eine für Elija” (Mt 17,4). Die Jünger fühlten sich vergöttlicht. Das Gebet ist die Erhebung der Seele zu Gott4, sagt der heilige Johannes von Damaskus in einer Formulierung, die der Katechismus der Kirche aufgegriffen hat; es ist ein Raum der Stille vor Gott, in den wir gehen, um von ihm erfüllt zu werden, um unseren Durst zu stillen.

Die Jünger waren ergriffen von dem, was sie auf dem Tabor sahen. “Das Gebet wird in uns die gute, demütige, heilige Vergöttlichung bewirken", schrieb der heilige Josefmaria, “und wir werden imstande sein, ohne die geringste Gefahr in jedem Milieu zu arbeiten. (...) Aufgrund dieser fortwährenden, beharrlichen Befolgung des göttlichen Willens wird der Herr den Reichtum seiner Gaben mit vollen Händen über uns ausschütten – die gute Vergöttlichung5.Gleichzeitig ist ein Gebet, das lebensfremd ist, nicht gesund. Ein Gebet, das uns vom konkreten Leben entfremdet, wird zum Spiritualismus oder, noch schlimmer, zum Ritualismus. Erinnern wir uns, dass Jesus, nachdem er den Jüngern auf dem Berg Tabor seine Herrlichkeit gezeigt hat, jenen Augenblick der Ekstase nicht verlängern wollte, sondern mit ihnen vom Berg gestiegen ist und den täglichen Weg wiederaufgenommen hat. Denn jene Erfahrung sollte in den Herzen bleiben als Licht und Kraft ihres Glaubens; auch als Licht und Kraft für jene Tage, die vor der Tür standen: die Tage des Leidens”6.

WIE BEI der Taufe des Herrn im Jordan, so erschien auch auf dem Berg Tabor “die ganze Dreifaltigkeit: der Vater in der Stimme, der Sohn im Menschen, der Geist in der hellen Wolke”7. Erstaunt über das, was vor ihren Augen geschah, erhalten die drei Jünger Jesu eine Offenbarung, die sie erst später verstehen werden: dass der eine Gott gleichzeitig eine Dreifaltigkeit von Personen ist. Das Geheimnis Gottes wird uns nach und nach im Gebet offenbart, oft vorbereitet durch geistliche Lektüre und persönliche Weiterbildung. Auf diese Weise werden wir dem Heiligen Geist den Weg ebnen, um unsere Vorstellung von Gott allmählich zu reinigen und uns zu lehren, ihm mit Einfachheit und Vertrauen zu begegnen. Der Heilige Geist wird aus uns “verklärte Männer und Frauen”8 machen, die sich haben regenerieren, korrigieren und trösten lassen.

Während Petrus noch redete, "siehe, eine leuchtende Wolke überschattete sie und siehe, eine Stimme erscholl aus der Wolke: Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe; auf ihn sollt ihr hören. Als die Jünger das hörten, warfen sie sich mit dem Gesicht zu Boden und fürchteten sich sehr" (Mt 17,5-6). Dies sind Worte und Momente, die die Apostel nie vergessen haben. Verbunden mit dem Gebet Jesu, entdecken auch wir das Wunder, auf ihn zu hören und unsere Stellung als Kinder Gottes zu verstehen. “Das Beten ist die lebendige Beziehung der Kinder Gottes zu ihrem unendlich guten Vater, zu seinem Sohn Jesus Christus und zum Heiligen Geist. (...) Das Leben des Gebetes besteht somit darin, daß wir immer in Gegenwart des dreimal heiligen Gottes und in Gemeinschaft mit ihm sind”9. Maria, die sich von der Gnade innerlich formen ließ, kann uns helfen, jene Momente der Stille zu finden, in denen wir unsere Stellung als Kinder vertiefen können.

1 Benedikt XVI., Angelus, 17-II-2008.

2 Ebd.

3 Benedikt XVI., Generalaudienz, 7-III-2012.

4 Hl. Johannes von Damaskus, De fide orthodoxa, 3, 24.

5 Hl. Josefmaria, Briefe 2, Nr. 54.

6 Hl. Thomas von Aquin,, Summa theologiae, III, c. 45, a. 4, ad 2.

7 Hl. Johannes Paul II., Homilie, 11-III-2001.

8 Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 2565.

9 Papst Franziskus, Generalaudienz, 9-VI-2021.