Betrachtungstext: 18. Woche im Jahreskreis – Mittwoch

Die Hartnäckigkeit der Kanaanäerin – Die scheinbare Kälte Jesu – Wenn Gott seine Meinung zu ändern scheint

ALS JESUS in die Region von Tyrus und Sidon kam, trat eine kanaanäische Frau an ihn heran und rief: Hab Erbarmen mit mir, Herr, du Sohn Davids! Meine Tochter wird von einem Dämon gequält (Mt 15,22). Die Reaktion des Meisters fiel aufs erste überraschend aus: Er gab ihr keine Antwort (Mt 15,23). Die Apostel waren verwirrt, drängten ihn aber, der Frau zu helfen, vor allem um sie loszuwerden. Doch Jesus entgegnete: Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt (Mt 15,24).

Die Angelegenheit schien damit vom Tisch, nicht jedoch für die Frau. Sie trat nochmals näher, warf sich vor Jesus nieder und rief: Herr, hilf mir! (Mt 15,25). Statt Mitleid zu zeigen, antwortete Jesus mit einem harten Bild: Es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und den kleinen Hunden vorzuwerfen (Mt 15,26). Doch die Frau blieb hartnäckig und sagte: Ja, Herr! Aber selbst die kleinen Hunde essen von den Brotkrumen, die vom Tisch ihrer Herren fallen (Mt 15,27).

Beeindruckt von ihrem Glauben, ihrer Liebe und Kühnheit gewährte Jesus der Frau schließlich ihre Bitte: Frau, dein Glaube ist groß. Es soll dir geschehen, wie du willst (Mt 15,28). Sein Schweigen und seine scheinbare Ablehnung hatten die Frau darin bestärkt, dass sie ohne ihn nichts erreichen konnte. Manchmal lässt Jesus uns glauben, wie der heilige Josefmaria sagte, „dass er uns nicht erhört, dass wir uns täuschen, dass wir nur unsere eigene Stimme vernehmen, die Selbstgespräche führt“.1 Und er tut dies, damit wir – wie die kanaanäische Frau – ihn umso mehr bedrängen und unser Glaube nach und nach gereinigt wird.


WARUM verhielt sich Jesus gegenüber der kanaanäischen Frau so abweisend? Diese Frage beschäftigte auch den heiligen Augustinus, der folgende Antwort fand: „Christus zeigte sich ihr gegenüber nicht gleichgültig, um ihr das Erbarmen zu verweigern, sondern um das Verlangen danach zu entflammen.“2

Jesu Verhalten erinnert uns daran, wie wir möglicherweise reagieren, wenn uns jemand um einen großen Gefallen bittet. „Gut Ding braucht Weile“, sagt die Volksweisheit. Wir erwarten Hartnäckigkeit als Zeichen echten Interesses. Wenn nicht, so unser Kalkül, ist das Anliegen ohnehin nicht so wichtig, gerät in Vergessenheit und die Sache hat sich.

Jesus wollte aufzeigen, dass die Frau die Heilung ihrer Tochter wirklich wollte. Seine scheinbare Gleichgültigkeit sollte sie dazu anregen, ihren Glauben auf konkrete und mutige Weise unter Beweis zu stellen. Und so bittet sie, obwohl ihr Drängen ungelegen erscheint, bleibt unbeirrt, obwohl sie sich für unwürdig hält, und beharrt trotz der Schwierigkeiten, bis sie bekommt, was sie will. „Wir erleben oft, dass der Herr uns das, worum wir bitten, nicht sofort gewährt“, sagte der heilige Pfarrer von Ars, „er tut es, damit wir es uns sehnlicher wünschen oder mehr wertschätzen. Eine solche Verzögerung ist keine Absage, sondern eine Prüfung, die uns darauf vorbereitet, das Erbetene in größerer Fülle zu erhalten.“3

Als Jesus die Standhaftigkeit dieser Frau sah, rief er aus: Dein Glaube ist groß. Es soll dir geschehen, wie du willst (Mt 15,28). Der Herr wollte, dass ihr Wunsch zunahm, damit das Wunder so geschah, wie sie es wollte. Wäre ihr Wunsch klein gewesen, wäre das Wunder vielleicht kleiner ausgefallen. Papst Franziskus kommentierte: „Jesus verweist auf diese demütige Frau als Beispiel für einen unerschütterlichen Glauben. Ihr inständiges Flehen um ein Eingreifen Christi ist für uns ein Ansporn, den Mut nicht zu verlieren, nicht zu verzweifeln, wenn wir harten Prüfungen des Lebens ausgesetzt sind. Der Herr wendet sich angesichts unserer Bedürfnisse nicht von uns ab, und wenn er bisweilen für die Bitten um Hilfe unempfänglich zu sein scheint, will er damit unseren Glauben auf die Probe stellen und stärken.“4


DIE KANAANÄERIN hat es offenbar geschafft, die ursprünglichen Pläne Jesu zu ändern. Jesus hatte anfangs nicht vor, auf seinem Weg nach Tyrus und Sidon Wunder zu wirken, und schon gar nicht bei Nicht-Israeliten, da er gesandt war, vor allem dem Volk seines Vaters das Heil zu verkünden. Doch ihre Beharrlichkeit bewegte ihn, seine Ansicht zu ändern. Diese Dynamik sehen wir auch, wenn Abraham für Sodom eintritt (vgl. Gen 18,22-33) oder Mose für die Israeliten um Gnade bittet, die Götzendienst betrieben haben (vgl. Ex 32,11-14). Ebenso drängte Maria bei der Hochzeit zu Kana Jesus, seine Stunde vorzuziehen und Wasser in Wein zu verwandeln (Joh 2,1-11). Diese Planänderungen zeigen, dass die göttliche Vorsehung unsere Freiheit und unser Handeln berücksichtigt. Jesus hört uns mit mehr Verständnis, als wir es uns vorstellen können.

Auch wir erleben manchmal Ähnliches. Wir haben Pläne, doch unerwartet ergeben sich Notwendigkeiten bei jemandem, den wir lieben. Es kann aber auch sein, dass wir eine ganz klare Meinung zu einem Thema haben und ein Familienmitglied oder ein Kollege das Gegenteil denkt. In beiden Situationen neigen wir dazu, unseren Raum und unsere Zeit um jeden Preis zu schützen beziehungsweise unsere Ansichten durchzusetzen. Statt stur an unseren Plänen und Meinungen festzuhalten, lehrt uns Jesu Verhalten, dass die Bedürfnisse der anderen Vorrang haben. Papst Franziskus sagt: „Diese Öffnung des Herzens ist ein Quell des Glücks, denn geben ist seliger als nehmen (Apg 20,35). Keiner hat ein besseres Leben, wenn er sich versteckt, sich weigert teilzunehmen, widersteht zu geben, sich in seine Bequemlichkeit einschließt.“5 Bitten wir Maria um ihre Fürsprache, damit wir wie ihr Sohn mit Liebe auf jeden Menschen schauen, der unseren Weg kreuzt.


1 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 304.

2 Hl. Augustinus, Sermo 77, 1: PL 38, 483.

3 Hl. Johannes Maria Vianney, Predigt über das Gebet.

4 Franziskus, Angelusgebet, 20.8.2017.

5 Franziskus, Evangelii Gaudium, Nr. 272.