MIT DEN WORTEN des Apostels Paulus führt uns die Kirche in die heutige Liturgie ein: „Wir rühmen uns des Kreuzes unseres Herrn Jesus Christus. In ihm ist uns Heil geworden und Auferstehung und Leben. Durch ihn sind wir erlöst und befreit.“1 Das Fest der Erhöhung des Heiligen Kreuzes ist ein besonderer Tag, um ehrfürchtig auf diese Balken zu blicken, die einst den Tod bedeuteten, nun aber von Leben und Freiheit künden. Für Christen ist das Kreuz des Herrn nicht Zeichen einer Tragödie, sondern Quelle des Heils.
Menschen, die verliebt sind, hegen eine besondere Zuneigung zu Orten oder Dingen, die sie mit dem geliebten Menschen verbinden: der Ort der ersten Begegnung, ein Foto von einem besonderen Moment oder ein Geschenk, das ein Ausdruck der Liebe war ... All diese Dinge erhalten für sie einen besonderen Wert. Ähnlich ist das Kreuz für uns der Ort, an dem Jesus sich aus unermesslichem Erbarmen auf die Suche nach der verlorenen Menschheit begab. Hier hat der Gottessohn sich mit allen Menschen vereint, besonders mit denen, die leiden und jede Hoffnung verloren haben. Das Kreuz verkündet die besondere Beziehung Christi zu jedem, der sich seinem Trost und seiner Vergebung öffnet.
Zur Zeit des Exodus schaute das Volk Israel auf eine bronzene Schlange, die Mose an einem Stab erhoben hatte, um Heilung zu finden (vgl. Num 21,4-9). In der Zeit des Messias muss der Menschensohn erhöht werden, wie Jesus selbst dem Pharisäer Nikodemus erklärt, genauso wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, damit jeder, der glaubt, in ihm ewiges Leben hat (Joh 3,14-15). Wenn wir heute unseren Blick auf das Kreuz richten, erinnern wir uns an das große Opfer Christi, durch das wir das Leben zurückgewonnen haben.
ES IST NICHT einfach, die wahre Bedeutung des Kreuzes zu verstehen. Petrus liebte den Herrn aufrichtig, doch zunächst konnte er nicht fassen, was dieser mit der Ankündigung seines Leidens meinte. Er versuchte sogar, ihn davon abzubringen, sein Leben hinzugeben (vgl. Mt 16,21-23). Erst viele Jahre später sollte der Apostel die volle Bedeutung des Wortes begreifen, bis hin zu seiner eigenen Bereitschaft, am Kreuz zu sterben.
Der heilige Josefmaria ermutigte uns, das Kreuz als eine Einladung zur Einswerdung mit Christus sehen. Er lehrte uns, im Holz des Kreuzes nicht nur ein vergangenes Ereignis zu erkennen, sondern seine Gegenwart in unserem Leben zu entdecken: „Du fragst mich: Warum dieses Holzkreuz? – Ich schreibe aus einem Brief ab: ,Wenn ich die Augen vom Mikroskop hebe, fällt mein Blick auf das leere schwarze Holzkreuz. Dieses Kreuz ohne Gekreuzigten ist ein Symbol. (...) Das leere Kreuz fragt nach Schultern, die es tragen.‘“2
Manchen mag das Kreuz stumm erscheinen, als künde es nur von Schmerz. Doch für uns Christen ist es eine Aufforderung zur Großzügigkeit und zur Vereinigung mit Jesus, der uns befähigt, immer in Liebe zu leben und die Folgen der Sünde zurückzudrängen. Am Kreuz stellt der Herr die verwundete Natur des Menschen wieder her: Trotz der größten Ungerechtigkeit lässt Jesus in seinem Herzen keinen Raum für Groll, Ungehorsam oder Hass. Nur die Kraft Gottes macht eine solche Haltung möglich. Der gekreuzigte Christus erschafft den Menschen neu, und dieses neue Leben wird uns durch die Sakramente geschenkt.
Das Tragen des Kreuzes bedeutet also nicht nur, „die täglichen Drangsale geduldig zu ertragen“. Wie Papst Franziskus betont, geht es auch darum, „jenen Teil der Anstrengung und des Leidens mit Glauben und Verantwortung zu tragen, den der Kampf gegen das Böse mit sich bringt (...). So wird die Verpflichtung, ,das Kreuz auf uns zu nehmen‘, zur Teilhabe an Christi Werk der Erlösung der Welt.“3
DAS KREUZ ERHÖHEN, bedeutet für den Christen, wie Benedikt XVI. es ausdrückte, „an der Fülle der bedingungslosen Liebe Gottes zum Menschen teilzuhaben“4. Das Kreuz umarmen ist ein Akt des Glaubens, den der Jünger vollzieht, um ganz aus der Liebe zu leben, die Christus ihm schenkt. Der heilige Johannes Chrysostomus erinnert uns daran, dass das Kreuz das Leben der Christen begleitet und zugleich eine Quelle der Freude ist: „Niemand schäme sich also des ehrwürdigen Zeichens unserer Erlösung, der größten aller Wohltaten, durch die wir leben und durch die wir sind.“5
Vom Kreuz aus zieht der Herr weiterhin eine Vielzahl von Männern und Frauen an sich: Und ich, wenn ich über die Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen (Joh 12,32). Man kann sich leicht vorstellen, mit welcher Leidenschaft und Überzeugung Jesus diese Worte aussprach, als sich die Stunde seines Opfers näherte. Für ihn war das Kreuz der Moment des endgültigen Triumphs – der Weg, um die Herzen zu gewinnen, die er so sehr liebt. Es ist der Thron, von dem aus er regiert, und der, wie Papst Benedikt ausführte, „den Sieg der Liebe über den Hass, der Vergebung über die Vergeltung, des Dienens über das Herrschen, der Demut über den Stolz, der Einheit über die Spaltung symbolisiert“6.
Wenden wir uns an die Gottesmutter, die in ihrer tiefen Treue bei ihrem Sohn am Fuß des Kreuzes ausharrte. Der heilige Josefmaria riet: „Rufe das heiligste Herz Mariens an mit dem festen Vorsatz, dich mit ihrem Schmerz zu vereinen, als Sühne für deine Sünden und für die Sünden aller Menschen aller Zeiten“, riet der heilige Josefmaria. „Und dieser Schmerz ‒ das erbitte von ihr für jede Seele ‒ möge in uns die Abscheu vor der Sünde vertiefen und uns bereit machen, die körperlichen oder seelischen Belastungen unseres Alltags in Liebe als Sühne anzunehmen.“7
1 Römisches Messbuch, 14. September – Kreuzerhöhung, Eröffnungsvers (vgl. Gal 6,14).
2 Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 277.
3 Franziskus, Angelus-Gebet, 30.8.2020.
4 Benedikt XVI., Ansprache, 14.9.2012.
5 Hl. Johannes Chrysostomus, Kommentar zum Evangelium des hl. Matthäus, 54. Homilie, 4.
6 Benedikt XVI., Ansprache, 14.9.2012.
7 Hl. Josefmaria, Die Spur des Sämanns, Nr. 258.