Betrachtungstext: 13. Woche im Jahreskreis – Donnerstag

Die Freunde des Gelähmten – Wahre Freundschaft ist etwas an sich Gutes – Das Feld für eine Freundschaft vorbereiten

„BEI DER gegenwärtigen Situation der Glaubensverkündigung ist es wichtiger denn je, dem persönlichen Kontakt Priorität einzuräumen. Die Beziehung steht im Mittelpunkt des apostolischen Wirkens. Darauf stieß der heilige Josefmaria bereits in den Berichten des Evangeliums“1, so schreibt der Prälat des Opus Dei. Matthäus legt uns heute eine Geschichte echter Freundschaft vor. Mehrere Freunde eines Gelähmten sind gemeinsam bemüht, diesen  weil sie ihn liebten und einen großen Glauben hatten –, zu Jesus zu bringen, damit er ihn heile. Den Meister bewegt diese Geste. Darum wird er nicht nur das leibliche Gebrechen heilen, sondern sagte, als er ihren Glauben sah, zu dem Gelähmten: Hab Vertrauen, mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben! (Mt 9,2).

Gemäß dem Bericht des heiligen Markus war der Herr von so vielen Menschen umgeben, dass die Freunde nicht zu ihm vordringen konnten. Kein Grund, klein beizugeben. Entschlossen und kühn entschieden sie, das Dach des Hauses zu besteigen und die Liege mit dem Gelähmten durch eine Luke, die sie freilegen würden, vor Jesus hinunterzulassen. Man kann sich die Überraschung der Anwesenden vorstellen. Verblüfft beobachteten sie, wie das Dach geöffnet wurde und die Liege herunterschwebte. Die Operation hat wohl nicht jedem zugesagt, am wenigsten den Hausbesitzern oder jenen, die lange vor der Türe gewartet hatten, um eingelassen zu werden. Doch die Freundschaft der Männer war stärker. Mit der Sicherheit und Freiheit der Liebe handelten sie im Interesse ihres notleidenden Freundes, auch wenn sie dabei aus dem Rahmen fielen.

Auch der Gelähmte zeigt ein bemerkenswertes Maß an Freundschaft, indem er sich von seinen Freunden helfen lässt und sich ihren Händen anvertraut. Er muss große Stücke auf sie gehalten haben, um ein solches Manöver zu riskieren. Jesus beeindruckt die Stärke dieser Freundschaft und ihr Mut im Glauben. Auch wenn er normalerweise an den Glauben dessen appelliert, der geheilt werden will, legt er den Akzent diesmal auf den Glauben der Freunde. Diese Heilung zeigt, wie wahre Freundschaft zur Quelle göttlichen Segens wird. Papst Benedikt sagte einmal über die Freundschaft: „Die Freundschaft ist eine der edelsten und erhabensten menschlichen Empfindungen, die von der göttlichen Gnade gereinigt und verklärt wird.“2


DIE GNADE kann eine Freundschaft sehr stärken, weil sie die Beziehung zwischen den Freunden für die Sphäre des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe öffnet. Diese drei Tugenden sind in der von uns betrachteten Szene mit im Spiel, wie Papst Franziskus hervorhebt: „Das Handeln Christi ist eine unmittelbare Antwort auf den Glauben jener Menschen, auf die Hoffnung, die sie in ihn setzen, auf die Liebe, die sie einander beweisen.“3 Jesus heilte damals und er heilt weiterhin. Und er „heilt nicht einfach nur die Lähmung: Er heilt alles, er vergibt die Sünden, er erneuert das Leben des Gelähmten und seiner Freunde. Er lässt sie sozusagen neu geboren werden (...). Stellen wir uns vor, wie diese Freundschaft, aber auch der Glaube all jener, die in jenem Haus anwesend waren, dank der Geste Jesu wohl gewachsen sein werden.“4

„Damit diese unsere Welt der Spur Christi folgt – der einzigen, die sich lohnt –, muss uns mit unseren Mitmenschen eine loyale Freundschaft verbinden, die auf einer loyalen Freundschaft mit Gott beruht5, schrieb der heilige Josefmaria. Die Freundschaft mit Christus äußert sich gewöhnlich auf natürliche Weise, ohne dass wir es merken, weil wir froh sind und dienen wollen, was in tausend kleinen Gesten zum Ausdruck kommt. Der Prälat des Werkes wies auf das Beispiel Christi hin: „Was Freundschaft natürlicherweise sein kann, hat Jesus Christus, der vollkommene Mensch, in vollem Maße erfüllt. Im Evangelium sehen wir, wie er von Jugend an freundschaftlich mit seinen Mitmenschen umging. Schon als er zwölf Jahre alt war, hielten es Maria und Josef auf dem Rückweg von Jerusalem für selbstverständlich, dass er sich mit einer Gruppe von Freunden oder Verwandten auf den Weg machte. (...). Jedwede Gelegenheit dient dem Herrn als Anlass, eine freundschaftliche Beziehung anzuknüpfen, und oft sehen wir, wie er einzeln mit jemand spricht. (...). Häufig widmet der Herr seinen Freunden mehr Zeit. So etwa den Geschwistern in Betanien.“6

Es kann vorkommen, dass etwas so Kostbares wie die Freundschaft als Mittel missbraucht wird, um persönliche Ziele zu erreichen – mögen diese auch edel sein , was schließlich einen bitteren Nachgeschmack hinterlässt. Jesus bewunderte die echte Freundschaft, die er selbst erlebt hat und weiterhin lebt. Ein Kennzeichen der Freundschaft ist die Unentgeltlichkeit: Man ist nicht mit jemandem befreundet, um etwas zu erreichen, sondern einfach, weil man sich gern hat; man freut sich über das bloße Dasein des anderen und wünscht nichts mehr als sein Wohlergehen.


FREUNDSCHAFT ist immer ein Geschenk. Man kann sie weder programmieren noch kalkulieren, aber man kann sie fördern. Don Álvaro, der aufgrund seiner natürlichen Freundlichkeit in allen Lebenslagen Freunde gewann und mit vielen von ihnen ein Leben lang verbunden blieb, riet: „Wenn jemand aufrichtig seine Gefühle zeigt und loyal ist, wenn er bereit ist, Opfer für andere zu bringen, wird am Ende das geschehen, was der heilige Johannes vom Kreuz sagte: ,Wo keine Liebe ist, lege Liebe hinein, und du wirst Liebe ernten.‘ Man könnte ebenso sagen: ,Wo keine Freundschaft ist, lege die edlen Gefühle der Freundschaft hinein, und du wirst Freundschaft ernten.‘“7 Wir können auch daran arbeiten, unsere Talente und Fähigkeiten zu entwickeln, die uns zu liebenswerteren und vertrauenswürdigeren Menschen machen; dadurch können wir eine Atmosphäre schaffen, in der authentische Beziehungen zu anderen entstehen können. Der Prälat des Opus Dei ermunterte uns: „Es ist wichtig, Freundlichkeit, Freude, Geduld, Optimismus, Feingefühl und alle Tugenden, die das Leben anderer angenehm machen, zu kultivieren. Dadurch können sich Menschen von uns angenommen und glücklich fühlen. Im Alten Testament heißt es: Eine süße Rede vermehrt Freunde und eine redegewandte Zunge vermehrt, was willkommen ist (Sir 6,5). Der Kampf um die Verbesserung unseres Charakters ist notwendig, um das Entstehen freundschaftlicher Beziehungen zu erleichtern.8

In der klassischen Philosophie wird die Ansicht vertreten, dass man ohne Freunde nicht wirklich glücklich sein kann. Der heilige Thomas kommentiert ebenfalls, dass man ohne Freunde nicht die volle Erfüllung des Glücks erreichen kann. Ein Freund ist einer der kostbarsten Schätze, die wir haben können, aber er erfordert auch Pflege und Aufmerksamkeit. Wir können uns vorstellen, wie sehr die Freunde des Gelähmten vom Evangelium ihre Freundschaft gepflegt haben werden. Das war sicherlich nicht immer einfach und bequem, aber es führte sie letztendlich sogar zu Christus. Es genügt nicht, nur bestimmte Zeiten miteinander zu verbringen, sondern es ist nötig, füreinander da zu sein: Die Sorgen und Freuden eines Freundes sind ebenso wichtig, wie wenn es meine wären. Bitten wir die heilige Maria, sie möge uns ein Herz geben wie das ihre, das mit dem unserer Freunde eins werden kann.


1 Msgr. Fernando Ocáriz, Hirtenbrief, 14.2.2017, Nr. 9.

2 Benedikt XVI, Audienz, 15.9.2010.

3 Franziskus, Audienz, 5.8.2020.

4 Ebd.

5 Hl. Josefmaria, Im Feuer der Schmiede, Nr. 943.

6 Msgr. Fernando Ocáriz, Hirtenbrief, 1.11.2019, Nr. 2.

7 Sel. Álvaro del Portillo, Notizen aus einem Beisammensein, 11.9.1979.

8 Msgr. Fernando Ocáriz, Hirtenbrief, 1.11.2019, Nr. 9.