Acht Schlüssel zum Verständnis der theologischen Schriften Joseph Ratzingers

Vortrag von Erzbischof Forte an der Universität Santa Croce in Rom.

ROM, 5. Juli 2006 (ZENIT.org).- Acht Schlüssel sind es, die das Verständnis der theologischen Schriften Joseph Ratzingers, des jetzigen Papstes Benedikt XVI., wesentlich erleichtern. Das erklärte Erzbischof Bruno Forte von Chieti-Vasto vor kurzem in einem Vortrag an der Universität Santa Croce in Rom.

Der Erzbischof, Mitglied der Internationalen Theologischen Kommission, stellte seine Ideen im Rahmen eines Fortbildungsseminars für Medienfachleute vor. Als ersten Schlüssel zum Verständnis des Gedankenguts Ratzingers gewährte er einen Einblick in das geschichtliche und kulturelle Umfeld, in dem das theologische Werk des heutigen Papstes reifen konnte.

Nach 1968, als das "Zeitalter der Utopie" und die Vision des "überflüssigen Gottes" in den Vordergrund getreten seien, habe Ratzingers Werk seine antiideologische Ausrichtung erhalten, erläuterte der 56-jährige Hirte. Als im Jahr 1989 das "Zeitalter der Entzauberung" und des "Todes Gottes" Überhand gewonnen hätten, habe sich Ratzinger vorgenommen, "Horizonte des Sinns, der Freude und der Hoffnung" zu entdecken. In diesen Jahren habe der jetzige Papst das "Deus-caritas-Konzept" entwickelt. Die erste Enzyklika des Heiligen Vaters behandle deshalb nicht etwas vollkommen Neues, sondern vielmehr etwas, das "lange gereift" sei.

Der zweite Schlüssel zum Verständnis der Schriften Joseph Ratzinger besteht nach Erzbischof Bruno Forte darin zu erkennen, welche Aufgabe der Theologie zukomme. Der Papst begreife Theologie als "diakonia [Liebesdienst] an der Wahrheit im Haus der Wahrheit, das heißt in der Kirche". Sie ziele darauf ab, "durch den Dienst des Verstandes unter den Menschen Zeugnis abzulegen vom Wort". Gott, so fuhr Erzbischof Forte fort, finde man nämlich nicht in der Einsamkeit, sondern in der Gemeinschaft. In ihr erschließe sich die volle Wahrheit, die uns vermittelt worden sei.

Der dritte Schlüssel liegt für den Erzbischof in der Bedeutung des Glaubensaktes. Anhand eines Zitats aus Ratzingers "Einführung ins Christentum" zeigte der Theologe auf, dass Glaube bedeute, "seine Zustimmung zu jenem Sinngehalt zu geben, den wir selbst nicht schaffen, sondern den wir nur als Geschenk empfangen können, so dass es ausreicht, ihn anzunehmen und uns ihm vollständig zu überantworten". Der christliche Gott könne nur ein persönlicher Gott sein, nämlich Gottvater, den die biblische Geschichte als den lebendigen Gott offenbare, als den Gott Jesu Christi. Einen Gott, den man nicht kennt, könne man nicht lieben, bekräftigte Erzbischof Forte. Nur ein persönlicher Gott könne geliebt werden, � ein Gott, der sich dem Menschen zuwende und an den auch wir uns richten könnten. Die Beziehung zwischen den Menschen und Gott sei aus diesem Grund im Christentum keine "dualistische": Es bestehe als keinerlei Gegensatz zwischen dem Menschlichen und dem Göttlichen, zwischen Glauben und Verstand. Diese besondere Beziehung sei vielmehr als "Begegnung" und Übereinstimmung zu sehen.

Ein weiterer wichtiger Punkt in Ratzingers Gedankengut ist, so führte der Erzbischof weiter aus, die Idee, dass "in Jesus Christus das Menschliche und das Göttliche sich zwar begegnen, aber nicht vermischt werden". Gott sei nicht die Antwort auf die Erwartungen des Menschen, denn er übersteige diese: "Er ist das Jenseits, das uns einholt, das uns verwirrt und beunruhigt."

Der sechste Schlüssel, den der Erzbischof von Chieti-Vasto anführte, ist das Kirchenverständnis: Joseph Ratzinger beziehungsweise Benedikt XVI. nehme die Kirche als jenen Ort wahr, an dem Gott wohnt. "Die Kirche muss immer auf den Heiligen Geist hören leben und bereit sein, auch Widerstände, die gegen ihn errichtet werden, zu bekennen", stellte Erzbischof Forte fest und wies in diesem Zusammenhang darauf hin, wie notwendig es sei, sich Fehler der Vergangenheit einzugestehen.

Das Jenseitsverständnis, die Eschatologie, spiele in den Werken Ratzingers ebenfalls eine entscheidende Rolle. Sie bestimme die Identität des Christen, des "Gefangenen der Zukunft Gottes", der vor dem Hintergrund des unendlichen Gottes seine Entscheidungen treffe. Durch den Glauben und die Sakramente lebe der Christ in einer "vorausgeahnten und vorausahnenden Erwartung der letzten Dinge", allerdings sei er ebenso dazu berufen, manchmal "gegen den Strom zu schwimmen". 

Abschließend skizzierte Erzbischof Forte jenes Bild, das das gesamte theologische Werk Benedikts XVI. zusammenfasse: jenes von Maria. Sie sei die "Synthese der Ekklesiologie, ein ganz konkrete und persönliche Ikone, in der die harmonische Ordnung des christlichen Gedankenguts zum Ausdruck kommt".

Der Erzbischof beendete seinen Vortrag, indem er die Unterschiede zwischen Papst Johannes Paul II. und Benedikt XVI. beleuchtete. Wenn Karol Wojtyla ein personalistischer Anthropologe gewesen sei, dann müsse man Joseph Ratzinger einen Theologen nennen, der geradezu ein "Katechet ist, ein Träger der Möglichkeit zur Begegnung von verschiedenen Traditionen und Kulturen".

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