JESUS hatte gerade mehrere Heilungen vollbracht und Dämonen ausgetrieben, womit sich einmal mehr Jesajas Prophezeiung erfüllte: Er hat unsere Krankheit getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen (Jes 53,4). Die Menge war begeistert, solche Wunder erleben zu dürfen, doch der Herr beschloss, seine Arbeit in dieser Gegend vorerst zu beenden. Er wollte mit dem Boot ans andere Ufer fahren. Noch bevor er ablegte, trat ein Schriftgelehrter an ihn heran und sagte: Meister, ich will dir nachfolgen, wohin du auch gehst (Mt 8,19).
Der Schriftgelehrte hatte eine Entscheidung getroffen: Er war bereit, alles zu verlassen, um sich Jesus anzuschließen. In der kurzen Zeit, die er mit Christus verbracht hatte, hatte er ein neues Glücksgefühl verspürt. Dabei war diese Erfahrung nur ein erster Funke. Denn Christus kennenzulernen, ist, wie Papst Franziskus sagte, „ein Abenteuer, das ein ganzes Leben dauert. Die Liebe Jesu kennt nämlich keine Grenzen.“1 Der Schriftgelehrte hatte erkannt, dass es nicht ausreichte, einige Stunden mit Jesus zu verbringen. Er wollte sein ganzes Leben auf ihn ausrichten.
Das Leben des Christen ist ein ständiges Ausschau-Halten nach Jesus. Ja es ist sogar so, dass das Leben jedes Menschen die andauernde Suche nach einem Glück ist, das nur Gott schenken kann. Manchmal erleben wir seine Nähe intensiv, andere Male haben wir den Eindruck, dass er uns nicht hört. Doch diese Treue fordert er: das unbeirrte Suchen, das stete Verlangen nach ihm. Der heilige Josefmaria schrieb: „Dieser Kampf eines Kindes Gottes ist nicht von traurigem Verzicht, trüber Resignation oder Freudlosigkeit gekennzeichnet: Es ist vielmehr der Kampf eines Liebenden, der bei Arbeit und Erholung, in Freude und Leid in Gedanken stets bei seiner Liebe verweilt.“2
DIE REAKTION des Herrn auf den Wunsch des Schriftgelehrten ist geheimnisvoll: Die Füchse haben Höhlen und die Vögel des Himmels Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann (Mt 8,20). Diese Worte hatten mit dem, was Jesus gerade vernommen hat, scheinbar wenig zu tun. Sie geben jedoch den Lebensstil Jesu und all derer wieder, die ihm – so wie der Schriftgelehrte – folgen wollen. Papst Franziskus beschreibt diesen so: „Zu Gott aufsteigen und zu den Brüdern und Schwestern hinabsteigen, das ist der Weg, den Jesus uns weist. Er hat uns aus dem ungestörten Vergnügen in den Komfortzonen des Lebens herausgeholt, aus dem müßigen Dahinleben inmitten kleiner alltäglicher Befriedigungen. (...) Die Jünger Jesu sind nicht geschaffen für die wohlgeordnete Ruhe eines normalen Lebens.“3
Der Schriftgelehrte war bereit, seinen klar vorgezeichneten Lebensentwurf aufzugeben, um Jesus nachzufolgen. Die Apostel hatten dies bereits getan: Sie hatten ihre Sicherheiten aufgegeben, um sich im Vertrauen auf die Nähe des Herrn auf ein unabsehbares Abenteuer einzulassen. „In den Händen Christi“, sagte der heilige Josefmaria, „müssen wir uns von seinem erlösenden Blut durchtränken lassen und bereit sein, in weitem Bogen ausgestreut zu werden, unser Leben so anzunehmen, wie Gott es haben will.“4
Glück ist nicht etwas, das wir allein mit unserer persönlichen Anstrengung, Mühe und Planung erreichen können. Das Glück, das Gott uns schenkt, liegt großteils in den Beziehungen zu den Menschen, die uns nahe stehen: Das ist das Leben, „wie Gott es haben will“. Eine geliebte Person, ein Freund oder ein Bruder, können uns geben, was wir alleine nicht zustande bringen: uns bei unserer Suche geliebt, angenommen und verstanden zu fühlen. In diesem „unabsehbaren“ Abenteuer der Nachfolge Jesu Christi rechnen wir mit den Menschen, die Gott uns zur Seite gestellt hat. Diese, und vor allem Christus selbst, sind der beste Ort, wo wir stets unser Haupt hinlegen können.
GLEICH NACH DEM Schriftgelehrten nähert sich ein Jünger dem Herrn und bittet ihn: Lass mich zuerst weggehen und meinen Vater begraben (Mt 8,21). Jesus antwortet darauf: Folge mir nach: Lass die Toten ihre Toten begraben! (Mt 8,22). Der heilige Johannes Chrysostomos kommentierte dazu: „Jesus gebot nicht, die unseren Eltern gebührende Ehre auf die leichte Schulter zu nehmen, sondern wies darauf hin, dass nichts uns dringlicher sein sollte als die Dinge des Himmels.“5
Der heilige Josefmaria sagte gerne, dass „der Herr, der Meister der Liebe, ein eifersüchtiger Liebhaber ist: Er bittet um alles, was uns gegeben wurde, und um alles, wonach wir streben.“6 Wahre Liebe verlangt, dass wir alles geben und alles empfangen. Genau das hat Gott für jeden von uns getan, als er Mensch wurde, für uns gestorben, auferstanden und in der Eucharistie unter uns geblieben ist. Wenn wir dieser göttlichen Logik der Liebe zu Gott und zu den Nächsten folgen, erfahren wir ein Glück, das die Welt nicht geben kann. Papst Benedikt sagte, wir könnten uns dessen sicher sein, „dass er all jene mit Freude erfüllt, die ihm das Leben weihen und auf seine Einladung antworten, alles zu verlassen, um bei ihm zu sein und sich mit ungeteiltem Herzen dem Dienst an den anderen zu widmen.“ Und er fügte hinzu: „Eine große Freude behält er ebenso dem Mann und der Frau vor, die sich einander in der Ehe völlig hinschenken, um eine Familie zu gründen und Zeichen der Liebe Christi zu seiner Kirche zu werden.“7
Wir wissen nicht, wie der Schriftgelehrte auf die Worte des Herrn hin reagierte, ob er wegging oder sich dafür entschied, Jesus nachzufolgen. Was wir jedoch wissen, ist, dass Jesus will, dass wir ihn bedingungslos lieben, und dies in völliger Freiheit. Weder den Schriftgelehrten noch den Jünger nötigt er zu einer Entscheidung: Er lässt sie selbst die Wahl treffen. Christus „drängt sich nicht als Herrscher auf“, sagte der heilige Josefmaria, „und bittet um etwas Liebe“8. Bitten wir Maria, dass wir ihrem Sohn mit jener Freiheit und Liebe zu folgen wissen, die ihr eigenes Leben geprägt haben.
1 Franziskus, Tagesmeditation, 25.10.2018.
2 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 219.
3 Franziskus, Predigt, 18.11.2018.
4 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 157.
5 Hl. Johannes Chrysostomus, In Matthaeum, 27, 6.
6 Vgl. hl. Josefmaria, Im Feuer der Schmiede, Nr. 45.
7 Benedikt XVI, Botschaft, 15.3.2012.
8 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 179.