Weihbischof Bündgens: herzliche Gespräche mit dem Gründer

„Es waren kurze, aber herzliche persönliche Gespräche. Der heilige Josemaría war eine charismatische Persönlichkeit.“ Das bezeugte der Aachener Weihbischof Dr. Johannes Bündgens am 80. Gründungstag des Opus Dei.

„Es waren kurze, aber herzliche persönliche Gespräche. Der heilige Josemaría war eine charismatische Persönlichkeit.“ Das bezeugte der Aachener Weihbischof Dr. Johannes Bündgens am 80. Gründungstag des Opus Dei.

Bündgens ist einer der wenigen deutschen Bischöfe, die unserem Gründer noch begegnet sind, und zwar 1974/75 als Theologiestudent in Rom. Wir veröffentlichen Auszüge aus der Predigt am 2. Oktober 2008 in der Pfarrkirche Herz Jesu, Aachen.

Am 2. Oktober 1928, einem Dienstag heute vor 80 Jahren, gründete der 26jährige aragonesische Priester Josemaría Escrivá de Balaguer das Opus Dei. Er hielt sich mit einer Gruppe von sechs Diözesanpriestern im Tagungshaus der Lazaristenpatres (Berglar sagt: der Vinzentiner) am Stadtrand von Madrid auf. Es war der zweite Tag ihres Exerzitienkurses. Frühmorgens hatten die Teilnehmer die Messe gefeiert, gefrühstückt, Brevier gebetet und aus dem Neuen Testament gelesen. Gegen 10 Uhr war Escrivá allein auf seinem Zimmer. Er blätterte in der stillen Zeit zwischen zwei Exerzitien-Vorträgen in seinen Aufzeichnungen über die geistlichen Erfahrungen der letzten Jahre, ohne menschlichen Plan oder Programm. Es war eine göttliche Eingebung, die plötzlich über ihn kam. Er hat den Befehl oder die Bitte, so zu handeln, im Inneren klar vernommen. Er hatte, so sagt er selbst, keinerlei menschliche Hilfsmittel, diesen Befehl zu verwirklichen, nur seine Jugendlichkeit, Humor und die Verheißung göttlicher Gnade. In der Vision sah er vor seinen Augen das Opus Dei erstehen. Gott will es, Gott wirkt es; es ist sein Werk. Gott selbst ist der Gründer.

Die Vision erschütterte ihn. Er sah das Apostolat von Laien vor seinen Augen erstehen, Menschen aller Kulturen und Schichten, die das Evangelium bezeugen und ausbreiten, die ihre weltliche Berufstätigkeit heiligen und durch ihre Arbeit selbst geheiligt werden. In Apostolicam Actuositatem Nr. 7 wird das Konzil sagen: Die Laien müssen den Aufbau der zeitlichen Ordnung in Ausrichtung auf Christus, geleitet vom Licht des Evangeliums, als die gerade ihnen zukommende Aufgabe auf sich nehmen. Sie sollen aus ihrer spezifischen Sachkenntnis heraus und in eigener Verantwortung überall und in allem die Gerechtigkeit des Reiches Gottes suchen.

In den nächsten Tagen ging Josemaría daran, die Verwirklichung des Opus Dei anzupacken. Zuerst einmal erkundigte er sich, ob es nicht schon irgendwo auf der Welt so etwas oder wenigstens etwas Ähnliches gab. Er forschte nach, ob es in Spanien oder in Polen oder sonstwo in der katholischen Welt ein entsprechendes Institut gab. Er überzeugte sich so von der Neuartigkeit seiner Botschaft. Dann begann er, Gleichgesinnte um sich zu scharen und sie von seinem Vorhaben zu überzeugen: Studenten, Berufstätige, Priester.

Josemaría deutet die Vision als die Erfüllung seiner inständigen Bitte: „Domine ut videam!“ Er hatte den Herrn lange Zeit darum gebeten, ihm die Augen zu öffnen und zu erleuchten für das wirklich Wichtige. Später legte er die Vision seinem Beichtvater vor und ließ sie sich von ihm als echt approbieren. Seit etwa zehn Jahren führte er ein intensives geistliches Leben. Offensichtlich hatte er dabei mystische Anlagen entfaltet. Seine geistliche Suche verband er mit der Bitte des Blinden aus dem Evangelium als Stoßgebet: Herr, ich möchte sehen! Escrivá war überzeugt, dass Gott etwas ganz Konkretes von ihm wollte; aber er wusste noch nicht, was es war. Die Gnaden, die er bisher im Gebet erhalten hatte, erschienen ihm im Nachhinein wie blasse Vorahnungen. Auf einmal sah er alles klar: Genau das erwartet Gott von mir. Durch mein Mitwirken soll dieses große Werk entstehen, das Gott selbst in der Kirche schafft. Er hatte Gott einen Blankoscheck auf sein Leben ausgestellt; und nun löste Gott ihn ein. Er sagte ihm durch die Vision, wozu er ihn haben wollte. Ab jetzt widmete er sich für den Rest seines Lebens, für die fast 50 Priesterjahre, die noch folgen sollten, nur diesem einen Projekt.

Die ältesten schriftlichen Aufzeichnungen über das Geschehen des 2. Oktober 1928 entstanden im zeitlichen Abstand von drei Jahren: Am 2. Oktober 1931 schreibt Josemaría zum ersten Mal darüber. Er fühlte sich von Gott wie ein kleines Kind behandelt: Gott gab ihm ein paar einfache Elemente wie Bauklötzchen in verschiedenen Formen und Farben zum Spielen in die Hand; den großen Plan und die vielen anderen nötigen Elemente enthielt er ihm noch vor; und die ganze schwere Last des großen Werks ließ er ihn noch nicht spüren. Er sollte nur mit dem Wenigen schon einmal anfangen und sozusagen mit kindlicher Leichtigkeit vorangehen.

Dem 2. Oktober 1928 sollten andere wichtige Gründungstage folgen, die sich nach einem ähnlichen Schema ereigneten: eine Vision nach der Feier der hl. Messe. Am 14. Februar 1930, also schon 16 Monate später, sah er das Opus Dei der Frauen. Genau fünfzehn Jahre sollten vergehen, bis er am 14. Februar 1943 die Gesellschaft der Priester sah, die Societas Sacerdotalis sanctae crucis. Mit diesen drei Gründungsvisionen 1928, 1930 und 1943 ist die Grundstruktur des Opus Dei komplett: Männer, Frauen, Priester.

Das Opus Dei hat wenige Jahre nach dem Tod des Gründers (1975) im Zusammenhang mit dem neuen Kodex des kirchlichen Rechts (1983) die Rechtsform der Personalprälatur bekommen. Der Gründer hatte ein Leben lang nach der passenden Form für das Werk gesucht. Diese nun entsprach seiner ursprünglichen Vision und Intuition am besten. Beim Opus Dei handelt sich um eine neue Realität in der Kirche, die mit den herkömmlichen institutionellen Modellen: Orden, Kongregation, Bruderschaft, geistliche Bewegung nicht zu erfassen war. Neuer Wein gehört in neue Schläuche, zitiert man in diesem Zusammenhang oft ein Jesus-Wort. Hier zeigt die Kirche Mut, neue Wege zu beschreiten. Natürlich leben die Gläubigen des Opus Dei – Laien und Priester – auch in den ganz normalen pfarrlichen und diözesanen Strukturen der Kirche; darüber hinaus haben sie aber eine eigene Rechtsform. Sie leisten damit ein Stück Pionierarbeit, wenn wir davon ausgehen, dass die traditionelle Pastoral der territorialen Erfassung, das heißt des Rekrutierens junger Menschen für die alten Strukturen von Pfarren, Diözesen, Verbänden keine große Zukunft mehr hat, nur noch einen geringen Prozentsatz der Getauften erreicht wird und die Kirche unbedingt neue Wege finden muss. Die Alternative ist, dass der Glaube in den Herzen der Menschen neu geboren wird. Im Französischen gibt es ein Wortspiel: vom encadrement zum engendrement, von der Erfassung zur Zeugung. Es entspricht in etwa, aber nicht genau unserem Motto: von der Volkskirche zur Entscheidungskirche. Das geht nur über enge und nahe Beziehungen in Gemeinschaften, in denen der Glaube gelebt und bezeugt wird. Die Personalprälatur ist ein kirchlicher Ort solcher intensiven geistlichen Beziehungen. Der Antagonismus und die Komplementarität zwischen Ortsgemeinden und apostolischen Gemeinschaften wird zur künftigen Gestalt der Kirche gehören. Wenn die Mission der Kirche heute gelingen soll, müssen diese Bezugsgrößen zueinander finden. Beide sind unverzichtbar. Das kommt auch zum Ausdruck, wenn ich als Weihbischof heute mit Ihnen das Jubiläum feiern darf.

Apostolische Realitäten wie das Opus Dei erinnern die Ortskirchen daran, dass die Sendung der Kirche noch lange nicht erfüllt ist, wenn die religiösen Bedürfnisse der Bevölkerung befriedigt sind und wenn wir Seelsorger den Erwartungen der praktizierenden Kirchgänger in etwa entsprochen haben. Sie erinnern die ortskirchlichen Verantwortlichen daran, auf die Lebensbedingungen der Menschen und die akuten Fragen des sozialen Lebens genau hinzuschauen. Die Ortskirchen haben die Stärke der Ortsnähe und der Vertrautheit. Es entstehen nahe und enge Beziehungen, in den der Glaube erzeugt werden und wachsen kann. Aber die Lebensbedingungen der Menschen sind heute zu unterschiedlich, als dass sie alle nach einem gemeinsamen und gleichen Modell evangelisiert werden könnten. Die Vorstellung von einer homogenen Bevölkerung mit christlichem Hintergrund ist anachronistisch. Gesellschaft und Kirche kann man heute nur noch pluralistisch denken. Die Menschen sind mobil und flexibel und bewegen sich hochvirtuos zwischen verschiedenen Lebenswelten. In diesen Wanderungs- und Wandlungsbewegungen der Menschen muss die Kirche sichtbar, auffindbar und ansprechbar bleiben. Menschen, die ihrem Herkunftsmilieu entwurzelt sind, schätzen klare Identitäten und lassen sich leicht zu etwas Neuem provozieren. Man findet Gleichgesinnte und teilt mit ihnen Erfahrungen des Lebens und des Glaubens.

Zwischen den Ortskirchen und den apostolischen Gemeinschaften gibt es ein Verhältnis der gegenseitigen Provokation zum Guten. Die Gemeinschaften befähigen ihre Mitglieder zur Gestaltung der Welt aus dem Geist des Evangeliums. Die Ortskirchen sind bereit, jeden mit seinen verschiedenen menschlichen Bestrebungen aufzunehmen und ihm dafür ein Gemeinschaftsleben nach dem Modell des Evangeliums zu bieten. Apostolische Gemeinschaften bewahren die Ortskirchen davor, sich auf sich selbst zurückzuziehen, sich damit zufrieden zu geben, wenn das Leben im inneren Kreis der Gemeinde einigermaßen funktioniert, und zu vergessen, dass die Sendung der Kirche auf Welt und Menschheit als ganze bezogen ist, dass wir Christen eine Verantwortung für alle Nöte und Sorgen unserer Zeitgenossen haben. Für uns Christen ist klar: Der Glaube an Christus bedingt unseren Blick auf die Welt. Soziologische Analysen haben ihre Berechtigung, aber vorgängiges Kriterium für die Wahrnehmung und Bewertung des Geschehens in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft ist für uns nicht die Sinus-Studie, sondern das Evangelium Christi. Nur so können wir Christen für die anderen authentische Partner in der Reflexion über die gesellschaftliche Realität sein.

Als ich 1974 mit dem Studium in Rom begann, wurden wir Theologiestudenten von Dr. Rolf Thomas manchmal zu Treffen in einem Begegnungszentrum für Priester namens CRIS mitgenommen und durften dabei auch dem Gründer begegnen. Es waren immer kurze, aber herzliche persönliche Gespräche. Auch im Alter war ihm anzumerken: Der heilige Josemaría war ein leidenschaftlicher Jünger, eine charismatische Persönlichkeit. Als am 26. Juni 1975 die Nachricht von seinem Tod kam, gab es bei uns eine echte Betroffenheit.

Als Weihbischof ist eine meiner Hauptaufgaben, Jugendliche zu firmen. Die Predigten des heiligen Josemaría über den Heiligen Geist, zum Beispiel die von Pfingsten 1969, haben mir öfters geholfen. Sie enthalten eine ganze Pneumatologie. Sie atmen Schwung und Begeisterung, Weite und Innerlichkeit. Sie sprechen von der Kühnheit und Tapferkeit des christlichen Glaubens. Sie klagen unsere Mittelmäßigkeit und Lauheit an. Sie beklagen die Geistvergessenheit in der Kirche seiner Zeit. Sie sind voll von Worten der Bibel und der Kirchenväter – Basilius, Chrystostomus, Cyrill von Alexandrien, Augustinus. Die Heiligung des Lebens, von der Josemaría so oft und so gerne spricht, ist bewirkt vom Heiligen Geist.

Als Josemaría in Madrid die Vision vom Opus Dei hatte, hörte er die Glocken der nahe gelegenen Kirche Nuestra Señora de los Angeles läuten – der Kirche Unserer Lieben Frau von den Engeln. Das taten sie am Schutzengelfest besonders feierlich und ausgiebig. Diesen Klang hat er sein Leben lang nicht mehr vergessen. Das Glockengeläut schien ihm wie die göttliche Bestätigung seiner Vision: Diese Glocken haben ein Leben lang für ihn weiter geläutet.

Engel sind Feuer. Liebe ist nicht kalt. Man kann nicht auf Sparflamme lieben. Liebe ist Feuer. Wer liebt, der ist Feuer und Flamme, und Gott ist ein Liebender. Unsere Sünde ist: Wir haben gegen das Feuer seiner Liebe Brandschutzwände errichtet, hinter denen wir gleichgültig und wohltemperiert unsere Existenz ohne Feuer und Glut leben können. In Josemaría brannte die Leidenschaft für Gott und Christus und Kirche.

Achtzig Jahre nach der Gründung ist es Ihnen aufgetragen, die Vision Ihres Gründers in unsere Zeit und in die Realität der gegenwärtigen Kirche zu übersetzen. Gottes Engel mögen Sie dabei geleiten.