„Dass man erkennt, wie sehr wir die Welt lieben und dazu beitragen wollen, sie besser zu machen.“

Teil 4/4 des Interviews mit Isabel Sánchez, der Sekretärin des Zentralassessorats in Rom

Teil 1: „Im Charisma vertiefen, aus Fehlern lernen und zuversichtlich in die Zukunft blicken“

Teil 2: „Jeder soll einbezogen werden.

Teil 3: „Im Opus Dei haben wir alle den selben Lebensplan.

TEIL 4

Wie bringt ein zölibatäres Mitglied des Opus Dei seine Beziehung zu seiner Familie und zur Institution in Einklang?

Ein wesentliches Merkmal des Opus Dei ist sein ausgeprägt familiärer Charakter. Wer um Aufnahme bittet und beginnt, das Charisma des Werkes zu leben, erkennt schnell, dass das Opus Dei eine Familie ist. Gleichzeitig bleibt die eigene Herkunftsfamilie weiterhin ein wichtiger Bestandteil seines Lebens. Dennoch haben wir nicht immer einen idealen Weg gefunden, diese beiden familiären Bezugspunkte harmonisch zu verbinden. Das führte gelegentlich zu Spannungen, aus denen wir viel gelernt haben. Manche haben das Werk sogar verlassen, weil sie sich in diesem Integrationsprozess nicht ausreichend begleitet fühlten.

Gleichzeitig ist uns bewusst, dass wir darauf achten müssen, wie wir das familiäre Leben innerhalb des Opus Dei gestalten. Denn es stimmt, dass die Berufung zum Opus Dei bedeutet, sich anderen zu schenken – sei es durch Aufgaben in der Evangelisierung oder in der Bildungsarbeit, die zu bestimmten Zeiten eine vollständige Hingabe erfordern. Wo sich jede Person zu einem bestimmten Zeitpunkt aufhalten und engagieren soll, bleibt in jedem Fall vorrangig ihre persönliche Entscheidung im Dialog mit Gott.

Hältst du den Lebensstil des Opus Dei für anspruchsvoll?

Das christliche Ideal besteht darin, aus Liebe zu Gott zu leben und anderen Gutes zu tun. Würden wir dieses Ideal als reines Ziel betrachten, würde es uns in seiner Unerreichbarkeit zermürben. Doch wir empfangen es als Geschenk: die Fähigkeit, Gott zu lieben und mit ihm gemeinsam die Menschen zu lieben. Aus dieser inneren Dynamik schöpfen wir Freude, Frieden, Glauben und Hoffnung. Sie bringt das Leben ins Gleichgewicht, weil sie dazu führt, dass es auf soliden Pfeilern und mit einer einheitlichen Zielsetzung aufgebaut wird.

Um diesem Ziel höchste Priorität einzuräumen, braucht es sowohl die Hilfe Gottes als auch tägliche Anstrengung. Im Opus Dei helfen wir jedem einzelnen, sich für die Gnade zu öffnen, und ermutigen ihn gleichzeitig dazu, sich Gottes herausfordernden Anrufungen mutig zu stellen. Es ist ein anspruchsvoller Weg, weil er auf ein wertvolles Gut ausgerichtet ist. Gleichzeitig ist es ein erfüllender und liebenswerter Weg – weil es um die Liebe geht – und mit persönlichen Schwächen und Fehlern gut vereinbar.

Tausende Menschen auf der ganzen Welt haben so ihr Glück gefunden. Ihr Geheimnis liegt darin, diesen Weg in größter Freiheit zu gehen – mit einer stets erneuerten Liebe zu Jesus Christus und zu den Mitmenschen.

Welcher Raum bleibt für die persönliche Freiheit bei einem offenbar stark strukturierten Lebensstil – mit festen Plänen, Zeitvorgaben und äußeren Verpflichtungen?

Der christliche Glaube ist immer ein Raum der Freiheit, denn vor Gott stehen wir als Kinder, nicht als Sklaven. Gottes Anrufe sind stets Einladungen, die eine freie und eigenverantwortliche Antwort erwarten.

Das Opus Dei besteht aus erwachsenen, freien Menschen, die sich bewusst für einen christlichen Lebensweg entschieden haben. Sie wissen, wozu sie sich verpflichtet haben, und leben diesen Weg in Freiheit. Diese Entscheidung ermöglicht es ihnen, ihre Welt mit Leidenschaft zu lieben, tief in die Gesellschaft integriert zu sein, sich gemeinsam mit anderen den Herausforderungen des Lebens zu stellen und ihre Freundschaft und Zuneigung mit vollen Händen zu schenken.

Wer sich von Gott zu diesem Weg berufen fühlt, erhält Erklärungen darüber, wie bestimmte christliche Tugenden konkret gelebt werden, welche geistlichen Praktiken dazugehören und welches Bildungsangebot für die Evangelisierung bereitsteht. Das Opus Dei ist ein Weg in der Kirche – ein weiter und offener Weg, aber mit klaren Konturen. Wer diesen inneren Ruf spürt, ist selbst daran interessiert, ihn möglichst authentisch zu leben. Deshalb setzt der Eintritt in das Werk voraus, dass die betreffende Person genau versteht, wozu sie sich verpflichtet und was sie in voller Freiheit gewählt hat.

Neben dem theoretischen Verständnis sorgen die Jahre vor einer endgültigen Bindung dafür, dass diese Absichten in der Praxis erprobt werden – mit Höhen und Tiefen, wie es menschlich ist. Dieser Weg der Berufungsfindung ist ein gegenseitiger Prozess zwischen der Person und dem Werk. In diesem Sinne unterscheidet sich das Opus Dei nicht von anderen Institutionen der Kirche.

Als Menschen sind wir unvollkommen: Wir sind frei, müssen aber lernen, diese Freiheit bewusst zu leben. Aus Sicht des Werkes besteht eine wesentliche Aufgabe darin, die Freiheit jedes Einzelnen immer besser zu fördern und zu stärken. Getragen von der Liebe Gottes ist sie der eigentliche Motor eines Lebens der Hingabe. Dafür ist es entscheidend, autoritäre und starre Bildungsstile zu überwinden. Gleichzeitig müssen voluntaristische oder perfektionistische Tendenzen erkannt werden, die letztlich in Überforderung und Entmutigung münden.

Welche Erfahrungen hast du gemacht, wenn Menschen das Opus Dei verlassen haben, und welche Ratschläge gibst du denen, die sie begleiten?

Für mich sind Menschen, die das Werk verlassen haben, kein anonymes Kollektiv, sondern konkrete Gesichter, die ich im Gebet vor mir sehe – Menschen aus Fleisch und Blut, mit denen ich Hoffnungen und Projekte geteilt habe. Jede und jeder von ihnen hat aus unterschiedlichen Gründen den Weg des Opus Dei verlassen.

In vielen Fällen geschah dies im Rahmen des normalen Berufungsklärungsprozesses. Manche haben nach einer gewissen Zeit erneut um die Aufnahme gebeten. Andere haben das Werk aus verschiedenen persönlichen Motiven verlassen, sich aber dennoch eine respektvolle Nähe bewahrt.

Am meisten schmerzt mich die Trauer derjenigen, die aus Verletzung oder Wut gegangen sind. Einige von ihnen waren mir besonders nah, und es tut mir leid, wenn ich nicht rechtzeitig helfen, sie besser begleiten oder unsere Freundschaft trotz der Differenzen bewahren konnte.

Diese Erfahrungen haben uns gelehrt, Austrittsprozesse sensibler zu begleiten und dafür zu sorgen, dass niemand allein gelassen wird. Dennoch sehe ich immer wieder, wie Gott sich auch verschlungener Wege bedient, um Gutes zu bewirken – sowohl für die Einzelnen, die gegangen sind, als auch für diejenigen, die geblieben sind und für das Opus Dei selbst.

Was war der Anlass für die Einrichtung von Clearingstellen und wie haben sie sich bewährt?

Unser Anliegen ist es, dass Menschen, die das Opus Dei verlassen, diesen Schritt in Begleitung gehen – unterstützt von denjenigen, die ihnen in dieser Lebensphase nahestehen und ihre Situation gut kennen. In den letzten Jahren haben wir dafür besondere Anstrengungen unternommen. Viele Menschen haben diese Begleitung und Hilfe in Anspruch genommen, sei es beim Austritt aus dem Opus Dei oder später, wenn sie erneut den Kontakt gesucht haben.

Gleichzeitig sind wir uns bewusst, dass dies nicht immer in ausreichendem Maß geschehen ist. Aus diesem Grund hat unser Prälat, Fernando Ocáriz, entschieden, dass ab 2024 in allen Ländern eine Beratungs- und Schlichtungsstelle eingerichtet wird. Sie dient als erste Anlaufstelle, um sicherzustellen, dass Menschen, die ihre Verbindung zum Werk verloren haben oder diesen Kommunikationsweg bevorzugen, einen Ort haben, an den sie sich wenden können – und wo sie mit Sicherheit Gehör finden.

Wenn Du ein Thema wählen müsstest, zu dem das Opus Dei deiner Meinung nach noch viel lernen muss, welches wäre das?

Wenn wir das hundertjährige Bestehen eines Weges feiern, den Zehntausende Einzelpersonen über Jahrzehnte hinweg gegangen sind, würde ich mir wünschen, dass über uns Ähnliches gesagt wird wie über die ersten Christen: „Seht, wie sie einander lieben.“ Dass man erkennt, wie wir füreinander sorgen, wie sehr wir die Welt lieben und dazu beitragen wollen, sie besser zu machen.

Um dieses Ideal zu erreichen, müssen wir unsere Bildungsarbeit weiter vertiefen – sodass jedes Mitglied in echter Freiheit wächst, sich als erkannt und geliebt erfährt und sich dadurch ermutigt fühlt, seine Talente zu entfalten und in den Dienst des Gemeinwohls zu stellen.

Es gibt viele Bereiche, in denen wir noch wachsen können: christliche Authentizität, eine tief gelebte Spiritualität, Freiheit, Offenheit für Neues, eine dynamische Haltung des Aufbruchs, soziale Sensibilität und die Zusammenarbeit mit Menschen, die anders denken als wir. Dies sind einige der Vorschläge, die aus den regionalen Versammlungen hervorgegangen sind, um uns weiterzuentwickeln.

Dabei ist es nicht allein die Institution, die diesen Wandel vorantreiben muss, sondern jeder Einzelne von uns. Denn letztlich sind es die Menschen, die das Opus Dei ausmachen.

Ende des Interviews.