Ich spürte die Herausforderung

Am Samstag vor Pfingsten ist Dr.med. Andreas Kuhlmann, 39, in der römischen Basilika San Eugenio von Bischof Javier Echevarría, dem Prälaten des Opus Dei, zum Priester geweiht worden. Im folgenden Interview spricht er über seine Berufung, seine Arbeit mit jungen Leuten und die Atmosphäre an den von ihm besuchten Universitäten des Opus Dei.

Andreas Kuhlmann

Sie gehören dem Opus Dei bereits seit 1991 an. Wie sind Sie dazu gekommen?

Über Umwege, die mit meiner Absicht, Arzt zu werden, zu tun haben. Ich wollte gerne in der Nähe meiner Heimatstadt Recklinghausen studieren, um den Kontakt mit meiner Familie und meinen Freunden nicht zu verlieren und das Tischtennisspielen in meinem Club SG Suderwich nicht aufgeben zu müssen. So nebenbei, damit man versteht, wieviel mir dieser Sport bedeutet: 1989 fuhr ich mit einem Mannschaftskameraden täglich von Recklinghausen nach Dortmund, um dort die komplette Tischtennis-WM zu sehen, elf Tage waren das. Deutschland wurde damals erstmals Doppelweltmeister, mit Jörg Roßkopf und Steffen Fetzner. Damals trainierte und spielte ich 10-20 Stunden pro Woche Tischtennis. 

Also, es war wie gesagt schwer, einen Studienplatz in Heimatnähe zu ergattern und tatsächlich bekam ich einen in Aachen. Das bedeutete, jedes Wochenende aus den genannten Gründen 170 Kilometer hin und die gleiche Strecke zurück zwischen Recklinghausen und Aachen zu pendeln. Im Oktober 1989, nachdem ich den Zivildienst in einem Altenheim und obligatorische zwei Monate Krankenhaus-Praktikum für das Medizinstudium beendete hatte, begann das Studium. Es fing mit den sogenannten Orientierungseinheiten (OE) an, kleine Gruppen von Erstsemestlern, die von zwei bis drei erfahrenen Studenten geleitet wurden. Es war eine Woche mit Rundgängen durch Uni und Stadt, eben Orientierung, und dann des Kennenlernens. Ausgerechnet in meiner OE gab es einen Studenten, der war Numerarier des Opus Dei. Wir freundeten uns gleich an und so war es ganz natürlich, dass ich über ihn das Bildungszentrum Erk kennenlernte, wo er wohnte. 

Nie zuvor hatte ich etwas vom Opus Dei gehört, ich kannte nicht einmal den Namen. Nach und nach nutzte ich das Bildungsangebot, die Betrachtungen, Vorträge, Bildungskreis, Gespräche, auch mit dem Priester dort. Ich spürte die Herausforderung, meinen Glauben neu zu beleben. Da ich über zehn Jahre Meßdiener in meiner Pfarrei war, Jugendarbeit machte, auch im Pfarrgemeindrat war, den sonntäglichen Gottesdienst (fast) nie ausfallen ließ, war es kein „Kaltstart“. Doch vieles war mir damals nicht ganz klar, und vielleicht hat meine Sympathie und Mitgliedschaft bei Greenpeace und die private oder auch schulische Lektüre einer Reihe interessanter, aber nicht immer leicht zu verdauender Autoren ein verzerrtes Bild von der christlichen Berufung und der Kirche in mir geprägt. Wie dem auch sei, es gab viel Gesprächsbedarf und so haben wir beide uns bei einem guten Bier öfters über „Gott und die Welt“ lange unterhalten.

Wie jedem jungen Menschen, ging es mir um die Verteidigung meiner Freiheit und um die Findung der Wahrheit: Themen wie Kreuzzüge, Hexenverbrennung, Umgang mit der Schöpfung, Toleranz gegenüber Andersdenkenden (Fall Kolumbus; Galileo), gewisse Kirchengebote, Haltung der Kirche zu Themen wie Krieg, Todesstrafe, Wehrdienst, etc. brannten mir damals unter den Nägeln, - wie auch heute, obgleich ich sie nun besser einordnen kann, denke ich. In den Gesprächen und im Umgang miteinander stellte ich fest, dass diese Fragen auch die anderen nicht kalt ließen, sondern sie daran Anteil nahmen und zu antworten versuchten.  

Aber das Wichtigste für mich war der zunehmend enge Kontakt mit Gott selbst, der mir in Erk ermöglicht wurde. Ich lernte, mich persönlich mit Gott auseinanderzusetzen. Ich kann mich noch genau daran erinnern, als ich meine ersten Besinnungstage in Kreuzweingarten, im dortigen Haus Hardtberg, machte. Mein Freund hatte mich dazu eingeladen. Wir unternahmen eine kleine Wallfahrt zur nahen Schönstatt-Kapelle in Maria-Rast. Wir beteten einen Teil des Rosenkranzes, das heißt ich hörte zu und musste von neuem lernen, das so einfache Ave-Maria-Gebet mit dem Ehre-sei-dem-Vater zu sprechen. Obgleich wir von meiner Pfarrei jedes Jahr eine Marienwallfahrt unternahmen und ich sie oft mitmachte, vergaß ich einfach im Laufe eines Jahres wieder die Gebete. Damals ging ich nach sehr langer Zeit auch wieder erstmals beichten. Wie man sieht, so grundsätzliche Glaubenspraktiken waren mir verloren gegangen und sie entdeckte ich durch das Opus Dei wieder. 

Mit dem, sagen wir, wiederentdeckten und neuen Strom der Gnade erwachte dann auch die Frage der Berufung. Ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie der Priester, mit dem ich sprach, meine Unruhe in dieser Frage erkannte und mir half zu erkennen, was Gott von mir wollte. Was ich bisher wollte, war klar: Arzt werden, mit diesem Beruf froh werden und Geld verdienen, eine gute und hübsche Frau heiraten und eine große Familie bilden – mein Jugendtraum also. Nun ja, wie man sieht, ist es dann etwas anders gekommen. Als ich klar sah, unterschrieb ich den Blankoscheck, d.h. ich entschied mich, den Weg als Numerarier im Opus Dei zu gehen, ganz auf Gott vertrauend.  Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Arbeit für den Kölner Jugendclub Feuerstein

Da ich sehr gerne reise, kommen mir sofort die vielen kleinen Abenteuer der Clubfahrten in den Sommerferien in den Sinn. Immer waren wir eine gute Gruppe von 10-20, um ein paar Wochen – meist mit dem Fahrrad – andere Länder kennenzulernen. Ich könnte jetzt die Länder und Etappen einzeln aufzählen, mehrmals Frankreich, Irland, eine Donautour nach Wien, eine Tour durch Schweden, genauso die Jungen, mit denen ich unterwegs war und für die wir den ganzen Aufwand ja betrieben. Mit einigen habe ich noch Kontakt. Dann gab es da den beinahe schon Klassiker „Computer und Sport-Tagung“ über Pfingsten für die Älteren und das Pfingstzeltlager der Jüngeren. 

Dann erinnere ich mich noch gut an die immer schönen Adventskonzerte, die wir für die Familien der Clubmitglieder veranstalteten. Mehrere Jahre liehen wir uns kräftige Tragegurte, um das schwere Klavier aus dem Wohnzimmer des ersten Stockwerks in die Aula im Kellerniveau zu hieven. Es war wirklich ein abenteuerliches „Häuserheben“ bzw. „Klavierheben“, was sich dann aber auch gelohnt hat. Es waren immer ein paar sehr schöne Stunden mit den Familien der Jungen.

 

Sie haben in Köln Medizin studiert und später große Teile Ihres Theologiestudiums an der Universität von Navarra in Nordspanien absolviert. Was kennzeichnet diese Universität für Sie?

Da ich ein Naturliebhaber bin, fällt mir zunächst die wunderbare Lage des Campus, der zudem sehr gut gepflegt ist, ein. Im Park der Uni, zwischen den großzügig verteilten modernen Gebäuden, sind die unterschiedlichsten Baumarten aus mehr als 50 Ländern der Welt gepflanzt. Sie spiegeln tatsächlich das internationale Ambiente der Uni wider. Besonders international und deshalb auch bunt war es in der theologischen Fakultät, denn die Mehrzahl der Studenten dort sind aus dem Ausland. Dann hat mir sehr die familiäre Atmosphäre gefallen, ganz im Unterschied zu den Massenuniversitäten wie Köln oder Aachen, wo ich studierte. Ich erinnerte mich fast an meine Schulzeit zurück, denn unsere Aulen in der Theologie waren wie Klassenräume und den Professoren begegnete man bei vielen Gelegenheiten. Zwischen den Vorlesungsblöcken saß man oft mit den Professoren zusammen. Es gab einen regen Gedankenaustausch bei einer Tasse Kaffee. Inzwischen werden viele meiner Kommilitonen, die als Seminaristen von ihren Bischöfen geschickt wurden, als Priester in aller Welt ihren Dienst verrichten.

Was die Uni von Navarra auch auszeichnet, das ist die erlebbare und sichtbare Sorge, Gelegenheiten zu schaffen, Kontakte zu knüpfen und miteinander angenehme Momente zu verbringen... und nicht nur Studium und Prüfungen. Der jährliche "Tag des Sports" ist wie ein kleines Volksfest, an dem Studenten und ihre Angehörigen sich amüsieren und die Uni besser kennenlernen können. Oder der "Rektorenpokal", ein sportliches Messen über mehrere Monate in allerlei Sportarten unter den Studenten mit abschließender feierlicher Preisverleihung, an der ich mehrmals im Tischtennis erfolgreich teilnahm. Dann gibt es eine Reihe sozialer Initiativen und Hilfsprojekte in armen Ländern, die von Studenten und Professoren organisiert werden.

 

An der Uni von Navarra werden auch gute Gewohnheiten gepflegt, wie die feierlichen Akte bei der Zeugnisvergabe und für Studenten offene Kongresse in den einzelnen Fakultäten. Ich erinnere mich noch gut, wie mir 1996 das Abschlusszeugnis für Humanmedizin von Düsseldorf aus zugesandt wurde, ein computergedrucktes simples Blatt; das war die Zeugnisübergabe. In Pamplona erhielt ich eine prächtige Urkunde persönlich überreicht.

Was einen deutschen Studenten, der an zwei staatlichen Universitäten studiert hat, besonders beeindruckt, ist die Tatsache, dass jede Fakultät ihre eigene Kapelle mit Allerheiligstem hat, in der täglich über den Tag verstreut hl. Messen gefeiert werden und die man in den Pausen zum Beten aufsuchen kann. Dies ist sicher einmalig.

Wann werden Sie nach Deutschland zurückkehren? Werden Sie Ihr Engagement für die Jugend auch als Priester fortsetzen?

Ich rechne damit, Ende des Jahres wieder in Deutschland zu sein. Wo? Das hängt von den Bedürfnissen des Werkes ab und steht in der Entscheidung des Regionalvikars. Da lasse ich mich überraschen. Das Engagement für die Jugendlichen ist, denke ich, eine Konstante für jeden Christen, der sich für die Zukunft anderer interessiert. Irgendwie ist es ganz natürlich und nebenbei gesagt auch unverzichtbar, wie für jeden, der seelsorgerisch tätig ist. Abgesehen davon, dass es mir viel Spaß macht, Abenteuer zu erleben und Sport zu treiben und Neues zu erfahren, teilt man automatisch das Interesse der Eltern um ihre Kinder und schon ist man in der sogenannten „Jugendarbeit“ drin. Außerdem hat das Engagement für die Jugend bei mir schon lange Tradition, bevor ich zum Opus Dei kam. In meiner Pfarrei in Recklinghausen-Essel, „Heilig Geist Essel“, organisierten wir Jugendgruppen-Treffen mit Katechese und Aktivitäten und zwei Mal fuhr ich nach Ameland, eine schnuckelige und ruhige holländische Insel, wo wir in Buren, am östlichen Ende der Insel auf einem Bauernhof drei Wochen lang ein Sommerlager hatten mit etwa 80 Jungen und Mädchen. 

Ich will den Jugendlichen Mut machen, ihre natürliche Spontaneität und ihren Abenteuergeist für sich und für andere gut zu nutzen. Kleinkariertheit und ein sozusagen von Anfang an eingezäunter und vorgeplanter Lebenslauf, das finde ich schrecklich. Sie verbauen dem Menschen die Möglichkeit, sich positiv überraschen zu lassen. Es gibt nichts Schöneres, als große Träume zu hegen und für ihre Realisierung etwas zu wagen. Ich habe konstant das faszinierende Motto unseres heiligen Gründers vor Augen, das er oft wiederholte: „Soñad, y os quedaréis cortos”, was so viel heisst wie: “Träumt, und die Wirklichkeit wird eure Träume weit übertreffen.” Für das Werk ist das eine tägliche Wirklichkeit und ich wünsche, dass die Jugendlichen, mit denen wir umgehen, daran teilnehmen. 

Was sind denn Ihre persönlichen Interessen? Ihre Sportarten? Ihr Lieblingsautor, -maler und -komponist? 

Einige persönliche Interessen habe ich schon durchblicken lassen. Mit den Fragen, die ich mir damals zur Wehrdienstverweigerung und zum Arztberuf stellte, hat sich eine besondere Sensibilität für andere existentielle Probleme gebildet. Das Interesse für die Probleme der Abtreibung, Euthanasie, Präimplantationsdiagnostik und Embryonenselektion hat mich dann irgendwann, nach der Greenpeace-Phase, zur Lebensrechtsinitiave ALfA geführt, und in der Kölner Zeit auch zu einem gewissen praktischen Engagement an Infoständen usw. Ich denke, das Engagement für Menschen in Not ist dringender als das für die anderen Geschöpfe, auch wenn sich beides nicht ausschließt.

 

Mir gefallen dann besonders Bücher und Filme, die dem Abenteuer des menschlichen Lebens auf den Grund gehen. Persönlichkeiten wie Mutter Teresa, Mahatma Gandhi, Albert Schweitzer haben mich als Jugendlicher bzw. junger Mann zum Nachdenken gebracht. Später habe ich viele Biographien von Martyrern des zwanzigsten Jahrhunderts – besonders während des Nationalsozialismus – gelesen, aber das Leben von Thomas Morus fünfhundert Jahre zuvor ist auch faszinierend. Als wir mit dem Jugendlichen des Jugendclubs Feuerstein 1996 an der Seligsprechung von Karl Leisner und Bernhard Lichtenberg durch Papst Johannes Paul II in Berlin teilnahmen, bekam dieses persönliche Interesse einen neuen Impuls. In den Jugendjahren hatte ich die vielleicht etwas eigene Gewohnheit, interessante Ideen aus solchen Büchern abzuschreiben – ich nannte sie Sinnsprüche. Mit Tesafilm wurden sie als kleine Zettel an die Zimmertapete oder die Möbel geklebt. Ab und zu waren es auch eigenen Gedanken. Jeder hat so seine Art, Dinge zu verarbeiten... 

Die Tierwelt fasziniert mich ebenfalls, obgleich meine Kenntnisse eher rudimentär geblieben sind. Aber wenn es sich anbietet, nutze ich meine Schmetterlings- oder Vogelbücher zur Orientierung für die Beobachtung mit dem Fernglas. Ich habe auch einmal Pilze gesammelt.

Tischtennis ist meine grosse Leidenschaft, dann Rennradfahren in schönen Gegenden. Weiter machen mir Tennis, Squash, Badminton und Wandern viel Freude.

Da ich jetzt drei Jahre in Rom lebe, sind mir besonders die italienischen Maler im Kopf, also Caravaggio und Canaletto. Meine Lieblingskomponisten sind Beethoven, Tschaikowski und Dvořák. Als Lieblingsautor nenne ich mal Shakespeare mit seinen tiefmenschlichen Tragödien und Komödien oder auch Stefan Zweig, der mich zur Zeit begeistert wegen seiner Ausdrucksstärke und Menschenkenntnis.