Die christliche Tugend allein kann die Welt verbessern

Predigt des apostolischen Nuntius in Österreich, Erzbischof Dr. Georg Zur, anlässlich des Gedenktags des Hl. Josefmaria

Liebe Brüder und Schwestern in Christo!

Als ich als junger Priester Spanien besuchte - ich glaube es war im Jahr 1957 - fiel mir in einem Buchgeschäft das Büchlein unseres Heiligen Josemaria Escrivà de Balaguer in die Hände, das den Titel trug: "Camino" (Der Weg). Gemeint war Christus: "Der Weg, die Wahrheit und das Leben", und es enthielt Aphorismen zur Erlangung der Christlichen Vollkommenheit. Ich habe es mir damals gekauft. Es ist das große Geschenk des Heiligen Josemaria Escrivà an unsere moderne Zeit, die vom Streben nach der Tugend nichts wissen will, die eventuell die Gesellschaft reformieren möchte, aber nicht das eigene sündhafte Ich.

Vor vielen Jahren hörte ich von einem fernen Land, wo die Verbrecher öffentlich hingerichtet werden. Dort ergab es sich, dass die Masse der Schaulustigen in helles Lachen ausbrach wenn immer sie sah, dass die Gehängten mit den Beinen zappelten, als ihnen die Henker das Podium wegschoben, auf dem ihre Füße bis dahin Halt gefunden hatten. Daran kann man sehen, dass die Erbsünde sehr real ist, und dass man den menschlichen Trieben nicht trauen darf. Einfach nur den Trieben folgen, vielleicht noch mit der falschen Begründung sie seinen ja ein Angebot Gottes, das ist einer der Irrtümer unserer Zeit. Sie sind in der Tat Geschenk des Schöpfers, doch nur in dem Masse, in dem sie vom menschlichen Geist in die Disziplin genommen werden. Dann werden sie zu göttlichen Tugenden. Die Welt sagt: Die Tugend taugt nicht, denn sie gibt mir keinen Genuss. Sicher, sie lässt dich nicht dumm oder böse lachen über die zappelnden Beine der Gehängten oder bei vielen anderen oberflächlichen lustvollen Gelegenheiten. Die Tugend ist "Ernst des Lebens". Aber sie ist zutiefst echt beglückend: die Schönheit des inneren Menschen bringt echte Freude und Vorfreude des Ewigen Lebens, das ja die wirklich unendliche Sehnsucht des Menschen ist, zu der er freilich in vielen Fällen überhaupt erst aufwachen muss. Der Weg zur Ewigen Seligkeit ist Christus: seine Botschaft, sein Vorbild. Er hat gesagt: "Seid vollkommen wie mein himmlischer Vater vollkommen ist". Das ist der Weg der Erlösung und Vergöttlichung des Menschen. Unsere unendliche, beglückende Zukunft!

Und die christliche Tugend kann auch die Welt verbessern, ja sie allein kann die Welt verbessern. Mehr und wirksamer als die politische Rede.

Das wussten die Christen der Frühzeit, damals noch eine kleine Minderheit unter der Bevölkerung. Im zweiten Jahrhundert schrieb der Verfasser des Briefes an Diognetus das folgende über die Christen: "Sie heiraten wie alle und haben Kinder, aber sie setzen Neugeborene nicht aus. Sie haben den Tisch gemeinsam, aber nicht das Bett. Sie sind Fleisch, doch leben nicht nach dem Fleische. Sie leben in der Welt aber sind Bürger des Himmels". In der noch älteren Schrift "Didache" aus dem Jahre 100, wird ausdrücklich auf die Abtreibung bezuggenommen. Es heißt dort: "Die das Gebilde Gottes im Mutterleib umbringen", befinden sich auf dem Wege der Verdammnis (5.2). Der Brief an Diognetus schließt mit diesen Worten des Lobes für die Christen: "Sie gehorchen dem Zivilrecht aber sind durch ihren Lebensstil besser als die Gesetze... Und um alles zusammenzufassen: Was im Leibe die Seele ist, das sind in der Gesellschaft die Christen".

Meine lieben Brüder und Schwestern! Christus hat ermahnt: "Seid vollkommen wie euer himmlischer Vater vollkommen ist"! Wir danken dem Heiligen Josemaria Escrivà für seine Schule der christlichen Vollkommenheit. Seine Aphorismen mögen uns ermuntern, mutig und erhobenen Hauptes auf dem Weg voranzuschreiten der Christus ist. Dann kann man von Euch sagen was Paulus an die Philipper geschrieben hat: "Ihr seid Kinder Gottes, untadelig und lauter, ohne Fehl inmitten eines verdorbenen und verkehrten Geschlechtes, unter dem ihr leuchtet wie die Sterne im All" (12.15). Heiliger Josemaria, bitte für uns!

Amen.