München. Für ein differenziertes Verhältnis zum Islam hat sich Horst Bürkle im Münchner Bildungszentrum Weidenau ausgesprochen. Der Religionswissenschaftler plädierte dabei für eine Stärkung der dialogbereiten Kräfte unter den Muslimen. „Es gibt einen Islam, der sich in Sachen ,Religion’ in einer sich nur noch säkular verstehenden und verhaltenden Gesellschaft als ,bündnisfähig’ erweist: Muslime als gute Nachbarn, die ihre Inkulturation hier nicht nur als religiöses Verlustgeschäft – einen schlechten Tausch der Güter betrachten müssen“, erläuterte der Referent. Es handele sich um einen Islam, der bis heute schwer an seiner eigenen Geschichte gegenseitiger Verfolgungen im Namen Allahs leide. Der emeritierte Professor der Ludwig-Maximilian-Universität München sprach zum Thema „Europa und islamische Welt – Stehen wir vor einer Epochenwende?“
„Der Papst hat sich zum Anwalt dieses anderen, koexistent-bemühten Islams gemacht“, fuhr Bürkle fort. „In einer Welt, die von Relativismus geprägt ist und allzu oft die Transzendenz aus der Universalität der Vernunft ausschließt, bedürfen wir dringend eines echten Dialogs zwischen den Religionen und zwischen den Kulturen, der uns helfen kann, alle Spannungen in einem Geist fruchtbarer Zusammenarbeit gemeinsam zu überwinden“, zitierte er aus einer Rede von Benedikt XVI. in Castel Gandolfo während einer Audienz für die Botschafter der muslimischen Welt nach seiner Regensburger Vorlesung am 12. September 2006. Die Beziehungen müssten auf einer immer wahrheitsgemäßeren gegenseitigen Kenntnis gründen, welche die gemeinsamen religiösen Werte anerkenne und die Unterschiede respektiere. Dabei habe der Papst die Verteidigung und Förderung der Würde des Menschen sowie die sich daraus ableitenden Rechte hervorgehoben.
Absage an Gewalt
Die berühmt gewordene Vorlesung während der päpstlichen Bayernvisite im vergangenen Jahr bezeichnete Bürkle trotz der Irritationen vieler Muslime als wichtigen Impuls. Dabei sei es um die Rolle der Vernunft in den Religionen gegangen. Vernunftgemäß sei der Glaube, wenn er die Vernunft im Schöpfungswerk Gottes wahrnehme. Der Religionswissenschaftler rief zu einer Ermutigung derjenigen Richtungen des Islams auf, die sich seit dem 8. Jahrhundert für die Geltung der Vernunft ausgesprochen hätten. „Eine bloße Enthaltung in dieser Hinsicht dient nicht dem Frieden in der Welt, sondern der Preisgabe und Auslieferung auch der bereitwilligen islamischen Welt an ihren und unseren Gegner“, betonte der Islamkenner. Es handele sich um eine innerislamische Linie, welche „die Vernunft nicht der Willkür Allahs unterwirft, sondern Allahs Gebot der Vernunft zuordnet“. Ihr gehe es um das Gute, das Gott in seine Schöpfung gelegt habe und dem er in seinem im Koran kundgegebenen Wollen nicht widersprechen wolle und könne. In Konsequenz ergebe sich daraus auch eine Absage an Gewalt, so Bürkle.
Vernunft und Glaube befreien zur wahren Mitmenschlichkeit
Der Referent erinnerte auch an die Mahnung des Papstes beim Blick auf die westliche Welt, die durch ihr Verhalten Anlass für das Feindbild anderer Religionen gebe. Zu den Defiziten zählten der Subjektivismus, die Abkoppelung des nachchristlichen, säkularen Menschen vom Gottesbezug, der Verfall der Wertbegründungen, die Selbstauslieferung an eine platte Diesseitigkeit und die Befangenheit in einer kleinen Welt des Machbaren, Finanzierbaren und statistisch Überschaubaren. Im Gegensatz dazu bedeute der Zusammenhang von Vernunft und Glaube die Befreiung zur wahren Mitmenschlichkeit im Sinne der Enzyklika „Deus caritas est“, bekräftigte Prof. Bürkle. „Das Bild, das die christliche Welt dem Islam vermittelt, ist entscheidend für sein Verhalten dem Westen gegenüber“, lautete daher die Aufforderung an seine Zuhörer. Welche Rolle eine „vernünftige“ Religion im Verhältnis zum Staat spiele, könne das Zeugnis einer lebendigen Kirche und die Praxis christlicher Gesellschaftslehre dem Islam aufzeigen.
Um politischer Partner werden zu können, müsse der Islam andererseits die ursprüngliche Identität von Religion und Staat in Sinne der Personeneinheit seines Stifters als Prophet, Feldherr und Staatsmann aufgeben. In Erinnerung an die Dialogangebote Johannes Paul II. dem Islam gegenüber erklärte der emeritierte Professor der Ludwig-Maximilian-Universität München: „Die Hoffnung, dass die Religionen und mit ihnen der Islam Wegbereiter sein mögen zu einer versöhnten Menschheit, bleibt das Vermächtnis dieses Papstes.“