Dauerbrenner Opus Dei-Verdächtigung

Zum Bändchen „Schleichende Übernahme“ von Peter Hertel

Im Mai 2002 hat der Verlag Publik-Forum ein weiteres Buch Peter Hertels vorgelegt, das, wie bei Verlag und Autor gewohnt, die Öffentlichkeit in Kirche und Gesellschaft vor dem Opus Dei warnt: 

Peter Hertel, Schleichende Übernahme. Josemaría Escrivá, sein Opus Dei und die Macht im Vatikan, 158 S. brosch., Publik-Forum Verlag, Oberursel, Mai 2002. 

Das Büchlein erschien sozusagen pünktlich zur am 6. Oktober 2002 bevorstehenden Heiligsprechung des Opus-Dei-Gründers Josemaría Escrivá. Auch vor zehn Jahren, als Escrivá seliggesprochen wurde, stand unter den Aktivitäten der Leserinitiative Publik e.V. „die Auseinandersetzung mit dem Thema ‚Opus Dei’ im Vordergrund”. So teilt es der Mitgliederrundbrief von August 1992 den „lieben Freundinnen und Freunden von Publik-Forum” mit und dankt „besonders unserem Referenten Peter Hertel wieder ganz herzlich für sein unermüdliches Engagement”. Schließlich seien „die von Peter Hertel im Rahmen unserer Kampagne erhobenen Vorwürfe sehr berechtigt”. So der Auftraggeber damals. 

Bei „kritischen Katholiken” erwarb sich Peter Hertel den Ruf des Experten in Sachen Opus Dei, nachdem Papst Johannes Paul II. 1982 das Opus Dei als Personalprälatur errichtet hatte. Es handelt sich dabei um eine innovative, erst vom II. Vatikanischen Konzil konzipierte Rechtsgestalt in der katholischen Kirche. Der überraschende Vorgang fand einerseits viel Interesse und Zustimmung, bot andererseits aber Kritikern, die für eine „andere Kirche” schwärmten, Anlaß zur Inszenierung öffentlicher Empörung über das Opus Dei. In diesem Sinne repräsentativ waren zuerst Peter Hertels schier endlose Rundfunksendungen über die Gefährdungen von Kirche und Gesellschaft durch das Opus Dei. Sie wurden dann auch als CDs gehandelt, waren flankiert von zahlreichen Kurzpublikationen Hertels und schlugen sich 1985 nieder in seinem Buch „Ich verspreche euch den Himmel” (Patmos). Dieses bescherte seinem Autor regelrechte Deutschland-Tourneen durch konfessionelle Akademien und Bildungswerke. Im Rahmen einer ab 1988 in interessierten Theologenzirkeln geführten akademischen Debatte über sogenannten katholischen Fundamentalismus wurden Hertels Schriften gegen das Opus Dei sogar als Quelle herangezogen. So etwa von Wolfgang Beinert in dem von ihm bei Pustet herausgegebenen Buch „Katholischer” Fundamentalismus – Häretische Gruppen in der Kirche? Es erschien 1991, kurz vor der Seligsprechung Escrivás. 

Hertels späteres Herder-Taschenbuch „Geheimnisse des Opus Dei” (1995) wirkt als blasser Neuaufguß, und der Kontrollbericht „Glaubenswächter” (Echter 2000) hadert nicht nur mit dem Opus Dei, sondern mit romtreuen Katholiken in Deutschland überhaupt und sucht sie einzeln aufzuspüren. Daß Hertels neues Büchlein nun bei Publik-Forum erscheint, wirkt fast wie ein Rückzug in die Etappe der unentwegt Gleichgesinnten. Womöglich schmelzen die Leser solch fundamentalistischer Kirchenkritik heute einfach deshalb weg, weil sie nicht mehr in die Kirche gehen. 

Zudem schreibt der einstmals offensive Angreifer Peter Hertel jetzt aus der Defensive. Mit beachtlicher Sensibilität gegenüber Kritik, wie er selbst sie unentwegt austeilt, beklagt er in der Einführung das Unrecht, das ihm von Menschen angetan wird, die der Prälatur Opus Dei angehören, wie der Rezensent – oder auch nicht angehören, wie etwa der Professor Ulrich Kluge (Seite 10f.). Der hatte sich aber in einer Zeitung geäußert, in der auch ein Journalist schreibt, der dem Opus Dei angehört. Das genügt. Belege für connections dieser Art sind keineswegs selten. Aber Hertels Eifer im Sammeln von Details ist nicht zu bestreiten. 

So finden sich im Anhang der Neuerscheinung, akribisch aufgelistet, „Ehrendoktoren der Opus-Dei-Universität Pamplona”, „Bischöfe des Opus Dei”, „Priester des Opus Dei mit päpstlichen Titeln”, „Staaten, in denen die Prälatur Opus Dei errichtet ist” und - über diese großteils allgemein zugänglichen Daten hinaus – das Ergebnis einer Fleißarbeit Hertels: „Die deutschen Bischöfe und die Heiligsprechung Escrivás”. Wer von den deutschen Bischöfen heißt die Heiligsprechung Escrivás gut, wer nicht? Überprüft werden Angaben des deutschen Informationsbüros des Opus Dei. Und die Gesinnung von Bischöfen. Ansonsten bietet die Neuerscheinung gegenüber Peter Hertels früheren Publikationen über das Opus Dei sachlich kaum Neues. 

Vielmehr werden des Autors Dauerbrenner-Bedenken noch einmal geschüttelt und umgerührt: Machtpolitik des Opus Dei in der Kirche (trotz der geringen Zahl der im Anhang aufgelisteten Bischöfe), politisch-gesellschaftliche Strategien (übliches Suchobjekt für den, der eine geistlich-apostolische Motivation von vornherein bestreitet), Unaufrichtigkeit und Täuschung (Ergebnis selektiver Wahrnehmung und eigenwilliger Deutung), und immer wieder: Geld. 

Dem Geld gewidmet sind die Kapitel „Das Netz aus Banken und Stiftungen“ und „Ein Werk bittet zur Kasse“. Als verwerflich am Opus Dei im Zusammenhang mit Geld erscheint die Gesinnung, die das Buch vermutet, unterstellt oder hineindeutet. Der aufmerksame Leser, der ein internationales Werk und Menschen vor Augen hat, die zu Hause wie international Initiativen ergreifen, sich an geläufige ordentliche Praxis halten und professionelles Management einsetzen, findet nichts als Selbstverständlichkeiten. Natürlich brauchen anspruchsvolle Bildungs- und Sozialaufgaben – deren Umfang Hertel unterschätzt – auch Geld, viel Geld. Wie dieses Thema zum wiederholten Male aufgewärmt wird, spekuliert es auf Lieschen Müllers Neid: Verdächtigung im Dienst der Theorie des Autors von der Hinterhältigkeit des Opus Dei. 

In Dutzenden früherer Publikationen ist von dunklen Finanzkanälen die Rede, jetzt vom „Netz aus Banken und Stiftungen”, wobei die suggestive Gleichstellung schon von vornherein irreführend ist. Die ausdrücklich genannte Zürcher Limmat Stiftung, in der der Rezensent als Stiftungsrat mitwirkt, mag als konkretes Beispiel dienen. Die Stiftung geht auf eine Initiative von Bürgern zurück: solchen, die als gläubige Christen der Prälatur angehören, und solchen, die der christliche Geist ihrer Initiative motivierte. An einer Stiftung interessiert zuerst, was sie tut, d.h. wozu sie ihr Geld verwendet. Die Limmat Stiftung ist gemeinnützig, untersteht der schweizerischen Stiftungsaufsicht. Sie leistet und unterstützt Bildungs-, Sozial- und Entwicklungsarbeit – weltweit und professionell. Und sie berichtet darüber. Hertel nicht, es sei denn beiläufig, wenn es darum geht, den Verdacht eines bloßen Schaufensters zu wecken. Wer recherchiert, stößt auf die aufopferungsvolle Hilfstätigkeit Tausender in vielen Ländern. 

Zusammen mit der Limmat Stiftung, wird auf Seite 80f. erzählt, habe der internationale Fußballverband FIFA eine Sportanlage für Straßenkinder in Kolumbien finanziert. Das Haar in der Suppe: Das Opus Dei sei der Träger der Limmat Stiftung, gebe das aber nicht zu, verberge sich vielmehr hinter der Limmat Stiftung. Das ist falsch. Es stellt die Dinge sogar auf den Kopf. Es machte Bürger, die sich für den Stiftungszweck einsetzen, aber nicht der Prälatur angehören, zu Funktionären einer kirchlichen Institution. Dem verweigern sich auch die gläubigen Laien der Prälatur Opus Dei. Sie nehmen sich das Recht heraus, als freie Bürger zu handeln. Sie wollen sich – umgekehrt – nicht hinter der kirchlichen Institution „verbergen”, noch spekulieren sie auf deren Haftung für ihr Tun. Der Generalsekretär der FIFA, schreibt Hertel genüßlich, sei aber aus dem Patronatskomiteeder Limmat Stiftung wieder ausgetreten, weil er sich nicht leisten könne, „in die Nähe der umstrittenen Organisation (Opus Dei) gerückt zu werden“. Vorausgegangen war ein Presserummel, in dem genau die Desinformation verbreitet wurde, auf der Hertel beharrt: die Stiftung sei eine Veranstaltung der Prälatur. Ein Erfolg für Hertel? 

Ähnlich der auf Seite 82f. ausgebreitete Bericht über ein vom belgischen Staat mitfinanziertes Kooperationsprojekt einer belgischen Nichtregierungsorganisation und einer argentinischen Partnerorganisation: Bau einer Schule in einem Randviertel von Buenos Aires. Unter den Initiatoren sind Mitglieder des Opus Dei. Einweihung in Anwesenheit belgischer Staatsvertreter. Segnung der Schule durch den Regionalvikar des Opus Dei in Argentinien – mit Weihwasser. Presserummel in Belgien: Die Regierung habe das Opus Dei gefördert. Da Katholiken, ob sie dem Opus Dei angehören oder nicht, nicht verboten ist, Entwicklungsprojekte durchzuführen, wird schließlich staatlicherseits die Sache als in Ordnung befunden: Nicht eine kirchliche Institution sei gefördert worden, sondern das Entwicklungsprojekt. 

Peter Hertel aber schmollt weiter. Worüber? Offenbar darüber, daß katholische Laien in der Prälatur Opus Dei zwar Seelsorge und geistliche Bildung suchen und sich christlich motivieren lassen, sich deswegen aber dennoch nicht in ihrem Beruf und gesellschaftlichen Engagement klerikal bevormunden lassen. Dies wirklich zu begreifen, mag für jemand, der ein – wenn auch bekämpftes – klerikalistisches Bild der Kirche verinnerlicht hat, Zeit brauchen. 

Es ist nicht einmal ausgeschlossen, daß Peter Hertel, was die katholische Kirche angeht, im tiefsten Ideale oder Sehnsüchte hegt, die im Opus Dei verwirklicht sind. Das zu glauben, ist ihm vielleicht nur eine zu entsetzliche Vorstellung.

Eine Besprechung von Hans Thomas