Das Gewissen ist nur der Wahrheit verpflichtet

Ratzinger-Schüler Pater Vincent Twomey SVD zu Gast beim Opus Dei in Berlin

Berlin (DT) Benedikt XVI. ist das Gewissen unserer Zeit. Der Papst ist das auch schon als Priestertheologe, Erzbischof und Kardinal gewesen. Davon ist Vincent Twomey SVD felsenfest überzeugt, und der Ordenspriester der Steyler Missionare macht aus seinem Herzen keine Mördergrube. Im Gegenteil. Er bringt diese Botschaft in Schrift und Wort unters Volk. Letzteres tat er in der vergangenen Woche im Bildungszentrum Feldmark, einer Dependance des Opus Dei in Berlin.

Seine Argumentation demonstrierte nicht nur die Gelehrtheit des Professors emeritus Twomey, sondern auch seine Vertrautheit mit Joseph Ratzinger selbst. Denn Pater Twomey hat bei Professor Ratzinger in den siebziger Jahren in Regensburg Theologie studiert, bei ihm promoviert und gehört seitdem zu jenem Ratzinger-, nunmehr Benedikt-Schülerkreis, der sich seit knapp vierzig Jahren mindestens einmal im Jahr um den Meister schart, um der Zeit und ihrem jeweiligen Geist auf den Zahn zu fühlen.

Schülerkreis befasst sich mit der Mission der Kirche

In diesem Jahr trifft sich der Kreis vom 28. bis zum 30. August in Castel Gandolfo. Die 1971 ins Leben gerufene Vereinigung befasst sich nach den Gesprächen der vergangenen Jahre über den Islam (2005), die Themen Evolution, Evolutionstheorien, Glaube, Theologie und Heilige Schrift (2006 und 2007) sowie über den historischen Jesus und seine Passion (2008) in diesem Jahr mit dem Thema der Mission der Kirche.

Das Gewissen, so Twomey, und die damit verbundene Frage: wo kommt es her, was hat es uns Menschen zu sagen, sei der Schlüssel zu Ratzingers Theologie. Ratzinger sei es gewesen, der das Gewissen gewissermaßen aus jenem Dornröschenschlaf geweckt habe, in den es von der nachmittelalterlichen Theologie versetzt worden sei. Es geht um die Wahrheit. Ohne Gewissen, ohne Gewissensprüfung keine Wahrheitsfindung. Weil aber die Wahrheit oft genug eine schmerzhafte ist, weil derjenige, der sie ausspricht und im Zeitalter der Moderne gegen einen allgegenwärtigen Relativismus, der Wahrheit nicht gelten lässt, sie verleugnet, missbraucht und bekämpft, hochhalten und verteidigen muss, ist der Mann der Wahrheit immer auch einer, der ein Martyrium erleidet, naturgemäß erleiden muss. Darum, so die zentrale Botschaft Twomeys, sei Joseph Ratzinger ein Dissident unserer Zeit. Deshalb sei es auch kein Zufall gewesen, dass die Französische Akademie Joseph Ratzinger 1990 als Nachfolger des verstorbenen russischen Atomphysikers und Dissidenten Andrei Sacharow in den erlauchten Kreis „der Unsterblichen“ berief.

Twomey wäre kein Ratzingerschüler, wenn er seine Botschaft ohne konkrete Hinweise auf die wirkliche Situation der Kirche der Gegenwart übermittelte. Er machte deutlich, dass Bischofskonferenzen, die Bischöfe nicht in ihrem Kampf für die Wahrheit und gegen den Relativismus unterstützen und stärken, sondern stattdessen wie ein demokratisches Parlament über Kompromissformeln zu mainstreamtauglichen Beschlüssen kommen, ihre genuine Aufgabe fundamental verfehlen. Das Gewissen folgt nämlich keiner Mehrheitsentscheidung. Es ist allein der Wahrheit verpflichtet.

Die Wahrheit muss von den Menschen entdeckt werden

Aufgabe des Papsttums sei es, die Wahrheit Gottes zu verkünden und zu verteidigen. Die Wahrheit Gottes werde nicht von Menschen gemacht, sondern müsse von Menschen enthüllt werden. Dabei helfe auch die Vernunft. Aufgabe der Kirche sei es, die Erinnerung daran wachzuhalten, dass jeder Mensch ein ihm von Gott gegebenes Gewissen hat, das auf ein Urgewissen verweist.

Nach dem Vortrag ließ Vincent Twomey es sich nicht nehmen, neunzig Minuten lang die Fragen der zahlreich erschienenen Zuhörer ausführlich zu beantworten. Er ging auch mit schwierigen oder gar schmerzhaften Fragen außerordentlich verständnisvoll um. Seine Antworten waren subtil, gelehrt und menschlich zugleich. So einen Mann wünscht man sich wohl als Beichtvater.

Von Ingo Langner, Die Tagespost 20.08.2009