Verliebtheit - Die Rolle der Gefühle und der Leidenschaften (1)

Wir erleben unsere Affektivität vorwiegend über die Gefühle. Wir können sie folgendermaßen definieren: Gefühle sind unklare Gemütszustände, die immer eine positive oder negative Gestimmtheit aufweisen und uns zu den Dingen in unserer Umgebung hinziehen oder von ihnen abstoßen.

Was bedeutet „sich verlieben“?

Der Ausdruck „Gemütszustände“ bedeutet immer etwas vorwiegend Subjektives. Es ist eine innere Erfahrung, ein Erlebnis, das sich im Inneren des Menschen abspielt.

Das Wort „unklar“ will sagen, dass das, was wir wahrnehmen, nicht klar und deutlich ist, sondern eher vage und flüchtig; es ist verschwommen und unscharf und klärt sich erst später in der Wahrnehmung des Menschen.

Die Stimmung ist immer entweder positiv oder negativ und bewirkt, dass man sich von etwas angezogen oder abgestoßen fühlt, so dass man dieses Etwas dementsprechend sucht oder ablehnt. Es gibt keine neutralen Gefühle. Sogar die Langeweile, die noch am ehesten neutral scheinen könnte, ist etwas Negatives und gehört eher zur Sphäre der Depression. Alle Gefühle haben zwei entgegengesetzte Seiten: Liebe – Abneigung, Freude – Traurigkeit, Glück – Unglück, Friede – Ruhelosigkeit, usw.

Verliebt sein ist ein positives Gefühl. Man fühlt sich von einem anderen Menschen angezogen und sucht ständig seine Nähe. Verliebtheit kommt immer und überall vor und spielt eine wichtige Rolle, weil aus ihr die Liebe entsteht, die in der Folge zur Gründung einer Familie führt.

Wenn wir die Verliebtheit als eine Art „Krankheit“ auffassen, dann könnten wir zwei Erscheinungsformen unterscheiden. Als erstes treten die Anfangssymptome auf.

Eine Reihe von sehr wichtigen Vorbedingungen ist erforderlich, damit man sich in jemanden verliebt.

An erster Stelle steht die Bewunderung, die auf verschiedenen Umständen gründen kann: ein einheitlicher Lebensentwurf, Arbeitsamkeit, gut bewältigte Schwierigkeiten, die Fähigkeit, andere zu verstehen, und noch vieles andere.

Die zweite Vorbedingung ist die Anziehung durch den anderen. Beim Mann liegt sie eher im physischen, bei der Frau im psychischen Bereich. Für den Mann bedeutet es, dass er versucht, ihr auf irgendeine Weise zu begegnen und mit ihr zusammenzusein. 1 Das führt zu einer Verhaltensänderung: Er denkt häufig an sie, oder hat mit anderen Worten nur mehr sie im Kopf. Seine Innenwelt wird immer mehr von dieser Frau eingenommen, die immer wieder seine Gedanken beherrscht.

Nun treten zwei Erscheinungen auf, die besonders interessant scheinen: die Zeit vergeht psychologisch gesehen schneller, das bedeutet, dass ihm/ihr ihre/seine Gegenwart so viel Freude macht, dass die Zeit verfliegt. Alles geht viel zu schnell. Er/sie fühlt sich sehr wohl in ihrer/seiner Gegenwart und genießt sie, und es entsteht die innere Notwendigkeit, die Dinge miteinander zu teilen... und allmählich entsteht das Bedürfnis, ein gemeinsames Lebensprojekt in Angriff zu nehmen.

Es muss nicht immer alles so geradlinig verlaufen, spielt sich aber mehr oder weniger in verschiedenen Variationen auf diese Weise ab. Auf die eine oder andere Art kommt alles vor: Bewunderung, physische und psychische Anziehung, es geht einem ständig im Kopf herum, die Zeit rast dahin und man möchte alles mit diesem Menschen teilen.

Aber wir haben auf dieser Reise der Gefühle noch nicht die wesentlichen Symptome der Verliebtheit angesprochen, nämlich die Wurzel und die Grundlage von allem, was dann noch kommt, dass man nämlich zu jemandem sagt: Ohne dich kann ich nicht leben, mein Leben hat keinen Sinn, wenn du nicht bei mir bist. Du bist ein ganz wesentlicher Teil meines Lebens. Rundheraus gesagt: Ich brauche dich. Dieser Mensch ist einfach völlig unentbehrlich geworden.

Sich verlieben ist die höchste Form der natürlichen Liebe. Es bedeutet, dass man mit jemandem einen Mythos zu zweit erfindet. Man macht die Entdeckung, dass man den richtigen Menschen gefunden hat, mit dem man gemeinsam durch das Leben gehen möchte. Es ist wie eine plötzliche Offenbarung, die die gesamte Existenz erhellt. 2 Es ist eine einzigartige Begegnung zwischen einem Mann und einer Frau, die vor einander innehalten. In diesem Innehalten erscheint nun eine vorherrschende Idee: wir wollen das Leben miteinander teilen, mit allem, was dazugehört.

Die drei wesentlichen Elemente der ehelichen Liebe

„Aber was verstehen wir eigentlich unter »Liebe«? Nur ein Gefühl, einen psychophysischen Zustand? Gewiss, wenn es das ist, dann kann man darauf nichts Solides aufbauen. Wenn die Liebe aber eine Beziehung ist, dann ist es eine Realität, die wächst, und dann können wir beispielsweise sagen, dass man sie aufbaut wie ein Haus. Und ein Haus baut man gemeinsam, nicht allein! Bauen heißt hier, das Wachstum fördern und unterstützen. Liebe Brautpaare, ihr bereitet euch darauf vor, gemeinsam zu wachsen, dieses Haus zu bauen, um für immer zusammen zu leben. Ihr wollt es nicht auf dem Sand der Gefühle bauen, die kommen und gehen, sondern auf dem Fels der wahren Liebe, der Liebe, die von Gott kommt.“ 3

Einer der häufigsten Irrtümer in Bezug auf die Liebe besteht darin, sie vor allem für ein Gefühl zu halten und darin die Erklärung ihres Wesens zu sehen. Man hat auch behauptet, dass Gefühle kommen und gehen, sich ändern können, dass sie schwanken und im Laufe des Lebens vielen Veränderungen unterworfen sind. Diese falsche Begriffsauffassung zog sich beinahe durch das gesamte 20. Jahrhundert.

„Der Übergang von der Verliebtheit zur Verlobung und dann zur Heirat macht verschiedene Entscheidungen und innere Erfahrungen erforderlich. (…)Und das heißt, dass die Verliebtheit wahre Liebe werden muss, indem sie auch den Willen und die Vernunft auf einem Weg miteinbezieht, der der Weg der Verlobung ist, der Läuterung, einer größeren Tiefe, so dass wirklich der ganze Mensch, mit all seinen Fähigkeiten, mit der Unterscheidungskraft der Vernunft und mit Willensstärke sagt: »Ja, das ist mein Leben.« “ 4

Niemand bezweifelt, dass die Liebe einem Gefühl entspringt, das man Verliebtheit nennt, ein Hochgefühl, das dazu einlädt, die Gesellschaft dieses Menschen zu suchen. Um genauer zu bestimmen, was ich erläutern möchte, zitiere ich das Rituale Romanum für die Trauung 5, in dem drei außerordentlich wichtige Fragen gestellt werden:

Liebst du diesen Menschen…?

Seid ihr entschlossen zu...?

Seid ihr bereit zu…?

Ich möchte mich mit diesen drei Fragen eingehender beschäftigen, weil sie das dreiteilige Bild (Triptychon) der wahren Liebe zeichnen, das das eigentliche Ziel und den Gipfel der Verliebtheit darstellt. Wir werden sehen, dass uns jede einzelne dieser Fragen in eine ganz bestimmte Richtung weist.

Die erste verwendet den Ausdruck: Liebst du …? Man muss wissen, dass Liebe vor allem ein Willensakt ist. Anders ausgedrückt: bei der reifen Liebe steht der Wille an erster Stelle. Liebe ist eigentlich nichts anderes, als der feste Entschluss, an der einmal erwählten Liebe zu arbeiten. Der Wille agiert wie ein Werkzeug, mit dem man ausbessert und glättet und versucht, die Kanten und negativen Verhaltensweisen wegzunehmen, vor allem diejenigen, die das angenehme Zusammenleben stören. Fußnote 6 beschreibt das im Einzelnen.

Daher muss der Wille dabei der Hauptakteur sein, und die Freude muss auch mitspielen. 7 Eheleute, die schon viele Jahre in einer stabilen und positiven Beziehung zusammenleben, wissen das sehr gut.

Die zweite Frage bei der Eheschließung lautet: Seid ihr entschlossen? Das Wort „entschlossen“ setzt ein Urteil voraus, also einen Akt des Verstandes. Der Verstand muss vor dem und während des Urteils tätig sein. Zuerst muss man den geeignetsten Partner wählen. Das Urteil muss wirklich imstande sein, darüber zu entscheiden, ob dieser Mensch der beste und geeignetste von allen Bekannten ist, um sich mit ihm definitiv auf die Lebensreise zu begeben. 8 Das heißt, man muss genügend Klarheit darüber erlangen, indem man alle fünf Sinne anwendet. Intelligenz besteht ja gerade darin, dass man fähig ist, das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden, zu einer Synthese zu gelangen und die Wirklichkeit in ihrer Gesamtheit und in ihren Zusammenhängen zu erfassen. Auch später muss man das gesamte Instrumentarium des Verstandes einsetzen, um den Partner geschickt und den Regeln der Kunst entsprechend zu führen. Diese Fähigkeit, den anderen zu führen, beinhaltet das, was man heute emotionale Intelligenz nennt 9, nämlich die Fähigkeit, Intelligenz und Affektivität miteinander zu vereinbaren. Sie ist unerlässlich für ein harmonisches, ausgeglichenes und letzten Endes glückliches Zusammenleben.

Der dritte Bestandteil der Liebe eines Paares sind, wie bereits anfangs erwähnt, die Gefühle. Die nächste Frage bei der Trauungszeremonie lautet: Seid ihr bereit? Die Bereitschaft ist eine innere Verfasstheit, durch die wir uns darauf vorbereiten, etwas in Angriff zu nehmen. Streng genommen hängt sie von der Affektivität ab, einer Gesamtheit von inneren Vorgängen, die das Verhalten steuern. Wie schon erwähnt, drückt sie sich für gewöhnlich durch die Gefühle aus. 10

Was bedeutet das, und was ist dafür erforderlich? Mann und Frau sollten heiraten, wenn sie ineinander sehr verliebt sind. Dabei geht es nicht nur darum, dass sie sich zueinander hingezogen fühlen, dass sie einander gefallen oder aufeinander aufmerksam geworden sind. Es muss noch viel mehr dahinter sein. Warum? Weil es eine ganz fundamentale Sache ist. Keine andere Entscheidung ist so wichtig und prägt so sehr das ganze Leben. Es handelt sich ja um nichts Geringeres als um den Menschen, der an meiner Seite durchs Leben gehen wird.

Es gibt viele Enttäuschungen bei Menschen, die geheiratet haben, ohne wirklich verliebt zu sein, sondern einfach deswegen, weil sie schon viele Jahre miteinander verlobt waren und miteinander ausgegangen sind, oder „weil es schon Zeit war, zu heiraten“, oder weil viele ihrer engsten Freunde schon geheiratet haben, oder um keine Singles zu bleiben. Man könnte noch viele andere unzulängliche Begründungen anführen. Eine solche Ehe startet schon mit ungünstigen Voraussetzungen. Eine Liebe mit schlechten Grundlagen hat früher oder später auch schlechte Zukunftsaussichten.

Die eheliche Liebe muss in Bezug auf Gefühl, Wille und Verstand feste Grundlagen haben. Sie müssen gleichsam ein starkes und dauerhaftes Triptychon bilden, bei dem jedes der drei Bilder sein eigenes Thema hat, das in das Gebiet der anderen hineinreicht. „Es ist ein Bund, durch den Mann und Frau miteinander die Gemeinschaft des ganzen Lebens begründen, welche durch ihre natürliche Eigenart auf das Wohl der Ehegatten und auf die Zeugung und die Erziehung von Nachkommenschaft hin geordnet ist.“ 11 Auf diese Weise strebt man nach einer innigen Lebens- und Liebesgemeinschaft, denn es handelt sich um ein heiliges Band, das nicht von menschlicher Willkür abhängen darf 12. Es wurzelt ja im übernatürlichen Sinn des Lebens und Gott selbst ist vor allen und allem anderen sein Urheber.

Enrique Rojas


1Es gibt zwei Arten der Anziehung: die äußere Schönheit und die innere Schönheit. Die erstere besteht in einer gewissen Harmonie, die sich vor allem im Gesicht und in seiner Ausstrahlung zeigt, denn der gesamte Körper hängt vom Gesicht ab, das in programmatischer Weise das Innenleben dieses Menschen darstellt. Und dann auch der Körper in seiner Gesamtheit. Beide Aspekte gehören zusammen, bilden eine Einheit. Die zweite, die innere Schönheit entdeckt man in dem Maße, in dem man den anderen kennenlernt. Sie besteht darin, dass man seine Eigenschaften erahnt, die in seinem Inneren verborgen sind und die man schrittweise erfassen muss: Aufrichtigkeit, Beispielhaftigkeit, tragfähige menschliche Werte, spiritueller Sinn des Lebens, usw.

2 Der hl. Johannes Paul II. drückt das mit einem großen Reichtum an Argumenten in seinem Buch Liebe und Verantwortung aus. Die eheliche Liebe ist eine grundlegende Wahl, die den Menschen in seiner Gesamtheit betrifft.

3 Papst Franziskus, Ansprache, 14.2.2014.

4 Benedikt XVI., Worte beim VII. Weltfamilientreffen , Mailand, 2.6.2012.

5 Vgl. Rituale Romanum für die Trauung, 7. Ausgabe, 2003, Nr. 64 und 67.

6 In diesem Zusammenhang muss man klar zwischen Ziel und Zweck unterscheiden. Die beiden Begriffe ähneln einander, aber es gibt doch deutliche Unterschiede. Ziele werden normalerweise allgemeiner und weiter gefasst, während ein Zweck etwas enger Umschriebenes bezeichnet. Wenn es zum Beispiel Schwierigkeiten gibt in einer Ehe, dann wäre das Ziel, bestehende Zwistigkeiten laufend zu bereinigen, was auf den ersten Blick nicht einfach zu sein scheint. Der Zweck ist, wie wir später sehen werden, konkreter, nämlich zu lernen, Negatives aus der Vergangenheit zu verzeihen (und zu vergessen), sich mehr dem Partner und dem täglichen Geschehen zuzuwenden, keine Liste mit Vorwürfen aus der Vergangenheit zu führen, usw. Wenn man das eheliche Leben verbessern will, dann ist es von entscheidender Bedeutung, klar abgesteckte Ziele zu verfolgen.

7 Das Ziel einer guten Erziehung ist die Freude. Erziehen bedeutet, aus jemandem eine Persönlichkeit zu machen. Erziehen bedeutet, jemanden für Werte zu begeistern, die nicht unmodern werden und im Endergebnis zur Freude führen.

8 Don Quijote fällt an einer Stelle ein rundes Urteil: „Wer beim Heiraten das Richtige trifft, braucht sich um keine andere Entscheidung mehr zu sorgen.“

9 Dieses Konzept stammt von Daniel Goleman. Wir verweisen auf sein Buch „Emotionale Intelligenz“. In der modernen Psychologie ist dieses Thema höchst aktuell.

10 Es gibt vier Arten, wie sich die Affektivität ausdrücken kann: in Gefühlen, Emotionen, Leidenschaften und in der Motivation. Zwischen ihnen gibt es große Unterschiede. Die Gefühle stellen den Hauptanteil der Affektivität, die häufigste Art, wie sie sich manifestiert. Emotionen sind kürzer dauernde und intensive Zustände, die sich meist auch körperlich ausdrücken (überschäumende Freude, Weinen, Magenkrämpfe, Atemnot, Herzbeklemmung usw.). Die Leidenschaften haben eine noch größere Intensität. Sie können den Verstand benebeln und die Vernunft und ihre Ressourcen völlig außer Gefecht setzen. Die Motivation schließlich leitet sich vom lateinischen Wort motus ab, d.h. Bewegung, das was den Anstoß zu einer Handlung gibt. Sie liefert das Ziel und ist deshalb auch der Motor des Verhaltens, der Grund, warum man genau das tut und nicht etwas anderes. Zwischen diesen vier Arten bestehen enge Beziehungen.

11 Vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 1601 ff. An anderen Stellen wird die Liebe zwischen Mann und Frau als zutiefst menschlich, total, treu und fruchtbar bezeichnet. Wenn man diese Eigenschaften einzeln betrachtet, entfaltet sich ihr ganzer Reichtum (vgl. KKK, Nr. 1612-1617).

12 Es ist wichtig, dass man die Liebe zu schützen weiß. Wir dürfen uns nicht auf psychologische Abenteuer einlassen, die uns veranlassen, andere Leute kennenzulernen und mit ihnen Beziehungen einzugehen, die vielleicht anfangs nicht von großer Bedeutung zu sein scheinen. Denn es besteht doch die Gefahr, dass man sich verliebt, was man ursprünglich gar nicht wollte. Mit der Zeit kann das aber zu einer ernsthaften Bedrohung für die Ehe werden. Es ist von grundlegender Bedeutung, dass man die Treue auch in ganz kleinen Details pflegt. Und das hat einerseits viel mit dem Willen zu tun und andererseits auch mit einem starken geistlichen Leben.