Neuer Wein in einem neuen Schlauch

Das silberne Jubiläum der Personalprälatur bietet eine Gelegenheit, ein paar markante Züge des Opus Dei kurz nachzuzeichnen.

Das Zweite Vatikanum unterstrich, „dass alle Christgläubigen jeglichen Standes oder Ranges zur Fülle des christlichen Lebens berufen sind“ (Lumen Gentium, Nr. 40). Es entwarf die Vision von eigenständigen Christen in der modernen Welt, die als solche, nicht nur als Kirchgänger oder als Mitarbeiter des Klerus, im Vollsinn des Wortes Kirche sind. 

Das Opus Dei hatte diese Vision bereits Jahrzehnte früher vorweggenommen und setzte sich ein, sie nicht nur zu verkünden, sondern zugleich auch selbst auf eine spezifische Weise zu verkörpern, insbesondere durch die Heiligung der Arbeit und der alltäglichen Pflichten. Deshalb musste seine adäquate rechtliche Fassung zwei Grundbedingungen erfüllen: Seine Laienmitglieder – 98 % aller Mitglieder – müssen sog. „gewöhnliche Christen“ sein, mit der selben Identität und der selben Stellung in Kirche und Gesellschaft wie ihresgleichen; sonst könnten sie zwar von der Weltheiligung sprechen, sie aber nicht selbst leben. Zweitens benötigt es, wie die Erfahrung zeigte, eigene Priester, die denselben Geist leben und voll in die Arbeit der Laien integriert sind. Daher konnte das Opus Dei nicht als Institut des geweihten Lebens eingestuft werden, und seine Priester ließen sich nicht als gesonderte Gruppe behandeln. 

Als Weltchristen ganz Kirche sein 

Im alten Kirchenrecht, das bis 1983 galt, war dies jedoch nicht möglich. Man musste sich daher mit Rechtsgefäßen behelfen, die am Weihestand orientiert waren – Notlösungen, die immer wieder zu folgenreichen Missverständnissen Anlass gaben und sogar das Gründungscharisma auszuhöhlen drohten. Die herkömmlichen Schläuche konnten den neuen Wein auf die Dauer nicht behalten. So wurde das Opus Dei behelfsmäßig als Gesellschaft des apostolischen Lebens und später als Säkularinstitut errichtet. 

Erst als Personalprälatur fand das Opus Dei seinen ihm entsprechenden Platz in der Kirche. Hier nämlich sind die Laienmitglieder nun als exakt das definiert, was sie sind: eben als Weltchristen. Wer der Personalprälatur beitritt, ändert seine Identität ebenso wenig, wie wer neu Mitglied einer Personalpfarrei (z.B. einer Fremdsprachigenmission) wird. Er wird in keiner Weise zu einer speziell geweihten Person. Analog dazu sind die aus den Reihen dieser Laien hervorgehenden Priester Weltgeistliche. Entgegen der noch heute üblichen Denkgewohnheiten ist das Opus Dei daher keine Gruppe oder Bewegung, sondern eine Seelsorge-Einrichtung der Kirche, d. h. ein Element ihrer Selbstorganisation. Es steht damit, wie aus dem Päpstlichen Jahrbuch ersichtlich, in einer Reihe mit Territorial- und Personaldiözesen, Territorialprälaturen, Apostolischen Administraturen usw. 

Weder Priester ersetzend noch durch Priester ersetzbar 

Das Apostolat im Opus Dei – namentlich auch Bildung und Seelsorge – erfolgt nicht nur durch Priester, sondern auch – und zum größten Teil – durch Laien, und wiederum solchen im ursprünglichen Sinn des Zweiten Vatikanums: Frauen und Männer, die nicht Angestellte der Kirche oder der Prälatur und auch keine geweihten Personen sind, sondern Weltchristen; Berufsleute, die der Prälatur ihre Zeit und Energie in einer Weise zur Verfügung stellen, wie dies etwa Eltern für ihre Familie tun. Sie wirken mit den Priestern organisch zusammen. Das bedeutet, dass ihre Funktion nicht darin besteht, die Priester zu ersetzen oder zu entlasten; vielmehr sind sie als Weltchristen lebenswichtige Organe des Leibes der Prälatur. Ihr apostolischer Beitrag ist durch keine Priester ersetzbar. Umgekehrt sind auch die Priester in ihrem geistlichen Dienst unersetzlich. 

Christi Sauerstoff in den Kapillaren der Welt 

Dieses pastorale Konzept akzentuiert einerseits den dienenden Charakter der Priester, andererseits verleiht es den Weltchristen – Frauen wie Männern – in der Kirche eine Stellung, die über die Beteiligung an im engen Sinn kirchlichen Diensten wesentlich hinausgeht. In den Kapillaren der Welt lebende Berufsleute und Staatsbürger, Eheleute und Eltern werden nicht nur rhetorisch oder pragmatisch, sondern institutionell anerkannt und gefördert als primäre Träger der kirchlichen Mission mit eigener Identität. Eine solche Art der Glaubensweitergabe dürfte in der heutigen säkularisierten Welt sicherlich nicht ohne Bedeutung sein.

Von Beat Müller