Lassen die Neurowissenschaften Platz für die Seele?

Wer den Menschen als Wesen mit Seele versteht, geht notwendig davon aus, dass seine Seele die eigenen Bewegungen in irgend einer Weise beeinflusst. Wenn ich spreche oder schreibe, nehme ich implizit an, dass ich die Bewegungen meiner Lippen bzw. Hände kontrolliere, und zwar durch die geistigen Kräfte meiner Seele: durch Intellekt und freien Willen. Ist diese Annahme mit den Ergebnissen der heutigen Neurowissenschaften vereinbar? Dieser Frage geht das 10. Internationale Interdisziplinäre Seminar nach, das...

... vom 2. bis 6. Januar 2008 in Netherhall House, London, stattfindet.

Das Seminar kombiniert klassische philosophische Argumente mit solchen der Quantenphysik. Dass sichtbare Wirkungen sich nicht vollständig durch sichtbare Ursachen erklären lassen, war bereits die Überzeugung von Philosophen wie Platon, Aristoteles und Thomas von Aquin. Diese Sicht ging mit dem Siegeszug der mechanistischen Weltsicht verloren. Diese gewann die Oberhand, weil die klassische Physik mit ihren deterministisch-mathematischen Gesetzen die Naturereignisse viel besser beschreiben und voraussagen konnte als die aristotelische. Nun bietet aber offenbar in neuester Zeit die Quantenphysik eine Möglichkeit, beide Sichtweisen vorteilhaft einzubringen.

Quantenphyiskalische Deutung der Seele

Ein quantenphysikalischer Approach kann zur Erklärung beitragen, wie die „menschliche Seele“ agiert. Die Seele ist danach das verantwortliche Prinzip, das bestimmte Bewegungen des Körpers steuert; doch geschieht dies in Übereinstimmung mit den Prinzipien der Physik, ohne also gegen Gesetze wie die der Energie- oder Impulserhaltung zu verstoßen.

Die „quantenphilosophische“ Sichtweise überwindet den Dualismus zwischen der Seele „als etwas Mentales, abgetrennt von der anfassbaren grauen Materie“. Die Identifizierung von möglichen Quantenereignissen am Ursprung von unterschiedlichem Verhalten kann aufzeigen, wo in der Gehirnwissenschaft Raum für die Freiheit ist. Dies wird ein zentrales Thema des Seminars sein. Auf welcher Stufe des Gehirns erfolgt z.B. die Entscheidung, die rechte statt die linke Hand zu bewegen? Es ist bekannt, dass die Bewegung „rechts und nicht links“ abhängt von der momentanen Bildung unterschiedlicher neuronaler Zellverbände; doch welche Prozesse sind verantwortlich für den Unterschied? Die neuronalen Zellverbände sind messbar (so wie die Einschläge auf Detektoren in Quantenexperimenten); doch die Ursache für die Wahl zwischen zwei alternativen neuronalen Zellverbänden kann unbeobachtbar bleiben (so wie die Ursache für die Wahl eines Photons zwischen zwei Wegen hin zu zwei Detektoren). Es ist sehr wohl denkbar, dass es Ursachen auf Quantenebene sind, die zwischen verschiedenen gleichwertigen Zellverbänden entscheiden.

Das Seminar gibt nicht vor, einen Beweis für der Existenz der Seele liefern zu können. Es soll vielmehr zeigen, dass es in der heutigen Wissenschaft durchaus Platz für die Seele und für den freien Willen gibt.

Welche ethischen Konsequenzen?

Wie schon im voraufgehenden Seminar werden die ethischen Implikationen der quantenphilosophischen Analyse mitbedacht. Was bedeutet es für den ethischen Status von Patienten in einem irreversiblen vegetativen Zustand, von Kindern ohne Großhirn und von hirntoten Organismen? Gewisse genetische Unzulänglichkeiten können verhindern, dass ein Embryo sich zu einem bewegungsfähigen Fötus entwickelt; verliert der Embryo deswegen seinen moralischen Status?

Es werden in London etwa 50 Teilnehmer aus Großbritannien, Holland, Deutschland, Kroatien und der Schweiz erwartet. Sie bereiten sich zur Zeit in Workshops auf den Kongress vor. Ein wichtiges Ziel ist die Förderung des interdisziplinären Austausches zwischen Naturwissenschaftlern, Juristen, Politologen, Philosophen, Wirtschaftswissenschaftlern in der zentralen Frage des freien Willens.