"Ich bin ein einfacher Pilger"

Eine Sammlung aller Ansprachen Benedikts XVI. seit seiner Rücktrittserklärung. In seiner letzten kurzen Ansprache sagt er von sich "Ich bin einfach ein Pilger, der nun die letzte Etappe seines Weges auf dieser Erde antritt."

Abschiedsworte vom Apostolischen Palast in Castel Gandolfo am 28. Februar 2013

Danke euch allen!

Liebe Freunde, ich freue mich, bei euch zu sein: umgeben von der Schönheit der Natur und von eurer Sympathie. Beides tut mir sehr gut. Danke für eure Freundschaft, für eure Zuneigung. Ihr wißt, daß dieser Tag sich für mich von den vorherigen unterscheidet. Ich bin nämlich nicht mehr oberster Hirte der katholischen Kirche, das heißt bis heute abend um 8 Uhr werde ich es noch sein, dann nicht mehr. Ich bin einfach ein Pilger, der nun die letzte Etappe seines Weges auf dieser Erde antritt. Aber ich möchte weiterhin, mit meinem Herzen, mit meiner Liebe, mit meinem Gebet, mit meinem Denken, mit allen meinen geistigen Kräften für das allgemeine Wohl, für das Wohl der Kirche und der Menschheit weiterarbeiten. Und ich weiß mich von eurer Sympathie getragen. Gehen wir miteinander weiter mit dem Herrn zum Wohl der Kirche und der Welt. Danke. Ich erteile euch jetzt von ganzem Herzen meinen Segen: Es segne euch der allmächtige Gott, der Vater und der Sohn und der Heilige Geist. Danke und gute Nacht! Danke euch allen!

Verabschiedung von den Kardinälen, 28. Februar 2013

"Seid fügsam gegenüber dem Heiligen Geist"

“Ich möchte euch sagen, und ich beziehe mich dabei auf die Emmaus-Jünger, dass es auch für mich eine Freude war, mit euch in diesen Jahren im Lichte der Gegenwart des Auferstanden Herrn zu gehen. Wie ich gestern vor den tausenden Pilgern gesagt habe, die den Petersplatz füllten, waren mir eure Nähe und euer Rat eine große Hilfe in meinem Amt. In diesen acht Jahren haben wir mit Glauben wunderschöne und lichte Momente in der Kirche erlebt, zusammen mit einigen Momenten, in denen sich einige Wolken am Himmel zeigten. Wir haben versucht, Christus und seiner Kirche zu dienen mit tiefer und totaler Liebe, die unser Amt belebt. Wir haben Hoffnung geschenkt, die von Christus kommt, Hoffnung, die allen den Weg erleuchten kann. Zusammen können wir dem Herrn danken, der uns in der Gemeinschaft hat wachsen lassen, und ihn zusammen bitten, uns zu helfen, weiter in dieser tiefen Einheit zu wachsen, damit das Kardinalskollegium wie ein Orchester ist, in dem die unterschiedlichen Ausdrucksformen der Weltkirche immer in eine höhere und einstimmige Harmonie einstimmen.

Ich möchte euch einen einfachen Gedanken hinterlassen, der mir sehr am Herzen liegt, einen Gedanken über die Kirche und ihr Amt, der für uns alle – so kann man sagen – die Vernunft und die Leidenschaft des Lebens bedeutet. Ich lasse mir von einer Beobachtung von Romano Guardini helfen, die er im Jahr schrieb, als das Zweite Vatikanische Konzil die Konstitution Lumen Gentium billigte. Es ist eine persönliche Widmung am Ende seines letzten Buches, auch an mich – deshalb sind mir diese Worte besonders teuer. Guardini sagt: „Die Kirche ist keine erfundene Institution, die am Tisch erschaffen wurde, sondern eine lebendige Realität. Sie lebt entlang dem Lauf der Zeit auf die Zukunft gerichtet, wie jedes Lebewesen, und verändert sich. Und doch bleibt sie immer dieselbe, ihr Herz ist Christus. Die Erfahrung von gestern auf dem Petersplatz hat mir gezeigt, dass die Kirche ein lebendiger Körper ist, der vom Heiligen Geist inspiriert ist und der wirklich von der Kraft Gottes lebt. Sie ist in der Welt, aber nicht von der Welt. Sie ist von Gott, vom Geist.

Deshalb ist auch die andere Formulierung von Guardini wahr und redlich: „Die Kirche erwacht in den Seelen.“ Die Kirche lebt, wächst, erwacht in den Seelen, die wie die Jungfrau Maria das Wort Gottes aufnehmen und es als Werk des Heiligen Geistes verstehen, die Gott ihr eigenes Fleisch anbieten und die gerade in der eigenen Armut und Demut dazu fähig werden, Christus heute in der Welt zu zeugen. Durch die Arbeit der Kirche bleibt das Geheimnis der Fleischwerdung für immer. Christus geht weiter durch alle Zeiten und Orte.

Bevor ich euch persönlich grüße, möchte ich euch sagen, dass ich euch weiter mit dem Gebet nahe sein werde, vor allem in den nächsten Tagen, bis ihr den Heiligen Geist bei der Wahl des neuen Papstes spürt. Möge der Herr euch zeigen, was er von euch will. Schon heute verspreche ich dem neuen Papst meine bedingungslose Ehrerbietung und meinen bedingungslosen Gehorsam.

Deshalb erteile ich euch von Herzen meinen Apostolischen Segen.”

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Die letzte Audienz auf dem Petersplatz, 27. Februar 2013

"Wir sehen, daß die Kirche heute lebt!"

Ich danke euch, daß ihr so zahlreich zu meiner letzten Generalaudienz gekommen seid.

Herzlichen Dank! Ich bin wirklich gerührt, und ich sehe, daß die Kirche lebt! Und ich denke, wir müssen auch dem Schöpfer Dank sagen für das schöne Wetter, das er uns jetzt – noch im Winter – schenkt.

Wie der Apostel Paulus in dem biblischen Text, den wir gehört haben, spüre auch ich in meinem Innern, daß ich vor allem Gott zu danken habe, der die Kirche führt und wachsen läßt, der sein Wort aussät und so den Glauben in seinem Volk nährt. In diesem Augenblick weitet sich mein Geist und umfaßt die ganze, über die Welt verbreitete Kirche; und ich danke Gott für die „Nachrichten“, die ich in diesen Jahren des Petrusdienstes habe empfangen können über den Glauben an Jesus Christus, den Herrn, über die Liebe, die wirklich den Leib der Kirche durchströmt und sie in der Liebe leben läßt, und über die Hoffnung, die uns öffnet und zum Leben in Fülle, zur Heimat des Himmels hin orientiert.

Ich spüre, daß ich alle im Gebet trage, in eine Gegenwart, welche die Gegenwart Gottes ist, in die ich jede Begegnung, jede Reise, jeden Pastoralbesuch hineinnehme. Alles und alle nehme ich in das Gebet hinein, um sie dem Herrn anzuvertrauen, damit wir seinen Willen ganz erkennen, in aller Weisheit und Einsicht, die der Geist schenkt, und damit wir ein Leben führen können, das des Herrn und seiner Liebe würdig ist, und Frucht bringen in jeder Art von guten Werken (vgl. Kol 1,9-10).

In diesem Augenblick herrscht in mir eine große Zuversicht, denn ich weiß – wir alle wissen –, daß das Wort der Wahrheit des Evangeliums die Kraft der Kirche, ihr Leben ist. Das Evangelium läutert und erneuert, es bringt Frucht, wo immer die Gemeinschaft der Gläubigen es hört und die Gnade Gottes in der Wahrheit und in der Liebe aufnimmt. Das ist meine Zuversicht, das ist meine Freude.

Als ich am 19. April vor fast acht Jahren eingewilligt habe, den Petrusdienst zu übernehmen, hatte ich die feste Gewißheit, die mich immer begleitet hat: diese Gewißheit, daß die Kirche lebt und zwar aus dem Wort Gottes. Wie ich schon mehrmals erzählt habe, vernahm ich in meinem Innern diese Worte: „Herr, warum verlangst du das von mir, und was verlangst du von mir? Es ist eine große Last, die du mir auf die Schultern legst, aber wenn du es von mir verlangst, werde ich auf dein Wort hin die Netze auswerfen, in der Gewißheit, daß du mich leiten wirst, auch mit all meinen Schwächen.“ Und acht Jahre danach kann ich sagen, daß der Herr mich wirklich geführt hat, er ist mir nahe gewesen, täglich habe ich seine Gegenwart wahrnehmen können. Es war eine Wegstrecke der Kirche, die Momente der Freude und des Lichtes kannte, aber auch Momente, die nicht leicht waren; ich habe mich gefühlt wie Petrus mit den Aposteln im Boot auf dem See Gennesaret: Der Herr hat uns viele Sonnentage mit leichter Brise geschenkt, Tage, an denen der Fischfang reichlich war, und es gab Momente, in denen das Wasser aufgewühlt war und wir Gegenwind hatten, wie in der ganzen Geschichte der Kirche, und der Herr zu schlafen schien. Aber ich habe immer gewußt, daß in diesem Boot der Herr ist, und ich habe immer gewußt, daß das Boot der Kirche nicht mir, nicht uns gehört, sondern ihm. Und der Herr läßt sie nicht untergehen; er ist es, der sie lenkt, sicherlich auch durch die Menschen, die er erwählt hat, denn so hat er es gewollt. Das war und ist eine Gewißheit, die durch nichts verdunkelt werden kann. Und das ist der Grund, warum mein Herz heute voll Dankbarkeit gegenüber Gott ist, weil er es der ganzen Kirche und auch mir nie an seinem Trost, seinem Licht, seiner Liebe hat fehlen lassen.

Wir befinden uns im Jahr des Glaubens, das ich wollte, um gerade unseren Glauben an Gott zu stärken in einem Kontext, der ihn immer mehr als nebensächlich betrachtet. Ich möchte alle einladen, ihr festes Vertrauen auf den Herrn zu erneuern, sich wie Kinder den Armen Gottes anzuvertrauen, in der Gewißheit, daß diese Arme uns immer stützen und uns ermöglichen, Tag für Tag voranzuschreiten, auch in der Mühsal. Ich möchte, daß jeder sich geliebt fühlt von jenem Gott, der seinen Sohn für uns hingegeben und uns seine grenzenlose Liebe gezeigt hat. Ich möchte, daß jeder die Freude empfindet, Christ zu sein. In einem schönen Gebet, das man jeden Morgen beten sollte, heißt es: „Ich bete dich an, mein Gott, und ich liebe dich von ganzem Herzen. Ich danke dir, daß du mich erschaffen hast und mich hast Christ werden lassen …“ Ja, seien wir froh über das Geschenk des Glaubens; es ist das kostbarste Gut, das niemand uns nehmen kann! Danken wir dem Herrn jeden Tag dafür, mit dem Gebet und mit einem kohärenten christlichen Leben. Gott liebt uns, aber er erwartet, daß auch wir ihn lieben!

Doch nicht allein Gott will ich in diesem Augenblick danken. Ein Papst ist nicht allein bei der Leitung des Bootes Petri, auch wenn er der Hauptverantwortliche ist. Ich habe mich beim Tragen der Freude und der Last des Petrusdienstes nie allein gefühlt; der Herr hat mir viele Menschen zur Seite gestellt, die mir mit Großherzigkeit und Liebe zu Gott und zur Kirche geholfen haben und mir nahe waren. Vor allem ihr, liebe Kardinäle: Eure Weisheit, euer Rat, eure Freundschaft sind mir kostbar gewesen; meine Mitarbeiter, angefangen von meinem Staatssekretär, der mich in diesen Jahren treu begleitet hat; das Staatssekretariat und die ganze Römische Kurie wie auch alle, die in den verschiedenen Bereichen dem Heiligen Stuhl dienen: Es sind sehr viele Gesichter, die nicht in Erscheinung treten, die im Schatten bleiben, die mir aber gerade im Stillen, in der täglichen Hingabe, im Geist des Glaubens und der Demut eine sichere und verläßliche Unterstützung waren. Ein besonderes Gedenken gilt der Kirche Roms, meiner Diözese! Ich kann auch die Mitbrüder im bischöflichen und im priesterlichen Dienst, die gottgeweihten Personen und das ganze Volk Gottes nicht unerwähnt lassen: Bei den Pastoralbesuchen, den Begegnungen, den Audienzen, auf den Reisen habe ich immer große Aufmerksamkeit und tiefe Zuneigung gespürt; aber auch ich war unterschiedslos allen und jedem zugeneigt mit jener pastoralen Liebe, die das Herz jedes Hirten ist, vor allem des Bischofs von Rom, des Nachfolgers des Apostels Petrus. Jeden Tag habe ich jeden von euch mit väterlichem Herzen ins Gebet mit hineingenommen.

Ich möchte, daß dann mein Dank alle erreicht: das Herz eines Papstes weitet sich für die ganze Welt. Und ich möchte meine Dankbarkeit gegenüber dem Diplomatischen Korps beim Heiligen Stuhl ausdrücken, der die große Familie der Nationen gegenwärtig werden läßt. Hier denke ich auch an alle, die für eine gute Medien-Kommunikation arbeiten und denen ich für ihren wichtigen Dienst danke.

An dieser Stelle möchte ich sehr herzlich auch den vielen Menschen aus aller Welt danken, die mir in den letzten Wochen bewegende Zeichen der Zuwendung, der Freundschaft, des Gebets geschickt haben. Ja, der Papst ist nie allein – das erlebe ich nun noch einmal in großer, das Herz berührender Weise. Er gehört allen, und sehr viele Menschen fühlen sich ihm ganz nahe. Ich bekomme Briefe gewiß von den Großen der Erde – von Staatsoberhäuptern, Religionshäuptern, Repräsentanten der großen Kultur usw. Aber ich bekomme auch sehr viele Briefe von ganz einfachen Menschen, die mir schlicht aus dem Herzen heraus schreiben und mich ihre Zuneigung fühlen lassen, die aus dem gemeinsamen Sein mit Jesus Christus in der Kirche kommt. Diese Menschen schreiben mir nicht, wie man etwa einem Fürsten oder einem großen Unbekannten schreibt. Sie schreiben mir wie Brüder und Schwestern oder wie Söhne und Töchter in einer ganz herzlichen familiären Verbundenheit. Hier kann man greifen, was Kirche ist – nicht eine Organisation, nicht eine Vereinigung für religiöse oder humanitäre Zwecke, sondern ein lebendiger Leib, eine Gemeinschaft von Brüdern und Schwestern im Leib Jesu Christi, der uns alle verbindet. In einer Zeit, in der so viele vom Niedergang der Kirche sprechen, ist es beglückend, sie so zu erleben und die Kraft ihrer Wahrheit und Liebe geradezu mit Händen berühren zu können. Wir sehen, daß die Kirche heute lebt!

In diesen letzten Monaten habe ich gespürt, daß meine Kräfte nachgelassen haben, und ich habe Gott im Gebet angefleht, mich mit seinem Licht zu erleuchten, um mir zu helfen, die Entscheidung zu fällen, welche nicht für mein eigenes Wohl, sondern für das Wohl der Kirche die richtigste ist. Ich habe diesen Schritt im vollen Bewußtsein seines schwerwiegenden Ernstes und seiner Neuheit, aber mit einer tiefen Seelenruhe getan. Die Kirche zu lieben bedeutet auch, den Mut zu haben, schwierige, durchlittene Entscheidungen zu treffen und dabei immer das Wohl der Kirche und nicht sich selbst im Auge zu haben.

Lassen Sie mich da noch einmal auf den 19. April 2005 zurückkommen. Das Schwere der Entscheidung lag gerade auch darin, daß ich nun vom Herrn immer und für immer beansprucht war. Immer – wer das Petrusamt annimmt, hat kein Privatleben mehr. Er gehört immer und ganz allen, der ganzen Kirche. Sein Leben wird sozusagen ganz entprivatisiert. Ich durfte erleben und erlebe es gerade jetzt, daß einem das Leben eben darin geschenkt wird, daß man es weggibt. Vorhin habe ich davon gesprochen, daß die vielen Menschen, die den Herrn lieben, auch den Nachfolger des heiligen Petrus lieben und ihm zugetan sind. Daß er wirklich Brüder und Schwestern, Söhne und Töchter rundum auf der ganzen Welt hat und in ihrer Gemeinschaft geborgen ist. Weil er nicht mehr sich selber gehört, gehört er zu allen, und alle gehören zu ihm.

Das „immer" ist auch ein „für immer” – es gibt keine Rückkehr ins Private. Meine Entscheidung, auf die aktive Ausführung des Amtes zu verzichten, nimmt dies nicht zurück. Ich kehre nicht ins private Leben zurück – in ein Leben mit Reisen, Begegnungen, Empfängen, Vorträgen usw. Ich gehe nicht vom Kreuz weg, sondern bleibe auf neue Weise beim gekreuzigten Herrn. Ich trage nicht mehr die amtliche Vollmacht für die Leitung der Kirche, aber im Dienst des Gebetes bleibe ich sozusagen im engeren Bereich des heiligen Petrus. Der heilige Benedikt, dessen Name ich als Papst trage, wird mir da ein großes Vorbild sein: Er hat uns den Weg für ein Leben gezeigt, das aktiv oder passiv ganz dem Werk Gottes gehört.

Ich danke allen und jedem auch für den Respekt und das Verständnis, mit dem ihr diese so wichtige Entscheidung aufgenommen habt. In Gebet und Besinnung werde ich den Weg der Kirche weiterhin begleiten, mit jener Hingabe an den Herrn und seine Braut, die ich bis jetzt täglich zu leben versucht habe und die ich immer leben möchte. Ich bitte euch, vor Gott meiner zu gedenken und vor allem für die Kardinäle zu beten, die zu einer so bedeutenden Aufgabe gerufen sind, und für den neuen Nachfolger des Apostels Petrus: Der Herr begleite ihn mit dem Licht und der Kraft seines Geistes.

Erbitten wir die mütterliche Fürsprache der Jungfrau Maria, der Mutter Gottes und der Kirche, daß sie jeden von uns und die ganze kirchliche Gemeinschaft begleite; ihr vertrauen wir uns an, in tiefer Zuversicht.

Liebe Freunde! Gott leitet seine Kirche, er stützt sie immer, auch und vor allem in den schwierigen Momenten. Verlieren wir niemals diese Sicht des Glaubens, die die einzig wahre Sicht des Weges der Kirche und der Welt ist. Möge in unserem Herzen, im Herzen eines jeden von uns immer die frohe Gewißheit herrschen, daß der Herr uns zur Seite steht, uns nicht verläßt, uns nahe ist und uns mit seiner Liebe umfängt. Danke!

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Ein herzliches »Vergelt’s Gott« sage ich allen Brüdern und Schwestern deutscher Sprache – euch, liebe Freunde, die ihr zu dieser letzten Generalaudienz meines Pontifikats gekommen seid, und allen zu Hause. Und ich danke der Traunsteiner Blaskapelle, daß sie uns die Bayernhymne so schön gespielt hat. Der Herr trägt die Kirche immer, er leitet sie auch in schwierigen Zeiten. Diese Sicht dürfen wir nie verlieren. Wir dürfen stets gewiß sein, der Herr ist uns nahe und umfängt uns mit seiner Liebe. Im Gebet bleiben wir, liebe Freunde, einander nahe, und im Gebet ist der Herr uns nahe. So grüße ich euch alle von ganzem Herzen. Der Herr segne euch und die Kirche in unseren Landen.

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Angelus auf dem Petersplatz, 24. Februar 2013 Wir werden stets zusammen bleiben!

Liebe Brüder und Schwestern!

Danke für die Sympathie, die ihr mir entgegenbringt!

Heute, am zweiten Fastensonntag, hören wir einen besonders schönen Text des Evangeliums: den der Verklärung des Herrn. Der Evangelist Lukas betont besonders die Tatsache, dass Jesus sich verklärte, während er betete: Es handelt sich um die Erfahrung einer besonders tiefen Beziehung zum Vater während einer Art geistlicher Exerzitien, zu denen Jesus sich in Begleitung von Petrus, Jakobus und Johannes zurückgezogen hat; den drei Jüngern, die jedes Mal dabei sind, wenn sich die Göttlichkeit des Meisters offenbart (Lk 5,10; 8,51; 9,28). Der Herr hatte kurz zuvor seinen Tod und seine Auferstehung angekündigt (Lk 9,22); nun bietet er den Jüngern einen Vorgeschmack seiner Herrlichkeit. Und auch in der Verklärung, wie schon bei der Taufe, ertönt die Stimme des himmlischen Vaters: „Das ist mein auserwählter Sohn, auf ihn sollt ihr hören“ (Lk 9,35). Das Erscheinen von Mose und Elija, die das Gesetz und die Propheten des Alten Bundes repräsentieren, ist sehr bedeutungsvoll: Die gesamte Geschichte des Alten Bundes ist nämlich auf ihn, auf Christus ausgerichtet, der einen neuen „Exodus“ vollbringt (vgl. Lk. 9,31), der nicht in das gelobte Land führen wird wie zur Zeit Moses, sondern in den Himmel. Die Worte Petri: „Meister, es ist gut, dass wir hier sind“ (Lk 9,33) stellen den aussichtslosen Versuch dar, dieses mystische Erlebnis festzuhalten. Augustinus schrieb dazu: „Auf dem Berg [der Verklärung] hatte [Petrus] in Christus die Speise für seine Seele gefunden. Warum hätte er von diesem Berg wieder herabsteigen sollen, zurück zu Mühe und Leid, wo er dort oben doch vom Gefühl der heiligen Liebe zu Gott erfüllt war, das ihm auch den Weg zu einer heiligen Lebensweise zeigte?“

Wenn wir über diesen Text des Evangeliums nachdenken, können wir daraus eine wichtige Lehre ziehen. Zum einen lernen wir, wie wichtig das Gebet ist; denn ohne das Gebet verkommt jeder Eifer im Apostolat und in der Nächstenliebe zu bloßem Aktivismus. In der Fastenzeit lernen wir, dem Gebet, dem persönlichen wie auch dem in der Gemeinde, genügend Zeit zu widmen; denn das Gebet ist der Atem unseres Geisteslebens. Beten bedeutet auch nicht, sich aus der Welt und ihren Widersprüchen zurückzuziehen, wie Petrus auf dem Berg Tabor es gern getan hätte; stattdessen führt uns das Gebet zum Weg zurück, zur Aktion. „Das christliche Leben“, habe ich in der diesjährigen Botschaft zur Fastenzeit geschrieben, „besteht darin, den Berg der Begegnung mit Gott immer wieder hinaufzusteigen, um dann, bereichert durch die Liebe und die Kraft, die sie uns schenkt, wieder hinabzusteigen und unseren Brüdern und Schwestern mit der gleichen Liebe Gottes zu dienen“ (Nr. 3).

Liebe Brüder und Schwestern, ich fühle, dass dieses Wort Gottes besonders auch an mich gerichtet ist, in diesem Augenblick meines Lebens. Danke! Der Herr hat mich gerufen, „auf den Berg zu steigen“, mich noch tiefer dem Gebet und der Meditation zu widmen.

Doch das bedeutet nicht, dass ich die Kirche allein lasse; im Gegenteil, wenn Gott diesen Schritt von mir verlangt, dann gerade zu dem Zweck, damit ich ihr weiterhin mit derselben Hingabe und Liebe dienen kann, wie ich es bisher zu tun versucht habe, nur auf eine Weise, die meinem Alter und meinen Kräften angemessener ist.

Lasst uns um die Fürsprache der heiligen Jungfrau Maria beten: Möge sie uns allen helfen, dem Herrn Jesus immer zu folgen, im Gebet wie in der tätigen Nächstenliebe.

Zum Abschluss fügt er noch hinzu: "Wir werden stets zusammen bleiben!"

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Angelus auf dem Petersplatz, Sonntag, 17. Februar 2013

"Betet für mich und für den nächsten Papst"

Liebe Brüder und Schwestern!

Am vergangenen Mittwoch sind wir mit dem traditionellen Ritus der Aschenauflegung in die Fastenzeit eingetreten, Zeit der Umkehr und der Buße in Vorbereitung auf Ostern. Die Kirche, Mutter und Lehrerin, ruft alle ihre Glieder auf, sich im Geist zu erneuern, sich entschlossen wieder auf Gott auszurichten und dem Hochmut und Egoismus zu widersagen, um in der Liebe zu leben. In diesem Jahr des Glaubens ist die Fastenzeit eine günstige Zeit, um den Glauben an Gott als Grundkriterium unseres Lebens und des Lebens der Kirche neu zu entdecken. Dies bringt immer einen Kampf mit sich, ein geistliches Gefecht, da sich der Geist des Bösen natürlich unserer Heiligung widersetzt und versucht, uns vom Weg Gottes abweichen zu lassen. Aus diesem Grund wird jedes Jahr am ersten Fastensonntag das Evangelium von den Versuchungen Jesu in der Wüste verkündet.

Denn nachdem Jesus bei der Taufe am Jordan die »Investitur« als Messias – als der mit Heiligem Geist »Gesalbte« – empfangen hatte, wurde er vom selben Geist in die Wüste gebracht, um dort vom Teufel in Versuchung geführt zu werden. Im Augenblick des Beginns seines öffentlichen Wirkens mußte Jesus die falschen Vorstellungen vom Messias, vor die ihn der Versucher stellte, enttarnen und zurückweisen. Doch diese Versuchungen sind auch falsche Vorstellungen vom Menschen, die zu jeder Zeit das Gewissen bedrängen, indem sie sich als vorteilhafte und wirksame, ja sogar gute Vorschläge verkleiden. Die Evangelisten Matthäus und Lukas präsentieren drei Versuchungen Jesu und unterscheiden sich dabei teilweise nur in der Anordnung. Ihr zentraler Kern besteht immer in der Instrumentalisierung Gottes aus eigenen Interessen, insofern dem Erfolg oder den materiellen Gütern größere Bedeutung zugemessen wird. Der Versucher ist hinterhältig: er drängt nicht direkt zum Bösen, sondern über das Gute, das falsch ist, indem er glauben macht, daß die wahren Wirklichkeiten die Macht und das die Grundbedürfnisse Befriedigende sind. So wird Gott zweitrangig, er wird auf ein Mittel reduziert, letztendlich wird er unwirklich, zählt nicht mehr, verschwindet. Letztlich steht in den Versuchungen der Glaube auf dem Spiel, da Gott auf dem Spiel steht. In den entscheidenden Augenblicken des Lebens, doch bei näherem Hinsehen in jedem Augenblick, stehen wir vor einem Scheideweg: wollen wir dem Ich folgen oder Gott? Dem individuellen Interesse oder dem wahren Gut, dem, was wahrhaft gut ist?

Wie die Kirchenväter lehren, sind die Versuchungen Teil des »Abstiegs« Jesu in unser Menschsein, in den Abgrund der Sünde und ihrer Folgen. Ein »Abstieg«, den Jesus bis zum Ende getan hat, bis zum Tod am Kreuz und zur Hölle der äußersten Gottesferne. Auf diese Weise ist er die Hand, die Gott dem Menschen ausgestreckt hat, dem verlorenen Schaf, um es wieder in Sicherheit zu bringen. Wie der hl. Augustinus lehrt, hat Jesus unsere Versuchungen angenommen, um uns seinen Sieg zu schenken (vgl. Enarr. in Psalmos, 60,3: PL 36, 724). Wir wollen also keine Furcht haben, auch unsererseits den Kampf gegen den Geist des Bösen aufzunehmen: das Wichtige ist, daß wir es mit ihm tun, mit Christus, dem Sieger. Und um bei ihm zu sein, wenden wir uns an die Mutter, Maria: in der Stunde der Prüfung wollen wir sie mit kindhaftem Vertrauen anrufen, und sie wird uns die mächtige Gegenwart ihres göttlichen Sohnes verspüren lassen, um die Versuchungen mit dem Wort Christi zurückzuweisen und so erneut Gott in den Mittelpunkt unseres Lebens zu stellen.

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Begegnung mit dem Klerus der Diözese Rom, Donnerstag, 14. Februar 2013 "Auch wenn ich mich jetzt zurückziehe, bin ich euch allen im Gebet immer nahe"

Es ist für mich ein besonderes Geschenk der Vorsehung, daß ich, bevor ich den Petrusdienst verlasse, noch einmal meinen Klerus sehen kann, den Klerus von Rom. Es ist immer eine große Freude zu sehen, daß die Kirche lebt, daß die Kirche in Rom lebendig ist; es gibt Hirten, die im Geist des obersten Hirten die Herde des Herrn leiten. Es ist ein wirklich katholischer, universaler Klerus, und das entspricht dem Wesen der Kirche von Rom: die Universalität, die Katholizität aller Völker, aller Rassen, aller Kulturen in sich zu tragen. Zugleich bin ich dem Generalvikar sehr dankbar, daß er dazu beiträgt, die Berufungen in Rom selbst wiederzuerwecken, wiederzufinden, denn wenn Rom einerseits die Stadt der Universalität sein muß, so muß es auch eine Stadt mit einem eigenen starken und kräftigen Glauben sein, aus dem auch Berufungen hervorgehen. Und ich bin überzeugt, daß wir mit Hilfe des Herrn auch die Berufungen finden können, die er selbst uns schenkt, daß wir sie führen können, ihnen helfen können heranzureifen und so für die Arbeit im Weinberg des Herrn zu dienen.

Heute habt ihr am Grab des hl. Petrus das Glaubensbekenntnis gesprochen: Im Jahr des Glaubens scheint es mir ein sehr angemessener, vielleicht notwendiger Akt zu sein, daß der Klerus von Rom sich am Grab des Apostels versammelt, zu dem der Herr gesagt hat: »Dir vertraue ich meine Kirche an. Auf dich werde ich meine Kirche bauen« (vgl. Mt 16,18–19). Vor dem Herrn habt ihr gemeinsam mit Petrus bekannt: »Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!« (vgl. Mt 16,15–16). So wächst die Kirche: gemeinsam mit Petrus Christus bekennen, Christus nachfolgen. Und das wollen wir immer tun. Ich bin sehr dankbar für euer Gebet, das ich – wie ich am Mittwoch gesagt habe – gleichsam physisch verspürt habe. Auch wenn ich mich jetzt zurückziehe, bin ich euch allen im Gebet immer nahe, und bin sicher, daß auch ihr mir nahe sein werdet, auch wenn ich für die Welt verborgen bleibe.

Für heute habe ich, bedingt durch meinen Alterszustand, keine große, richtige Ansprache vorbereiten können, wie man es sich erwarten könnte; ich denke vielmehr an eine kleine Plauderei über das Zweite Vatikanische Konzil, wie ich es gesehen habe. Ich beginne mit einer Anekdote: 1959 war ich zum Professor an der Universität Bonn ernannt worden, wo die Studenten, die Seminaristen der Diözese Köln und anderer umliegender Diözesen studieren. So kam ich in Kontakt mit dem Kardinal von Köln, Kardinal Frings. Kardinal Siri von Genua hatte – 1961 scheint mir – eine Vortragsreihe verschiedener europäischer Kardinäle über das Konzil organisiert und auch den Erzbischof von Köln eingeladen, einen der Vorträge zu halten, mit dem Titel: Das Konzil und die Welt des modernen Denkens.

Der Kardinal hat mich – den jüngsten der Professoren – aufgefordert, ihm einen Entwurf zu schreiben; der Entwurf gefiel ihm, und er hat in Genua den Leuten den Text so vorgetragen, wie ich ihn geschrieben hatte. Kurz darauf fordert Papst Johannes ihn auf, zu ihm zu kommen, und der Kardinal befürchtete sehr, vielleicht etwas Inkorrektes, Falsches gesagt zu haben und für einen Tadel nach Rom zitiert zu werden, vielleicht auch, um ihm die Kardinalswürde abzuerkennen. Ja, als sein Sekretär ihn für die Audienz ankleidete, sagte der Kardinal: »Vielleicht trage ich dieses Gewand jetzt zum letzten Mal«. Dann trat er ein, Papst Johannes geht ihm entgegen, umarmt ihn und sagt: »Danke, Eminenz, Sie haben das gesagt, was ich sagen wollte, aber ich habe nicht die Worte gefunden«. So wußte der Kardinal, daß er auf dem richtigen Weg war, und lud mich ein, mit ihm zum Konzil zu gehen. Zuerst als sein persönlicher Berater; später, im Verlauf der ersten Periode – im November 1962, scheint mir – wurde ich auch zum offiziellen Peritus des Konzils ernannt.

Wir sind damals nicht nur mit Freude, sondern mit Begeisterung zum Konzil gegangen. Es gab eine unglaubliche Erwartungshaltung. Wir hofften, daß alles erneuert werden würde, daß wirklich ein neues Pfingsten käme, eine neue Ära der Kirche, denn die Kirche war in jener Zeit noch recht kräftig, der sonntägliche Gottesdienstbesuch noch gut, die Berufungen zum Priestertum und zum Ordensleben waren schon etwas weniger geworden, aber immer noch ausreichend. Man spürte jedoch, daß die Kirche nicht vorankam, zurückging, mehr eine Wirklichkeit der Vergangenheit als Trägerin der Zukunft zu sein schien. Und in jenem Augenblick hofften wir, daß diese Beziehung sich erneuern, sich ändern werde; daß die Kirche wieder Kraft der Zukunft und Kraft des Heute sein werde. Und wir wußten, daß in der Beziehung zwischen Kirche und Moderne von Anfang an ein gewisser Gegensatz vorhanden war, begonnen beim Irrtum der Kirche im Fall von Galileo Galilei. Man wollte diesen verfehlten Anfang korrigieren und wieder eine Einigung zwischen der Kirche und den besten Kräften der Welt finden, um die Zukunft der Menschheit zu öffnen, um den wahren Fortschritt zu öffnen. So waren wir voll Hoffnung, Begeisterung und hatten auch den Willen, unseren Teil dazu beizutragen. Ich erinnere mich, daß die Römische Synode als Negativbeispiel betrachtet wurde. Es hieß – ob es stimmt, weiß ich nicht –, daß die vorbereiteten Texte in der Lateranbasilika verlesen wurden und die Mitglieder der Synode Beifall spendeten, sie durch Applaus approbierten. So sei die Synode verlaufen. Die Bischöfe sagten: Nein, so machen wir es nicht. Wir sind Bischöfe, wir selbst sind das Subjekt der Synode; wir wollen nicht nur approbieren, was gemacht wurde, sondern wir wollen selbst das Subjekt, die Handlungsträger des Konzils sein. So sagte auch Kardinal Frings, der für seine absolute, beinahe skrupulöse Treue zum Heiligen Vater berühmt war, in diesem Fall: Hier sind wir in anderer Funktion. Der Papst hat uns einberufen, gleichsam Väter zu sein, ökumenisches Konzil zu sein, ein Subjekt, das die Kirche erneuert. So wollen wir diese Rolle wahrnehmen.

Der erste Augenblick, in dem diese Haltung sich zeigte, kam gleich am ersten Tag. Für diesen ersten Tag waren die Wahlen der Kommissionen vorgesehen. Die Namenslisten waren unparteiisch erstellt worden – zumindest versuchte man das; und über diese Listen sollte abgestimmt werden. Aber sofort sagten die Väter: Nein, wir wollen nicht einfach über schon fertige Listen abstimmen. Wir sind das Subjekt. Also mußten die Wahlen verschoben werden, weil die Väter einander erst einmal etwas kennenlernen wollten, sie wollten die Listen selbst erstellen. Und so wurde es gemacht. Kardinal Liénart von Lille, Kardinal Frings von Köln hatten öffentlich gesagt: So nicht. Wir wollen unsere Listen erstellen und unsere Kandidaten wählen. Es war kein revolutionärer Akt, sondern ein Akt des Gewissens, der Verantwortung von seiten der Konzilsväter.

So begann eine starke Betriebsamkeit, um einander auf horizontaler Ebene kennenzulernen, was nicht dem Zufall überlassen wurde. Im Kolleg der »Anima«, wo ich wohnte, hatten wir viele Besuche: Der Kardinal war sehr bekannt, wir begegneten Kardinälen aus aller Welt. Ich erinnere mich gut an die große, schlanke Gestalt von Msgr. Etchegaray, der Sekretär der Französischen Bischofskonferenz war, an die Begegnungen mit Kardinälen und so weiter. Und das war dann kennzeichnend für das ganze Konzil: kleine transversale Begegnungen. So habe ich große Gestalten kennengelernt wie Pater de Lubac, Daniélou, Congar und so weiter. Wir haben verschiedene Bischöfe kennengelernt; ich erinnere mich besonders an Bischof Elchinger von Straßburg und so weiter. Und das war schon eine Erfahrung der Universalität der Kirche und der konkreten Wirklichkeit der Kirche, die nicht einfach nur Weisungen von oben erhält, sondern gemeinsam wächst und voranschreitet, immer natürlich unter der Führung des Nachfolgers Petri.

Wie gesagt kamen alle mit großen Erwartungen – nie war ein Konzil von diesen Dimensionen abgehalten worden –, aber nicht alle wußten, wie man es anpacken sollte. Diejenigen, die am besten vorbereitet waren – sagen wir, die mit den klarsten Vorstellungen – waren der französische, der deutsche, der belgische, der holländische Episkopat: die sogenannte »Rheinische Allianz«. Und im ersten Teil des Konzils gaben sie den Weg vor; dann wurde die Tätigkeit schnell erweitert, und immer mehr hatten alle Anteil an der Schaffenskraft des Konzils. Die Franzosen und die Deutschen hatten einige gemeinsame Interessen, wenn auch mit recht unterschiedlichen Nuancen. Die erste, anfängliche, einfache – scheinbar einfache – Intention war die Liturgiereform, die bereits mit Pius XII. begonnen hatte, der schon die Karwoche reformiert hatte; die zweite war die Ekklesiologie; die dritte das Wort Gottes, die Offenbarung; und schließlich auch der Ökumenismus. Die Franzosen hatten – viel mehr als die Deutschen – noch das Problem, die Situation der Beziehungen zwischen Kirche und Welt zu behandeln.

Beginnen wir mit dem ersten Punkt. Nach dem Ersten Weltkrieg war, besonders in Mittel- und Westeuropa, die liturgische Bewegung gewachsen, eine Wiederentdeckung des Reichtums und der Tiefe der Liturgie, die bis dahin im Römischen Meßbuch des Priesters gleichsam verschlossen war, während die Leute mit eigenen Gebetbüchern beteten, die nach dem Herzen des Volkes gemacht waren, in dem Sinn, daß man versucht hatte, die hohen Inhalte, die hohe Sprache der klassischen Liturgie in mehr gefühlsbetonte Worte zu fassen, die näher am Herzen des Volkes waren. Es waren jedoch fast zwei parallel laufende Liturgien: der Priester mit den Meßdienern, der die Messe nach dem Meßbuch feierte, und die Laien, die in der Messe zugleich mit ihren Gebetbüchern beteten und im wesentlichen wußten, was am Altar geschah. Jetzt aber war die Schönheit, die Tiefe, der historische, menschliche, geistliche Reichtum des Meßbuches wiederentdeckt worden, sowie die Notwendigkeit, daß nicht nur ein Vertreter des Volkes, ein kleiner Meßdiener, sagen sollte: »Et cum spiritu tuo« und so weiter, sondern daß es wirklich ein Dialog zwischen Priester und Volk sein sollte, daß die Liturgie des Altares und die Liturgie des Volkes eigentlich eine einzige Liturgie sein sollte, eine aktive Teilnahme, daß der Reichtum zum Volk gelangen sollte; und so wurde die Liturgie wiederentdeckt, erneuert.

Jetzt in der Rückschau finde ich, daß es sehr gut war, mit der Liturgie zu beginnen. So tritt der Primat Gottes, der Primat der Anbetung hervor. »Operi Dei nihil praeponatur«: Dieses Wort aus der Regel des hl. Benedikt (vgl. 43,3) erscheint auf diese Weise als die oberste Regel des Konzils. Es ist kritisiert worden, das Konzil habe über vieles gesprochen, aber nicht über Gott. Es hat über Gott gesprochen! Und es war der erste und wesentliche Akt, über Gott zu sprechen und alle Menschen, das ganze heilige Volk, für die Anbetung Gottes zu öffnen, in der gemeinsamen Feier der Liturgie des Leibes und Blutes Christi. In diesem Sinne war es – über praktische Faktoren hinaus, die davon abrieten, sofort mit kontroversen Themen zu beginnen – sozusagen wirklich ein Akt der Vorsehung, daß am Beginn des Konzils die Liturgie steht, Gott steht, die Anbetung steht. Ich möchte jetzt nicht auf die Einzelheiten der Diskussion eingehen, aber es lohnt sich, über die praktische Umsetzung hinaus immer zum Konzil selbst, zu seiner Tiefe und zu seinen wesentlichen Vorstellungen zurückzukehren.

Es gab davon, würde ich sagen, mehrere: vor allem das Ostergeheimnis als Mittelpunkt des Christseins und somit des christlichen Lebens, des Jahres, der christlichen Zeit, was in der Osterzeit und im Sonntag zum Ausdruck kommt, der stets der Tag der Auferstehung ist. Immer wieder beginnen wir unsere Zeit mit der Auferstehung, mit der Begegnung mit dem Auferstandenen, und von der Begegnung mit dem Auferstandenen her gehen wir in die Welt. In diesem Sinne ist es schade, daß der Sonntag heute zum Wochenende geworden ist, während er doch der erste Tag, der Anfang ist. Innerlich müssen wir uns dessen immer bewußt sein, daß er der Anfang ist: der Anfang der Schöpfung und der Anfang der Neuschöpfung in der Kirche, Begegnung mit dem Schöpfer und mit dem auferstandenen Christus. Auch dieser zweifache Inhalt des Sonntags ist wichtig: Er ist der erste Tag, also das Fest der Schöpfung – wir stehen auf der Grundlage der Schöpfung, wir glauben an Gott, den Schöpfer –, und Begegnung mit dem Auferstandenen, der die Schöpfung erneuert; sein wahres Ziel ist es, eine Welt zu schaffen, die Antwort auf die Liebe Gottes ist.

Dann gab es Grundsätze: die Verständlichkeit, statt eingeschlossen zu sein in eine unbekannte, nicht gesprochene Sprache, und auch die aktive Teilnahme. Leider wurden diese Grundsätze auch falsch verstanden. Verständlichkeit bedeutet nicht Banalität, denn die großen Texte der Liturgie – auch wenn sie, Gott sei Dank, in der Muttersprache gesprochen werden – sind nicht einfach zu verstehen; sie bedürfen einer ständigen Weiterbildung des Christen, damit er wächst und immer tiefer in das Geheimnis eindringt und so verstehen kann. Und auch das Wort Gottes – wenn ich Tag für Tag an die Lesung des Alten Testamentes und auch an die Lesung der Paulusbriefe, der Evangelien denke: Wer könnte von sich sagen, daß er es sofort versteht, nur weil es in der eigenen Sprache ist? Nur eine ständige Bildung des Herzens und des Verstandes kann wirklich Verständlichkeit schaffen und eine Teilnahme, die nicht nur äußerliches Handeln ist, sondern ein Eintreten der Person, meines Seins, in die Gemeinschaft der Kirche und so in die Gemeinschaft mit Christus.

Zweites Thema: die Kirche. Wir wissen, daß das Erste Vatikanische Konzil aufgrund des Deutsch-Französischen Krieges unterbrochen wurde und daher einseitig, ein Fragment geblieben ist, weil die Lehre über den Primat – die, Gott sei Dank, in jenem für die Kirche historischen Moment definiert wurde und für die darauffolgende Zeit äußerst notwendig war – nur ein Element in einer umfassenderen Ekklesiologie war, die vorgesehen und vorbereitet war. So war das Fragment geblieben. Und man konnte sagen: Wenn das Fragment so bleibt, wie es ist, neigen wir zur Einseitigkeit: die Kirche wäre nur der Primat. Es bestand also schon von Anfang an diese Absicht, die Ekklesiologie des Ersten Vatikanums zu einem Zeitpunkt, der erst noch gefunden werden mußte, zu einer vollständigen Ekklesiologie zu ergänzen. Auch hier schienen die Voraussetzungen sehr gut zu sein, denn nach dem Ersten Weltkrieg war der Sinn für die Kirche in neuer Form wieder entstanden. Romano Guardini sagte: »Die Kirche erwacht in den Seelen«, und ein protestantischer Bischof sprach vom »Jahrhundert der Kirche«. Vor allem der Begriff des mystischen Leibes Christi, den auch das Erste Vatikanum vorgesehen hatte, wurde wiederentdeckt. Man wollte sagen und verstehen, daß die Kirche keine Organisation, nichts Strukturelles, Rechtliches, Institutionelles ist – das ist sie auch –, sondern ein Organismus, eine lebendige Wirklichkeit, die in meine Seele eindringt, so daß ich selbst mit meiner gläubigen Seele ein konstruktives Element der Kirche als solcher bin. In diesem Sinne hatte Pius XII. die Enzyklika Mystici Corporis Christigeschrieben, als ein Schritt zur Vervollständigung der Ekklesiologie des Ersten Vatikanischen Konzils.

Ich würde sagen, daß die theologische Debatte der 30er bis 40er und auch der 20er Jahre ganz im Zeichen des Wortes »Mystici Corporis« stand. Es war eine Entdeckung, die in jener Zeit viel Freude hervorgerufen hat. Und in diesem Zusammenhang ist auch die Formel gewachsen: Wir sind die Kirche. Die Kirche ist keine Struktur; wir Christen selbst, alle zusammen, sind der lebendige Leib der Kirche. Und natürlich gilt das in dem Sinne, daß wir, das wahre »Wir« der Gläubigen, zusammen mit dem »Ich« Christi die Kirche sind; jeder von uns, nicht »ein Wir«, eine Gruppe, die sich zur Kirche erklärt. Nein: Dieses »Wir sind Kirche« verlangt gerade meine Einfügung in das große »Wir« der Gläubigen aller Zeiten und Orte. Das ist also der erste Gedanke: die Ekklesiologie auf theologische Weise vervollständigen, aber auch auf strukturelle Weise weiter vorgehen, das heißt neben der Nachfolge Petri, neben seiner einzigartigen Funktion, auch die Funktion der Bischöfe, der Körperschaft der Bischöfe besser umschreiben. Und um dies zu tun, wurde der sehr umstrittene Begriff der »Kollegialität« gefunden, der Gegenstand heftiger, ich würde sagen, auch etwas übertriebener Debatten war. Aber mit diesem Begriff – vielleicht hätte es auch einen anderen gegeben, aber man benutzte diesen – wurde zum Ausdruck gebracht, daß die Bischöfe gemeinsam die Fortführung der Zwölf, der Körperschaft der Apostel sind. Wir haben gesagt: Nur ein Bischof, der Bischof von Rom, ist Nachfolger eines bestimmten Apostels, des Petrus. Alle anderen werden zu Nachfolgern der Apostel, indem sie in die Gemeinschaft eintreten, die die Körperschaft der Apostel fortführt. So ist gerade die Körperschaft der Bischöfe, das Kollegium, die Fortführung der Körperschaft der Zwölf und hat so ihre Notwendigkeit, ihre Funktion, ihre Rechte und Pflichten. Es erschien vielen wie ein Machtkampf – und vielleicht hat dieser oder jener auch an seine Macht gedacht –, aber eigentlich ging es nicht um Macht, sondern um die Komplementarität der Faktoren und die Vollständigkeit des Leibes der Kirche mit den Bischöfen, den Nachfolgern der Apostel, als tragende Elemente; und jeder von ihnen ist ein tragendes Element der Kirche, gemeinsam mit diesem großen Leib.

Das waren sozusagen die beiden Grundelemente, und auf der Suche nach einer vollständigen theologischen Sicht der Ekklesiologie war in der Zwischenzeit, nach den 40er Jahren, in den 50er Jahren, bereits etwas Kritik am Begriff des Leibes Christi aufgekommen: »mystisch« sei zu spirituell, zu abgehoben; damals war der Begriff »Volk Gottes« ins Spiel gebracht worden. Und das Konzil hat zu Recht dieses Element angenommen, das bei den Kirchenvätern als Ausdruck der Kontinuität zwischen dem Alten und dem Neuen Testament betrachtet wird. Im Text des Neuen Testaments bezeichnet das Wort »Laos tou Theou« – mit nur zwei Ausnahmen, meine ich – den Texten des Alten Testaments entsprechend das alte Volk Gottes, die Juden, die unter den Völkern – »goim« – der Welt »das« Volk Gottes sind. Und die anderen, wir Heiden, sind nicht von uns aus das Volk Gottes, sondern wir werden zu Kindern Abrahams und damit zum Volk Gottes, indem wir in Gemeinschaft mit Christus eintreten, der der eine Nachkomme Abrahams ist. Und indem wir in Gemeinschaft mit ihm eintreten und eins sind mit ihm, sind auch wir Volk Gottes. Das heißt, der Begriff »Volk Gottes« setzt die Kontinuität der Testamente, die Kontinuität der Geschichte Gottes mit der Welt, mit den Menschen voraus, aber schließt auch das christologische Element ein. Nur durch die Christologie werden wir zum Volk Gottes, und so werden die beiden Begriffe miteinander verbunden. Und das Konzil hat beschlossen, einen trinitarischen Aufbau der Ekklesiologie herzustellen: Volk Gottes, des Vaters, Leib Christi, Tempel des Heiligen Geistes.

Aber erst nach dem Konzil wurde ein Element ans Licht gebracht, das – ein wenig verborgen – auch im Konzil selbst vorhanden ist: Die Verbindung zwischen dem Volk Gottes und dem Leib Christi ist die Gemeinschaft mit Christus in der eucharistischen Vereinigung. Hier werden wir zum Leib Christi; das heißt, die Beziehung zwischen dem Volk Gottes und dem Leib Christi schafft eine neue Wirklichkeit: die Gemeinschaft. Und nach dem Konzil wurde entdeckt – so würde ich sagen –, daß das Konzil in Wirklichkeit diesen Begriff gefunden, zu ihm hingeführt hat: die Gemeinschaft als zentraler Begriff. Ich würde sagen, philologisch ist er im Konzil noch nicht völlig ausgereift, aber es ist Frucht des Konzils, daß der Begriff der Gemeinschaft immer mehr zum Ausdruck des Wesens der Kirche geworden ist, Gemeinschaft in den verschiedenen Dimensionen: Gemeinschaft mit dem dreifaltigen Gott – der selbst Gemeinschaft zwischen Vater, Sohn und Heiligem Geist ist –, sakramentale Gemeinschaft, konkrete Gemeinschaft im Episkopat und im Leben der Kirche.

Noch konfliktgeladener war das Problem der Offenbarung. Hier ging es um die Beziehung zwischen Schrift und Tradition, und hier waren vor allem die Exegeten an größerer Freiheit interessiert; sie fühlten sich, sagen wir, den Protestanten etwas unterlegen, die die großen Entdeckungen machten, während die Katholiken sich etwas »behindert« fühlten von der Notwendigkeit, sich dem Lehramt zu unterwerfen. Hier war also auch ein ganz konkreter Kampf im Spiel: Welche Freiheit haben die Exegeten? Wie legt man die Schrift gut aus? Was bedeutet Tradition? Es war eine vielschichtige Auseinandersetzung, die ich jetzt nicht darlegen kann, aber wichtig ist, daß die Schrift natürlich das Wort Gottes ist und die Kirche unter der Schrift steht, dem Wort Gottes gehorcht, nicht über der Schrift steht. Und dennoch ist die Schrift nur deshalb die Schrift, weil es die lebendige Kirche, ihr lebendiges Subjekt gibt; ohne das lebendige Subjekt der Kirche ist die Schrift nur ein Buch, das für verschiedene Auslegungen offen ist und keine letzte Klarheit gibt.

Hier gab es, wie gesagt, eine schwierige Auseinandersetzung, und entscheidend war das Eingreifen von Papst Paul VI. Dieses Eingreifen zeigt die ganze Feinfühligkeit des Vaters, seine Verantwortung für den Fortgang des Konzils, aber auch seine große Achtung vor dem Konzil. Es war die Vorstellung aufgekommen, daß die Schrift vollständig ist, sich dort alles findet; man braucht also die Tradition nicht, und daher hat das Lehramt nichts zu sagen. Der Papst hat daraufhin dem Konzil 14 – meine ich – Formulierungen eines Satzes vorgelegt, der in den Text über die Offenbarung eingefügt werden sollte, und er gab uns, gab den Vätern die Freiheit, eine der 14 Formulierungen auszuwählen, sagte aber: Eine muß ausgewählt werden, um den Text zu vervollständigen. Ich erinnere mich mehr oder weniger an die Formulierung: »non omnis certitudo de veritatibus fidei potest sumi ex Sacra Scriptura«, das heißt, die Gewißheit der Kirche über den Glauben entspringt nicht nur einem für sich allein genommenen Buch, sondern sie braucht das erleuchtete Subjekt Kirche, getragen vom Heiligen Geist. Nur so spricht dann die Schrift und hat all ihre Autorität. Dieser Satz, den wir in der Lehrkommission ausgewählt haben – eine der 14 Formulierungen –, ist meines Erachtens entscheidend, um die Unverzichtbarkeit, die Notwendigkeit der Kirche darzulegen und so zu verstehen, was Tradition bedeutet, der lebendige Leib, in dem dieses Wort von Anfang an lebt und von dem es sein Licht empfängt, in dem es entstanden ist. Bereits der Kanon selbst ist etwas Kirchliches: Daß diese Schriften die Heilige Schrift sind, kommt aus der Erleuchtung der Kirche, die diesen Schriftkanon in sich gefunden hat – gefunden, nicht geschaffen hat –, und immer nur in dieser Gemeinschaft der lebendigen Kirche kann man die Schrift auch wirklich als Wort Gottes verstehen und lesen, als Wort, das uns im Leben und im Tod leitet.

Wie gesagt, war dies eine ziemlich schwierigere Auseinandersetzung, aber dank des Papstes und – sagen wir – dank des Lichtes des Heiligen Geistes, der im Konzil gegenwärtig war, wurde ein Dokument geschaffen, das eines der schönsten und auch innovativsten des ganzen Konzils ist und das noch viel eingehender untersucht werden muß. Denn auch heute neigt die Exegese dazu, die Schrift außerhalb der Kirche zu lesen, außerhalb des Glaubens, nur im sogenannten Geist der historisch-kritischen Methode, einer Methode, die wichtig ist, aber niemals so sehr, daß sie Lösungen als letzte Gewißheit geben kann. Nur wenn wir glauben, daß dies keine menschlichen Worte, sondern Worte Gottes sind, und nur wenn das lebendige Subjekt lebt, zu dem Gott gesprochen hat und spricht, können wir die Heilige Schrift gut auslegen. Und hier – wie ich im Vorwort meines Buches über Jesus gesagt habe (vgl. Band 1) – gibt es noch viel zu tun, um zu einer Lesart zu gelangen, die wirklich dem Geist des Konzils entspricht. Hier ist die Anwendung des Konzils noch nicht vollständig, sie muß noch erfolgen.

Und abschließend der Ökumenismus. Ich möchte jetzt nicht auf diese Probleme eingehen, aber es war offensichtlich – besonders nach der »Passion« der Christen zur Zeit des Nazismus –, daß die Christen zur Einheit finden, die Einheit zumindest suchen können. Doch es war auch klar, daß nur Gott die Einheit schenken kann. Und auf diesem Weg befinden wir uns immer noch. Jetzt, mit diesen Themen, hatte die »Rheinische Allianz« sozusagen ihre Arbeit getan.

Der zweite Teil des Konzils ist viel umfangreicher. Mit großer Dringlichkeit stellte sich das Thema: Welt von heute, Moderne und Kirche; und damit die Themen der Verantwortung für den Aufbau dieser Welt, der Gesellschaft, Verantwortung für die Zukunft dieser Welt und eschatologische Hoffnung, ethische Verantwortung des Christen, wo er seine Leitlinien findet; und dann Religionsfreiheit, Fortschritt und Beziehung zu den anderen Religionen. In diesem Augenblick sind wirklich alle Teile des Konzils in die Debatte eingetreten, nicht nur Amerika, die Vereinigten Staaten, mit einem starken Interesse an der Religionsfreiheit. In der dritten Periode haben diese zum Papst gesagt: Wir können nicht nach Hause zurückkehren, ohne in unserem Gepäck eine vom Konzil verabschiedete Erklärung über die Religionsfreiheit zu haben. Der Papst besaß jedoch die Standhaftigkeit, die Entschlossenheit und die Geduld, den Text in die vierte Periode zu tragen, um ihn ausreifen zu lassen und eine nahezu vollständige Übereinstimmung unter den Konzilsvätern zu finden. Ich sage: Nicht nur die Nordamerikaner traten mit Nachdruck in die Konzilsarbeit ein, sondern auch Lateinamerika, in vollem Bewußtsein um das Elend des Volkes eines katholischen Kontinents und die Verantwortung des Glaubens für die Situation dieser Menschen. Und so haben auch Afrika und Asien die Notwendigkeit des interreligiösen Dialogs gesehen; es sind Probleme entstanden, die wir Deutschen, so muß ich sagen, anfangs nicht gesehen haben. Ich kann das alles jetzt nicht beschreiben. Das große Dokument Gaudium et spes hat das Problem von christlicher Eschatologie und weltlichem Fortschritt, von Verantwortung für die Gesellschaft von morgen und Verantwortung des Christen angesichts der Ewigkeit sehr gut analysiert und hat so auch die christliche Ethik, die Grundlagen erneuert. Aber, sozusagen ganz unerwartet, ist außerhalb dieses großen Dokuments ein Dokument herangewachsen, das zusammenfassender und konkreter auf die Herausforderungen der Zeit antwortete: Nostra aetate. Von Anfang an waren unsere jüdischen Freunde dabei, die gesagt haben – besonders zu uns Deutschen, aber nicht nur zu uns –, daß nach den traurigen Ereignissen des nazistischen Jahrhunderts, des nazistischen Jahrzehnts, die katholische Kirche ein Wort über das Alte Testament, über das jüdische Volk sagen muß. Sie haben gesagt: Selbst wenn es klar ist, daß die Kirche nicht für die Shoah verantwortlich ist, so waren doch diejenigen, die diese Verbrechen begangen haben, großenteils Christen; wir müssen das christliche Gewissen vertiefen und erneuern, auch wenn wir genau wissen, daß die wahren Gläubigen immer Widerstand gegen diese Dinge geleistet haben. Und so war es deutlich, daß die Beziehung zur Welt des alten Volkes Gottes Gegenstand einer Reflexion sein mußte. Verständlicherweise waren die arabischen Länder – die Bischöfe der arabischen Länder – darüber nicht glücklich: Sie befürchteten ein wenig eine Verherrlichung des Staates Israel, die sie natürlich nicht wollten. Sie sagten: Nun gut, ein wirklich theologischer Hinweis auf das jüdische Volk ist gut, ist notwendig, aber wenn ihr darüber sprecht, dann sprecht auch über den Islam; nur so befinden wir uns im Gleichgewicht; auch der Islam ist eine große Herausforderung, und die Kirche muß ebenfalls ihre Beziehung zum Islam klären. Das haben wir damals nicht so recht verstanden – ein wenig schon, aber nicht sehr. Heute wissen wir, wie notwendig es war.

Als wir begonnen haben, auch über den Islam zu arbeiten, wurde uns gesagt: Aber es gibt auch andere Religionen in der Welt: ganz Asien! Denkt an den Buddhismus, den Hinduismus… Und so entstand anstelle einer Erklärung, die anfangs nur über das jüdische Volk gedacht war, ein Text über den interreligiösen Dialog, der das vorwegnahm, was sich erst 30 Jahre später in seiner ganzen Intensität und Bedeutung gezeigt hat. Ich kann jetzt nicht auf dieses Thema eingehen, aber wenn man den Text liest, sieht man, daß er sehr reichhaltig ist und in der Tat von Personen verfaßt wurde, die die Wirklichkeit kannten und kurz, in wenigen Worten das Wesentliche aufzeigt. So ist er auch die Grundlage für einen Dialog – in der Verschiedenheit, in der Unterschiedlichkeit – im Glauben an die Einzigkeit Christi, des Einen; und für einen Gläubigen ist es unmöglich zu meinen, die Religionen seien alle nur Variationen ein und desselben Themas. Nein, es gibt eine Wirklichkeit des lebendigen Gottes, der gesprochen hat, und es ist der eine Gott, es ist der eine menschgewordene Gott und daher das eine Wort Gottes, das wirklich Wort Gottes ist. Es gibt jedoch die religiöse Erfahrung, mit einem gewissen menschlichen Licht der Schöpfung, und daher ist es notwendig und möglich, in einen Dialog einzutreten und sich so einander zu öffnen und alle offen zu machen für den Frieden Gottes, aller seiner Kinder, seiner ganzen Familie.

Diese beiden Dokumente also, Religionsfreiheit und Nostra aetate, verbunden mit Gaudium et spes, sind eine sehr wichtige Trilogie, deren Bedeutung sich erst im Laufe der Jahrzehnte gezeigt hat, und wir arbeiten noch daran, dieses Zusammenspiel zwischen der Einzigkeit der Offenbarung Gottes, der Einzigkeit des einen, in Christus menschgewordenen Gottes und der Vielzahl der Religionen zu verstehen, mit denen wir den Frieden suchen und auch das Herz, das offen ist für das Licht des Heiligen Geistes, das erleuchtet und zu Christus führt.

Ich möchte jetzt noch einen dritten Punkt hinzufügen: Es gab das Konzil der Väter – das wahre Konzil –, aber es gab auch das Konzil der Medien. Es war fast ein Konzil für sich, und die Welt hat das Konzil durch diese, durch die Medien wahrgenommen. Das Konzil, das mit unmittelbarer Wirkung beim Volk angekommen ist, war also das der Medien, nicht das der Väter. Und während das Konzil der Väter sich innerhalb des Glaubens vollzog, ein Konzil des Glaubens war, der den »intellectus« sucht, der versucht, einander zu verstehen und die Zeichen Gottes in jenem Augenblick zu verstehen, der versucht, auf die Herausforderung Gottes in jenem Augenblick zu antworten und im Wort Gottes das Wort für heute und morgen zu finden, während das ganze Konzil sich also, wie gesagt, innerhalb des Glaubens bewegte, als »fides quaerens intellectum«, entfaltete sich das Konzil der Journalisten natürlich nicht im Glauben, sondern in den Kategorien der heutigen Medien, also außerhalb des Glaubens, mit einer anderen Hermeneutik. Es war eine politische Hermeneutik: Für die Medien war das Konzil ein politischer Kampf, ein Machtkampf zwischen verschiedenen Strömungen in der Kirche. Selbstverständlich haben die Medien für jene Seite Partei ergriffen, die ihnen zu ihrer Welt am besten zu passen schien. Es gab jene, die die Dezentralisation der Kirche suchten, die Macht für die Bischöfe und dann – durch das Wort »Volk Gottes« – die Macht des Volkes, der Laien. Es gab diese dreifache Frage: die Macht des Papstes, dann übertragen auf die Macht der Bischöfe und die Macht aller, die Volkssouveränität. Natürlich war das für sie die Seite, die es gutzuheißen, zu befürworten, zu fördern galt. Und so war es auch für die Liturgie: Man war nicht interessiert an der Liturgie als Glaubensakt, sondern als etwas, wo verständliche Dinge getan werden, ein Handeln der Gemeinschaft, etwas Profanes. Und bekanntlich gab es eine auch geschichtlich begründete Tendenz, zu sagen: Sakralität ist etwas Heidnisches oder gegebenenfalls etwas Alttestamentarisches. Für das Neue gilt nur, daß Christus »außerhalb« gestorben ist: also vor den Toren, in der profanen Welt. Mit der Sakralität muß also Schluß sein, auch der Kult muß profan werden: Der Kult ist kein Kult, sondern ein gemeinschaftlicher Akt, an dem alle zusammen teilnehmen, und so auch Teilnahme als aktives Handeln. Diese Übertragungen, Banalisierungen der Idee des Konzils schlugen sich in der praktischen Anwendung der Liturgiereform heftig nieder; sie waren aus einer Sichtweise des Konzils hervorgegangen, die außerhalb seines Interpretationsschlüssels, des Glaubens, lag. Und so auch in der Frage der Schrift: Die Schrift ist ein historisches Buch, das historisch behandelt werden muß, und nichts anderes, und so weiter.

Wir wissen, daß dieses Konzil der Medien allen zugänglich war. Es war also das vorherrschende, das sich stärker ausgewirkt und viel Unheil, viele Probleme, wirklich viel Elend herbeigeführt hat: geschlossene Seminare, geschlossene Klöster, banalisierte Liturgie… und das wahre Konzil hatte Schwierigkeiten, umgesetzt, verwirklicht zu werden; das virtuelle Konzil war stärker als das wirkliche Konzil. Aber die wirkliche Kraft des Konzils war gegenwärtig und setzt sich allmählich immer mehr durch und wird zur wahren Kraft, die dann auch wahre Reform, wahre Erneuerung der Kirche ist. Mir scheint, daß wir 50 Jahre nach dem Konzil sehen, wie das virtuelle Konzil zerbricht, sich verliert und das wahre Konzil mit all seiner geistlichen Kraft zum Vorschein kommt. Und unsere Aufgabe ist es, gerade jetzt im Jahr des Glaubens, vom Jahr des Glaubens ausgehend daran zu arbeiten, daß sich das wahre Konzil mit seiner Kraft des Heiligen Geistes verwirklicht und die Kirche wirklich erneuert wird. Wir hoffen, daß der Herr uns helfen möge. Ich werde in der Zurückgezogenheit mit meinem Gebet stets bei euch sein, und gemeinsam gehen wir voran mit dem Herrn, in der Gewißheit: Der Herr siegt! Danke!

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Aschermittwoch "Erneuern wir unseren Glauben an den obersten Hirten, Christus"

Verehrte Mitbrüder! Liebe Brüder und Schwestern!

Heute, am Aschermittwoch, beginnen wir einen neuen Weg der Fastenzeit – einen Weg, der sich über vierzig Tage hinzieht und uns zur Osterfreude des Herrn, zum Sieg des Lebens über den Tod führt. Nach der uralten römischen Tradition der Stationskirchen in der Fastenzeit haben wir uns heute zur Feier der Eucharistie versammelt. Diese Tradition sieht vor, daß die erste statio in der Basilika Santa Sabina auf dem Aventinhügel stattfindet. Die Umstände ließen es ratsam erscheinen, sich im Petersdom im Vatikan zu versammeln. Heute abend sind wir in großer Zahl hier am Grab des Apostels Petrus, auch um seine Fürsprache für den Weg der Kirche in diesem besonderen Augenblick zu erbitten und unseren Glauben an den obersten Hirten, Christus, den Herrn, zu erneuern. Für mich ist das eine günstige Gelegenheit, allen – speziell den Gläubigen der Diözese Rom – zu danken, während ich mich anschicke, meinen Petrusdienst zu beenden, und um ein besonderes Gebetsgedenken zu bitten.

Die vorgetragenen Lesungen geben uns Anregungen, die wir in dieser Fastenzeit mit Gottes Gnade in Haltungen und konkretes Verhalten umsetzen sollen. Die Kirche stellt uns wieder neu vor allem die nachdrückliche Ermahnung vor Augen, die der Prophet Joël an das Volk Israel richtet: » Kehrt um zu mir von ganzem Herzen mit Fasten, Weinen und Klagen « (2,12). Die Worte » von ganzem Herzen « sind dabei zu unterstreichen; sie bedeuten: vom Zentrum unserer Gedanken und Gefühle her, von den Wurzeln unserer Entschlüsse, Entscheidungen und Taten aus, in einem Akt völliger und radikaler Freiheit. Aber ist eine solche Umkehr zu Gott möglich? Ja, denn es gibt eine Kraft, die nicht in unserem Herzen wohnt, sondern dem Herzen Gottes selbst entströmt. Es ist die Kraft seiner Barmherzigkeit. Der Prophet fährt fort: » Kehrt um zum Herrn, eurem Gott! Denn er ist gnädig und barmherzig, langmütig und reich an Güte und es reut ihn, daß er das Unheil verhängt hat « (V. 13). Die Umkehr zum Herrn ist möglich als „Gnade“, denn sie ist Werk Gottes und Frucht unseres Glaubens an seine Barmherzigkeit. Dieses Umkehren zu Gott wird in unserem Leben nur dann konkrete Wirklichkeit, wenn die Gnade des Herrn in unser Innerstes eindringt, es aufrüttelt und uns die Kraft gibt, unser » Herz zu zerreißen «. Wieder ist es der Prophet, der von Gott her diese Worte erschallen läßt: » Zerreißt eure Herzen, nicht eure Kleider « (V. 13). In der Tat sind auch heute viele bereit, angesichts von – natürlich von anderen begangenen – Skandalen und Ungerechtigkeiten „ihre Kleider zu zerreißen“, aber wenige scheinen bereit, auf ihr „Herz“, ihr Gewissen, ihre Absichten einzuwirken und zuzulassen, daß der Herr sie verwandle, erneuere und bekehre.

Dieses »Kehrt um zu mir von ganzem Herzen« ist dann ein Aufruf, der nicht nur den einzelnen betrifft, sondern die Gemeinschaft. In der ersten Lesung haben wir des weiteren gehört: » Auf dem Zion stoßt in das Horn, ordnet ein heiliges Fasten an, ruft einen Gottesdienst aus! Versammelt das Volk, heiligt die Gemeinde! Versammelt die Alten, holt die Kinder zusammen, auch die Säuglinge! Der Bräutigam verlasse seine Kammer und die Braut ihr Gemach « (V. 15-16). Der gemeinschaftliche Aspekt ist ein wesentliches Element im Glauben und im christlichen Leben. Christus ist gekommen, » um die versprengten Kinder Gottes wieder zu sammeln « (Joh 11,52). Das „Wir“ der Kirche ist die Gemeinschaft, in der Jesus uns vereint (vgl. Joh 12,32): Der Glaube ist zwangsläufig kirchlich. Und es ist wichtig, sich das in dieser Fastenzeit ins Gedächtnis zu rufen und danach zu leben: Jeder sei sich bewußt, daß er den Weg der Buße nicht allein antritt, sondern gemeinsam mit vielen Brüdern und Schwestern, in der Kirche.

Schließlich kommt der Prophet auf das Gebet der Priester zu sprechen, die sich mit Tränen in den Augen an Gott wenden und sagen: » Überlaß dein Erbe nicht der Schande, damit die Völker nicht über uns spotten. Warum soll man bei den Völkern sagen: „Wo ist denn ihr Gott?“ « (V. 17). Dieses Gebet läßt uns darüber nachdenken, welche Bedeutung das christliche Glaubens- und Lebenszeugnis eines jeden von uns und unserer Gemeinschaften für das Gesicht der Kirche hat und wie dieses bisweilen verunstaltet wird. Ich denke besonders an die Vergehen gegen die Einheit der Kirche, an die Spaltungen im Leib der Kirche. Die Fastenzeit in einer intensiveren und sichtbareren Gemeinschaft mit der Kirche zu leben, indem man Individualismen und Rivalitäten überwindet, ist ein demütiges und kostbares Zeichen für diejenigen, die dem Glauben fern sind oder ihm gegenüber gleichgültig sind.

» Jetzt ist sie da, die Zeit der Gnade; jetzt ist er da, der Tag der Rettung « (2 Kor 6,2). Die Worte des Apostels Paulus an die Christen von Korinth erklingen auch für uns mit einer Dringlichkeit, die kein Fernbleiben oder keine Untätigkeit duldet. Der mehrmals wiederholte Ausdruck „jetzt“ besagt, daß man sich diesen Moment nicht entgehen lassen darf, er wird uns wie eine einmalige, unwiederholbare Gelegenheit angeboten. Und der Blick des Apostels konzentriert sich auf das Teilen, das Christus zum Merkmal seines Lebens machen wollte, indem er alles Menschliche annahm bis dahin, selbst die Sünde der Menschen auf sich zu laden. Der Satz des heiligen Paulus ist sehr stark: Gott hat ihn » für uns zur Sünde gemacht «. Jesus, der Unschuldige, der Heilige, » der keine Sünde kannte « (2 Kor 5,21), lädt sich die Last der Sünde auf und teilt mit der Menschheit ihre Folge, den Tod – den Tod am Kreuz. Die Versöhnung, die uns angeboten wird, wurde um einen sehr hohen Preis erkauft: das auf Golgotha aufgerichtete Kreuz, an das der menschgewordene Sohn Gottes geheftet wurde. In diesem Eintauchen Gottes in das menschliche Leiden und in den Abgrund des Bösen liegt die Wurzel unserer Rechtfertigung. Unser » Umkehren zu Gott von ganzem Herzen « auf unserem Weg in der Fastenzeit geht über das Kreuz, über die Nachfolge Christi auf dem Weg, die zum Kalvarienberg führt, zur vollkommenen Selbsthingabe. Es ist ein Weg, auf dem wir täglich lernen müssen, immer mehr aus unserem Egoismus und aus unserer Verschlossenheit herauszukommen, um Platz zu machen für Gott, der das Herz öffnet und verwandelt. Und der heilige Paulus erinnert daran, wie die Botschaft des Kreuzes für uns erklingt durch die Verkündigung des Wortes Gottes, dessen Botschafter der Apostel selber ist; eine Ermahnung an uns, damit dieser Weg der Fastenzeit gekennzeichnet sei von größerer Aufmerksamkeit und Beständigkeit im Hören auf Gottes Wort – das Licht, das unsere Schritte erhellt.

In dem Abschnitt aus dem Matthäusevangelium, der zur sogenannten Bergpredigt gehört, bezieht Jesus sich auf die drei grundlegenden Übungen, die das Gesetz des Mose vorsah: Almosengeben, Gebet und Fasten; es sind auch die traditionellen Weisungen für die Fastenzeit, um der Einladung, » von ganzem Herzen zu Gott umzukehren «, zu entsprechen. Doch Jesus unterstreicht, daß es die Qualität und die Wahrheit der Beziehung zu Gott ist, welche die Echtheit jeder religiösen Handlung ausmacht. Deshalb prangert er die religiöse Scheinheiligkeit an, das Verhalten, sich in Szene zu setzen, sowie die Haltungen, die Beifall und Zustimmung suchen. Der wahre Jünger dient nicht sich selbst oder der „Öffentlichkeit“, sondern dem Herrn, in Einfachheit und Großherzigkeit: » Und dein Vater, der auch das Verborgene sieht, wird es dir vergelten « (Mt 6,4.6.18). Unser Zeugnis wird immer um so wirksamer sein, je weniger wir unsere eigene Ehre suchen und uns bewußt sind, daß der Lohn des Gerechten Gott selber ist, das Vereint-Sein mit ihm – hier unten auf dem Weg des Glaubens und am Ende des Lebens im Frieden und im Licht der Begegnung von Angesicht zu Angesicht mit ihm für immer (vgl. 1 Kor 13,12).

Liebe Brüder und Schwestern, beginnen wir diesen Weg durch die Fastenzeit voll Zuversicht und Freude. Möge die Einladung zur Bekehrung, die Aufforderung, » von ganzem Herzen zu Gott umzukehren «, laut in uns erklingen, so daß wir seine Gnade annehmen, die uns zu neuen Menschen macht mit jener überraschenden Neuheit, die Teilhabe am Leben Jesu selbst ist. Niemand soll also taub sein für diesen Aufruf, der auch aus diesem schlichten, so einfachen und zugleich so eindrucksvollen Ritus der Auflegung der Asche zu uns spricht, den wir gleich vollziehen werden. Es begleite uns in dieser Zeit die Jungfrau Maria, Mutter der Kirche und Vorbild jedes wahren Jüngers des Herrn. Amen!

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Mittwochsaudienz, 13. Februar 2013

"Betet weiter für mich"

Liebe Brüder und Schwestern!

Wie ihr wißt – [Applaus] Danke für eure Zuneigung! –, habe ich mich dazu entschlossen, auf das Amt, das mir der Herr am 19. April 2005 anvertraut hat, zu verzichten. Ich habe dies in voller Freiheit zum Wohl der Kirche getan, nachdem ich lange gebetet und vor Gott mein Gewissen geprüft habe. Ich bin mir des Ernstes dieses Aktes sehr bewußt, aber ich bin mir ebenso bewußt, nicht mehr in der Lage zu sein, das Petrusamt mit der dafür erforderlichen Kraft auszuüben. Mich trägt und erleuchtet die Gewißheit, daß es die Kirche Christi ist und der Herr es ihr nie an seiner Leitung und Sorge fehlen lassen wird. Ich danke euch allen für die Liebe und für das Gebet, mit dem ihr mich begleitet habt. [Applaus] Danke! Ich habe in diesen für mich nicht leichten Tagen gleichsam physisch die Kraft des Gebets verspürt, die mir die Liebe der Kirche, euer Gebet bringt. Betet weiter für mich, für die Kirche und für den kommenden Papst. Der Herr wird uns leiten.

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Verzichtserklärung des Papstes, 11. Februar 2013

Liebe Mitbrüder!

Ich habe euch zu diesem Konsistorium nicht nur wegen drei Heiligsprechungen zusammengerufen, sondern auch um euch eine Entscheidung von großer Wichtigkeit für das Leben der Kirche mitzuteilen. Nachdem ich wiederholt mein Gewissen vor Gott geprüft habe, bin ich zur Gewißheit gelangt, daß meine Kräfte infolge des vorgerückten Alters nicht mehr geeignet sind, um in angemessener Weise den Petrusdienst auszuüben. Ich bin mir sehr bewußt, daß dieser Dienst wegen seines geistlichen Wesens nicht nur durch Taten und Worte ausgeübt werden darf, sondern nicht weniger durch Leiden und durch Gebet. Aber die Welt, die sich so schnell verändert, wird heute durch Fragen, die für das Leben des Glaubens von großer Bedeutung sind, hin- und hergeworfen. Um trotzdem das Schifflein Petri zu steuern und das Evangelium zu verkünden, ist sowohl die Kraft des Köpers als auch die Kraft des Geistes notwendig, eine Kraft, die in den vergangenen Monaten in mir derart abgenommen hat, daß ich mein Unvermögen erkennen muß, den mir anvertrauten Dienst weiter gut auszuführen. Im Bewußtsein des Ernstes dieses Aktes erkläre ich daher mit voller Freiheit, auf das Amt des Bischofs von Rom, des Nachfolgers Petri, das mir durch die Hand der Kardinäle am 19. April 2005 anvertraut wurde, zu verzichten, so daß ab dem 28. Februar 2013, um 20.00 Uhr, der Bischofssitz von Rom, der Stuhl des heiligen Petrus, vakant sein wird und von denen, in deren Zuständigkeit es fällt, das Konklave zur Wahl des neuen Papstes zusammengerufen werden muß.

Liebe Mitbrüder, ich danke euch von ganzem Herzen für alle Liebe und Arbeit, womit ihr mit mir die Last meines Amtes getragen habt, und ich bitte euch um Verzeihung für alle meine Fehler. Nun wollen wir die Heilige Kirche der Sorge des höchsten Hirten, unseres Herrn Jesus Christus, anempfehlen. Und bitten wir seine heilige Mutter Maria, damit sie den Kardinälen bei der Wahl des neuen Papstes mit ihrer mütterlichen Güte beistehe. Was mich selbst betrifft, so möchte ich auch in Zukunft der Heiligen Kirche Gottes mit ganzem Herzen durch ein Leben im Gebet dienen.

Aus dem Vatikan, 10. Februar 2013 BENEDICTUS PP XVI

© Copyright 2013 - Libreria Editrice Vaticana

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