Elternbildung, wo Chile am Ärmsten ist

Hilfe für heute, Perspektive für morgen: die „Fundación Nocedal“ in Santiago

La Pintana

La Pintana ist ein trister Vorort von Santiago de Chile. Da Viertel ist berüchtigt für seine konfliktive Sozialstruktur. Anfang der 80er Jahren hatten sich hier am Rande der Hauptstadt zahlreiche obdach- lose Familien angesiedelt. Sie hofften, dass die zuständigen Behörden ihnen Wohnungen zuweisen würden. Doch daraus wurde nichts. Resignation, Krimi- nalität breiteten sich aus und entluden sich immer mehr in Vandalismus, Bandenterror und Drogenhandel. 

Von diesem düsteren Hintergrund heben sich drei schlichte, freundliche Gebäudekomplexe ab. Mit ihren hellen Mauern und gepflegten Gartenanlagen wirken das „Haus der Familie“, die Jungenschule Nocedal und die Mädchenschule Almendral wie ein Signal der Hoffnung: Alle drei verdanken ihr Entstehen dem Einsatz einer Gruppe von Angehörigen und Freunden des Opus Dei. Als engagierte Christen wollten sie die Kinder und Jugendlichen von La Pintana von der Straße holen, ihnen Elementarunterricht bieten und reale Berufschancen für ihre weitere Zukunft eröffnen. Zugleich wollten sie ihre Schulinitiative durch eine Familien-Komponente ergänzen und absichern.  

Mit dieser Idee gründete die Gruppe 1993 die „Fundación Nocedal“ – sozusagen als gemeinsame organisatorische Basis ihres dreigliedrigen Projektes. Die christliche Orientierung vertrauten sie der Prälatur Opus Dei an. 1996 begann die Jungenschule, 1999 folgte die Mädchenschule – beide für bis zu tausend Kinder – und anschließend das Haus der Familie.  

Elternbildung ist wesentlich … 

Das Haus der Familie

Das Haus der Familie hält aktiven Kontakt zu 60% der Eltern von Nocedal und Almendral. Außerdem nehmen weitere Eltern die Dienste der Stiftung in Anspruch, die ihre Kinder nicht in diesen beiden Schulen haben. Manche von ihnen sind sehr jung. Ein beträchtlicher Prozentsatz dieser Eltern hat selbst keine abgeschlossene Schulbil- dung. Zum Beispiel erzählt Carla über ihren Mann: „Er konnte nicht mehr in die Schule gehen, weil er Geld verdienen musste, um seine Eltern zu unterstützen.“ 

Fernando Alvarez ist der Leiter der Stiftung. Nach seinen Angaben kommen täglich etwa 130 Mütter zu verschiedenen Beratungsstunden ins Haus der Familie. Dabei geht es um Ehe- und Erziehungsfragen, Behördengänge, Rechtshilfe und nicht zuletzt um psychologischen Beistand. Die Zahl der Väter ist allerdings erheblich geringer.  

Weitere Schwerpunkte der Stiftung sind Elternabende und andere Treffen speziell für Eltern sowie Freizeitaktivitäten, an denen die ganze Familie teilnehmen kann. Beispielsweise Filmvorführungen an Samstagabenden mit anschließender Aussprache. In selben Sinne wirkt auch „Radio Nocedal“, ein kleiner Sender, der an Werktagen zweimal eine Stunde für rund 55.000 Empfänger in La Pintana zu hören ist und viele Mütter bei der Hausarbeit erreicht. Dadurch schafft der Sender einen gewissen Ausgleich für den wenig förderlichen Einfluss des Fernsehens auf die Familien. 

Das Ziel ist laut Alvarez immer die Elternbildung. Die Eltern sollen verstehen, dass sie selbst die Haupterzieher ihrer Kinder sind. Damit das gelingen kann, müssen sie miteinander und mit ihren Kindern im Gespräch bleiben. Fernando Alvarez meint, die Ursache für einen guten Teil der Familienkonflikte liege in Defiziten bei der innerfamiliären Kommunikation. 

… aber ebenso die Schulen 

Die beiden Schulen Nocedal und Almendral arbeiten völlig unabhängig von einander. Doch streben beide eine ganzheitliche Erziehung an – anspruchsvoll vom Pädagogischen wie vom Christlichen her. Die Lehrpläne sind im Prinzip dieselben wie in anderen Schulen des Landes. Alvarez: „Doch unsere besondere Herausforderung lautet: ‚Weg von der Straße’. Deswegen sorgen wir für viele sportliche und andere sinnvolle Betätigungen wie etwa Gartenarbeit und Musikunterricht.“ Dabei wirken Lehrer, Eltern und Schüler zusammen, um den Teufelskreis von Verwahrlosung, Unwissen und Armut zu sprengen. 

Wichtig sind natürlich auch der Religionsunterricht und die Schulmessen, die Priester des Opus Dei feiern. So erlernen die Kinder die Glaubenslehre, aber auch christliches Beten und Verhalten. Zugleich wirkt das auf viele Eltern zurück. Frau Alejandra erzählt: „Das Glaubensbekenntnis hat mir mein Sohn German beigebracht. Und alle vierzehn Tage hält der Schulseelsorger im Haus der Familie eine Glaubensstunde für Väter. Unser Junge erinnert mich immer daran: ‚Mama, schick Papa doch wieder zu dem Vortrag von Don Max!“ 

Die Jungenschule Nocedal 

Mutter und Sohn in Nocedal

Derzeit besuchen knapp tausend Schüler Nocedal – die Grund-, Haupt- und Mittelschule zusammen- genommen. Der Unterricht beginnt um 8.30 und dauert bis 17.00 Uhr. Wegen der schwierigen Wohnver- hältnisse bei vielen Familien, sorgt Nocedal dafür, dass die Schüler ihre Aufgaben erledigen, bevor sie nach Hause gehen. 

Nach den Grundschuljahren kommen zu den üblichen Hauptschulfächern technische und berufsbildende Fächer wie Elektronik und Telekommunikation hinzu. Praktische Kurse vermitteln außerdem erste handwerkliche Fähigkeiten.  

In Chile gibt es keine duale Berufsbildung nach dem kombinierten System von Schule und Lehre wie in Deutschland. Deshalb kooperiert Nocedal mit Handwerksbetrieben, in denen ältere Schüler an den Wochenenden praktisch arbeiten können. So kann der eine oder andere einfache Reparaturen an Mikrowellengeräten und PCs ausführen. Andere verlegen elektrische Leitungen. Solche Möglichkeiten stellen für arme Familien eine zusätzliche kleine Einnahmequelle dar. Außerdem vermittelt die Schule ihren Schülern für die Zeit nach dem Abschluss Praktikantenstellen in Handels- und Industrieunternehmen. 

Die Mädchenschule Almendral  

Der erste Schritt zur Mädchenschule Almendral war ein Besuch des Prälaten des Opus Dei im Jahre 1997. Bischof Echevarría ermutigte die Verantwortlichen der Stiftung Nocedal, nach der Jungenschule auch mit einer unabhängigen Schule für Mädchen zu beginnen. Dank interessierter Sponsoren konnte die Stiftung im September 1998 das Grundstück kaufen. Nur sechs Monate später begann der Unterricht für 140 Mädchen vom 1. bis 4. Grundschuljahr. Gegenwärtig besuchen 680 Schülerinnen in acht Jahrgangsstufen Almendral, beginnend mit einem Kindergarten.

Schülerinnen von Almendral

Damals war das erzieherisch-pädagogische Umfeld wie schon bei der Jungenschule nicht gerade ermutigend. Von 100 Schulan- fängerinnen schafften es nur 23 auf weiterbildende Schulen. Wieder war das instabile familiäre Umfeld ein Hauptgrund. Deshalb setzt die Schulleitung von Almendral in erster Linie auf die Zusammenarbeit von Schule und Familie. Schulleiterin Maria Teresa Trabol: „Wir wollen die Eltern dafür sensibilisieren, dass sie die ersten und wichtigsten Erzieher ihrer Kinder sind. Das gelinge auch nach und nach.“ Erste Früchte seien schon 2002 greifbar geworden: Bei den Prüfungen auf Landesebene lagen die Leistungen der Schülerinnen von Almendral in Sprachen und in Mathematik über den Landesdurchschnitt. Dazu die Mutter der elfjährigen Natalie Albornoz: „Viele von uns haben inzwischen begriffen, dass wir als Eltern zu einer besseren Stütze für unsere Kinder werden müssen“. 

Speziell um die Mütter kümmert sich die stellvertretende Schulleiterin Alejandra Nuñez: „Die meisten Frauen in La Pintana haben keine religiöse Erziehung bekommen. Und was ihre Vorstellungen und Wünsche angeht, stehen sie weitgehend unter dem Einfluss des Fernsehens. Doch oft sind es die eigenen Kinder, die sie viel Wertvolles lehren können. Es ist wirklich so, sie bringen den Eltern auch am Ehesten das Beten bei.“ Frau Nuñez lernte Almendral zufällig kennen, als sie sich dort vor Jahren um eine Stelle als Lehrerin bewarb. Nach und nach habe sie dann entdeckt, dass „die kleinen Details, die wie immer im Leben den Unterschied machen“, mit der Spiritualität des heiligen Josefmaria zu tun haben. Später fand sie dann selbst zum Opus Dei.