Die Liebe zur Welt – eine Folge der Liebe zu Gott

Österreichs Regionalvikar Martin Schlag erklärt, worin Berufung und Ziel des Opus Dei bestehen

Das Opus Dei feiert ein Doppeljubiläum: Vor 25 Jahren, am 28. November 1982, wurde es von Papst Johannes Paul II. in den Rang einer sogenannten Personalprälatur erhoben. Und seit fünfzig Jahren wirkt es in Österreich. Stephan Baier sprach mit dem österreichischen Regionalvikar Martin Schlag über das von dem heiligen Josemaria Escrivá ins Leben gerufene Werk.

1955 kam der Gründer des Opus Dei, Josefmaria Escrivá, erstmals nach Wien. 1957, vor genau 50 Jahren, siedelten sich hier die ersten Mitglieder des Opus Dei an. Warum war dem Gründer des Opus Dei das kleine Österreich so wichtig?

Schon 1949 hatte er den Wunsch nach Österreich zu kommen, aber sein spanischer Pass hatte keine Gültigkeit für die Sowjetunion und ihre Satellitenstaaten. Österreich war noch von den vier Siegermächten besetzt, so dass er weiterfahren musste nach München zu Kardinal Faulhaber. Der Gründer hatte bereits 1928 gesehen: Das Opus Dei ist nicht nur für Spanien geschaffen, sondern für die ganze Welt. Er wollte diese Botschaft in die Welt hinaustragen. Österreich war das achte Land in Europa, also relativ früh. Der Gründer sah Österreich als Tor zum Osten. Von hier aus sollte die apostolische Arbeit hinausgetragen werden in die Länder, die damals unter dem Kommunismus litten. Und so war es dann auch ab 1989.

1955 musste das eine unrealistische Perspektive scheinen.

Er handelte aus der Sicht des Glaubens und der Hoffnung. 1955 betete er im Stephansdom vor der Ikone von Maria Pócs: „Sancta Maria, stella orientis, filios tuos adiuva!“ (Heilige Maria, Stern des Ostens, hilf deinen Kindern!) Ein Gebet für die unter dem Kommunismus leidenden Menschen. Er hatte den sicheren Glauben, das System werde einstürzen wie die Mauern von Jericho. Wir haben Zeugnisse dafür, dass dieses Gebet von den geistlichen Kindern des heiligen Josefmaria in der ganzen Welt gebetet wurde.

Was ist das Neue am Opus Dei? Was ist der Kern der Botschaft?

Der Kern ist, dass alle Menschen durch die einfache und zugleich erhabene Tatsache der Taufe zur Heiligkeit berufen sind. Das hat das Zweite Vatikanische Konzil erneut unterstrichen: die allgemeine Berufung zur Heiligkeit. Unser Spezifikum ist die Heiligung der Arbeit.

Ist die Berufung aller zur Heiligkeit nicht zutiefst biblisch und in der Tradition verankert?

Der Gedanke ist natürlich so alt wie das Evangelium. Bischof Manfred Scheuer von Innsbruck sagte einmal, dass einige Kirchenväter das Gleichnis von der Aussaat so auslegen: Die hundertfache Frucht bringen die Märtyrer, die sechzigfache Frucht die Ordensleute, die dreißigfache die Laien. Aus dem Gleichnis vom reichen Jüngling, dem Jesus sagt „Verkaufe alles und folge mir nach“, haben manche zwei Wege abgeleitet: den Weg der Vollkommenheit mit Berufung zur Heiligkeit durch Mystik und Askese – und dann den Weg der Laien, die durch die Einhaltung der Gebote auch gerettet werden können. Aber denken Sie nur daran, wie der heilige Paulus die ersten Christen in seinen Briefen ohne weiteres als Heilige anredet. Der heilige Josefmaria wollte diese Sicht wieder beleben, nicht aus eigenem Denken, sondern aufgrund dessen, was Gott von ihm gewollt hat: Heiligkeit sei keine Sache für Privilegierte. Jeder ehrbare Weg auf Erden sei ein Weg zur Heiligkeit. Er wurde deshalb damals als progressiver Häretiker bezeichnet und sogar beim Heiligen Offizium angezeigt.

Heiligung der Arbeit – was ist damit konkret gemeint?

Erstens muss man begreifen, dass man Gott nur etwas Wertvolles aufopfern kann. Deshalb soll man die Arbeit menschlich gesehen so gut wie möglich verrichten. Arbeit kann in diesem Sinn auch die Arbeitssuche des Arbeitslosen sein oder die Krankheit und die Zeit der Rente, oder die Pflichten des Schülers. Arbeit meint hier jede ernsthafte Tätigkeit, die nicht von Gott trennt, und dem Gemeinwohl dient. Zweitens ist die Arbeit in Verbindung zu bringen mit dem Opfer Christi in der heiligen Messe. Die Messe ist ganz zentral, weil das das einzige Opfer ist, das Gott erkennt als ein Opfer, das ihm entspricht. Der Gründer sagte immer, wir sollen die Arbeit auf die Patene legen. Der ganze Tag wird so gewissermaßen eine Messe, die 24 Stunden dauert. All unsere Arbeit wird verrichtet auf einem Altar. Der dritte Schritt ist, dass man allen Menschen, denen man in der Arbeit begegnet, mit Liebe begegnet, in ihnen den Bruder und die Schwester erkennt.

Ist das eine anti-säkularistische Strategie: alle Arbeit auf den Altar zu legen, als ein Gegenmodell zur Säkularisation, die die Religion von allem Weltlichen trennt?

Hier muss man unterscheiden. Der Begriff der Säkularität passt sehr auf das Opus Dei. Das Zweite Vatikanum spricht vom Weltcharakter der Laien, denn es gibt eine echte Eigengesetzlichkeit und eine echte relative Autonomie der irdischen Sachbereiche mit einer eigenen Sachgerechtigkeit. Die Einheit des Lebens, die Einheit von Glaube und Welt ist nicht so zu verstehen, dass die Welt vom Glauben aufgesaugt würde. Heiligung der Arbeit setzt zunächst voraus, dass man die Sachgerechtigkeit der irdischen Dinge akzeptiert und ihr auch entspricht. Aber es handelt sich um eine relative Autonomie: Ein Marktgesetz, das einem ethischen Gesetz widerspricht, ist kein gutes Marktgesetz. Ein unethischer Arzt verletzt sein eigenes Arztsein. Deshalb gibt es auch keine absolute Trennung. Die Liebe zur Welt ist eine Folge der Liebe zu Gott. Das In-der-Welt-Sein ist der angestammte Platz der Laien. Ja, der Platz des Laien in der Kirche ist sein Platz in der Welt.

Handelt der Politiker, der privat Christ ist, aber sagt, das habe mit seiner Amtsführung nichts zu tun, korrekt? Verhält sich der christliche Arzt in seiner Praxis anders als sein agnostischer Kollege?

Beim Arzt ist es leichter zu beantworten: Wenn er Christ ist, sollte er jeden Kassenpatienten wie einen Privatpatienten behandeln. Beim Politiker ist es nicht so einfach. Es gibt nicht die – also eine einzige – katholische Lösung für zeitliche Fragen. Aber es gibt Grundsätze einer Politik, die für alle Christen gleich sind. Die Aussage „Ich bin privat Christ, in der Öffentlichkeit nicht“ ist nicht richtig. Andererseits ist der christliche Politiker auch nicht der verlängerte Arm der Hierarchie.

Ein Christ in der Politik müsste...

...seine Arbeit heiligen, den Menschen dienen.

Ist es für das Opus Dei wichtig, Menschen zu betreuen, die die Gesellschaft prägen: etwa Politiker, Lehrer, Ärzte, Unternehmer?

Das Opus Dei hat ausschließlich spirituelle Ziele. Es dient Männern und Frauen, die den Wunsch haben, in ihrem Alltag Gott zu begegnen. So ist es offen für alle Bereiche des Lebens. Wir sehen die Not unserer Zeit und freuen uns, wenn Menschen guten Willens das Gute tun. Die Grundsätze, die die Kirche für die Politik hat, sind keine kirchlichen Grundsätze, sondern allgemein menschliche. So wird der Staat erst Staat im Vollsinn. Das kann man von allen anderen Arbeitsfeldern auch sagen: Jeder Bereich der Welt ist zu erlösen.

Kann man sagen, das Opus Dei habe individuelle Ziele, keine gesellschaftlichen?

Der heilige Josefmaria hat das Opus Dei mit den ersten Christen verglichen: Ist Paulus mit einem gesellschaftsverändernden Programm aufgetreten? Nicht wirklich. Aber natürlich hatte seine Lehre eine Sprengkraft. Wenn man den Brief an Philemon liest, da bleibt dem Herrn gar nichts anderes übrig, als den Sklaven freizulassen oder als Familienmitglied anzunehmen. Aber Paulus hat nie die Sklaverei bekämpft. Das Opus Dei tritt nie mit politischen Maximen auf, sondern als Seelsorgseinrichtung in Ergänzung zur Diözese und zur Pfarre.

„Es gibt im Opus Dei keine politischen oder gesellschaftlichen Weisungen.“

Dadurch, dass das Opus Dei den Laien und seine Arbeit ins Zentrum rückt, drängt sich die Frage nach der gesellschaftlichen Wirksamkeit geradezu auf.

Wir versuchen, das Gewissen der einzelnen Laien so zu bilden, dass jeder eigenverantwortlich in seinem Bereich die Entscheidungen treffen kann, die ein guter Christ treffen sollte. In vielen Bereichen gibt es nicht die eine und einzige Lösung. Es gibt im Opus Dei keine politischen oder gesellschaftlichen Weisungen. Jeder bleibt frei, bekommt aber eine intensive Bildung, um sich selber ein Urteil bilden zu können.

Wenn Arbeit der Weg der Heiligung ist, muss dann ein guter Christ ein „workaholic“ sein?

Es ist vielleicht kein Zufall, dass das Opus Dei in einem mediterranen Land gegründet wurde. Würde man bei „Heiligung der Arbeit“ nicht eher an Deutschland denken? Nein, Heiligung der Arbeit heißt auch Einhaltung der Erholung. Jemand, der ein workaholic ist, hat die erste Voraussetzung nicht erkannt, nämlich die Humanisierung der Arbeit. Das Opus Dei ist eine Art spirituelle Gewerkschaftsbewegung der Moderne. Andererseits ist Faulheit ein Laster. Und oft verbirgt sich Faulheit hinter Betriebsamkeit.

Findet im Opus Dei so etwas wie Elitenbildung statt?

Wir wollen nicht die Streber oder Musterschüler sein. Elitenbildung im klassischen Sinn ist nicht unsere Sache. Es gibt im Werk Menschen aus allen Schichten. In Österreich gibt es Professoren und Bauern, Handwerker und Anwälte, auch einen Rauchfangkehrer. Jeder versucht in seinem Bereich, die Arbeit zu heiligen. Wenn jemand Elite verstünde als ein Sich-besser-Fühlen, dann müsste er erst einmal in die Grundschule der Demut gehen. Dem Opus Dei geht es darum, möglichst alle anzusprechen. In Österreich gibt es sechs Zentren (Wien, Graz, Salzburg, Innsbruck, Linz und Dornbirn). In allen Bundesländern gibt es Bildungsveranstaltungen. Unser Ziel ist, möglichst überall erreichbar zu sein.

Wie verhält sich das Opus Dei zu den Ordensgemeinschaften?

Der heilige Josefmaria hat gesagt: „Jemand, der das Ordensleben nicht liebt, kann nicht mein Sohn sein.“ Er hatte eine große Liebe zu den Ordensleuten. Sie sind wie die Herzkranzgefäße der Kirche, aber es ist im Organismus ja nicht alles Herz. Sie heiligen sich für die Welt, aber nicht durch die Welt, durch die Arbeit. Die Gläubigen des Opus Dei sind normale Katholiken, die ihren Stand nicht wechseln und keine Gelübde ablegen. Das Opus Dei ist so strukturiert wie die Gesamtkirche: durch die Sakramente. Es gibt notwendigerweise Priester und Laien, die durch die Sakramente aufeinander zugeordnet sind.

Warum zählt sich das Opus Dei nicht zu den „movimenti“, den geistlichen Erneuerungsbewegungen? Warum war es mit dem Status als Säkularinstitut nicht zufrieden?

Die Bewegungen sind sehr unterschiedlich. Meist sind es begeisterte Laien oder Priester, die sich für einen geistlichen Zweck zusammenschließen. Das Opus Dei ist nicht eine Gruppe von Laien, die sich einen Priester suchen, oder eine Gruppe von Priestern, die sich Laien suchen, sondern eine organische Einheit von Priestern und Laien in einer hierarchischen Struktur. Von Anfang an gab es im Opus Dei das Weihepriestertum in der Gemeinsamkeit mit den Laien.

Das Opus Dei hat mit der Personalprälatur eine neue, bis dahin in der Kirche unbekannte Rechtsstruktur angestrebt und erhalten. Warum?

Weil das Opus Dei nicht nur eine Botschaft ist, sondern eine Institution. Diese steht im Dienst der Botschaft. Die Personalprälatur ist kein Selbstzweck, sondern dient dem allgemeinen Weg der Heiligkeit. Die Berufung zum Opus Dei schließt auch die Berufung zur Institution ein. Wir bilden eine Familie. Die Erfahrung lehrt doch: Allein schaffe ich es nicht. Man braucht die geistliche Begleitung. Ohne Institution werden wir Menschen oft rasch kraftlos.

Es gibt verschiedene Arten der Mitgliedschaft. Wurzelt dies in verschiedenen Bedürfnissen oder in unterschiedlichen Berufungen?

Es gibt nur eine Berufung zum Opus Dei, aber unterschiedliche Umstände, in denen sich die Menschen befinden. Natürlich hat die Berufung zum Zölibat eine eigene spirituelle Bewandtnis. Das ist nicht eine bloße Verfügbarkeit, sondern es gibt eine eigene Berufung zum Zölibat in der Kirche. Rund achtzig Prozent der Opus Dei-Mitglieder weltweit sind verheiratet, zwanzig Prozent ehelos. Aber Zahlen interessieren uns sehr wenig, weil man das Wirken der Gnade in Statistiken sehr wenig erfassen kann.

Woher stammen die Anfeindungen gegen das Opus Dei?

Wir haben vor allem Freunde. Es gibt auch immer wieder Kritik und wir versuchen aus allem zu lernen. Wer ist schon fehlerlos? Meine Erfahrung ist aber auch, dass es bei Kontroversen um das Opus Dei oft nicht so sehr um das Werk geht, sondern um allgemein christliche oder katholische Themen. Es gab nach dem Konzil eine Phase der Neuorientierung, in der Polarisierungen entstanden. Ohne dass wir da eine Ambition gehabt hätten, wurden wir von der einen oder anderen Seite vereinnahmt. Jetzt ist eine Beruhigung eingetreten, wodurch die öffentliche Wahrnehmung des Opus Dei ruhiger wurde.

Vor fünfzig Jahren hat das Opus Dei in Österreich begonnen. Mittlerweile hat sich die Hoffnung des heiligen Josefmaria Escrivá erfüllt: Österreich wurde das Tor in den Osten und Ausgangspunkt des Aufbaus in Mitteleuropa.

Gott ist dabei, es zu verwirklichen. Tschechien und die Slowakei sind mittlerweile eine eigene Region. Auch Polen und Kroatien sind selbstständig geworden. Wien ist nach wie vor zuständig für Ungarn und betreut auch Rumänien. Slowenien wurde von Italien aus betreut. Zu allen haben wir enge Beziehungen.

DT vom 29.11.2007