Der heilige Josefmaria: im Dienst einer in der Kirche empfangenen Gabe

Die Botschaft des Heiligen Josefmaria ist heute so aktuell wie vor knapp einhundert Jahren. Seine Lehren haben nicht nur die Kirche, sondern die Welt verändert.

Fünfzig Jahre sind es nun her, seit der heilige Josefmaria Escrivá, der Gründer des Opus Dei, heimgegangen ist. Für uns, die wir damals in Rom und im selben Haus mit ihm leben durften, ist dieses halbe Jahrhundert wie im Flug vergangen. Dass er so unerwartet aus dem Leben schied – von einem Tag auf den anderen, während er wie gewohnt seiner Sendung als Hirt und Gründer nachging –, hat den tiefen Eindruck seines Todes noch verstärkt. Schon damals war uns bewusst, dass der „Vater“, wie wir ihn im familiären Kreis nannten, eine feste Stütze für das Leben und die Freude vieler Katholiken seiner Zeit war.

Aus seiner leidenschaftlichen Liebe zu Christus und der lebendigen Erfahrung, Kind Gottes zu sein, erschloss er aufs Neue eine Reihe von Botschaften des Evangeliums, die er ein Leben lang verkündete und die heute in Kirche und Gesellschaft weit über die Grenzen der von ihm gegründeten Institution hinaus bekannt sind: die Suche nach der Heiligkeit – der Begegnung mit Christus – in den alltäglichen Gegebenheiten von Arbeit, Familie und gesellschaftlichen Beziehungen, die persönliche Freundschaft als Weg des Zusammenlebens und der Evangelisierung, der Wert von Freiheit und Pluralismus sowie die entscheidende Rolle der Laien in der Sendung der Kirche und Vitalisierung der modernen Welt.

Wenn man die vergangenen Jahrzehnte betrachtet, wird der Einfluss seiner Lehre in zahlreichen Bildungs- und Sozialinitiativen sichtbar, die zugunsten der verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen weltweit ins Leben gerufen wurden. Doch die tiefgreifendste Wirkung seiner Botschaft und seines Beispiels sehe ich darin, dass er hunderttausende Menschen ermutigt hat, Christus in den ganz gewöhnlichen Tätigkeiten jeden Tages zu begegnen. Hier zeigt sich, was Papst Franziskus die „Heiligen von nebenan“ nannte: Menschen, die auf stille Weise ihre Umgebung prägen, durch die Selbstverständlichkeit, mit der sie Gott nahe sind und seine Liebe mit vollen Händen weitergeben.

An der Hand der Päpste

Das Charisma, das der heilige Josefmaria von Gott empfangen hat, entfaltet sich heute weiterhin in konkreten Lebensgeschichten, Haltungen, Gesten und Initiativen. Um tiefer in den Kern seiner Botschaft im Dienst der Kirche einzudringen, möchte ich einige Gedanken der jüngeren Päpste heranziehen und als Leitfaden verwenden. Ich beginne mit Papst Johannes Paul I., der – noch als Patriarch von Venedig – schrieb: „Escrivá hat mit dem Evangelium in der Hand unentwegt gesagt: Christus möchte von uns nicht nur ein wenig Gutsein, sondern viel Gutsein. Und er will, dass wir dies nicht durch außergewöhnliche Taten erreichen, sondern durch gewöhnliche“ (Gazzettino di Venezia, 25.7.1978).

Seit 1928, als er seine Botschaft zu verbreiten begann, betonte der heilige Josefmaria, dass es, um Christus zu begegnen und die Welt zu evangelisieren, nicht notwendig sei, den Lebensstand, den Beruf oder das Umfeld zu wechseln oder außergewöhnliche Taten zu vollbringen. Es genügt, die gewöhnlichen Tätigkeiten mit der Liebe Gottes zu erfüllen. Es geht vor allem um eine innere Umgestaltung in Christus, die das Herz vollständig erfasst und die Seele ganz erfüllt (vgl. Mt 22,37; Lk 10,27). „Himmel und Erde scheinen sich am Horizont zu vereinigen“, sagte er gerne, „aber nein, meine Kinder, in euren Herzen ist es, wo sie eins werden, wenn ihr heiligmäßig euren Alltag lebt“ (Gespräche, Nr. 116). Und weiter ermutigte er uns, dass es dazu „nicht eines bequemen Lebens, sondern eines verliebten Herzens“ bedarf (Die Spur des Sämanns, Nr. 795).

Der heilige Papst Johannes Paul II. bezeichnete ihn am Tag seiner Heiligsprechung dann als den „Heiligen des Gewöhnlichen“ und sagte bei einer anderen Gelegenheit, er habe die Welt von heute „an den christlichen Wert erinnert, den die berufliche Arbeit in den gewöhnlichen Umständen eines jeden gewinnen kann“ (14.10.1993).

Ein heroisches Ideal des Dienstes

In einer hochtechnisierten Welt, in der digitale Vernetzung und künstliche Intelligenz dem Alltag und der Arbeitswelt zunehmend anonym ihre Regeln aufzwingen – worauf ein aktuelles Dokument der Deutschen Bischofskonferenz hinweist –, erinnert uns die Botschaft des heiligen Josefmaria daran, dass die Arbeit ein Mittel ist, um uns mit Gott zu vereinigen und unseren Mitmenschen zu helfen, ein Ort, an dem Liebe und Gerechtigkeit ineinander greifen. Abseits der Logik des Erfolgs zeigt sich das christliche Ideal der Arbeit im Dienst am Menschen – dies ist der wahre Wertmesser für die berufliche Tätigkeit eines Christen.

Der damalige Kardinal Joseph Ratzinger sagte anlässlich einer Danksagungsmesse zur Seligsprechung, dass Josefmaria Escrivá aufgerüttelt habe, indem er verkündete: „Nein, Heiligkeit ist nicht das Ungewöhnliche, sondern das Gewöhnliche – das Normale für jeden Getauften. Sie besteht nicht in unnachahmlichen Heroismen, sondern hat tausend Gestalten und kann an jedem Ort und in jedem Beruf Wirklichkeit werden“ (19.5.1992). Die gewöhnlichen Gegebenheiten heiligen, bedeutet dabei nicht, dass persönliche Schwächen verschwinden und alles gelingt. Der heilige Josefmaria sagte oft, dass er mehrmals am Tag die Rolle des verlorenen Sohnes einnehme. Denn auch das gehört zum Alltag: mit den eigenen Grenzen klarkommen und auf Gottes Erbarmen vertrauen, damit die Sünde uns nicht in uns selbst gefangen hält.

Ein besonders anschauliches Beispiel für diesen Dienst am Nächsten ist der Herbergswirt im Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Neben der beeindruckenden Geste des wohltätigen Reisenden wird sein Tun oft übersehen. Er übt lediglich seinen Beruf aus, und doch ist sein Beitrag entscheidend. Er erinnert uns daran, dass jede berufliche Tätigkeit ein Dienst an bedürftigen Menschen ist und jede rechtschaffene Tätigkeit eine Dimension der Liebe enthält, die wir nur zu entdecken brauchen.

Eine empfangene Gabe mit Zukunftsperspektive

In seinem Erlass Ad charisma tuendum erinnerte Papst Franziskus daran, dass „die Gabe des Geistes, die der heilige Josefmaria empfangen hat“, dazu drängt, „den Ruf zur Heiligkeit in der Welt zu verbreiten, durch die Heiligung der Arbeit und der familiären und gesellschaftlichen Aufgaben“. Diese Botschaft ist universal und zukunftsoffen: für alle Menschen, an jedem Ort und zu jeder Zeit. Wir alle können Freunde Gottes sein, denn „die Dreifaltigkeit ist dem Menschen in Liebe zugetan“ (Christus begegnen, Nr. 84).

Aus dieser Freundschaft heraus wird unser Wirken „zum Frieden beitragen, zur Zusammenarbeit der Menschen, zur Gerechtigkeit, zur Vermeidung von Krieg, von Isolation, von nationalen und persönlichen Egoismen. Denn alle werden erkennen, dass sie zu der einen großen Menschheitsfamilie gehören (...). So werden wir mithelfen, diese Angst vor einer Zukunft voll brudermörderischer Zwietracht zu überwinden und in den Seelen und in der Gesellschaft den Frieden und die Eintracht zu stärken: die Toleranz, das Verständnis, den Umgang miteinander, die Liebe“ (Brief 3, Nr. 38a).

Fünfzig Jahre nach dem Heimgang des heiligen Josefmaria ist seine Botschaft in unseren Herzen lebendig und lädt uns dazu ein, Gott, der Kirche und der Gesellschaft zu dienen. Ich hoffe, wir werden es verstehen, diese Botschaft zu wahren, sie freudig umzusetzen und in den Dienst unserer Zeitgenossen zu stellen. Mit Papst Leo XIV. möchten wir als Christen an einer Kirche bauen, „die auf der Liebe Gottes gegründet und ein Zeichen der Einheit ist, an einer missionarischen Kirche, die ihre Arme der Welt gegenüber öffnet, die das Wort verkündet, die sich von der Geschichte herausfordern lässt und die zum Sauerteig der Eintracht für die Menschheit wird“ (18.5.2025).

Autor: Msgr. Fernando Ocáriz ist als dritter Nachfolger des heiligen Josefmaria seit 2017 Prälat des Opus Dei. 

(Foto: Fernando Ocáriz, Prälat des Opus Dei © Opus Dei)

Autorenkasten:

Monsignore Fernando Ocáriz ist als dritter Nachfolger des heiligen Josefmaria seit 2017 Prälat des Opus Dei. (Foto: Fernando Ocáriz, Prälat des Opus Dei © Opus Dei)

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Monsignore Fernando Ocáriz ist als dritter Nachfolger des heiligen Josefmaria seit 2017 Prälat des Opus Dei. (Foto: Fernando Ocáriz, Prälat des Opus Dei © Opus Dei)