Der Advent: Das Kommen des Herrn vorbereiten

Der Herr hat sich nicht aus der Welt zurückgezogen, er hat uns nicht allein gelassen. Der Advent ist eine Zeit, in der die Kirche ihre Kinder aufruft zu wachen, bereit zu sein, um Christus zu empfangen, der uns begegnet, der zu uns kommt.

Gottesmutter Maria, schwanger, liest die Hl. Schrift

„Allmächtiger Gott, hilf uns, dass wir auf dem Weg der Gerechtigkeit Christus entgegen- gehen und uns durch Taten der Liebe auf seine Ankunft vorbereiten, damit wir den Platz zu seiner Rechten erhalten, wenn er wiederkommt in Herrlichkeit“. Diese Worte des Tagesgebets des ersten Adventssonntags beschreiben sehr treffend den besonderen Charakter dieser Zeit, mit der das liturgische Jahr beginnt. Indem sie sich die Haltung der klugen Jungfrauen im Gleichnis des Evangeliums, die das Öl für die Hochzeit des Bräutigams bereit zu halten verstanden (1), zu Eigen macht, ruft die Kirche ihre Kinder auf zu wachen, um Christus, der vorbeigeht, der kommt, zu empfangen.

Zeit der Gegenwart

Der Wunsch dem Herrn entgegenzugehen, um sein Kommen vorzubereiten (2), stellt uns vor den griechischen Begriff parusía, der im Lateinischen mit adventus übersetzt wird und von dem das Wort Advent stammt. Tatsächlich kann adventus mit „Gegenwart“, „Ankunft“, „Kommen“ übersetzt werden. Es handelt sich übrigens nicht um ein von den Christen geprägtes Wort: In der Antike wurde es im profanen Bereich verwendet, um den ersten offiziellen Besuch einer wichtigen Persönlichkeit – des Königs, des Kaisers oder eines ihrer Funktionäre – anlässlich ihrer Machtübernahme zu bezeichnen. Es konnte auch auf das Kommen der Gottheit hinweisen, die aus ihrer Verborgenheit heraustritt, um sich machtvoll zu zeigen, oder die im Kult gefeiert wird. Die Christen verwendeten den Begriff, um ihre Beziehung mit Jesus Christus auszudrücken: Jesus ist der König, der in diese arme „Provinz“, unsere Erde, eingetreten ist, um alle zu besuchen; ein König, der alle, die an ihn glauben, alle, die sich seiner Gegenwart unter uns sicher sind, zur Teilnahme am Fest seines Advents einlädt.

Wenn die Christen adventus sagen, bestätigen sie einfach, dass Gott hier ist: der Herr hat sich nicht von der Welt zurückgezogen, er hat uns nicht allein gelassen. Auch wenn wir ihn nicht, wie es bei sinnfälligen Wirklichkeiten der Fall ist, sehen oder berühren können, so ist er hier und besucht uns auf vielfältige Weise: bei der Lesung der Heiligen Schrift; in den Sakramenten, besonders in der Eucharistie; im liturgischen Jahr; im Leben der Heiligen; in so vielen, mehr oder weniger prosaischen Begebenheiten des Alltags; in der Schönheit der Schöpfung… Gott liebt uns, er kennt unseren Namen, alle unsere Angelegenheiten interessieren ihn, und er ist immer an unserer Seite gegenwärtig. Diese Gewissheit seiner Gegenwart, die uns die Liturgie des Advents diskret, aber beständig in diesen Wochen vor Augen führt – Entwirft sie nicht ein neues Bild dieser Welt? „In dieser Gewissheit, die uns der Glaube verleiht, sehen wir unsere Umgebung mit anderen Augen und bemerken, dass zwar alles gleichgeblieben und trotzdem ganz anders ist, denn alles ist Ausdruck der Liebe Gottes“ (3).

Ein dankbares Gedächtnis

Der Advent lädt uns ein, in Stille innezuhalten, um die Gegenwart Gottes zu erfassen. Es sind Tage, um mit Worten des heiligen Josefmaria von neuem zu betrachten: „Man muss sich klar machen, dass Gott dauernd bei uns ist. - Wir leben, als ob der Herr fern wäre, dort, wo die Sterne leuchten, und wir bedenken nicht, dass Er auch immer an unserer Seite ist. Er ist da wie ein liebender Vater. Jeden einzelnen von uns liebt Er mehr, als alle Mütter der Welt ihre Kinder lieben können. Er ist da, helfend, leitend, segnend... und verzeihend“ (4).

Wenn wir uns von dieser Tatsache durchtränken lassen, wenn wir sie in dieser Zeit des Advents oft betrachten, werden wir uns angetrieben fühlen, uns im Gebet mit Vertrauen an ihn zu wenden, und zwar oftmals während des Tags; wir werden mit ihm alles, was uns leiden lässt und traurig macht, besprechen, ebenso unsere Ungeduld und die Fragen, die wir in unserem Herzen tragen. Das ist eine gute Gelegenheit, um in unserem Inneren die Sicherheit wachsen zu lassen, dass er uns immer anhört. „Zu dir, Herr, erhebe ich meine Seele. Mein Gott, dir vertraue ich, lass mich nicht scheitern“ (5).

Wir werden auch verstehen, dass die manchmal unerwarteten Ereignisse, die jeder Tag mit sich bringt, ganz persönliche Anrufe Gottes an uns sind, Zeichen, dass er jeden von uns aufmerksam anblickt. Oft pflegen wir zu sehr auf die Probleme, auf die Schwierigkeiten, zu achten, und manchmal fehlt uns dann die Kraft, so viele schöne und gute Dinge, die der Herr uns schickt, wahrzunehmen. Der Advent ist eine Zeit, um häufiger zu betrachten, wie er uns bei Schicksalsschlägen in unserem Leben beschützt, geführt und geholfen hat; um ihn für alles, was er für uns getan hat und weiter tut, zu loben.

Diese Aufmerksamkeit und Wachsamkeit in Bezug auf die Gunsterweise unseres himmlischen Vaters äußert sich in Danksagungen. So entwickelt sich in uns ein Gedächtnis des Guten, das uns sogar in dunklen Stunden der Schwierigkeiten, der Probleme, der Krankheit, des Schmerzes hilft. Der Papst schreibt: „Die Freude der Verkündigung erstrahlt immer auf dem Hintergrund der dankbaren Erinnerung: Es ist eine Gnade, die wir erbitten müssen“ (6). Der Advent lädt uns gleichsam ein, ein inneres Tagebuch dieser Liebe Gottes zu uns zu schreiben. „Wenn ihr an die Umstände denkt – sagte der heilige Josefmaria -, die eure Entscheidung, euch für ein echtes Leben aus dem Glauben einzusetzen, begleitet haben, dann werdet ihr - wie ich - dem Herrn sehr viel danken, in der aufrichtigen Überzeugung - ohne falsche Demut -, dass es kein eigenes Verdienst war“ (7).

Gott kommt

Dominus veniet! (8) Gott kommt! Dieser kurze Ausruf eröffnet die Zeit des Advents und er-klingt besonders in diesen Wochen und dann während des ganzen liturgischen Jahres. Gott kommt! Das bedeutet nicht einfach, dass Gott gekommen ist, es geht nicht um etwas Vergangenes; noch ist es bloß eine Ankündigung, dass Gott kommen wird, in einer Zukunft, die keine besondere Bedeutung für unser Heute und Jetzt hat. Gott kommt: Es geht um eine Tat, die ständig aktuell ist; um etwas, das ständig geschieht, es geschieht jetzt und wird im Laufe der Zeit weiterhin geschehen. „Gott kommt“ in jedem Moment, in jedem Augenblick der Geschichte sagt der Herr: „Mein Vater ist noch immer am Werk, und auch ich bin am Werk“ (9).

Der Advent lädt uns ein, uns dieser Wahrheit bewusst zu werden und ihr entsprechend zu handeln. „Die Stunde ist gekommen, aufzustehen vom Schlaf“; „Wacht und betet allezeit“; „Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Seid wachsam!“ (10). Das sind Aufforderungen der Heiligen Schrift in den Lesungen des ersten Adventsonntags, die uns an dieses ständige Kommen, adventus des Herrn, erinnern. Nicht gestern, nicht morgen, sondern heute, jetzt. Gott ist nicht nur im Himmel gegenwärtig, an uns und unserer Geschichte uninteressiert; nein, er ist der Gott, der kommt. Die aufmerksame Betrachtung der Texte der Adventliturgie hilft uns, uns so vorzubereiten, dass wir seine Gegenwart bemerken.

Für die Kirchenväter konzentriert sich das ständige „Kommen“ Gottes auf die beiden haupt-sächlichen Ankünfte Christi: auf seine Menschwerdung und auf seine glorreiche Wiederkunft am Ende der Geschichte (11). Die Adventzeit entfaltet sich zwischen diesen beiden Polen. In den ersten Tagen wird besonders die Erwartung des letzten Kommens des Herrn am Ende der Zeiten betont. Und je näher Weihnachten rückt, desto mehr eröffnet sich der Weg zum Gedächtnis des Ereignisses von Betlehem, in dem die Fülle der Zeit erkannt wird. „Aus diesen beiden Gründen offenbart sich der Advent als Zeit einer frommen und freudigen Erwartung“ (12).

Die erste Adventpräfation fasst dieses doppelte Motiv zusammen: „In seinem ersten Kommen hat er sich entäußert und ist Mensch geworden. So hat er die alte Verheißung erfüllt und den Weg des Heils erschlossen. Wenn er wiederkommt im Glanz seiner Herrlichkeit, werden wir sichtbar empfangen, was wir jetzt mit wachem Herzen gläubig erwarten“ (13).

Tage der Erwartung und der Hoffnung

Ein grundlegendes Kennzeichen des Advents ist daher die Erwartung; aber eine Erwartung, die der Herr in Hoffnung verwandelt. Die Erfahrung zeigt uns, dass wir unser ganzes Leben lang hoffen: Wenn wir Kinder sind, wollen wir wachsen; in der Jugend sehnen wir uns nach einer großen Liebe, die uns erfüllt; als Erwachsene suchen wir die Verwirklichung im Beruf, den bestimmenden Erfolg für den Rest unseres Lebens; im fortgeschrittenen Alter sehnen wir uns nach der verdienten Erholung. Wenn sich diese Hoffnungen erfüllen, aber auch wenn sie scheitern, bemerken wir, dass das in Wirklichkeit nicht alles war. Wir brauchen eine Hoffnung, die über das hinausgeht, was wir uns vorstellen können, die uns überrascht. Auch wenn uns Tag für Tag mehr oder weniger kleine Hoffnungen auf unserem Weg Halt geben, so reichen uns all diese Hoffnungen nicht ohne die eine große Hoffnung, die aus der Liebe kommt, und die der Heilige Geist in unser Herz gesenkt hat (14), das sich nach dieser Liebe sehnt.

Der Advent regt uns dazu an, Fragen zu stellen: Was erhoffen wir? Was ist unsere Hoffnung? Oder auch tiefergehende: Welchen Sinn hat meine Gegenwart, heute und jetzt? „Wenn die Zeit nicht von einer mit Sinn beladenen Gegenwart erfüllt ist – sagte Benedikt XVI. -, kann das Warten unerträglich werden; wenn man etwas erwartet, aber es in diesem Moment nichts gibt, das heißt, wenn die Gegenwart leer ist, dann scheint jeder vorübergehende Augenblick übertrieben lang, und das Warten wird zu einer zu großen Last, weil die Zukunft ganz unsicher ist. Wenn dagegen die Zeit mit Sinn beladen ist, und wir in jedem Moment etwas Spezifisches und Positives wahrnehmen, dann macht die Freude der Erwartung die Gegenwart wertvoller“ (15).

Eine Krippe für unseren Gott

Unsere heutige Zeit erhält ihren Sinn dadurch, dass der Jahrhunderte lang erwartete Messias in Betlehem geboren wird. Gemeinsam mit Maria und Josef und mit der Hilfe unserer Schutzengel erwarten wir ihn mit erneuerter Begeisterung. Indem Christus zu uns kommt, bietet er uns das Geschenk seiner Liebe und seines Heils an. Für die Christen ist die Hoffnung durch eine Gewissheit lebendig: der Herr ist in unserem ganzen Leben gegenwärtig, in der Arbeit und in den alltäglichen Beschäftigungen; er begleitet uns und einmal wird er auch unsere Tränen trocknen. Eines - nicht allzu fernen - Tages wird alles im Reich Gottes, dem Reich der Gerechtigkeit und des Friedens seine Erfüllung finden. „Die Zeit des Advents schenkt uns wieder den Horizont der Hoffnung, einer Hoffnung, die nicht enttäuscht, weil sie auf das Wort Gottes gegründet ist. Einer Hoffnung, die nicht enttäuscht, einfach, weil der Herr niemals enttäuscht“ (16).

Der Advent ist eine Zeit des Gegenwärtigen und der Erwartung des Ewigen; eine Zeit der Freude, einer inneren Freude, die durch nichts verloren gehen kann: „Ich werde euch wieder sehen; dann wird euer Herz sich freuen, und niemand nimmt euch eure Freude“ (17), verheißt Jesus seinen Jüngern. Der Jubel im Moment der Erwartung ist eine tief christliche Haltung, die wir in der heiligsten Jungfrau ausgeprägt sehen: vom Augenblick der Verkündigung an „trug ihn die jungfräuliche Mutter voll Liebe in ihrem Schoß“ (18). Deshalb lehrt sie uns auch, das Kommen des Herrn ohne Unruhe zu erwarten und uns zugleich innerlich auf diese Begegnung vorzubereiten, mit dem sehnlichen Verlangen, „mit dem Herzen für unseren Gott eine Krippe zu bauen“ (19).

Juan José Silvestre


(1) Vgl. Mt 25,1ff.

(2) Vgl. 1 Thess 5,23.

(3) Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 144

(4) Ders., Der Weg, Nr. 267.

(5) Römisches Messbuch, 1. Adventssonntag, Eröffnungsvers, vgl. Ps 25,1-2.

(6) Franziskus, Apost. Schreiben Evangelii Gaudium, 24.11.2013, Nr. 13.

(7) Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 1.

(8) Vgl. Römisches Messbuch, Dienstag der 1.-3. Wochen des Advents, Eröffnungsvers. Vgl. Sach 14,5.

(9) Joh 5,17.

(10) Röm 13,11; Lk 21,36; Mk 13,37.

(11) Vgl. hl. Cyrill von Jerusalem, Katechesen15,1: PG 33, 870 (2. Lesung der Lesehore des 1. Adventssonntags).

(12) Römisches Kalendarium, allgemeine Normen, Nr. 39.

(13) Römisches Messbuch, Präfation vom Advent I.

(14) Vgl. Röm 5,5.

(15) Benedikt XVI., Homilie zur 1. Vesper des 1. Adventssonntags.

(16) Franziskus, Angelus, 1.12.2013.

(17) Joh 16,22.

(18) Römisches Messbuch, Präfation vom Advent II.

(19) Aufzeichnungen von einer Betrachtung, 25.12.1973 (AGP, biblioteca, P09, S. 199). Ver-öffentlicht in Àlvaro del Portillo, Caminar con Jesús. Al compás del año litúrgico, Ed. Cristiandad, Madrid 2014, S. 21.