NOCH LIEGT Dunkelheit über Jerusalem. Es wird noch dauern, bis die Morgensonne die Mauern, den Tempel und die Türme der Festung in goldenes Licht taucht. Doch Maria Magdalena und andere Frauen sind bereits unterwegs, in aller Frühe, in Richtung Kalvarienberg, im Nordwesten der Stadt. Die Straßen liegen verlassen. Der Tod Jesu scheint die Welt für immer verfinstert zu haben: Nie mehr wird die Sonne so scheinen wie einst, als der Meister noch unter ihnen weilte. Aber weder die Dunkelheit noch die Wache vor dem Grab noch die Tatsache, dass Christus bereits seit drei Tagen tot ist, hält sie zurück. Sie wissen noch nicht, wer ihnen den Stein vom Grab wegwälzen wird – doch deswegen zu Hause zu bleiben? Das kommt für sie nicht in Frage. Sie kommen an den Gassen und Plätzen vorbei, durch die Jesus gegangen ist; ihr Herz erzittert erneut, doch sie geben der Angst nicht nach.
„Mich rührt der Glaube dieser Frauen“, sagte der heilige Josefmaria, „und er ruft mir so viel Gutes von meiner Mutter in Erinnerung, wie ihr euch auch an viel Großartiges von euren Müttern erinnern werdet … Jene Frauen wussten, dass das Grab von Soldaten bewacht und mit einem Stein verschlossen war; doch sie kaufen, was sie brauchen, und gehen bei Tagesanbruch hin, um den Leichnam des Herrn zu salben ... Dazu braucht es Mut! (...). Als sie zum Grab kamen, sahen sie, dass der Stein schon weggewälzt war (Mk 16,4). So ist es immer: Wenn wir uns entschließen, zu tun, was wir sollen, sind die Schwierigkeiten leicht zu überwinden.“1 Einer solchen Liebe kann Gott nicht widerstehen. Und so teilt er ihnen durch einen weißbekleideten jungen Mann die beste aller Nachrichten mit.
„Resurrexi et adhuc tecum sum – Ich bin erstanden und bin immer bei dir.“ Mit diesen den Psalmen entlehnten Worten (vgl. Ps 139,18) hebt die Liturgie des Ostertages seit ältesten Zeiten an. Sie „sieht darin das erste Wort des Sohnes an den Vater nach der Auferstehung, nach der Rückkehr aus der Nacht des Todes in die Welt der Lebenden. Die Hand des Vaters hat ihn auch in dieser Nacht gehalten, und so konnte er aufstehen, auferstehen.“ Dieses Wort, so predigte Papst Benedikt, richtet der Auferstandene nun aber auch an jeden von uns: „Ich bin auferstanden und bin nun immer bei dir. Meine Hand hält dich. Wohin du auch fällst, du fällst in meine Hände. Auch an der Tür des Todes bin ich da. Dort, wo niemand mehr mit dir gehen kann und wohin du nichts mitnehmen kannst, warte ich auf dich und mache dir die Finsternis zu Licht.“2
DIE FRAUEN eilen aufgelöst, aber freudig zum Abendmahlssaal, um den Aposteln zu berichten, was sie gesehen und gehört haben. Diesen erscheint verrückt, was sie aus dem Mund dieser Frauen vernehmen, die außer Atem sind und weinen und jubeln zugleich. Auch wenn das Gehörte sie nicht überzeugt, wollen Petrus und Johannes über ihren Meister dennoch genau Bescheid wissen, und so machen sie sich auf den Weg: Sie liefen beide zusammen, aber weil der andere Jünger schneller war als Petrus, kam er als Erster ans Grab (Joh 12,4). Wir wollen mit ihnen laufen und Johannes noch schlagen. Was ist, wenn das, was die Frauen sagen, wahr ist? Was ist, wenn Jesus getan hat, was er verheißen hat? Während sie durch die Straßen eilen und der Tag anbricht, wächst die Hoffnung in den Herzen dieser zwei Apostel.
Richten wir mit Papst Franziskus unseren Blick auf den heiligen Petrus. Er „blieb nicht sitzen, um zu grübeln, er schloss sich nicht ein wie die anderen, ließ sich weder von der dumpfen Schwere jener Tage noch von seinen Zweifeln überwältigen, aber auch nicht von seinen Gewissensbissen, der Angst und dem ständigen, zwecklosen Gerede lähmen. Er suchte nicht sich selbst, er suchte Jesus. (...). Dies war der Anfang der ,Auferstehung‘ des Petrus, die Auferstehung seines Herzens. Er überließ der Traurigkeit und der Finsternis nicht das letzte Wort, sondern öffnete sich für die Hoffnung: Er ließ zu, dass Gottes Licht in sein Herz eintrat.“3
Sollten wir wie Petrus Jesus einmal verleugnet haben, wollen wir ihm wie dieser auch wieder nahe sein: „Es ist Zeit, uns zu erneuern, meine Kinder“, sagte der heilige Josefmaria. „Heiligkeit ist das: jeden Tag neu geboren werden, jeden Tag neu beginnen. Mach dir keine Sorgen über deine Fehler, wenn du den guten Willen hast, neu anzufangen ... All deine Schwächen, all die Hindernisse, die deinen Weg erschweren – leg sie Jesu zu Füßen, damit er triumphieren kann. Und du mit ihm. Auch das ist Auferstehung: die tägliche Entscheidung, aufzustehen, sich zu erneuern, über sich hinauszuwachsen. Ein stiller Sieg der Gnade – Zeichen dafür, dass wir auf dem Weg sind zu unserem Ziel: der Liebe.“4
MARIA, die Mutter Jesu, ist heute morgen nicht zum Grab gegangen. Sie ist zu Hause geblieben und lächelt vielleicht innerlich. Niemand außer ihr hat sich mit dem Plan von Gott Vater jemals wirklich identifizieren können; die anderen hatten noch nicht die Schrift verstanden, dass er von den Toten auferstehen müsse (Joh 20,9). Maria war es gewohnt, die Worte Jesu in ihrem Herzen zu bewahren: Seit dem leidvollen und doch befreienden vergangenen Freitag suchte sie sich auf all das Wunderbare zu besinnen, das Jesus gesagt und getan hatte. Möglicherweise brachen die geheimnisvollen Worte Jesu über die Auferstehung am dritten Tag in ihrem Herzen auf. Nichts an ihrem Sohn konnte sie noch überraschen.
Der Karfreitag und die Auferstehung Jesu geben unserem Leben auch nach mehr als zweitausend Jahren Kraft und Sinn. Der heilige Josefmaria ermuntert uns: „Alle Dinge dieser Erde haben die Bedeutung, die wir ihnen geben wollen. Nichts, was hier auf Erden geschieht, wird uns erschüttern, wenn wir in Gott geborgen sind. Wenn wir, aufgrund unserer Schwachheit und unserer Irrtümer, Kleinigkeiten hochspielen und darunter leiden, dann weil wir es so wollen. Wenn wir uns dicht an den Herrn halten, sind wir sicher. Wenn wir mit dem Kreuz Christi, mit der Herrlichkeit der Auferstehung und dem Feuer des Pfingstfestes vereint sind, lässt sich alles überwinden.“5
Unsere Mutter ist heilig und stolz auf ihre neugeborenen, durch Ostern erneuerten Kinder. Sooft wir das Regina Coeli beten, werden wir ihr ein Lächeln entlocken. „Freue dich, Jungfrau Maria“, werden wir zu ihr sagen und uns dieser Freude anschließen, weil wir wissen, dass Jesus für immer bei uns geblieben ist.
1 Hl. Josefmaria, Betrachtung, 29.3.1959.
2 Benedikt XVI., Predigt, 7.4.2007.
3 Franziskus, Predigt, 26.3.2016.
4 Hl. Josefmaria, Betrachtung, 29.3.1959.
5 Ebd.