NACHDEM PAULUS und Barnabas auf ihrer ersten apostolischen Reise das Evangelium auf Zypern verkündet hatten, reisten sie nach Kleinasien weiter, um das Wort Gottes auch dort zu verbreiten. Sie gelangten nach Antiochia in Pisidien und gingen am Sabbat in die Synagoge. Der Vorsteher lud sie ein, das Gesetz und die Propheten auszulegen, und Paulus ergriff das Wort. Er begann seine Predigt mit einem Rückblick auf die Geschichte des auserwählten Volkes (vgl. Apg 13,16-22). Er schilderte, wie Gott die Israeliten mit hoch erhobenem Arm aus der Sklaverei befreite, sie durch die Wüste führte, bis sie ins Gelobte Land kamen, wie sie dort sesshaft wurden und ihnen Richter und Könige gegeben wurden, die sie leiten und beschützen sollten. Kurzum, Paulus zeigte auf, dass die Geschichte Israels eine Geschichte der göttlichen Erbarmungen ist.
Papst Franziskus kommentiert,1 dass die erste Predigt der Jünger nicht zufällig „historischer Art“ war. Denn auf diese Weise legten sie Zeugnis davon ab, dass die Verkündigung Christi kein punktuelles, auf einen bestimmten Zeitraum beschränktes Ereignis ist, sondern ein Weg, „den Gott zusammen mit seinem Volk gegangen ist“. Der Papst hält es für sehr aufschlussreich, „in der Geschichte zurückzugehen, um zu sehen, wie Gott uns gerettet hat“. Er empfiehlt auch uns, „mit Herz und Verstand den Weg der Erinnerung zu gehen“, und so zu Jesus zu gelangen. Wir, das neue Gottesvolk, werden heute in der Messe den Psalm beten: Von der Huld des Herrn will ich ewig singen, von Geschlecht zu Geschlecht mit meinem Mund deine Treue verkünden (Ps 89,2). Trotz des zeitweisen Widerstands des Volkes gegenüber dem Glauben und dem Bund zog Gott seine schützende Hand nicht zurück.
Der Bund ist jedoch vor allem zukunftsgerichtet. Ausgehend vom König David schlägt Paulus einen Bogen in die Gegenwart: Aus seinem Geschlecht hat Gott dem Volk Israel, der Verheißung gemäß, Jesus als Retter geschickt (Apg 13,23). In Jesus Christus, dem Gesalbten des Vaters, erreicht Gottes Barmherzigkeit ihren Gipfel. In ihm sieht die Menschheit ihre tiefsten Sehnsüchte erfüllt. Auch unsere eigene Geschichte führt zum auferstandenen Christus. Er zieht uns an sich, um uns die Erbarmungen Gott Vaters in unserer Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu offenbaren.
IN DER HEUTIGEN MESSE hören wir auch noch einen kurzen Bericht über das letzte Abendmahl. Nachdem der Herr seinen Jüngern die Füße gewaschen hat, erinnert er die Apostel daran, dass er in seinen Gesandten gegenwärtig bleiben wird (vgl. Joh 13,16.20). Es ist das wunderbare Geheimnis der gegenseitigen Durchdringung zwischen Christus und seinen Jüngern. Und Gott handelt so weiterhin in der Welt. Dies mag uns zu erhaben und jenseits unserer Möglichkeiten zu liegen scheinen, doch die göttliche Gnade kann es bewirken. Gerade in diesem Sinne ist die Geste der Fußwaschung beredt: Es ist der Herr, der uns reinigt, der uns befähigt, das Evangelium mit neuem Vertrauen und angestoßen von seiner Sanftheit und Liebe weiter zu verkünden.
Amen, amen, ich sage euch: Wer einen aufnimmt, den ich senden werde, nimmt mich auf; wer aber mich aufnimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat (Joh 13,20). Wir sind Christus-Träger. Durch Wort und Werke der Christen erreicht die Barmherzigkeit Gottes weiterhin zahlreiche Menschen. Es stimmt, dass es in uns allen Dinge gibt, die das Glas trüben, durch welches das Licht der Barmherzigkeit fällt. Doch wird gerade auch in unserem Verlangen, neu zu beginnen und erneut die Vergebung des Herrn zu suchen, die Güte des himmlischen Vaters deutlich. Wie Papst Franziskus sagt: „Die Kirche ist ein Volk von Sündern, die die Barmherzigkeit und die Vergebung Gottes erfahren.“2
Der Prophet Jesaja ließ seine Lippen zur Entsühnung von einem Engel mit einer brennenden Kohle berühren, bevor er zum Volk Israel gesandt wurde (vgl. Jes 6,6-9). Und wir erinnern uns daran, dass wir, um die Botschaft des Evangeliums richtig zu verkünden, die reinigenden Quellen aufsuchen sollen, insbesondere das Sakrament der Versöhnung. So werden wir die Barmherzigkeit Gottes bezeugen, die wir bereits an uns selbst erfahren haben. Das Drama, das darin besteht, die Barmherzigkeit nicht begreifen zu können, erlebte Jesus bei den Schriftgelehrten. „Sie haben nicht verstanden“, sagt Papst Franziskus, „weshalb er nicht zuließ, dass die Ehebrecherin gesteinigt wurde, und warum er mit den Zöllnern und den Sündern zu Tisch ging.“ Und so bitten wir den Herrn gemeinsam mit dem Heiligen Vater, er möge uns begreifen lassen, „wie sein Herz beschaffen ist, was ,Barmherzigkeit‘ bedeutet und was er meint, wenn er sagt: ,Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer.‘“3
DER SKLAVE ist nicht größer als sein Herr und der Abgesandte ist nicht größer als der, der ihn gesandt hat. Wenn ihr das wisst – selig seid ihr, wenn ihr danach handelt (Joh 13,17). Jesus gab seinen Aposteln ein Beispiel der Hingabe und des Dienstes. Von Gottes Gnade getragen gaben auch sie sich für ihre Mitmenschen hin und verkündeten unermüdlich, dass Jesus lebt. Unser uneigennütziger Dienst ermöglicht es uns, die Barmherzigkeit Gottes zu vielen Menschen zu bringen, und führt uns dazu, andere entsprechend ihrer Würde als Kinder Gottes zu behandeln. Paulus bittet die Philipper, eines Sinnes zu sein, einander in Liebe zugetan, einmütig und einträchtig und nichts aus Streitsucht und nichts aus Prahlerei zu tun. Sondern in Demut schätze einer den andern höher ein als sich selbst (Phil 2,3-4). Und er erinnert sie daran, dass Jesus Gott gleich war, aber nicht daran fest hielt, Gott gleich zu sein, sondern sich entäußerte und wie ein Sklave wurde (Phil 2,6-7).
Es ist die Liebe, die uns den anderen freudig dienen lässt. So wollte der heilige Josefmaria, dass die Preces des Werkes mit Serviam! – Ich will dienen! – beginnen und wir so unsere Bereitschaft zur Hingabe voll übernatürlicher Begeisterung bekunden. Er schrieb: „Wenn wir Christus in unserer Seele herrschen lassen, werden wir uns nie als Herren aufspielen, sondern Diener aller Menschen sein. Dienen. Wie sehr gefällt mir dieses Wort; meinem König dienen und durch ihn allen, die durch sein Blut erlöst sind. Verstünden wir Christen es doch, zu dienen! Vertrauen wir jetzt dem Herrn unseren Entschluss an, lernen zu wollen, wie man dient, denn nur dienend werden wir fähig sein, Christus zu kennen und zu lieben; nur dann werden wir andere Menschen zu ihm führen und erreichen, dass auch sie ihn lieben.“4
Im Leben der Gottesmutter sehen wir, wie sich das Wirken der Barmherzigkeit des Herrn in Dienst verwandelt. Sie eilt direkt nach der Verkündigung zu ihrer Cousine Elisabeth, um ihr zu helfen. Und in diesem Moment der Hingabe bricht sie in freudigen Jubel aus und bezeugt das Handeln Gottes, denn er erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht über alle, die ihn fürchten (Lk 1,50).
1 Franziskus, Tagesmeditation, 21.4.2016.
2 Franziskus, Generalaudienz, 9.8.2017.
3 Franziskus, Tagesmeditation, 6.10.2015.
4 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 182.