DEN in der Heiligen Schrift enthaltenen Berufungsgeschichten ist vieles gemeinsam, unter anderem das Missverhältnis zwischen den menschlichen Qualitäten des Berufenen und der Aufgabe, die Gott ihm anvertraut. Auf den ersten Blick scheint es sich um keine gute Wahl zu handeln. Doch dem Herrn geht es weniger um Äußerlichkeiten als um eine Facette, die oft unbemerkt bleibt: die Einfachheit des Herzens. Das ist es, was den Boden, auf den der göttliche Same fällt, zu einem guten Boden macht und was Frucht bringt (vgl. Mt 13,9): Der Berufene weiß, dass sein Wachstum nicht so sehr von seinem Tun abhängt, sondern davon, dass er Gott gewähren lässt. „Du erkennst, dass du armselig bist“, schrieb der heilige Josefmaria. „Und du bist es. – Trotz allem, mehr noch: gerade deshalb, hat Gott dich gesucht. Er verwendet immer unzulängliche Werkzeuge, damit man sieht, dass das ,Werk‘ seines ist. Von dir verlangt er nur, dass du dich fügst.“1
„Der hochmütige Mensch“ hingegen, so predigte Papst Franziskus, „ist derjenige, der glaubt, viel mehr zu sein, als er wirklich ist; derjenige, der vor Freude bebt, wenn er als den anderen überlegen erkannt wird, der immer seine eigenen Verdienste gewürdigt sehen will und andere verachtet.“2 In den Evangelien sehen wir, dass Jesus Menschen, die zu selbstsicher sind, „das Heilmittel der Demut verabreicht. Das lehrt uns, dass das Heil nicht in unserer eigenen Hand liegt, sondern ein Geschenk ist, das Gott uns machen will.“3
Im Umgang mit unseren Mitmenschen können wir eine Reihe von Haltungen entwickeln, die uns helfen, ein einfaches Herz zu kultivieren: mit Gelassenheit und Dankbarkeit reagieren, wenn wir korrigiert werden, die positiven Aspekte der anderen wahrnehmen, eigene und fremde Fehler mit Humor nehmen, oder die Gaben erkennen, die der Herr uns geschenkt hat ... So wird unser Leben der gute Boden sein, auf dem der göttliche Same wachsen kann, denn Gott tritt den Stolzen entgegen, den Demütigen aber schenkt er Gnade (Jak 4,6).
MANCHMAL kommt es vor, dass die von Gott Berufenen das Unverständnis der anderen erfahren. Mose musste die Kritik und das Murren seines Volkes ertragen, als es in der Wüste Schwierigkeiten durchlebte. Jeremia schlug Verachtung entgegen, als er zur Umkehr aufrief. Gottes Gegenwart zu verkündigen kann auch heute eine Mühsal bedeuten. Der Christ weiß jedoch, dass er nicht allein ist. Er verbreitet keine Ideologie oder verkauft kein Produkt, sondern verkündet ein Wort, das ihn übersteigt und transzendiert, das Hoffnung und Frieden bringt und eine Antwort ist auf die tiefsten Sehnsüchte des Menschen.
Der Christ äußert sich vor allem, mehr als mit Worten, durch das Zeugnis seines Lebens. Das Samenkorn, das wir in der Taufe empfangen haben, trägt jeden Tag auf diskrete und natürliche Weise Früchte, durch die Freundschaft und Fürsorge für andere. Der heilige Josefmaria schrieb: „Wenn wir uns umschauen in dieser Welt, die wir lieben, weil sie ein Werk Gottes ist, stellen wir fest, dass sich das Gleichnis bewahrheitet: Das Wort Jesu Christi ist fruchtbar, es weckt in vielen Seelen den Wunsch nach Hingabe und Treue. Das Leben und Verhalten derer, die Gott dienen, hat die Geschichte verändert. Selbst viele, die den Herrn nicht kennen, richten sich – vielleicht unbewusst … nach Idealen, die dem Christentum entstammen.“4
Das Wissen, dass wir von Gott erwählt sind, und das Betrachten des Guten, das wir um uns herum säen können, wird uns helfen, die Schwierigkeiten zu überwinden, die auf uns zukommen können. Papst Franziskus ermutigt uns in diesem Sinn: „Die Aufgabe der Evangelisierung bereichert Herz und Sinn, eröffnet uns geistliche Horizonte, macht uns empfänglicher, um das Wirken des Heiligen Geistes zu erkennen, und führt uns aus unseren engen geistlichen Schablonen heraus. Gleichzeitig erfährt ein engagierter Missionar die Freude, eine Quelle zu sein, die überfließt und die anderen erfrischt. Missionar kann nur sein, wer sich wohl fühlt, wenn er das Wohl des anderen sucht, das Glück der anderen will. Diese Öffnung des Herzens ist ein Quell des Glücks, denn geben ist seliger als nehmen (Apg 20,35). Keiner hat ein besseres Leben, wenn er die anderen flieht, sich versteckt, sich weigert teilzunehmen, widersteht zu geben, sich in seine Bequemlichkeit einschließt.“5 Die Großzügigkeit hingegen belohnt Gott „mit einer Demut, die voller Freude ist“6.
„DER CHRIST weiß sich durch die Taufe Christus einverleibt und durch die Firmung befähigt, für Christus zu kämpfen; er weiß sich berufen, durch seine Teilhabe am königlichen, prophetischen und priesterlichen Amt Christi in der Welt zu wirken; er weiß sich eins mit Christus durch die Eucharistie“7, predigte der heilige Josefmaria. Durch die Sakramente werden wir zu dem gemacht, was Jesus ist: Priester, König und Prophet.8 Wir alle, Laien und Hirten, jeder auf seine Weise, haben Anteil an der Sendung der Kirche, die wahrer Ausdruck des dreifachen Amtes ist, das Christus für sein Volk ausübt.9
Einerseits weiht uns das allgemeine Priestertum und gibt uns die Fähigkeit, alles vor Gott zu bringen, indem wir ihm das Opfer unseres eigenen Lebens darbringen. Wie der heilige Paulus schreibt: Ob ihr also esst oder trinkt oder etwas anderes tut: Tut alles zur Verherrlichung Gottes! (1 Kor 10,31). Jede unserer Handlungen, von der unbedeutendsten bis zur wichtigsten, kann dem Herrn geopfert werden. Andererseits können wir auch an der königlichen Funktion Christi teilnehmen, der als Herr des Universums zum Diener aller wurde.10 Für den Christen „bedeutet herrschen dienen“11. König sein heißt nicht, zu befehlen, damit andere gehorchen. Mit Christus herrschen bedeutet, aus Liebe zu dienen, herrschen bedeutet, niederzuknien und den anderen die Füße zu waschen, wie Jesus es mit den Aposteln getan hat.
Schließlich hat der gläubige Christ auch Anteil am prophetischen Charakter Christi. Er ist vor allem dann ein Prophet, wenn er sein Verständnis des Glaubens vertieft und ein Zeuge Jesu inmitten dieser Welt wird.12 Der Prophet ist nicht derjenige, der die Zukunft ankündigt, sondern derjenige, der im Namen Gottes spricht, der anderen hilft, ihre eigene Geschichte und ihre Lebensumstände mit den Augen Gottes zu deuten. Durch die Taufe sind wir alle in diesem Sinne Propheten des Herrn, berufen, unseren Verwandten, Freunden und Bekannten die Schönheit seiner Liebe und Barmherzigkeit zu verkünden. Wir bitten die Jungfrau Maria, uns zu helfen, der Sendung, die Gott uns gegeben hat, treu zu sein, weil wir wissen, dass von unserem Ja „viele große Dinge abhängen“13.
1 Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 475.
2 Franziskus, Audienz, 6.3.2024.
3 Ebd.
4 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 150.
5 Franziskus, Evangelii Gaudium, Nr. 272.
6 Hl. Josefmaria, Im Feuer der Schmiede, Nr. 591.
7 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 106.
8 Vgl. Taufritus.
9 Vgl. Msgr. Fernando Ocáriz, Naturaleza, gracia y gloria, S. 241-260.
10 Vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 786.
11 II. Vatikanisches Konzil, Lumen gentium, Nr. 36.
12 Vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 785.
13 Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 755.