Jesus vertrauensvoll fragen
Über wenige Apostel wissen wir so viel wie über Andreas, den Bruder des Petrus. Er stammte aus Betsaida, wohnte in Kafarnaum und war Fischer. Fünfmal berichtet das Evangelium über Begebenheiten, in denen er eine Rolle spielt. An erster Stelle stehen die zwei entscheidenden Begegnungen mit dem Herrn (Joh 1, 35-39 und Mt 4, 18-19). Wir sehen ihn dann als realistischer Beobachter der Situation bei der Brotvermehrung in Galiläa: „Hier ist ein kleiner Junge, der hat fünf Gestenbrote und zwei Fische; doch was ist das für so viele!“ (Joh 6,9). Wir betrachten ihn als aufmerksamen Zuhörer, wenn ein Jünger Jesus auf die gewaltigen Mauern aufmerksam macht, die den Tempel trugen. „Siehst du diese großen Bauten? Kein Stein wird auf den andern bleiben.“ Andreas spürt den brennenden Wunsch, Genaueres zu wissen über das für ihn als frommen Israeliten Unvorstellbare: Den Zerfall des Tempels. Er wartet, bis man unter sich ist. Als Jesus „auf dem Ölberg saß, dem Tempel gegenüber, fragten ihn Petrus, Jakobus, Johannes und Andreas, die mit ihm allein waren: Sag uns, wann wird das geschehen, und an welchem Zeichen wird man erkennen, dass das Ende von all dem bevorsteht?“ (Mk 13,1–4). Jesus antwortet mit einer langen Rede in prophetisch bildhafter Sprache über die Zerstörung Jerusalems und über das Ende der Welt. Er forderte die Fragenden auf, die Zeichen der Zeit aufmerksam zu lesen und immer wachsam zu bleiben. Papst Benedikt kommentiert diese Stelle: „Aus dieser Begebenheit können wir schließen, dass wir keine Angst haben brauchen, Jesus Fragen zu stellen, dass wir jedoch gleichzeitig bereit sein müssen, die Lehren, die er uns erteilt, anzunehmen, auch die überraschenden und schwierigen.“ (Benedikt XVI Generalaudienz 14. Juni 2006)
Sehnsucht nach dem Messias
Das erste Auftreten des Andreas im Evangelium (vgl. Joh 1, 19-42) zeigt ihn als Jünger des Täufers Johannes. Wir ahnen aus dieser Nähe, dass er sich nach dem baldigen Kommen des verheißenen Messias sehnte. Er mag sich gefragt haben, was er zur Erfüllung dieser Sehnsucht beitragen könnte. Vielleicht war er anwesend, als die Abgesandten vom Tempel zum Täufer kamen und ihn fragten: „Wer bist du?“ Andreas muss mit wachen Sinnen jene Auseinandersetzung verfolgt haben, als Johannes nicht nur sagte, er sei nicht der Messias, sondern auch: „Mitten unter euch steht der, den ihr nicht kennt und der nach mir kommt.“
Wie faszinierend ist diese Aussicht für einen, der in der messianischen Erwartung lebt! Nahe bei einem Propheten sein, der nicht eine ferne Hoffnung ankündigt, sondern will, dass man die Augen öffnet und die Ohren spitzt.... Und dann „am Tag darauf“ - so heißt es im Evangelium weiter - hatte Johannes mit einem rätselhaften Wort auf einen gewissen Jesus von Nazaret - für Andreas noch ein Unbekannter - hingewiesen: „Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinweg nimmt.“ Vielleicht hat Andreas auch von diesem Zeugnis des Täufers erfahren und es hat seine Unruhe gesteigert.
Bald – „am Tag darauf“, heißt es wieder - wird er selbst ins Geschehen hineingezogen. „Da stand Johannes wieder dort, und zwei seiner Jünger standen bei ihm. Als Jesus vorüberging, richtete Johannes seinen Blick auf ihn und sagte: Seht, das Lamm Gottes!“ Zum zweiten Mal dieses Wort, jetzt aber konkret an die zwei Jünger bei ihm gerichtet.
Der Evangelist Johannes (er war der andere Jünger beim Täufer) genießt es, jene entscheidende Begegnung Geste für Geste zu schildern: Wie Andreas und er den Wink des Täufers durchschauen und Jesus folgen, wie Jesus sich umdreht, wie er sie anspricht, wie sie in ein Gespräch eintreten mit ihm. Wie leicht, sich in die Szene hineinzudenken! „Die beiden Jünger hörten, was er sagte, und folgten Jesus. Jesus aber wandte sich um, und als er sah, dass sie ihm folgten, fragte er sie: Was wollt ihr? Sie sagten zu ihm: Rabbi - das heißt übersetzt: Meister - wo wohnst du? Er antwortete: Kommt und seht!“
Drang zum Zeugnis
„Da gingen sie mit und sahen, wo er wohnte, und blieben jenen Tag bei ihm; es war um die zehnte Stunde.“ Andreas wird - wie Johannes, - sich die allererste der vielen Begegnung mit dem Meister tief eingeprägt haben: Es war um die zehnte Stunde... Der Augenblick einer großen Entscheidung, in der Gottes Gnade suaviter et fortiter wirkt, bleibt stets gegenwärtig - nicht in nostalgischer Ferne, sondern als stets präsent.
Mehr als sechzig Jahre waren vergangen, als Johannes über jene Begegnung schrieb.
Aus dem Ruf und der Tat der Nachfolge erwächst der Drang zum Zeugnis. Andreas war der erste der Apostel, der berufen wurde, Jesus nachzufolgen. Er war der erste, der sich apostolisch betätigte, ohne zu wissen, dass er zum „Apostel“, „Gesandten“ berufen worden war. Er gab einfach seine Erfahrung weiter. Wir ahnen ein wenig von der Erregtheit des Andreas nach dem kurzen Aufenthalt bei Jesus. Es drängt ihn, sich mitzuteilen. „Er traf zuerst seinen Bruder Simon und sagte zu ihm: Wir haben den Messias gefunden. Messias heißt übersetzt: der Gesalbte (Christus). Er führte ihn zu Jesus.“
Apostel der Griechen
Eine weitere Episode (Joh 12, 20-25) ereignet sich im Anschluss an den Einzug des Herrn in Jerusalem und wenige Tage vor seiner Passion. Unter den Pilgern, die beim Fest Gott anbeten wollten, waren auch einige Griechen anwesend. Sie wenden sich an Philippus: „Herr, wir möchten Jesus sehen. Philippus ging und sagte es Andreas; Andreas und Philippus gingen und sagten es Jesus“. Wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass im Gespräch mit diesen Griechen die zwei Jünger mit griechischem Namen einbezogen sind: Philippus, der „Pferdefreund“, und Andreas, der „Mannhafte, Tapfere“ werden wohl die Dolmetscher gewesen sein.
Der Evangelist sagt nichts mehr über diese Fremden, sondern nur über die Reaktion Jesu: „Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht wird. Amen, amen, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.“
Jesus sagt diese Worte „den beiden Jüngern und durch sie der griechischen Welt. (...) Jesus will sagen: Ja, die Begegnung zwischen mir und den Griechen wird stattfinden, aber nicht als einfaches kurzes Gespräch zwischen mir und einigen Menschen, die vor allem von der Neugier getrieben sind. Mit meinem Tod, der mit dem Fallen eines Weizenkorns in die Erde vergleichbar ist, wird die Stunde meiner Verherrlichung kommen. Von meinem Tod am Kreuz wird große Fruchtbarkeit ausgehen: Das ‚tote Weizenkorn’ – Symbol für mich als den Gekreuzigten – wird in der Auferstehung zum Brot des Lebens für die Welt werden; es wird Licht für die Völker und Kulturen sein. Ja, die Begegnung mit der griechischen Seele, mit der griechischen Welt wird in jener Tiefe verwirklicht werden, auf die die Geschichte vom Weizenkorn anspielt, das die Kräfte der Erde und des Himmels anzieht und zu Brot wird. Mit anderen Worten, Jesus prophezeit die Kirche der Griechen, die Kirche der Heiden, die Kirche der Welt als Frucht seines Pascha.“ (Benedikt XVI, Generalaudienz a.a.O.)
Sehr alte Überlieferungen sehen Andreas als Verkünder und Sprachrohr Jesu für die griechische Welt in den Jahren, die auf die Pfingstereignisse folgten. „Petrus, sein Bruder, gelangte von Jerusalem über Antiochia nach Rom, um hier seine universale Sendung auszuüben; Andreas hingegen war der Apostel der griechischen Welt: So erscheinen sie im Leben und im Tod als wirkliche Brüder – und das kommt symbolisch zum Ausdruck in der besonderen Beziehung der Bischofssitze von Rom und Konstantinopel, die wirklich Schwesterkirchen sind.“
Nach der Tradition soll der heilige Andreas im griechischen Patras den Kreuzestod am schrägen Kreuz erlitten haben. Sein Haupt, seit 1462 in der Peterskirche in Rom aufbewahrt, wurde 1964 von den versammelten Konzilsvätern verehrt und im Auftrag Papst Paul VI. dem orthodoxen Metropoliten der Stadt Patras in Griechenland zurückgegeben. Die Patriarchalkirche von Konstantinopel beruft sich auf Andreas, den Bruder des Petrus. „Der Apostel Andreas möge uns lehren, Jesus bereitwillig nachzufolgen (vgl. Mt 4,20; Mk 1,18), allen Menschen, denen wir begegnen, mit Begeisterung von ihm zu erzählen und vor allem eine Beziehung echter Vertrautheit mit ihm zu pflegen, im Bewusstsein, dass wir nur in ihm den letzten Sinn unseres Lebens und unseres Todes finden können.“ (Benedikt XVI a.a.O.)