14. Die Geschichte der Kirche

Die Kirche setzt die Sendung Christi in der Kirche fort und entfaltet sie unter dem Antrieb des Heiligen Geistes. In dieser Geschichte ist Göttliches und Menschliches miteinander verflochten.

1. Die Kirche in der Geschichte

Die Kirche lässt die Gegenwart Christi in der Geschichte der Menschheit fortdauern. Sie ist dem Sendungsauftrag treu, den Jesus vor seiner Himmelfahrt ausgesprochen hat: „Geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,19-20). Deshalb findet sich in der Geschichte der Kirche eine Verflechtung von göttlichen und menschlichen Elementen, die bisweilen schwer auseinanderzuhalten sind.

Tatsächlich treten, wenn man ihre Geschichte überblickt, Aspekte hervor, die auch für einen ungläubigen Beobachter überraschend sind:

a) Ihre Einheit in räumlicher und zeitlicher Hinsicht (Katholizität): Die katholische Kirche ist zwei Jahrtausende hindurch immer dasselbe Subjekt geblieben, mit derselben Lehre und denselben Wesenselementen: Einheit des Glaubens, der Sakramente, der Hierarchie (durch die apostolische Sukzession). In allen Generationen haben ihr außerdem Menschen der verschiedensten Völker und Kulturen aus allen Weltgegenden angehört.

b) Ihr missionarisches Wirken: Die Kirche hat zu allen Zeiten und an allen Orten auch unter den widrigsten Umständen die historischen Situationen zur Verkündigung des Evangeliums genutzt.

c) Sie hat es verstanden, in jeder Generation bei Menschen aller Völker und in allen Lebensumständen Früchte der Heiligkeit hervorzubringen;

d) Sie hat das erstaunliche Vermögen bewiesen, auch die schwersten Krisen zu überwinden.

2. Die Frühzeit des Christentums (bis zum Untergang des Weströmischen Reiches im Jahr 476)

Im 1. Jh. begann die Verbreitung des Christentums, zuerst unter der Führung des heiligen Petrus und der übrigen Apostel, dann unter ihren Nachfolgern. Die Zahl der Jünger Christi nahm laufend zu, vor allem innerhalb der Grenzen des Römischen Reiches. Zu Beginn des 4. Jhs. waren etwa 15% der Bevölkerung Christen, konzentriert vor allem in den Städten und im Osten des Reiches. Die neue Religion hatte aber auch schon jenseits der Reichsgrenzen Fuß gefasst: in Armenien, Arabien, Äthiopien, Persien und Indien.

Die römische Staatsmacht sah im Christentum eine Gefahr, weil es gegenüber dem Staat für die Personen Gewissensfreiheit forderte. Die Jünger Christi hatten unter wiederholten Verfolgungen zu leiden. Viele haben das Martyrium erlitten. Die letzte und grausamste Verfolgung ereignete sich zu Beginn des 4. Jhs. auf Befehl der Kaiser Diokletian und Galerius.

Im Jahr 313 gewährte Kaiser Konstantin I., der der neuen Religion wohlwollend gegenüberstand, den Christen die Freiheit, ihren Glauben zu bekennen, und leitete eine ihnen wohlgesinnte Politik ein. Unter Kaiser Theodosius I. (379-395) wurde das Christentum zur offiziellen Religion des Römischen Reiches. Damals – am Ende des 4. Jhs. – stellten die Christen bereits die Mehrheit der Bevölkerung.

Im 4. Jh. hatte die Kirche die schwere innere Krise des Arianismus zu bestehen. Arius, ein Priester aus Alexandrien in Ägypten, leugnete die Gottheit des Sohnes, den er nur als das erste der Geschöpfe, wenngleich über den anderen stehend, ansah. Auch die Gottheit des Heiligen Geistes wurde von den Arianern geleugnet. Diese doktrinelle Krise, in die auch die Kaiser wiederholt politisch eingriffen, dauerte mehr als 60 Jahre. Überwunden wurde sie durch die ersten beiden ökumenischen Konzilien von Nicäa (325) und Konstantinopel (381), die den Arianismus verurteilten, die Gottheit des Sohnes (consubstantialis Patri, griech. homo­ousios) und die Gottheit des Heiligen Geistes verkündeten und das Nicäno-konstantinopolitanische Symbolum (das Credo) formulierten. Der Arianismus lebte noch bis ins 7. Jh. weiter, da viele germanische Völker arianisch missioniert wurden. Erst nach und nach nahmen sie den katholischen Glauben an.

Im 5. Jh. traten zwei christologische Irrlehren auf, die die positive Wirkung hatten, dass die Kirche gezwungen war, ihre Lehre zu vertiefen und das Dogma genauer zu fassen. Die erste dieser Häresien ist der Nestorianismus, der in Christus de facto die Existenz von zwei Personen, nicht nur von zwei Naturen behauptet. Dieser Irrtum wurde auf dem Konzil von Ephesus (431) verurteilt, das die Einheit der Person Christi erneut bestätigte. Auf die Nestorianer gehen die ostsyrischen und malabarischen Kirchen zurück, die bis heute von Rom getrennt sind. Die andere Häresie ist der Monophysitismus, der faktisch die Existenz einer einzigen Natur, und zwar der göttlichen, in Christus behauptet. Er wurde auf dem Konzil von Chalcedon (451) verurteilt, das bekräftigte, dass es in Christus zwei Naturen gibt, die göttliche und die menschliche, die in der Person des Wortes geeint sind ohne Vermischung oder Veränderung (gegen den Monophysitismus) und ohne Teilung oder Trennung (ge­gen den Nestorianismus). Daher die vier Adverbien von Chalcedon: inconfuse, immutabiliter, indivise, in­separabiliter. Auf die Monophysiten gehen die koptische, die westsyrische, die armenische und die äthiopische Kirche zurück, die weiterhin von der katholischen Kirche getrennt sind.

In den ersten Jahrhunderten der Geschichte des Christentums kommt es zu einer Hochblüte der christlichen Literatur in Homiletik, Theologie und Spiritualität: die Werke der Kirchenväter, die große Bedeutung für die Rekonstruktion der Tradition besitzen. Die wichtigsten Kirchenväter des Westens sind Irenäus von Lyon, Hilarius von Poitiers, Ambrosius von Mailand, Hieronymus und Augustinus; im Osten Athanasius, Basilius, Gregor von Nazianz, Gregor von Nyssa, Johannes Chrysostomus, Cyrill von Alexandrien und Cyrill von Jerusalem.

3. Das Mittelalter (bis zur Entdeckung Amerikas durch Christoph Columbus im Jahr 1492)

Im Jahr 476 ging mit der Invasion mehrerer germanischer Völker das Weströmische Reich unter. Diese Stämme waren zum Teil Arianer, zum Teil Heiden. In den folgenden Jahrhunderten bestand die Aufgabe der Kirche in der Evangelisierung dieser Völker und im Beitrag zu ihrer Zivilisierung. Dann erfolgte die Missionierung der slawischen und der skandinavischen Völker sowie der Magyaren. Das frühe Mittelalter (bis zum Jahr 1000) war für Europa zweifellos eine schwierige Epoche, gekennzeichnet durch Gewalt im öffentlichen und gesellschaftlichen Leben und durch einen kulturellen und wirtschaftlichen Niedergang, der durch mancherlei Invasionen, die bis ins 10. Jh. andauerten, verursacht wurde. Dank der Tätigkeit der Kirche schufen diese jungen Völker nach und nach eine neue Zivilisation, deren Glanzzeit vom 12. bis ins 14. Jh. dauert.

Im 6. Jh. entstand das benediktinische Mönchstum, das im Umkreis der Klöster Inseln des Friedens, der Kultur und des Wohlstands hervorbrachte. Im 7. Jh. war für den ganzen Kontinent die Mis­sion durch irische und schottische Mönche von großer Bedeutung, denen im 8. Jh. angelsächsische Mönche folgten. Mit dem 7. Jh. endet die Epoche der Patristik mit den zwei letzten Kirchenvätern, dem hl. Johannes Damaszenus im Osten und dem hl. Beda Venerabilis im Westen.

Im 7.-8. Jh. entstand in Arabien die Religion des Islam. Nach dem Tod Mohammeds begannen die Araber eine Reihe von Eroberungskriegen und dehnten ihren Machtbereich gewaltig aus. Sie unterwarfen unter anderem die christlichen Völker in Nordafrika und auf der Iberischen Halbinsel und trennten die byzantinische von der lateinisch-germanischen Welt. Etwa 300 Jahre lang hatten die europäischen Völker des Mittelmeers unter dieser Geißel zu leiden. Es kam immer wieder zu Einfällen, Raubzügen, Plünderungen und Deportationen.

Gegen Ende des 8. Jhs. wurde die weltliche Macht des Papsttums, die faktisch schon seit dem Ende des 6. Jhs. existierte, zu einer festen Institution. Es entstand der Kirchenstaat, der das Machtvakuum in Mittelitalien ausfüllte, das dadurch entstanden war, dass der byzantinische Kaiser als bloß nominelles Oberhaupt an diesem Gebiet kein Interesse hatte bzw. nicht in der Lage war, es zu verwalten und die Bevölkerung zu schützen. Im Lauf der Zeit erkannten die Päpste, dass eine begrenzte weltliche Macht eine wirksame Garantie ihrer Unabhängigkeit gegenüber den verschiedenen politischen Gewalten (Kaiser, Könige, Feudalherren) bildete.

Zu Weihnachten des Jahres 800 wurde das Heilige Römische Reich des Abendlandes (Sacrum Romanum Imperium) neu begründet. Der Papst krönte Karl den Großen im Petersdom. Damit war ein katholisches Staats­gebilde von universalem Anspruch entstanden, das durch eine starke Sakralisierung der politischen Macht und eine komplexe Verflechtung von Politik und Religion gekennzeichnet war. Es bestand bis 1806.

Im 10. Jh. geriet das Papsttum in eine schwere Krise (das sogen. „Eiserne Jahrhundert“). Mittelitalienische Adelsfamilien mischten sich in die Papstwahl ein, und ganz allgemein maßten sich Könige und Feudalherren das Recht auf Besetzung vieler kirchlicher Ämter an. Die Päpste reagierten auf diese wenig erbauliche Situation im 11. Jh. durch die Gregorianische Reform und den sogenannten „Investiturstreit“. In der Folge konnte die kirchliche Hierarchie ihre Unabhängigkeit von der politischen Macht weitgehend zurückgewinnen.

Im Jahr 1054 vollzog der Patriarch von Konstantinopel Michael Kerullarios die definitive Trennung der Griechen von der katholischen Kirche (das Morgenländische Schisma). Es war der letzte Schritt einer Reihe von Auseinandersetzungen und Streitigkeiten, die schon im 5. Jh. begonnen hatten, verursacht zu einem Gutteil durch die Einmischung der oströmischen Kaiser in das Leben der Kirche (Cäsaropapismus). Dieses Schisma erfasste alle Völker, die dem byzantinischen Patriarchat unterstanden, und betrifft bis heute Bulgaren, Rumänen, Ukrainer, Russen und Serben.

Ab dem 11. Jh. gelang es den italienischen Seerepubliken, den Moslems die Herrschaft über das Mittelmeer zu entreißen, so dass die sarazenischen Angriffe aufhörten. Am Ende des Jahrhunderts führte die gesteigerte militärische Macht der christlichen Staaten zum Phänomen der Kreuzzüge ins Heilige Land (1096-1291). Es waren kriegerische Expeditionen religiösen Charakters, deren Ziel die Eroberung bzw. Verteidigung Jerusalems war.

Im 13. und 14. Jh. erreichte die mittelalterliche Kultur ihren Höhepunkt mit großartigen Leistungen in Theologie und Philosophie (Hochscholastik: hl. Albertus Magnus, hl. Thomas von Aquin, hl. Bonaventura, sel. Duns Scotus), in Dichtung und bildender Kunst. Im Hinblick auf das religiöse Leben ist das Auftreten der Bettelorden zu Beginn des 13. Jh. von großer Bedeutung (Franziskaner, Dominikaner u.a.).

Die Konfrontation zwischen Papsttum und Reich, die schon den Investiturstreit gekennzeichnet hatte, setzte sich im 12. und 13. Jh. fort und führte schließlich zur Schwächung beider Institutionen. Das Reich schrumpfte de facto zu einem rein deutschen Staat zusammen, und das Papsttum geriet in eine schlimme Krise. Von 1305 bis 1377 war die Residenz des Papstes nicht Rom, sondern das südfranzösische Avignon, und kurz nach der Rückkehr des Papstes nach Rom brach 1378 das große Abendländische Schisma aus. Es war eine äußerst schwierige Situation, da gleichzeitig zwei, später sogar drei Päpste auftraten (die römische, die Avignoner und die Pisaner Obödienz), so dass unter den Katholiken große Verwirrung herrschte und niemand wusste, wer der rechtmäßige Papst war. Die Kir­che konnte auch diese existentielle Krise überwinden. Auf dem Konzil von Konstanz (1415-1418) wurde die Einheit wiederhergestellt.

Im Jahr 1453 eroberten die osmanischen Türken Konstantinopel und setzten als Moslems der mehr als tausendjährigen Geschichte des Oströmischen Reiches (395–1453) ein Ende. Sie erober­ten auch die Balkanhalbinsel, die vier Jahrhunderte lang unter türkischer Herrschaft bleiben sollte.

4. Die Neuzeit (bis 1789, Jahr des Ausbruchs der Französischen Revolution)

Die Neuzeit beginnt mit der Ankunft des Christoph Columbus in Amerika. Dieses Ereignis und die Ent­deckungen in Afrika und Asien markieren den Anfang der europäischen Kolonisation in Übersee. Die Kirche nutzte diese historische Konstellation für die Ausbreitung des Evangeliums in den außer­europäischen Erdteilen. Die Mission begann in Kanada und Louisiana, die französische Kolo­nien waren, in Spanisch-Amerika, in der portugiesischen Kolonie Brasilien, im Gebiet des Kongo, in Indien, Indochina, China, Japan und auf den Philippinen. Um diese Anstrengungen zur Ausbrei­tung des Glaubens zu koordinieren, schuf der Heilige Stuhl im Jahr 1622 die Sacra Congregatio de Propaganda Fide.

Während der Katholizismus sich in Weltgegenden ausbreitete, wo das Evangelium noch nie verkündet worden war, erlebte die Kirche auf dem alten Kontinent eine einschneidende Krise. Die „Reformation“, deren Vorkämpfer Martin Luther, Huldrych Zwingli und Jean Calvin waren (Gründer jeweils eigener Denominationen des Protestantismus), sowie das vom englischen König Heinrich VIII. aus­gelöste Schisma (Anglikanismus) führten dazu, dass sich viele Länder von der Kirche abwandten: ganz Skandinavien, Estland und Lettland, große Teile Deutschlands und der Niederlande, etwa die Hälfte der Schweiz, Schottland und England, dazu die von diesen Ländern abhängigen schon beste­henden und später hinzukommenden Kolonien (Kanada und das übrige Nordamerika, die Antillen, Süd­afrika, Australien, Neuseeland). Die protestantische Reformation ist verantwortlich für das Zerbrechen der mehr als tausendjährigen Glaubenseinheit der christlich-abendländischen Welt. Daraus resultiert das Phänomen der Konfessionalisierung, d.h. der gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Zweitei­lung Europas in einen katholischen und einen protestantischen Bereich. Dieses Phänomen drückte sich im Prinzip cuius regio, eius et religio aus, wonach die Untertanen verpflichtet waren, der Religion des Fürsten zu folgen. Die Konfrontation dieser zwei Welten führte zum Phänomen der Religionskriege, von dem vor allem Frankreich, die deutschen Länder, England, Schottland und Irland betroffen waren. Die Religionskriege endeten auf dem Kontinent erst mit dem Westfälischen Frieden (1648) und auf den Britischen Inseln mit der Kapitulation von Limerick (1692).

Obwohl sie durch die verheerende Krise und den Abfall so vieler Völker innerhalb weniger Jahr­zehnte ausgezehrt war, fand die katholische Kirche wider menschliches Erwarten die Kraft zu einer Gegenreaktion und leitete eine wirkliche Reform ein. Höhepunkt dieses historischen Prozesses, den man als Gegenreformation oder „katholische Reform“ bezeichnet, ist das Konzil von Trient (1545-1563). Es verkündete mit aller Klarheit eine Reihe von dogmatischen Wahrheiten, die von den Protestanten angezweifelt wurden (Kanon der Schrift, Sakramente, Rechtfertigung, Erbsünde usw.) und traf auch disziplinäre Entscheidungen, die die Kirche stärkten und ihr eine größere Geschlossenheit verliehen (z.B. die Einrichtung von Seminaren und die Residenzpflicht für Bischöfe in ihren Diözesen). Die Gegenreformation konnte sich auch auf das Wirken neuer, im 16. Jh. gegründeter religiöser Orden stützen: Reforminitiativen aus dem Kreis der Bettelorden (Kapuziner, Unbeschuhte Karmeliter) sowie Regularkleriker (Jesuiten, Theatiner, Barna­biten u.a.). So ging die Kirche aus der Krise erneuert und gestärkt hervor und konnte den Verlust einiger europäischer Länder durch das große Werk der Mission wettmachen und eine wahrhaft weltweite Ausbreitung erreichen.

Im 18. Jh. hatte die Kirche gegen zwei Feinde zu kämpfen: das Staatskirchentum und die Aufklärung. Ersteres entwickelte sich parallel zur absoluten Monarchie. Gestützt auf die Organisation einer modernen Bürokratie, gelang es den Regenten der europäischen Länder, ein System autokratischer Totalherrschaft zu errichten, indem sie den Widerstand der aus dem Mittelalter stammenden Institu­tionen (Feudalsystem, Privilegien der Kirche, Freiheiten der städtischen Bürgerschaft u.a.) überwanden. In diesem Prozess der Zentralisierung der Macht tendierten die katholischen Monarchen dazu, in die kirchliche Rechtssphäre einzudringen und sich eine Kirche zu schaffen, die der königlichen Macht unterworfen und fügsam sein sollte. Dieses Phänomen trägt in den einzelnen Staaten verschiedene Namen: „Regalismus“ in Portugal und Spanien, „Gallikanismus“ in Frankreich, „Josephinismus“ in den Territorien der Habsburger (Österreich, Böhmen und Mähren, Ungarn, die heutige Slowakei, Slowenien, Kroatien, Lombardei, Toskana, das heutige Belgien), „Jurisdiktionalismus“ in Neapel und Parma. Diese Entwicklung erreichte ihren Gipfel mit der Vertreibung der Jesuiten aus vielen Herrschaftsgebieten und dem unter Drohungen ausgeübten Druck auf den Papst, diesen Orden aufzulösen (was 1773 tatsächlich geschah).

Der andere Feind, dem sich die Kirche im 18. Jh. gegenüber sah, war die Aufklärung. Sie ist primär eine philosophische Bewegung, die unter den Führungsschichten großen Zulauf fand. Ihre Grundlage ist eine Geistesströmung, in der Vernunft und Natur als höchste Werte gelten, und die gleichzeitig Pauschalkritik an der Tradition übt. Die Aufklärung ist ein äußerst komplexes Phänomen, das generell die folgenden Züge aufweist: starke materialistische Tendenzen, naive Hochschätzung der (exakten) Wissenschaften, Ablehnung der Offenbarungsreligion zugunsten des Deismus oder Agnostizismus, irreal optimistische Auffassung der „natürlichen Gutheit“ des Menschen, über­triebener Anthropo­zentrismus, unbegründetes Vertrauen auf den Fortschritt der Menschheit, vielfach auch Feindseligkeit gegen die katholische Kirche, Selbstherrlichkeit, Verachtung der Vergangenheit und eine starke Tendenz zu simplifizierenden Erklärungsmodellen der Wirklichkeit. Alles in allem liegt hier der Ursprung vieler heutiger Ideologien, deren Sicht auf die Wirklichkeit eingeengt ist, weil sie sowohl die übernatürliche Offenbarung von ihrem Erkenntnishorizont ausschließen als auch die Geistigkeit des Menschen und überhaupt jedes Verlangen nach letzten Wahrheiten über den Menschen und über Gott.

Im 18. Jh. wurden die ersten Freimaurerlogen gegründet. Viele von ihnen bezogen antikatholische Positionen und setzten eindeutig antikatholische Aktivitäten.

5. Das gegenwärtige Zeitalter (ab 1789)

Die Französische Revolution, an der anfangs der niedere Klerus entscheidend beteiligt war, verfiel bald in einen extremen Gallikanismus, und es kam zur Gründung der schismatischen „Église constitutionnelle“. In der Folge nahm die Revolution eindeutig antichristliche Züge an (Einführung des Kultes des höchsten Wesens, Abschaffung des christlichen Kalenders usw.) und endete in einer grausamen Verfolgung der Kirche (1791-1801). Papst Pius VI. starb 1799 als Gefangener französischer Revolutionstruppen. Die Machtübernahme durch Napoleon Bonaparte, einen Pragmatiker, brachte mit dem Konkordat von 1801 den Religionsfrieden. Danach kam es jedoch zu Zwistigkeiten mit Pius VII. wegen dauernder Einmischung der französischen Regierung in das Leben der Kirche. Der Papst wurde schließlich etwa fünf Jahre lang von Napoleon gefangen gehalten.

Mit der Wiedererrichtung der vorrevolutionären Monarchien im Jahr 1815 begann für die Kirche eine ruhigere Zeit, auch begünstigt durch die in der ersten Hälfte des 19. Jhs. vorherrschende Zeitströmung der Romantik. Bald jedoch zeichnete sich eine neue, zutiefst antikatholische Ideologie ab: der Liberalismus, der als Erbe der Ideale der Französischen Revolution nach und nach politisch Oberwasser gewann und die Einführung von Gesetzen betrieb, die offen eine Diskriminierung der Kirche anstrebten. In vielen Ländern ging der Liberalismus ein Bündnis mit dem Nationalismus ein, und in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts verbündete er sich mit dem Imperialismus und dem Positivismus, die in der Folge das Ihre zur Ent-christlichung der Gesellschaft beitrugen. Als Reaktion auf die sozialen Ungerechtigkeiten, die durch die liberalistischen Gesetze hervorgerufen wurden, entstanden und verbreiteten sich Ideologien, die sich zu Sprechern der vom neuen Wirtschaftssystem unterdrückten Bevölkerungsschichten machten: der utopische Sozialismus, der „wissenschaft­liche“ Sozialismus, der Kommunismus und der Anarchismus. Gemeinsam ist allen diesen Ideologien das Projekt einer sozialen Revolution, und allen liegt eine materialistische Philosophie zugrunde.

Die katholische Kirche verlor im 19. Jh. in fast allen Nationen den Schutz vonseiten des Staates und sah sich vielfach sogar einer feindlichen Haltung gegenüber. Im Jahr 1870 endete die weltliche Macht der Päpste durch die Eroberung des Kirchenstaates und die Einverleibung dieser Gebiete in den neuen italienischen Staat. Diese Krise brachte jedoch auch Vorteile, weil sich die Katholiken nun enger um den Stuhl Petri scharten und die Kirche sich von staatlicher Einmi­schung in ihre inneren Angelegenheiten, wie sie unter den konfessionellen Monarchien der Neuzeit üblich gewesen waren, befreien konnte. Höhepunkt dieser Entwicklung war die im Jahr 1870 erfolgte feierliche Erklärung des Dogmas der Unfehlbarkeit des Papstes durch das I. Vatikanische Konzil während des Pontifikats Pius‘ IX. (1846-1878). Im 19. Jh. war das Leben der Kirche außerdem durch eine große missionarische Ausbreitung (in Afrika, Asien und Ozeanien) gekennzeich­net, durch eine Blüte von Gründungen weiblicher Ordensinstitute aktiven Lebens und durch die Organisation eines weitreichenden Laienapostolats.

Im 20. Jh. kamen zahlreiche neue Herausforderungen auf die Kirche zu. Der hl. Pius X. hatte die modernistischen Tendenzen in der Theologie, die sich selbst unter kirchlichen Amtsträgern verbreitet hatten, in die Schranken zu weisen. Der Modernismus war in seinen radikalsten Ausprägungen gekennzeichnet durch einen religiösen Immanentismus, der die Glaubenssätze unter Beibehaltung der traditionellen Formulierungen aushöhlte. Benedikt XV. bot den unheilvollen Stürmen des Ersten Welt­kriegs die Stirn. Es gelang ihm, Neutralität gegenüber den Kriegsparteien zu wahren und humanitäre Tätigkeiten zur Linderung der Leiden der Kriegsgefangenen und der betroffenen Zivilbevölkerung zu entfalten. Pius XI. stellte sich den Totalitarismen entgegen, die die Kirche während seines Pontifikats mehr oder weniger offen verfolgten: dem Kommunismus in der Sowjetunion und in Spanien, dem Nationalsozialismus in Deutschland, dem Fa­schismus in Italien und dem Totalitarismus freimaurerischer Prägung in Mexiko. Außerdem förderte dieser Papst die Entwicklung des einheimischen Klerus und Episkopats in den Missionsländern Afrikas und Asiens. Sein Nachfolger Pius XII. führte diese Maßnahmen weiter, so dass die Kirche in der Phase der Entkolonialisierung dann ein autochthoner, vom Ausland unabhängiger Faktor war.

Pius XII. war gezwungen, den Schrecknissen des Zweiten Weltkriegs entgegenzutreten. In den Kriegsjahren setzte er verschiedene Maßnahmen, um viele Juden, soweit es möglich war, vor der Verfolgung durch das Nazi-Regime zu retten (man schätzt, dass etwa 800.000 durch die katholische Kirche gerettet wurden). In realistischer Einschätzung der Lage hielt er es nicht für angebracht, die nationalistische Herrschaft öffent­lich zu brandmarken, da dies die prekäre Situation der Katholiken auch in den Gebieten, die von der deutschen Armee besetzt waren, verschlechtert und dem Papst die Möglichkeit zu humanitären Interventionen zugunsten der Juden genommen hätte. Viele angesehene Vertreter des Judentums haben nach dem Krieg die großen Verdienste dieses Papstes um ihr Volk öffentlich anerkannt.

Johannes XXIII. berief das II. Vatikanische Konzil ein (1962-1965), das von Paul VI. abgeschlossen wurde. Das Konzil eröffnete eine neue pastorale Epoche in der Kirche. Es hob die allgemeine Berufung zur Heiligkeit hervor, die Wichtigkeit der ökumenischen Bemühung, die positiven Aspekte der modernen Zeit, die Ausweitung des Dialogs mit anderen Religionen und mit der Kultur. In der nachkonziliaren Zeit erlebte die Kirche eine schwere innere Krise doktrineller und disziplinärer Natur. Sie konnte diese während des langen Pontifikats von Johannes Paul II. (1978-2005) zumindest teilweise überwinden. Mit seinem außergewöhnlichen Charisma hat dieser Papst dem Heiligen Stuhl zu einer zuvor nicht gekannten Popularität und zu großem Prestige in und außerhalb der katholischen Kirche verholfen.

Carlo Pioppi

GrundlegendeLiteratur:

J. Orlandis, Historia del cristianismo. Rialp, Madrid 1983
A. Torresani, Breve storia della Chiesa. Ares, Milano 1989