Betrachtungstext: 6. Osterwoche – Montag

Mit der Hilfe des göttlichen Beistands rechnen – Der Heilige Geist führt uns zur Wahrheit – Die Gabe der Stärke

JESUS verspricht in seiner Abschiedsrede das Kommen eines anderen Beistands (Joh 14,16), der immer bei uns sein wird. „Beistand“ ist ein für das Johannesevangelium charakteristischer Begriff, der in seinem griechischen Ursprung, parakletos, eine Person bezeichnet, die kommt, um Trost, Anwalt und Verteidiger zu sein. Jesus spricht von einem anderen, zweiten Beistand, denn er selbst ist der erste: Wie die Heilige Schrift sagt, haben wir in Christus einen Beistand beim Vater (1 Joh 2,1) im Himmel. Der Heilige Geist hingegen bleibt für immer bei uns „auf Erden“, begleitet und tröstet uns, schützt und verteidigt uns. Er ist der Weg zu Christus, denn er erinnert uns an seine Worte (vgl. Joh 15,26); er lenkt unsere Herzen sanft und unauffällig auf Jesus Christus hin. „Wer sich am Geist berauscht, ist in Christus verwurzelt“,1 sagte der heilige Ambrosius.

Über die Aufgaben des Heiligen Geistes sprach Papst Franziskus in einer Tagesmeditation: „Lehren und erinnern. Das ist die Aufgabe des Heiligen Geistes. Er lehrt uns: Er lehrt uns, in das Geheimnis einzutreten, das Geheimnis etwas besser zu verstehen. Er lehrt uns die Lehre Jesu, und er lehrt uns, wie wir unseren Glauben entfalten können. (...) Der Glaube ist nichts Statisches. Die Lehre ist nichts Statisches: Sie wächst. Sie wächst, wie die Bäume wachsen. Es sind immer dieselben Bäume, nur größer, mit Früchten. (...). Und etwas anderes (...) ist erinnern: Er wird euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe (Joh 14,26). Der Heilige Geist (...) weckt uns: ,Erinnere dich an dieses, erinnere dich an jenes.‘ Er hält uns wach in den Dingen des Herrn, und er erinnert uns auch an unser eigenes Leben: ,Denk an jenen Moment, denk an die Zeit, in der du dem Herrn begegnet bist, denk an die Zeit, in der du den Herrn verlassen hast.‘“

„(...). Und in dieser Erinnerung führt uns der Heilige Geist. Er führt uns zur Unterscheidung, was ich jetzt tun soll, welcher Weg der richtige und welcher der falsche ist, auch in kleinen Entscheidungen. Wenn wir um das Licht des Heiligen Geistes bitten, wird er uns unterscheiden helfen, um die richtigen Entscheidungen zu treffen, die kleinen alltäglichen und die größeren Entscheidungen. Er ist es, der uns begleitet, und in der Entscheidung stützt.“2


DIE NACHFOLGE Jesu führt uns dazu, in der Wahrheit leben zu wollen, sie fasziniert mit Eifer zu suchen, zu umfangen und zu lieben. Die Wahrheit umfangen zu wollen, bedeutet Christus wirklich zu lieben. Dabei „lehrt der Heilige Geist“, wie Johannes Paul II. sagte, „den Christen die Wahrheit als Lebensprinzip und zeigt ihm die konkrete Anwendung der Worte Jesu in seinem Leben.“3 Bei mindestens drei Gelegenheiten bezeichnete Jesus den göttlichen Beistand als Geist der Wahrheit (Joh 14,17; 15,26; 16,13). Der Heilige Geist ist zwar ein „anderer“ Beistand, aber er bringt Jesu Gegenwart in uns zur Vollendung.

„Wir wissen“, arbeitete Papst Benedikt die Bedeutung der Wahrheit für die Freiheit heraus, „dass Jesus Christus die Person gewordene Wahrheit ist, die die Welt zu sich hinzieht. Das von Jesus ausstrahlende Licht ist Glanz der Wahrheit. Jede andere Wahrheit ist ein Fragment der Wahrheit, die er ist, und weist auf ihn hin. Jesus ist der Polarstern der menschlichen Freiheit, ohne ihn verliert sie ihre Ausrichtung, denn ohne die Erkenntnis der Wahrheit entartet die Freiheit, sie isoliert sich und wird zu steriler Willkür. Mit Jesus findet sich die Freiheit wieder, sie erkennt, dass sie für das Gute gemacht ist, und kommt in Handlungen und Verhaltensweisen der Nächstenliebe zum Ausdruck. Jesus Christus, der die Fülle der Wahrheit ist, zieht das Herz jedes Menschen an sich, lässt es weit werden und erfüllt es mit Freude. Denn nur die Wahrheit ist imstande, den Geist zu durchdringen und ihm vollkommene Freude zu schenken.4

Die Liebe zur Wahrheit, die unseren Verstand antreibt, ist Werk des Heiligen Geistes. Sie erfüllt uns auch mit Demut vor der Schöpfung und vor der Fähigkeit unserer eigenen Erkenntnis, die im Vergleich zum geheimnisvollen Wirken Gottes immer gering sein wird. „Die ,Demut des Verstandes‘ sollte für dich ein ganz selbstverständlicher Grundsatz sein,“5 riet der heilige Josefmaria. „Die Sehnsucht nach Wahrheit gehört zur Natur des Menschen selbst“, erklärte wiederum Papst Benedikt, „und die ganze Schöpfung ist eine großartige Einladung, die Antworten zu suchen, die die menschliche Vernunft für die umfassende Antwort öffnen, die sie schon immer sucht und erwartet.“6


DER HEILIGE GEIST wirkt in der Seele mittels seiner Gaben und teilt einem jeden (…) zu, wie er will (1 Kor 12,11). Eine seiner Gaben ist die Stärke, die uns zu großen Zielen antreibt und uns Halt gibt in der Schwäche. Der heilige Josefmaria erinnerte im Rückgriff auf eine christliche Erfahrung daran, dass „all unsere Stärke geliehen ist“7. Diese Gabe brauchen wir, um die Wahrheit ein Leben lang beständig zu suchen und zu umfangen. Denn dies kann beschwerlich sein, vor allem weil unsere Fähigkeiten mit unseren Wünschen nicht immer auf einer Höhe sind; und auch weil die Wahrheit mitunter schwer zu akzeptieren ist und nicht immer mit dem übereinstimmt, was uns als beste Option erscheint. Nicht selten werden wir uns demütig für andere mögliche Antworten und Vorgangsweisen öffnen müssen, obwohl wir lange geglaubt hatten, im Recht zu sein.

Daher muss die Gabe der Stärke der Grundton unseres Christseins sein, da sie uns loyal auf der Suche hält. Die Liebe zur Wahrheit verpflichtet unser Leben, und die Stärke gibt uns dabei die nötige Festigkeit. So werden wir in der Lage sein, wie der heilige Josefmaria sagte, „den Problemen mutig entgegenzutreten, ohne Angst vor Opfern oder schweren Belastungen, und unsere persönliche Verantwortung gewissenhaft übernehmen“8.

Und auch ihr legt Zeugnis ab, weil ihr von Anfang an bei mir seid (Joh 15,27). Der Christ ist dazu berufen, ein verlässlicher Zeuge für die demütige und aufrichtige Suche nach der Wahrheit zu sein. Christus kündigte seinen Jüngern an, dass sie für ihr Zeugnis Verfolgungen erleiden würden. Jene Männer wurden mutige Zeugen, nachdem sie zu Pfingsten die Gabe der Stärke erhalten haben. Sie bewiesen wahrlich Stärke angesichts von Widerständen, Unerwartetem, das in ihr Leben trat, oder Umständen, die ihre Pläne und Projekte vielleicht hinfällig machten. Marias liebevolle Gesellschaft gibt uns Schutz: Sie hört unsere Bitte, der Geist der Wahrheit möge „unseren Verstand erleuchten und unseren Willen stärken, sodass wir stets gewohnt sind, die Wahrheit zu suchen, zu sagen und zu hören“9.


1 Hl. Ambrosius, Katechese über die Sakramente, 5,3,17.

2 Papst Franziskus, Predigt, 11.5.2020.

3 Hl. Johannes Paul II., Audienz, 24.4.1991.

4 Benedikt XVI., Ansprache, 10.2.2006.

5 Hl. Josefmaria, Im Feuer der Schmiede, Nr. 142.

6 Benedikt XVI., Ansprache, 10.2.2006.

7 Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 728.

8 Hl. Josefmaria, Gespräche über die Universität, Nr. 8.

9 Ebd.