"Die Menschen haben in Papst Franziskus einen authentischen Priester erkannt"

Ein umfangreiches Interview mit dem Prälaten des Opus Dei, veröffentlicht am 15. Dezember in „Corriere della Sera“ (Mailand)

Titel des Interviews im 'Corriere della Sera'

Was denkt das Opus Dei über Papst Franziskus? Wie hat eine der meist verbreiteten und einflussreichsten Institutionen der Katholischen Kirche die Wahl dieses Jesuiten und seine überraschenden Initiativen aufgenommen?

Wir haben ihn mit großer Freude willkommen geheißen (der Prälat des Opus Dei, Bischof Javier Echevarría antwortet mit einem Lächeln) und in meinem Gebet bat ich den hl. Ignatius von Loyola, den Gründer der Jesuiten, deren apostolische Früchte ein Schatz für die Kirche sind, für Papst Franziskus Fürsprache einzulegen. Der Gründer des Opus Dei hatte eine große Wertschätzung für diesen Heiligen. In einem seiner Bücher, dem Weg, bezieht er sich sechsmal auf ihn und verwendet sogar seinen Spitznamen Ínigo.

Titel des Interviews im 'Corriere della Sera'

Stellen wir die Frage in der anderen Richtung. Was denkt der Papst über das Opus Dei? Er hat Ihnen bereits zweimal eine Audienz gewährt. Die Leute sagen, er sei ein Verehrer des Gründers, des hl. Josemaria. Stimmt das?

Der Heilige Vater brachte seine Freude zum Ausdruck und erteilte mir seinen Segen für die apostolischen Tätigkeiten des Werkes, die er sehr gut kennt. Unter anderem deshalb, weil er mit mehreren Gläubigen des Opus Dei in Kontakt stand, als er Erzbischof von Buenos Aires war. Er hat auch den hl. Josemaria sehr gut gekannt. Vor einigen Jahren kam er, um hier in Rom sein Grab zu besuchen und verweilte dort 45 Minuten im Gebet. Das ist ein praktisches Zeichen dafür, wie intensiv und großzügig das Gebet dessen ist, der jetzt der Nachfolger des hl. Petrus ist.

Vom ersten Augenblick an hat Papst Franziskus unter Beweis gestellt, dass er ein „revolutionärer“ Pontifex ist, der fähig ist, überraschende Entscheidungen zu treffen.

Und sofort haben die Menschen in Papst Franziskus einen authentischen Priester erkannt, der viel betet und die Anliegen der vor ihm befindlichen Person aufmerksam anhört. Gleichzeitig ist er genügsam in seinem persönlichen Leben. Er möchte das schöne Bild von Benedikt XVI., der sich nach einer dem Haus von Nazareth immer ähnlicher werdenden Kirche sehnte, in tiefer Weise verlebendigen. Damit dieses Wirklichkeit wird, genügt es nicht einfach, auf materielle Güter zu verzichten (einige unter ihnen sind notwendig für das berufliche, familiäre und gesellschaftliche Leben). Wie uns Papst Franziskus lehrt, muss man die Tugend der Armut wahrhaft lieben.

Foto von der Audienz bei Papst Franziskus (10. Juni 2013)

Und gleich vom Start weg hat der Papst von einer Kirche gesprochen, die „arm unter den Armen“ ist, die hinaus an die Peripherie geht, und er selbst hat einen genügsamen Lebensstil für sich gewählt. Wie sieht man das alles im Opus Dei, welches, ob nun berechtigt oder nicht, von vielen Menschen als eine Organisation betrachtet wird, die sich nicht den Bedürfnissen der Armen zuwendet?

In Wirklichkeit könnte man sagen, dass das Opus Dei in den Dreißiger-Jahren gerade an der Peripherie, in den ärmsten Bezirken von Madrid geboren wurde. Seit damals helfen viele Menschen auf der ganzen Welt den Armen und Kranken, Männern, Frauen und Kindern in materieller Not, in New Delhi und Manila, in Manchester und Kinshasa. Erlauben Sie mir eine Klarstellung: Das Opus Dei richtet sich nicht bloß an Reiche. Viele Gläubige der Prälatur auf der ganzen Welt schaffen es nicht, jeden Monat über die Runden zu kommen und tragen diese Schwierigkeiten heroisch, aus dem Glauben heraus, ohne darüber viel Aufhebens zu machen.

Noch ist das erste Jahr seines Pontifikats nicht vorüber, und schon hat der Papst wichtige Entscheidungen hinsichtlich seiner Mitarbeiter getroffen, mit der klaren Absicht, die Kurie zu reformieren, obwohl er auf gewissen Widerstand stößt. Er geht auch entschlossen vor in der Sache der finanziellen Transparenz und der Reform des IOR. Was halten Sie von dieser Strategie?

Es ist nicht meine Aufgabe, darüber zu urteilen, worin hier die Priorität liegt, das ist eher Sache des Heiligen Vaters. Meiner persönlichen Erfahrung nach kann ich sagen, dass es viele Leute gibt, die sehr großzügig beim Heiligen Stuhl ihre Arbeit verrichten. Aber zweifellos ist Reform immer notwendig: mögen menschliche Strukturen noch so gut organisiert aussehen, sind sie doch nie auf dem Niveau, welches für die Aufgabe notwendig ist, dass das Evangelium in die ganze Welt getragen wird. Wie der Papst weise sagt, ist es daher wichtig, die Kirche nicht mit einer NGO zu verwechseln. Als seine getreue Braut sollte die Kirche immer auf dem Glauben an Christus gegründet sein.

In Übereinstimmung mit Johannes Paul II. und Benedikt XVI. betont Papst Franziskus die Notwendigkeit einer Neuen Evangelisierung. Wie folgt das Opus Dei diesem Aufruf?

Papst Franziskus hilft der ganzen Welt, sich vorrangig für eine Kultur des Seins, des Lebens zu entscheiden, als Kontrast zu einer Kultur des Habens, die manchmal die wirtschaftlich entwickelteren Länder erstickt. Und er spricht von der Heiligkeit im gewöhnlichen Leben: der Frau, die für ihre Kinder sorgt, den Mann, der arbeitet, um Brot auf den Tisch legen zu können, den Kranken. Die westliche Welt hat es nötig, diese Art von Heiligkeit wieder zu entdecken. Das ist nicht ein Weg für einige wenige Privilegierte: es ist eine Einladung unseres Herrn an alle Männer und Frauen. In Ländern mit christlicher Tradition bietet das Opus Dei (über seine Tätigkeiten zur geistlichen Bildung) einen Weg an, damit der Glaube inmitten der alltäglichen Beschäftigungen wieder entdeckt werden kann. Das ist es, was die Neue Evangelisierung bedeutet: in den Christen, die sich manchmal als solche nur wegen ihrer kulturellen Verbundenheit so sehen, wieder die Flamme einer lebendigen und persönlichen Beziehung zu Gott zu entzünden.

Papst Franziskus hat von der Kirche als einem „Feldlazarett“ nach einer Schlacht gesprochen, die sich auch um jene Sorgen machen sollte, die eine Abtreibung hinter sich haben oder geschieden sind. Für 2014 ist eine Synode über die Familie geplant, und der Papst hat einen Fragebogen an die Bischöfe gesandt, in dem er sie um ihre Meinung zu diesen Problemen bittet. Welche Position nimmt hier das Opus Dei ein?

Heute sind viele Menschen großen Leiden in ihrem beruflichen Leben und in ihren gesellschaftlichen Beziehungen ausgesetzt, und auch im Bereich ihrer eigenen Familie. Als Christen sind wir aufgerufen, darauf eine Antwort zu geben, die anderen mit den liebevollen und barmherzigen Augen Christi anzusehen. Wenn ein Christ einem Freund hilft, ist es, als blickte Christus auf einen kranken Menschen, der nach Heilung verlangt. Die Synode über die Familie wird uns anspornen, die Schönheit von Liebe und Treue wieder zu entdecken und auch die familiäre Atmosphäre, die ebenso mit Worten und Gesten des Dienstes jenen gegenüber errichtet wird, die auf diesem Gebiet ihres Lebens verwundet worden sind.

In einem Interview, das in dieser Zeitung erschienen ist, hat Maria Voce, die Präsidentin der Focolare-Bewegung verlangt, dass der Frau eine bedeutendere Rolle in der Kirche zugeteilt wird. Teilen Sie diese Ansicht?

Sicher. Denn, wie uns der Heilige Vater in Erinnerung gerufen hat, die Kirche ist eine Frau: man muss sich nur an die Rolle unserer Lieben Frau erinnern. Das Thema der Rolle der Frau ist nicht neu, und in der Tat: Frauen haben eine signifikante Rolle in der Entwicklung der Kirche gespielt. Das Opus Dei hat den Beitrag der Frauen für das Leben der Kirche jedenfalls immer für zentral erachtet.

Welches ist Ihrer Ansicht nach die Rolle und die Verantwortung der Regierenden, wenn Sie auf die Krise blicken, die nun seit Jahren die westliche Welt, besonders in Ländern wie Italien, in Mitleidenschaft gezogen hat?

Ich glaube, dass es wichtig ist, nicht die ganze Schuld den Regierenden zuzuweisen. Zunächst müssen wir uns selbst befragen, was wir jeder einzelne jeden Tag tun, was auch immer unsere Rolle in der Gesellschaft sein mag. Wir können die Verantwortung nicht nur auf andere schieben, auf jene, die wir für die Regierung wählen und an die wir immer unsere Forderungen richten können. Wir sollten zuerst uns selbst fragen, wie wir leben, wie wir arbeiten, wie wir mit den anderen auskommen, mit unserer eigenen Familie. Um aus dieser Krise herauszukommen, ist der Einsatz von uns allen und jedem von uns verlangt, nicht bloß jener, die regieren.