Betrachtungstext: 7. Osterwoche – Samstag

Die Liebe ist eine Frucht des Heiligen Geistes – Bei der Liebe übernimmt Gott die Initiative – Lernen, sich von Gott lieben zu lassen

ES GIBT noch vieles, was Jesus getan hat. Wenn man alles einzeln aufschreiben wollte, so könnte, wie ich glaube, die ganze Welt die dann geschriebenen Bücher nicht fassen (Joh 21,25). Mit diesem Satz, den wir heute im Evangelium hören, beschließt Johannes sein Evangelium, um uns zugleich das Panorama der unaussprechlichen Liebe Gottes zu eröffnen: Wir können diese nicht fassen noch in unsere Vorstellungen einordnen, sie lässt sich in keine Formel noch in ein Buch pressen, es gibt keine Worte, um sie zu beschreiben. Der Heilige Geist wird es sein, der uns, wie Papst Benedikt sagte, Tag für Tag erkennen lässt, „dass das Werk Christi das Werk der Liebe ist: der Liebe Christi, der sich hingegeben hat, der Liebe des Vaters, der ihn geschenkt hat“1. Liebe ist ein so häufig verwendeter Begriff, dass man fallweise den Eindruck gewinnt, er habe an Kraft verloren. Der göttliche Beistand wird es verstehen, unsere Seele mit der einzigen Liebe in Schwingung zu bringen, die weder Verrat noch Ermüdung kennt. An ihn wenden wir uns, um die Liebe als Frucht des Heiligen Geistes zu erbitten.

Ein sehr alter Hymnus auf die Liebe wird Klemens von Rom zugeschrieben, einem der ersten Päpste, der an die Korinther schrieb, um sie zur Beendigung eines Streits zu bewegen: „Wer kann das Band der Liebe Gottes beschreiben? Wer ist imstande, seine erhabene Schönheit zu schildern? Die Höhe, zu der die Liebe empor führt, ist unbeschreiblich. Liebe verbindet uns mit Gott, Liebe deckt eine Menge Sünden zu (1 Petr 4,8), Liebe erträgt alles, Liebe ist in allem langmütig; nichts Gemeines gibt es in der Liebe, nichts Hoffärtiges; Liebe kennt keine Spaltung, Liebe lehnt sich nicht auf, Liebe tut alles in Eintracht (...), wegen der Liebe, die er zu uns trug, hat unser Herr Jesus Christus sein Blut hingegeben für uns nach Gottes Willen, sein Fleisch für unser Fleisch, seine Seele für unsere Seelen. Geliebte, ihr seht, wie groß und wunderbar die Liebe ist, und ihre Vollkommenheit lässt sich nicht erklären. Wer ist geeignet, in ihr gefunden zu werden, außer jene, die Gott dazu befähigt?2

Im Bewusstsein unserer Unzulänglichkeit wenden wir uns an den göttlichen Beistand, damit er uns einen Vorgeschmack und den Genuss der Liebe ermögliche, die Gott uns schenken will. Der Geist ergründet nämlich alles, auch die Tiefen Gottes (1 Kor 2,10). Und welches sind die Tiefen, die zu genießen wir berufen sind? Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe (Joh 15,9), sagt Jesus. Wir wollen diesen „Ort“ nicht verlassen, wir wollen hier bleiben, um unsere Aufmerksamkeit auch nicht einen Augenblick lang an etwas anderes zu verlieren. Wie oft haben wir Ersatzmittel gesucht oder gemeint, wir würden dieser Liebe nicht bedürfen. Wie oft haben wir – wie der verlorene Sohn und sein Bruder – von einem Glück fern von unserem Vater und unserem Zuhause geträumt.


DARIN besteht die Liebe: Nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt und seinen Sohn als Sühne für unsere Sünden gesandt hat (1 Joh 4,10). Msgr. Fernando Ocáriz empfiehlt uns daher sehr passend, zuallererst daran zu denken, was Gott für mich gemacht hat und tut. Nicht zu versuchen, die eigene Sicherheit darauf zu gründen, was ich für Gott getan habe und tue, denn dies, das Meine, wird immer wenig sein und das, was ich tue, ist eigentlich eine Gabe Gottes.“3 Wir erliegen instinktiv leicht der Versuchung, die Beziehung mit Gott so zu denken und zu praktizieren, als wären wir die Protagonisten. Gott möchte, dass wir das sind, aber auf eine andere, sublimere Weise. Die Liebe hat eine andere Dynamik. Der heilige Bernhard begründet dies in aller Kürze: „Vom Herrn kommt alles Gute, und ohne ihn kannst du nicht nur wenig, sondern gar nichts beginnen und vollenden.“4 Deshalb ist gerade in diesem Bereich die Führung eines Meisters nötig, der uns berät. Dem heiligen Josefmaria war klar, dass er sich dem Heiligen Geist anvertrauen wollte: „Ich fühle die Liebe in meinem Inneren: Und ich möchte Umgang mit ihm haben, sein Freund sein, sein Vertrauter ..., ihm seine Arbeit des Polierens, Ausreißens und Entzündens erleichtern ... Ich weiß nicht, wie es geht, aber: Er wird mir die Kraft dazu geben, wird alles tun, wenn ich nur will ... Natürlich will ich! Du göttlicher Gast, Meister, Licht, Führer, Liebe: Mach, dass das arme Eselchen dich freundlich aufnimmt, auf deine Lehren hört, sich begeistern lässt, dir nachfolgt und dich liebt. Vorsatz: möglichst ohne Unterbrechung und willig die Freundschaft und den liebevollen und fügsamen Umgang mit dem Heiligen Geist suchen. Veni Sancte Spiritus!“5

Hoffentlich sind wir bereit, das Gleiche zu tun und zuzulassen, dass der Tröster unser Herz gegen die Machenschaften des Feindes stärkt. Ein bevorzugter Ort, um dessen Tücken zu entkommen, ist die Beichte: „Der Böse lässt uns verächtlich auf unsere Schwachheit blicken, während der Heilige Geist sie voll Erbarmen ans Tageslicht bringt“, unterstreicht Papst Franziskus die Wohltat der Beichte. „Die Sanftmut ist der beste Weg, um mit dem Schwachen in uns umzugehen (...). Aus diesem Grund ist es wichtig, der Barmherzigkeit Gottes zu begegnen, insbesondere im Sakrament der Versöhnung, und eine Erfahrung von Wahrheit und Sanftmut zu machen. Paradoxerweise kann uns auch der Böse die Wahrheit sagen, aber wenn er dies tut, dann nur, um uns zu verurteilen. Wir wissen jedoch, dass die Wahrheit, die von Gott kommt, uns nicht verurteilt, sondern aufnimmt, umarmt, unterstützt und vergibt.“6


AUCH WENN wir es nicht bewusst tun, achten wir in unserer Beziehung mit Gott möglicherweise oft mehr auf das, was wir geben, als auf das, was wir empfangen. Und diese Sichtweise schränkt uns ein, weil sie uns unabsichtlich Gott gegenüber und nicht an seine Seite stellt. Papst Franziskus empfiehlt den umgekehrten Zugang: „Wenn wir einen Gott im Sinn haben, der sich alles nimmt, der sich aufdrängt, dann möchten auch wir uns alles nehmen und uns aufdrängen: Räume besetzen, Bedeutung beanspruchen, nach Macht streben. Aber wenn wir Gott als Gabe in unseren Herzen spüren, ändert sich alles (...). Der Geist, das lebendige Gedächtnis der Kirche, erinnert uns daran, dass wir uns einer Gabe verdanken und dass wir wachsen, indem wir uns hingeben; nicht indem wir unser Leben bewahren, sondern indem wir uns hingeben.“7

Andere Male achten wir wohl auf das, was wir erhalten, denken aber, gleichsam ein Anrecht darauf zu haben. Papst Franziskus lädt uns ein, auf unser Leben zu schauen und uns zu fragen, „was uns daran hindert, uns selbst zu geben. Es gibt sozusagen drei Feinde der Hingabe, drei besonders schlimme, die immer vor der Tür des Herzens kauern: der Narzissmus, das Selbstmitleid und der Pessimismus. Der Narzissmus führt dazu, dass man sich selbst vergöttert, dass nur der eigene Vorteil zählt. (...). Der von Selbstmitleid Befallene beschwert sich jeden Tag über seine Mitmenschen: ,Niemand versteht mich, niemand hilft mir, niemand mag mich, alle haben etwas gegen mich!‘ Wie oft haben wir dieses Gejammer schon gehört! (...). Und dann ist da noch der Pessimismus. Hier lautet die tägliche Litanei: ,Nichts ist gut, weder die Gesellschaft, noch die Politik, noch die Kirche ...‘ Der Pessimist hat ein Problem mit der Welt, bleibt aber untätig und denkt: ,Was bringt es schon, etwas zu geben? Es ist nutzlos.‘“8

Bitten wir Maria, uns zu lehren, die Liebe Gottes so zu empfangen, wie sie es getan hat. Und lassen wir uns von einem Rat des heiligen Josefmaria aufrichten, wenn wir unsere Schwäche wieder einmal deutlich spüren: „Dein unfreiwilliges Hinfallen – das Hinfallen eines Kindes – bewirkt, dass dein Vater Gott nur noch mehr auf dich acht gibt und dass deine Mutter Maria dich nicht von der liebenden Hand lässt. Nütze das aus, und wenn der Herr dich Tag für Tag vom Boden aufhebt, dann umarme ihn mit aller Kraft und lehne deinen armseligen Kopf an seine geöffnete Brust, damit die Schläge seines liebenden Herzens dich am Ende verrückt machen.“9


1 Benedikt XVI., Predigt, 4.6.2006.

2 Hl. Klemens von Rom, Brief an die Korinther, Kap. 49-50.

3 Msgr. Fernando Ocáriz, Im Licht des Evangeliums, S. 30.

4 Hl. Bernhard, Predigt zum Pfingstfest, 2,6.

5 Hl. Josefmaria, Aufzeichnungen, Nr. 864.

6 Franziskus, Patris corde, Nr. 2.

7 Franziskus, Predigt, 31.5.2020.

8 Ebd.

9 Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 884.