DIE PHARISÄER wähnten endlich eine Gelegenheit gekommen, Jesus eine unausweichliche Falle zu stellen. Sie führten ihm eine Frau vor, die beim Ehebruch ertappt worden war – nach dem Gesetz hätte sie den Tod durch Steinigung verdient. Was wird der Meister von Nazaret, der Sündern so großzügig vergab, dazu sagen? Doch Jesus scheint ihre Anklage nicht zu beachten. Statt zu antworten, beugt er sich nieder und schreibt mit dem Finger Zeichen in den Sand. Erst als sie nicht locker lassen und eine Stellungnahme verlangen, richtet er sich auf und spricht: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie (Joh 8,7).
Man kann sich vorstellen, mit welcher Angst die Frau auf den ersten Stein wartete. Sie war überzeugt, dass ihr Leben zu Ende sei. Vielleicht hätte sie dieses Ende sogar als gerechte Strafe akzeptiert. Denn sie rechnete nicht mit der Barmherzigkeit Gottes – einer Barmherzigkeit, die jede menschliche Erwartung übersteigt. Einer nach dem anderen zieht sich zurück, bis sie schließlich allein mit Jesus dasteht. Wie bei jeder ehrlichen Beichte ruht nun sein liebevoller Blick auf ihrem Gesicht – und er vergibt ihr. Papst Franziskus sagt: „Durch den Priester die Vergebung der Sünden zu empfangen ist immer eine neue, ursprüngliche und unnachahmliche Erfahrung. Sie führt uns – wie die Frau im Evangelium – vom Alleinsein mit unserer Erbärmlichkeit und unseren Anklägern hinein in die Begegnung mit dem Herrn, der uns aufrichtet, ermutigt und neu beginnen lässt.“1
Frau, wo sind sie geblieben? Hat dich keiner verurteilt?, fragt Jesus (Joh 8,10). Die Frau, ihrer Schuld bewusst, mag auf einen Vorwurf gewartet haben – doch Jesus tadelt sie nicht. Stattdessen schenkt er ihr zwei große Gaben: Gottes Vergebung und die Hoffnung auf ein neues Leben. Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr! (Joh 8,11).
EINES ABER tue ich, schreibt Paulus an die Philipper: Ich vergesse, was hinter mir liegt, und strecke mich nach dem aus, was vor mir ist. Das Ziel vor Augen, jage ich nach dem Siegespreis: der himmlischen Berufung Gottes in Christus Jesus (Phil 3,13-14). Unser Glaubensweg ist stets auf die Zukunft ausgerichtet, die uns erwartet. Jede Geste, jedes Wort, jede Entscheidung unseres Lebens kann bereits ein Vorgeschmack des Himmels sein.
Sooft wir Gott um Vergebung bitten, bewegen wir uns auf Jesus zu – und damit auf das Ziel unseres Lebens. In der Beichte kommen wir in den Genuss der Früchte des Todes und der Auferstehung Christi. Im Sakrament der Barmherzigkeit begegnen wir dem auferstandenen Herrn persönlich. Papst Benedikt sagte: „Seine durchbohrten Arme öffnen sich für jeden Menschen. Sie laden uns ein, uns ihm zu nähern – in der Gewissheit, dass er uns aufnimmt und in einer Umarmung unendlicher Zärtlichkeit an sich zieht.“2
Im Vertrauen darauf, dass der Herr uns vergibt, dürfen wir unsere Vergangenheit loslassen und nach vorne schauen. Der heilige Josefmaria ermutigt: „Vorwärts, was immer geschieht! Halte dich fest an der Hand des Herrn. Er verliert keine Schlachten. Wenn du dich einmal von ihm entfernt hast, kehre demütig zurück. Das bedeutet: beginnen – und immer wieder beginnen. Täglich, ja mehrmals am Tag, zurückkehren wie der verlorene Sohn. Und das reuige Herz im Wunder der Liebe Gottes – denn nichts anderes ist die Beichte – neu aufrichten lassen. Durch dieses wunderbare Sakrament reinigt der Herr deine Seele und erfüllt dich mit Freude und Kraft.“3
AM FÜNFTEN Fastensonntag ist es nach alter kirchlicher Tradition üblich, die religiösen Bilder und Kruzifixe in den Kirchen mit violetten Tüchern zu verhüllen. Die Farbe erinnert uns daran, dass wir uns in einer Zeit der Umkehr befinden. Die vorübergehende Verhüllung der Darstellungen von Gott, Engeln und Heiligen lädt uns zu einer tieferen Besinnung ein.
Die Kirche lehrt, dass „unter den Akten des Pönitenten die Reue an erster Stelle steht“4. Es geht dabei nicht um eine rein menschliche Anstrengung, alles richtig zu machen, sondern um die Bewegung eines zerknirschten … Herzens (Ps 51,19), das mit Hilfe der Gnade (vgl. Joh 6,44; 12,32) auf die barmherzige Liebe Gottes antwortet – auf jene Liebe, die uns stets zuvorkommt.5 Reue ist, wie Papst Franziskus wiederholt gesagt hat, „kein niederschmetterndes Schuldgefühl, keine lähmende Skrupulosität, sondern sie ist ein heilsamer Stich, der im Inneren brennt und heilt, weil sich das Herz – wenn es die eigene Boshaftigkeit sieht und sich als sündig erkennt – für das Wirken des Heiligen Geistes öffnet, des lebendigen Wassers, das das Herz berührt und Tränen über das Gesicht fließen lässt. (...) Es bedeutet nicht, uns selbst zu bemitleiden, was eine häufige Versuchung ist. (...) Über uns selbst zu weinen, bedeutet hingegen, ernsthaft zu bereuen, dass wir Gott mit unserer Sünde betrübt haben.“6 Sie ist die feine Regung eines liebenden Herzens, das auch in seinen Fehlern Gott seine Liebe zeigen möchte. Wahre Reue geht stets mit dem Wunsch einher, Gott nicht mehr zu kränken, uns selbst nicht weiter zu verletzen und uns von allem fernzuhalten, was uns von ihm trennt.
Bitten wir den Heiligen Geist, uns zu helfen, die Beichte immer bewusster zu leben – und durch unser Zeugnis anderen Mut zu machen, diesen Weg der Barmherzigkeit zu gehen. Und bitten wir Maria, die Mutter der Barmherzigkeit, dass wir die Freude der Vergebung in unsere Familien und zu unseren Freunden tragen können.
1 Franziskus, Predigt, 29.3.2019.
2 Benedikt XVI., Ansprache, 21.3.2008.
3 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 214.
4 Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 1451.
5 Vgl. ebd., 1428.
6 Franziskus, Dilexit nos, Nr. 159.