Betrachtungstext: 15. Woche im Jahreskreis – Freitag

Der Sinn des Sabbats – Sonntag, der neue Tag des Herrn – Eucharistie und Erholung

ALS JESUS und seine Jünger einmal durch ein großes Kornfeld gingen, verspürten sie Hunger, wie Matthäus berichtet (vgl. Mt 12,1). Da sie von Nahrung umgeben waren, begannen die Apostel, einige Ähren abzureißen, zerrieben sie mit den Händen und aßen sie (Lk 6,1). Das jüdische Gesetz erlaubte das Pflücken von Ähren mit der Hand, wenn man durch das Kornfeld eines anderen kommt (vgl. Dtn 23,26). Die Kontroverse entstand, weil sie dies an einem Sabbat taten. Als die Pharisäer nämlich davon erfuhren, beschwerten sie sich beim Meister: Sieh her, deine Jünger tun etwas, das am Sabbat verboten ist (Mt 12,2).

Im Buch Exodus lesen wir, dass Gott das Volk des Bundes auffordert: Gedenke des Sabbats: Halte ihn heilig! (Ex 20,8). Der Sabbat wurde auf göttliche Initiative hin nicht zu den Geboten für den Gottesdienst gegeben, sondern in den Dekalog, die zehn Gebote, aufgenommen. Der inspirierte Text erklärt dazu: Denn in sechs Tagen hat der Herr Himmel, Erde und Meer gemacht und alles, was dazugehört; am siebten Tag ruhte er. Darum hat der Herr den Sabbat gesegnet und ihn geheiligt (Ex 20,11). Im Laufe der Zeit wurden dem göttlichen Sabbatgebot immer strengere menschliche Vorschriften hinzugefügt. Zur Zeit Jesu gab es einen Katalog von 39 Arbeiten, die an diesem Tag verboten waren.

Als authentischer Interpret der göttlichen Gebote antwortet Jesus auf den Vorwurf der Pharisäer, indem er den wahren – und vielleicht vergessenen – Sinn des Sabbats unterstreicht: den Dienst an Gott oder am Nächsten. Die Untätigkeit sollte nicht das oberste Kriterium sein. Anstatt sich auf eine Kasuistik des Erlaubten oder Verbotenen einzulassen, lädt uns Christus ein, den tieferen Grund zu betrachten, warum Jahwe die Sabbatruhe eingeführt hat: damit wir uns bestimmter Beschäftigungen enthalten und mehr Freiraum haben, um den Herrn ehren zu können. Das Gebot ist verbunden mit dem geheimnisvollen Ausruhen Gottes nach der Schöpfung, aber auch mit der Befreiung Israels aus der ägyptischen Sklaverei. Das Sabbatgebot stand daher unter dem Motto der Befreiung. Sein Zweck lag nicht darin, die Menschen an unzählige Vorschriften zu binden, sondern sie einmal wöchentlich vom weniger Wichtigen zu entbinden, damit sie ihren Blick auf Gott richten konnten und sich daran erinnerten, dass sie Kinder des Schöpfers aller Dinge und desjenigen sind, der sie von aller Knechtschaft befreit.


DIE DISKUSSION über die Sabbatfrage nützt Jesus als Gelegenheit, die Größe seiner eigenen Identität zu enthüllen: Habt ihr nicht im Gesetz gelesen, dass am Sabbat die Priester im Tempel den Sabbat entweihen, ohne sich schuldig zu machen? Ich sage euch: Hier ist Größeres als der Tempel (Mt 12,5-6). Der Tempel hatte als das Haus, in dem Jahwe wohnte, die höchste Würde. Nur Gott selbst stand über dem Tempel. Mit diesen Worten verkündet Christus offen seine Göttlichkeit. Am Ende des Gesprächs gibt er seine Identität noch klarer zu erkennen: Denn der Menschensohn ist Herr über den Sabbat (Mt 12,8). Da das Sabbatgebot eine göttliche Einrichtung ist, enthüllt Jesus unmissverständlich seine Gottheit: Das ist das große christliche Ereignis.

Es war nicht die Absicht des Meisters, mit seinen Worten die Sabbatruhe herabzuwürdigen. Wir wissen, dass Jesus das Gesetz befolgte, sowohl das religiöse als auch das zivile: Er besuchte jeden Sabbat mit seinen Jüngern die Synagoge, zahlte seine Steuern, pilgerte mit seinen Jüngern zum Tempel und feierte die Feste wie jeder andere fromme Jude. Nach seiner Auferstehung jedoch gingen seine Jünger zwar weiterhin samstags in die Synagoge, sie begannen aber auch, sich am ersten Tag der Woche zu treffen, um sich an den auferstandenen Jesus zu erinnern. Der erste Tag der Woche war zum Tag der Neuschöpfung und der endgültigen Befreiung geworden.

Im Laufe der Zeit löste der Sonntag den Samstag als den dies Domini, den Tag des Herrn, ab. Für die Christen der ersten Jahrhunderte war der Sonntag nicht einfach ein weiterer Tag, sondern bildete den Mittelpunkt ihres Lebens. Aus diesem Grund hat die Kirche Jahrhunderte später das Sonntagsgebot eingeführt. Wie der Kodex des Kirchenrechts festhält, sollten sich die Gläubigen an diesem Tag jener Werke und Tätigkeiten enthalten, die den Gottesdienst, „die dem Sonntag eigene Freude oder die Geist und Körper geschuldete Erholung“1 behindern. In dem apostolischen Schreiben, das der heilige Johannes Paul II. dem Sonntag widmete, weist er unter anderem darauf hin, dass Jesus „uns ,seinen Tag‘ als ein immer neues Geschenk seiner Liebe übergibt“, und betont: „Die Christus geschenkte Zeit ist niemals verlorene Zeit, sondern eine gewonnene Zeit für die tiefe Vermenschlichung unserer Beziehungen und unseres Lebens.“2


ZU DEN wertvollsten Zeugnissen dafür, dass die ersten Christen sich am Sonntag versammelten, um die Eucharistie zu feiern, zählt der Bericht des heiligen Justins aus dem 2. Jahrhundert. Er schreibt, dass „an dem Tage, den man Sonnentag nennt, eine Versammlung aller stattfindet, die in Städten oder auf dem Lande wohnen; dabei werden die Denkwürdigkeiten der Apostel oder die Schriften der Propheten vorgelesen. (...) Dann werden Brot, Wein und Wasser herbeigeholt, der Vorsteher spricht Gebete und Danksagungen mit aller Kraft, und das Volk stimmt ein, indem es das Amen sagt.“3 In der Sonntagsmesse gehen wir zur Begegnung mit dem Herrn: Wir hören auf sein Wort und lassen uns vom Brot des Lebens nähren, in Gemeinschaft mit der ganzen Kirche. Papst Franziskus unterstreicht die christliche Wurzel des Sonntags und seinen Zusammenhang mit der Eucharistie: „Es war das christliche Bewusstsein, als Kinder und nicht als Sklaven zu leben, beseelt von der Eucharistie, das den Sonntag – fast weltweit – zum Ruhetag gemacht hat. (…) Die sonntägliche Begegnung mit dem Herrn gibt uns die Kraft, das Heute mit Vertrauen und Mut zu leben und mit Hoffnung voranzugehen.“4

So ist der Sonntag sowohl der „Tag des Herrn“ als auch der „Tag des Menschen“. Das besondere Ausruhen an diesem Tag, das wir mit Gott und der ganzen Kirche teilen, hilft uns, unsere Kräfte zu erneuern, um die Aufgaben der kommenden Woche anzugehen. Durch das Opfer seines Sohnes übergeben wir Gott alle Ereignisse der vergangenen und der beginnenden Woche. „Ich habe Erholung immer als eine Auszeit vom Alltag, aber nie als Zeit des Müßiggangs verstanden“, sagte der heilige Josefmaria. „Erholung bedeutet Sammeln: Energien aufladen, Hoffnung schöpfen, Pläne schmieden – kurz gesagt: die Art der Tätigkeit wechseln, um dann mit frischem Schwung zur gewohnten Arbeit zurückzukehren.“5 Die Jungfrau Maria, die an diesen ersten Sonntagsversammlungen teilgenommen haben muss, möge für uns Fürsprache einlegen, damit Gott unseren Wunsch stärkt, uns durch sein Brot und Wort zu nähren.


1 Kodex des kanonischen Rechts, Nr. 1247.

2 Hl. Johannes Paul II., Dies Domini, Nr. 7.

3 Hl. Justin, Apologíe, 1, 65.

4 Franziskus, Audienz, 13.12.2017.

5 Hl. Josefmaria, Die Spur des Sämanns, Nr. 514.