JESUS zieht sich mit seinen Jüngern an einen abgelegenen Ort zurück, damit sie zur Ruhe kommen und ungestört Zeit miteinander verbringen können. Der See Gennesaret liegt ruhig vor ihnen, umgeben von sanften Hügeln und weiten Ebenen. Nach langen Wanderungen durch Städte und Dörfer, in denen sie das Reich Gottes verkündet und Kranke geheilt haben, sind sie erschöpft. Sie sehnen sich nach Erholung. Doch die Menschen lassen nicht von ihnen ab. Scharenweise folgen sie dem Meister. An diesem Ort hebt Jesus – mit dem Blick auf seine Apostel wie auf die Menge – zu einer Predigt an, die allen unauslöschlich im Gedächtnis bleibt: der Predigt über die Seligpreisungen (Mt 5,1–12; Lk 6,20–26).
Die Worte, die Jesus auf der Anhöhe verkündet, spiegeln sein eigenes Leben wider – ein Leben, das zutiefst mit dem seiner Mutter verbunden ist. In Maria sieht er jene Haltungen verkörpert, die er nun als Weg zur Glückseligkeit benennt: Armut, Sanftmut, Barmherzigkeit, Reinheit des Herzens und Friedfertigkeit. Maria ist – wie ihre Cousine Elisabeth sie bezeichnete – selig (Lk 1,45), weil sie anzunehmen wagt, was die Welt oft gering schätzt, worauf Gott jedoch mit besonderer Liebe blickt.
Maria ist selig, weil sie sich von Gott gesegnet weiß, selbst in Zeiten der Bedrängnis, der Unsicherheit, der Armut. Ihr Vertrauen in den Herrn ist unerschütterlich. Papst Franziskus erklärt: „Das Geheimnis ihres Erfolgs liegt gerade darin, dass sie sich selbst als klein und bedürftig erkannte. Bei Gott kann nur derjenige alles empfangen, der weiß, dass er nichts ist. Nur wer sich selbst entäußert, wird von ihm erfüllt.“1
In den Tagen der Novene zur Unbefleckten Empfängnis Marias lädt die Kirche uns ein, unser Leben im Licht der Seligpreisungen zu betrachten – mit Maria an unserer Seite, die uns lehrt, unser Vertrauen ganz auf Gott zu setzen, der unsere Seele täglich mit seinem Glück erfüllen möchte.
DIE JÜNGER und die Volksmenge hören Jesu Worte voller Staunen. Sie waren gewohnt, Reichtum und Erfolg als Zeichen göttlichen Wohlwollens zu betrachten. Umso überraschender ist Jesu Botschaft: Nicht der Überfluss, sondern die Armut; nicht Anerkennung, sondern erlittene Ungerechtigkeit sind Grund zur Seligkeit. Diese Botschaft stellt ihre Lebensmaßstäbe radikal infrage. Und sie stellt auch unsere infrage. Denn auch wir neigen dazu, unser Glück in materiellen Gütern, in Annehmlichkeiten, Sicherheiten oder Erfolgen zu suchen. Aus dieser Perspektive erscheint das Leid, dem wir im Leben begegnen – Schmerz, Unverständnis, Krankheit oder Unsicherheit – als etwas, das man ablehnen und verdrängen will.
Jesus fordert seine Zuhörer nicht dazu auf, das Leid zu suchen, um im Himmel dafür belohnt zu werden. Der heilige Josefmaria erinnerte: „Die Glückseligkeit des Himmels ist für die, die es verstehen, schon hier auf Erden glücklich zu sein.“2 Jesus möchte nur, dass wir unser Glück nicht im Vergänglichen suchen – auch nicht in dem, was wir mit eigener Kraft erreichen können. Stattdessen lädt er uns ein, unser Herz auf das einzig Wahre und Beständige auszurichten: auf ihn selbst. Denn nur er vermag unseren Durst nach Erfüllung und Unendlichkeit zu stillen.
Jesus lädt uns ein, die Überzeugung zu entwickeln, dass es weit lohnender ist, bei Gott zu verweilen – der nie versiegenden Quelle des Lebens –, als flüchtigen Freuden nachzujagen. Der Prälat des Opus Dei schreibt: „Hinter den großen Fragen möchte Gott uns ein Panorama von Größe und Schönheit eröffnen, das unseren Augen vielleicht verborgen ist. Wir müssen ihm vertrauen, mutig einen Schritt auf ihn zugehen und uns von der Angst lösen, etwas Wertvolles im Leben zu verpassen. Seine Fähigkeit, uns zu überraschen, übertrifft alle unsere Erwartungen.“3
MARIA WUSSTE, dass das wahre Glück allein in Gott zu finden ist und Gott besonders in den Mitmenschen. Viele Heilige lebten aus dieser Erkenntnis. „Suche Gottes Angesicht in allem und jedem zu jeder Zeit“, riet die heilige Mutter Teresa, „und seine Hand in jedem Ereignis. Das ist es, was es bedeutet, mitten in der Welt beschaulich zu sein: die Gegenwart Jesu zu sehen und anzubeten, besonders in der bescheidenen Gestalt des Brotes und unter der dürftigen Kleidung der Armen.“4
Von dieser Haltung getragen macht sich Maria nach der Verkündigung sofort auf den Weg zu Elisabeth. Nichts hält sie zurück. Das größte Geschenk, das sie bringt, ist Gott selbst. Und in der Begegnung bricht sie in den Jubel ihres Magnificat aus: Mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter. Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut. Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter (Lk 1,46-48).
Mit ihrem Bekenntnis, die „Magd des Herrn“ zu sein, zeigt Maria, dass sie Demut nicht als Schwäche, sondern als Quelle des Glücks begreift. Ihr Loblied auf Gott, der nicht auf Reichtum und Macht blickt, sondern auf die Niedrigkeit und das Vertrauen der Menschen, ist wie eine Vorwegnahme der Seligpreisungen: Gott schaut auf die Kleinen, auf jene, die ihm Raum schenken.
Der heilige Josefmaria lehrte: „Unser Gebet kann sich mit dem Gebet Marias verbinden und es nachahmen. Wie sie werden wir den Wunsch verspüren, zu singen und die Großtaten Gottes zu verkünden, damit die ganze Menschheit und alle Geschöpfe an unserem Glück teilhaben können.“5
1 Franziskus, Angelus-Gebet, 15.8.2021.
2 Hl. Josefmaria, Im Feuer der Schmiede, Nr. 1005.
3 Msgr. Fernando Ocáriz, Dejarse sorprender por un Padre bueno, 25.1.2019.
4 Hl. Teresa von Kalkuta, En el corazón del mundo: pensamientos, historias y oraciones, Ed. José J. de Olañeta, 2016.
5 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 144.
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