Zum Karfreitag

Der Kreuzestod Jesu hat unsere Angst vor dem endgültigen Scheitern besiegt

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Wir gewöhnen uns tatsächlich an Vieles: dass die Sonne aufgeht, dass wir zu essen haben, dass wir ein Dach über dem Kopf haben, dass wir Urlaub machen können... 

Sogar an das Kreuz gewöhnen wir uns. Wir tragen es als Halsschmuck, wir sehen es am Wegesrand, wir betrachten es in der Kirche, wir hängen es in unsere Wohnzimmer... 

Die Darstellung des Kreuzes ist für viele von uns ganz normal, gewöhnlich geworden. Wir gehen daran vorbei. Wir empfinden es wie ein Möbelstück, das zu uns gehört. 

Das Kreuz Jesu ist aber keine Selbstverständlichkeit. Die Worte der Passion lassen nur erahnen, welche Grausamkeit mit dem Kreuzestod verbunden war, welche Entehrung, welches Leiden. Der Kreuzestod war damals die Hölle auf Erden. 

Auch für unseren Herrn Jesus Christus. Er, der Heilige, der Sohn des himmlischen Vaters, hat diese Hölle durchleben müssen. Zwei Welten prallten aufeinander, die unterschiedlicher nicht sein können. 

Wenn eine kalte Wetterfront auf eine heiße Wetterfront stößt, dann bricht ein Unwetter los: Blitz, Donner, Hagel, Regen. Unsagbar groß sind die Gewalten, die dann entfesselt werden. Wie unbeschreiblich gewaltig müssen dann erst die Kräfte gewesen sein, die sich entfesselten, als am Kreuz Himmel und Hölle zusammentrafen.

Der letzte Aufschrei Jesu am Kreuz vor seinem Tod wird weit über die Stadt Jerusalem hin zu hören gewesen sein. Und wen wird dieser Schrei nicht bis ins Mark erschüttert haben. So berichtet die Heilige Schrift auch von Naturgewalten beim Tod Jesu, von Dunkelheit, Erdbeben, geöffneten Gräbern... 

Vor einem Gewitter ist die Luft schwül, drückend. Man kann schlecht atmen, kaum arbeiten. Nach einem Gewitter ist die Luft wieder klar, frisch. Alles lebt auf. Die Natur, die kurz zuvor noch schwieg, meldet sich wieder zurück. Der Regenbogen strahlt weithin sichtbar über das Land. 

Vor dem Kreuzestod Jesu drückte die Sünde, drückte der Tod die Menschen nieder. Die Angst vor dem endgültigen Scheitern, vor dem Unheil schnürte die Seelen zu. Nach dem Kreuzestod Jesu sind Sünde und Tod zwar noch in der Welt. Doch sie sind besiegt. Ein für alle mal. Tod, wo ist Dein Sieg? Du hast verloren am Kreuz. Denn der, der das Leben ist, ist zwar gestorben, wie auch wir einmal sterben müssen. Er ist aber gestorben, damit wir leben. 

Als Himmel und Hölle am Kreuz miteinander rangen, ist der niederdrückende Schleier der Angst vor dem endgültigen Scheitern zerrissen worden. Das Heil brach herein in diese Welt. Es richtet uns auf und lässt uns neu aufleben. 

Damit wir uns nicht zu sehr an das Kreuz gewöhnen und daran, dass der Herr für uns gelitten hat, hilft uns die Kirche in der Liturgie des Karfreitag: Bei der Kreuzverehrung sehen wir das Kreuz mit neuen Augen: Das Verhüllte wird enthüllt. Dann sehen wir neu, was der heilige Josefmaria gern so ausgedrückt hat: „Jeder Mensch ist das ganze Blut Christi wert. Jeden und jede will er retten.“ Sich daran zu gewöhnen, das geht eigentlich nicht.

von Klaus Klein-Schmeink