Zum Gründonnerstag

Jesus Christus wartet auf uns im Tabernakel. Verborgen ist er da.

„Begreift ihr, was ich an euch getan habe?“, so fragt der Herr seine Jünger nach der Fußwaschung während des letzten Abendmahles.

„Begreift ihr, was ich an euch getan habe?“ Die Geschehnisse des Letzten Abendmahles – die Fußwaschung und die Worte über Brot und Wein „Das ist mein Leib und mein Blut für euch“ – sie sind uns vertraut. Wir haben beides oft schon gehört. Eigentlich nichts Neues. Irgendwie geht einem das fast schon glatt runter.

Manchmal bedarf es äußerer Anstöße, die das Gewohnte neu begreifen lassen, die tiefer in das einführen, was man schon immer meinte, zu kennen. Vor einigen Jahren widerfuhr mir etwas, das mir geholfen hat, einen Aspekt dessen neu zu entdecken, was Jesus im Abendmahlssaal für uns getan hat.

Zusammen mit einigen Priestern und Seminaristen verbrachte ich meinen Urlaub in Österreich. Dabei machten wir auch einen kurzen Abstecher in das berühmte Barockstift Melk. Unserer Gewohnheit folgend wollten wir ein kurzes Gebet vor dem Tabernakel verrichten. Da wir nicht an einer Führung durch das gesamte Kloster teilnehmen wollten, bezahlten wir auch keinen Eintritt, sondern wir gingen direkt zur Kirche. Ein Schild wies uns den Weg dorthin.

Wir betraten das Gotteshaus durch einen Seiteneingang. Kaum waren wir hineingelangt, kamen wir auch nicht weiter: Wir standen in einem vielleicht 3 mal 3 Meter großen Glaskäfig im Seitenschiff. Die Sicht, geschweige denn der Zutritt zum Tabernakel war uns versperrt. Im Hauptschiff der Kirche selbst wimmelte es nur so von Touristen, die für die Führung ihr Eintrittsgeld entrichtet hatten. Einige von diesen – zum Teil arg luftig bekleidet und ein Eis schleckend – schlenderten mehr oder weniger gelangweilt durch den Raum, an Altar und Tabernakel vorbei, als gäbe es beides nicht.

Eine verrückte Situation: Auf der einen Seite Beter, die den Herrn im Tabernakel grüßen wollen, aber nicht können. Auf der anderen Seite Touristen, die sich zwar alles anschauen, letztlich am Wesentlichen achtlos vorbeilaufen, keine Notiz vom eigentlich Wertvollsten nehmen.

Während dieser Begebenheit wurde mir klar: Die Erniedrigung und Hingabe des Herrn reicht über sein irdisches Leben hinaus und reicht hinein bis in das Heute.

Im Abendmahlssaal wusch er, der Meister, seinen Jüngern die Füße. Normalerweise ein Sklavendienst an den Herren. Christus beugte sich buchstäblich nach unten und erhöhte damit seine Jünger. Noch tiefer hat sich der Herr zu uns Menschen herabgebeugt, noch tiefer ist der Sohn Gottes in den Augen der Menschen gefallen am Kreuz. Tiefer konnte damals niemand fallen, als wenn er als Verbrecher am Kreuz gehenkt wurde.

Aber wie Jesus durch sein Sich-Hinabbeugen bei der Fußwaschung seine Jünger aufwertete, so erhöhte er uns zum ewigen Leben, als er gering und verachtet sein Leben für uns hingab.

Und als dieser Geringe wollte er unter uns bleiben. Indem er damals beim Letzen Abendmahl sagte: “Das ist mein Fleisch. Das ist mein Blut“, setzte er die Heilige Eucharistie ein.

Wenn heute die geweihten Priester über Brot und Wein die Wandlungsworte sprechen, dann sind wirklich Leib und Blut Jesu auf dem Altar, dann ist der Herr selbst anwesend, leibhaftig unter uns. Die gewandelten Gaben von Brot und Wein sind mehr als Symbole, sind mehr als Zeichen der Erinnerung, sie sind er selbst. Das ist der Glaube der Kirche. Unbegreiflich, aber doch wahr.

Gottes Sohn ist wirklich, leibhaftig unter uns. Aber er ist eben nicht in großen gewaltigen Erscheinungen unter uns geblieben, nicht in Wolkensäule oder Feuer. Nein, er ist unter uns geblieben gering und unscheinbar, ja, sozusagen verletzlich im Zeichen von Brot und Wein.

Er wollte in diesen niedrigen Gestalten unter uns weilen, in Gestalten, die man missbrauchen kann, die man stehlen kann, die man schänden kann. Das passiert leider immer wieder. Aber nicht nur die Schändung von Leib und Blut Christi zeigen, wie sehr sich der Herr erniedrigt hat. Auch das schlichte Nicht-Beachten seiner leibhaftigen Anwesenheit in der Welt zeigt das.

Und eben das ist mir richtig bewusst geworden bei dieser Begebenheit im Stift Melk. Viele Menschen sind an ihm vorbeigegangen, ohne Notiz von ihm zu nehmen, ohne eine Art Gruß, ohne ein Zeichen der Verehrung für den, der uns erlöst hat. Aber das passiert nicht nur im Kloster Melk, das geschieht an Hunderten von Tabernakeln überall in der Welt.

Die Urlaubsgeschichte geht noch weiter: Eingesperrt in diesen kleinen Glaskäfig, weit vom Tabernakel entfernt, fingen meine Mitbrüder und ich dennoch an zu beten. Sogar – oder vielleicht auch erst recht – laut. Eine Touristenführerin kam sofort auf uns zu. Sie schien peinlich berührt zu sein. Jedenfalls machte sie viele Worte: „Entschuldigen Sie. Natürlich dürfen Sie hier beten. Aber damit kann man ja nicht rechnen ... Kommen Sie, ich lasse Sie hinein.“ Und tatsächlich wenig später knieten wir vor dem Tabernakel. Als ein recht junger Besucher der Kirche das sah, kniete auch er sich hin und betete leise für sich. Immerhin: einer.

Seit damals bemühe ich mich, die Kniebeuge vor dem Tabernakel so bewusst wie möglich zu machen. Es soll ein kleines Zeugnis sein für andere. Ein Hinweis darauf, dass Jesus Christus im Tabernakel auf uns wartet, unter uns ist. Verborgen ist er da.

von Klaus Klein-Schmeink