Seine allwöchentliche Sing-Stunde ist eines der beliebtesten Angebote im Seniorenheim auf der Margaretenhöhe in Bergisch Gladbach. Vor 30 Jahren hatte die damalige Heimleiterin Willi Potthoff bei einer Abendmesse singen gehört und angesprochen. Der heute 71jährige gehört bereits seit 1959 dem Opus Dei an – als eines der ersten deutschen Mitglieder. Bis 2001 war Potthoff Diplomhandelslehrer an einer kaufmännischen Berufsschule seiner Heimatstadt. Er empfiehlt das samstägliche Singen im Seniorenheim eindringlich zur Nachahmung. „Es ist eine wunderbare Erfahrung, wenn sich anfangs verdrossene und verschlossene Mienen schon beim ersten Lied aufhellen und Bewohner, die sonst kaum etwas mit anderen tun können, nun gemeinsam singen – wobei sich auch manche Spannung unter den Bewohnern während des Singens löst.“ Und natürlich habe es mit christlicher Freude zu tun, wenn man im Rheinischen sagt, wir singen „us Spass an der Freud“. Auch die Presse in Bergisch Gladbach hat über Willi Potthoffs soziales Engagement berichtet, zum Beispiel am 3. Dezember 2004 in der Lokalausgabe des Kölner Stadt-Anzeigers. Wir geben die Reportage von Karin M. Erdtmann hier wieder:
Wenn der 67-Jährige samstags nachmittags im Restaurant des CBT-Wohnhauses Margaretenhöhe zur Gitarre greift, haben seine Helfer schon ganze Arbeit geleistet. Hans Heinrich Auel, Heinz Krumholz, Hans-Josef Dürscheid und Werner Breidenstein sind zuvor durchs Haus gegangen, haben die Bewohner an den Termin erinnert und zum Mitkommen motiviert.
Früchte, auch bei Demenzkranken
Die Überzeugungsarbeit trägt offensichtlich Früchte – trotz der stark gestiegenen Zahl Demenzkranker im Haus. Schon kurz vor drei ist der Restaurantbereich voll. Manche Mitsänger kommen mit Angehörigen, manche gar im Sonntagsstaat. „Das ist für einige Bewohner endlich mal wieder eine Gelegenheit, sich schick zu machen“, freuen sich Hausleiterin Marita Dünnwald und Einzugsberaterin Antje Christensen.
Die Stimmung ist gut, die Erwartungshaltung groß. Nach dem Apfelstrudel folgt für viele der Höhepunkt der Woche: Willi Potthoff und sein Helferquartett verteilen die selbstgestalteten Liederhefte mit den Texten in Großschrift – und dann ziehen sie stimmgewaltig ein, die „Wilden Gesellen“, „Blauen Dragoner“ und „Jäger aus Kurpfalz“.
„Hier kann jeder seinen Gefühlen freien Lauf lassen.“
Während Potthoff in die Saiten greift, helfen die anderen beim Umblättern der Hefte. Ist der Funke erst einmal übergesprungen, werden plötzlich auch die dritten und vierten Strophen bekannter Volkslieder aus dem Gedächtnis mitgesungen. „Da laufen schon mal Tränen, wenn sich der ein oder andere an früher erinnert“, sagt Marita Dünnwald. „Hier kann jeder seinen Gefühlen freien Lauf lassen.“
Und so wird denn auch aus voller Kehle mitgesungen. Der Klangkörper ist beachtlich. Wer bei einem einzelnen Lied mal nicht so textsicher ist, summt mit und fällt jedoch spätestens beim „Horrido“ und „Hussasa“ wieder mit ein. Und weil die Stimmung steigt, passt Potthoff auf, dass bei den „Blauen Dragonern“ auch ja keiner vom Pferd runterfällt. Für solche Bemerkungen lieben sie ihn.
Zwischendurch wird locker geplaudert: über die alte Heimat im Osten, über Erfahrungen beim „Kappes schaben und Bunne fitschen“. Der pensionierte Pädagoge Potthoff webt die Einwände in seine Moderation ein, zieht mit der Gitarre durch den Raum und vermittelt jedem einzelnen das Gefühl. gerade für ihn zu spielen. „Er hat Seele, das spürt man einfach“, freut sich Hausleiterin Dünnwald.
Wer kommt
Als er vor 28 Jahren erstmals ins Haus kam, verleitete er allwöchentlich etwa 15 bis 20 Senioren zum Singen; mittlerweile kommen etwa 60. Ausgefallen ist die samstägliche Singrunde noch nie. Die wenigen Male, an denen Potthoff passen musste, sorgte er für Ersatz. Und nicht nur das. Zu besonderen Gelegenheiten kommt er auch in Begleitung auf die Margaretenhöhe: in der Adventszeit mit der Klarinettengruppe des Dürscheider Blasorchesters oder zu Karneval mit den Lichtenweger Stimmungsmachern. Und zu Pfingsten erfüllen die Pengsjonge in bergischer Tracht das Treppenhaus mit Gesang.
Die Lieder haben sich ein wenig gewandelt. Waren anfangs vor allem die romantischen Volkslieder gefragt, kamen in den letzten 15 Jahren zunehmend Wander- und Fahrtenlieder zum Zug. Wann immer es geht, versucht Willi Potthoff auch, auf Wünsche der Bewohner einzugehen. Bei neuen Sachen ist er vorsichtig. „Die Lieder müssen eingängig und singbar sein“, sagt er. So wie „Amazing Grace“, das seit einiger Zeit mit deutschem Text gesungen wird.
Die deprimierte Gruppe
Einmal musste indes auch Hobbymusiker Potthoff passen: „Als eine sehr betagte Mitsängerin den ganz alten Schlager ‚Komm mein Schatz, wir trinken ein Likörchen, und dann flüstere ich dir was ins Öhrchen‘ singen wollte, konnten wir diesen Wunsch nicht erfüllen, weil niemand sonst dabei war, der dieses Lied kannte.“
Ein anderes Mal stieß er sogar auf eine ganz und gar deprimierte Gruppe. Als vor etwa 20 Jahren das Haus umgebaut und erweitert wurde und viele Bewohner aus ihrer gewohnten Umgebung ausziehen mussten, fand sich einmal nur ein kleines Trüppchen ein. „Sie kamen nur, um mich nicht zu enttäuschen, wollten aber lieber keine Lieder singen, erinnert sich Potthoff. „Ich klimperte etwas auf der Gitarre, und auf einmal sangen wir wie immer und vergaßen für eine Stunde den Lärm der Bauarbeiten und die Veränderungen im Hause.“