Paulus schreibt an Philemon:"Ich bitte dich für mein Kind Onesimus, dem ich im Gefängnis zum Vater geworden bin" (Vers 10).
Der Brief an Philemon enthält keine Aussagen über Fragen des Glaubens oder der Moral, es geht nur um eine persönliche Bitte des Apostels. Und doch hören und lesen wir das kurze Schreiben als "Wort Gottes" und "Heilige Schrift". Der Sklave Onesimus war in Kolossä seinem Herrn Philemon entlaufen und auf der Flucht Paulus begegnet, der ihn zum Glauben bekehrte. Nun schickt ihn Paulus zu seinem Herrn zurück. Er nimmt die damalige Rechtsordnung zunächst als gegeben hin und stellt insofern das Eigentumsrecht des Philemon an Onesimus nicht in Zweifel.
Die Sklaverei war in der heidnischen Gesellschaft eine selbstverständliche Einrichtung. Nur die Christen erkannten, dass es ungerecht und unwürdig ist, einen Menschen als eine Sache zu behandeln. Sie konnten die allgemein geltende Ordnung nicht aufheben, aber sie konnten sie innerlich – im Denken und Empfinden – außer Kraft setzen. Und durch dieses Verhalten, das im Wissen um die gleiche Würde von Herren und Sklaven als Brüder und Schwestern Christi gründete, höhlten sie die Sklaverei auch äußerlich– in der Gesellschaft – allmählich aus.
Der Brief an Philemon zeigt beispielhaft, wie das Christentum ungerechte soziale Strukturen von innen her zu überwinden vermag. Sklaven gibt es in den Ländern Europas nicht mehr, dafür aber genug andere soziale Fragen, die nicht weniger nach einer christlichen Antwort verlangen – sowie nach einem ein Verhalten vieler Einzelner, das die Öffentlichkeit allmählich umprägt.