Veni, Sancte Spiritus!
Liebe Schwestern und Brüder,
1. „Fahr hinaus auf den See!.“ (Lk 5,4). Die Anweisung Jesu an seine Jünger ist absurd. Simon weiß das, er hat Ahnung vom Geschäft. Er weiß, wenn man eine Nacht vergeblich fischt, dann ist ein neuer Versuch am Tag erst recht aussichtslos.
Simon weiß um sein Fischerhandwerk, aber er weiß noch mehr um die Autorität und Vollmacht des Herrn: „Doch wenn du es sagst, werde ich die Netze auswerfen.“ (Lk 5,5). Wir kennen das Ergebnis: Der überreiche Fischfang und der Auftrag an Simon Petrus: „Fürchte dich nicht! Von jetzt an wirst du Menschen fangen.“ (Lk 5,10).
Seitdem erfüllt die Kirche diesen Auftrag, und sie besteht mittlerweile nicht mehr nur aus dem Fischerboot am See Genezareth. Sie ist zu einer weltweiten Flotte gewachsen.
2. Allerdings, die einzelnen Schiffe dieser weltweiten Flotte gehen mit unterschiedlicher Dynamik ans Werk. Das Schiff, das z.B. unter der Flagge Deutschland läuft, scheint sich mehr im Hafen aufzuhalten als auf See. Offiziere und Mannschaft diskutieren, ob das Schiff nicht komplett umgebaut werden sollte. Einen breiten Raum nimmt die Diskussion ein, wer alles in Offizierskajüten wohnen darf und wer nicht und welche Kompetenzen wer hat oder haben sollte.
Diese Leidenschaft für die Seelen, diese Leidenschaft Seelen für Christus zu gewinnen, hat der hl. Josefmaria dem Opus Dei tief eingeprägt.
Dabei sind die Fische, um die es geht, menschliche Seelen in Not. Sie sind dabei im Sturm zu versinken, sie brauchen Rettung und Hilfe. Und auch wenn wir es kaum hören, diese Menschen rufen um Hilfe! Doch das Schiff der Flotte Jesu Christi unter der Flagge Deutschland verbleibt im Hafen, bleibt mit sich selbst beschäftigt und überhört die Hilferufe!
Ja, liebe Schwestern und Brüder, es wird Zeit, dass wir die Leinen lösen und ablegen aus dem Hafen der kirchlichen Selbstbeschäftigung. Denn: Ertrinkenden ist es egal, wie das Schiff eingerichtet ist, das sie rettet, sie wollen einfach gerettet werden.
3. Liebe Schwestern und Brüder, ich kenne das Opus Dei und viele seiner Mitglieder schon seit über 30 Jahren. Als sehr wohltuend habe ich immer erlebt: Weder Larmoyanz noch ständige kirchliche Selbstbespiegelung beherrschen die Gespräche. Auch das allenthalben beliebte Durch-den-Kakao-Ziehen kirchlicher Amtsträger wird nicht gepflegt (was mir persönlich immer sympathischer ist). Dafür nimmt die Frage breiten Raum ein: Wie kann es uns gelingen, Menschen für Christus zu gewinnen?
Diese Leidenschaft für die Seelen, diese Leidenschaft Seelen für Christus zu gewinnen, hat der hl. Josefmaria dem Opus Dei tief eingeprägt. Sie kennen seine Worte besser als ich. So sagt er einmal: „Du hast mit viel Schwung begonnen. Aber dann wurdest du allmählich kleinmütig…Wenn dein Horizont sich weiter so verengt, wirst du dich am Ende noch in dein kümmerliches Schneckenhaus verkriechen. Dein Herz soll immer mehr wachsen in der Sehnsucht, Menschen zu Gott zu führen: Von hundert Seelen interessieren uns alle hundert.“ (Spur des Sämanns 183).
Denn die existentiellen Fragen für das Leben der Kirche lauten: Wie können wir Menschen für Christus gewinnen?
Diese Leidenschaft für die Seelen wurzelt in seiner tiefen, unerschütterlichen Christusliebe: „Hör mir gut zu und sag es weiter: Christentum ist Liebe. Umgang mit Gott macht glücklich und drängt zu großen Taten. Die Sorge um die anderen – das Apostolat – ist kein Luxusartikel, keine elitäre Beschäftigung…“ (Spur des Sämanns, 187). Der hl. Josefmaria unterstreicht damit das, was das 2. Vatikanische Konzil für die ganze Kirche formuliert hat: „Die christliche Berufung ist ihrer Natur nach … zum Apostolat.“ berufen(Vat. II, AA 2).
Bei meinen derzeitigen Besuchen in meinem Pastoralbezirk ist es sehr schön zu erleben: Gerade diese Dimension der Berufung wird zunehmend neu entdeckt. Immer häufiger ist davon die Rede, dass die Kirche missionarisch ist, werden Wege nach einer „missionarischen Pastoral“ gesucht. Auch wenn diese Pflänzchen noch sehr zaghaft sind, so gehen die Überlegungen doch in die richtige Richtung.
Liebe Schwestern und Brüder, ich bin davon überzeugt: Gerade vor diesem Hintergrund bereichert das Opus Dei die Kirche sehr. Denn die existentiellen Fragen für das Leben der Kirche lauten: Wie können wir Menschen für Christus gewinnen? Wie können wir sie in den Stürmen dieser Zeit vor dem Ertrinken retten? Wie können wir ihnen eine Brücke zu Gott bauen? Welche Haltungen sind notwendig, um die Menschen unserer Tage für Christus zu gewinnen? Und genau diese Fragen sind es, die auch das Opus Dei existentiell berühren.
Beim Apostolat geht es immer um einzelne Menschen, einmalige Seelen. Daher kann die Antwort auch nicht in globalen Konzepten, sondern nur in konkreten persönlichen Begegnungen liegen. Der hl. Josefmaria gibt uns dazu einen kleinen, aber konkreten Hinweis. Er sagt: „Natürlichkeit, Aufrichtigkeit, Freude: Das sind unentbehrliche Voraussetzungen für einen Apostel, um Menschen anzuziehen.“ (Spur des Sämanns, 188). Schauen wir uns ein wenig näher an, was dies praktisch bedeutet.
4. Da ist zunächst die Natürlichkeit. Mit der Natürlichkeit ist das so eine Sache. Je mehr wir darüber sprechen, desto unnatürlicher werden wir. Das Wort „natürlich“ können wir zeitgemäß auch mit „authentisch“ wiedergeben. Authentisch sein, bedeutet „echt“ sein - so zu sein, wie es dem eigenen Charakter, dem eigenen Temperament, der persönlichen Eigenart entspricht. Haben wir keine Angst, wenn wir im Gespräch mit unseren Mitmenschen z.B. nicht über die Wortgewalt eines Apostel Paulus verfügen - und übrigens: Auch Paulus bekennt, dass er „in Schwäche und in Furcht, zitternd und bebend“ zu den Korinthern kam. (1 Kor 2,3). Vertrauen wir auf die Kraft des Hl. Geistes, der uns zur rechten Zeit, das rechte Wort eingeben wird, wenn wir ihn nur darum bitten.
Damit verwandt ist die zweite Haltung, die der hl. Josefmaria nennt: Die Aufrichtigkeit. Liebe bedeutet das Ja zu einer Person um ihrer selbst willen, nicht um irgendwelcher Vorteile, die ich von ihr erwarte, sondern einfach um ihrer selbst willen. Diese zweckfreie Liebe ist es, mit der Christus uns geliebt hat und uns immerfort liebt. Und jene Liebe ist es, die wir durch Wort und Tat zu bezeugen gesandt sind.
Wenn ich also mit einem Menschen in Kontakt trete: Geht es mir dann tatsächlich um ihn um seiner selbst willen? Oder motivieren mich doch persönliche Interessen? Es wäre daher auch nicht aufrichtig, Freundschaften allein mit dem Ziel zu unterhalten, meine persönliche Bekehrungsstatistik aufzubessern. Denn echte Freundschaft ist immer zweckfrei.
Es gehört allerdings auch zur Aufrichtigkeit, die eigene Glaubensüberzeugung nicht zu verschweigen: Wie könnte ich einen Schatz zu verschweigen, der nicht nur mich, sondern alle Menschen glücklich machen will?
Klarheit, Transparenz und Berechenbarkeit gehören zur Aufrichtigkeit. Und meine bisherige Erfahrung dazu ist: Menschen schätzen es, wenn sie wissen, woran sie sind. Ohne Aufrichtigkeit kann kein Apostolat wirklich gelingen.
Schließlich erwähnt der hl. Josefmaria die Freude. Gemeint ist eine natürliche und aufrichtige Freude. Es geht nicht um eine Freude, die über Leid und Not hinweg sieht. Es geht nicht um eine Freude, die aus der Welt flieht. Es geht um eine Freude, die in der Liebe wurzelt.
Nicht wahr: Es gibt doch keine froheren Menschen als verliebte Menschen. Wer verliebt ist, ist glücklich. Und wer glücklich ist, strahlt eine Freude aus, die auch dann noch hält, wenn Sorgen und Nöte da sind. Gott hat sich in uns verliebt, in jeden einzelnen von uns. Und wenn wir dieses Verliebtsein Gottes nur ein klein wenig erwidern, dann werden auch wir von diesem Glück und der Freude der Verliebten erfasst. Diese Freude kann von Leid und Not vielleicht getrübt, aber niemals zerstört werden.
5. Liebe Schwestern und Brüder, vor 10 Jahren wurde Josefmaria Escrivà de Balaguer heiliggesprochen. Danken wir Gott für das Zeugnis seines Lebens in Leidenschaft für Gott und die Menschen. Danken wir Gott für die Anregungen und Impulse, die der hl. Josefmaria über das Opus Dei der Kirche als Ganzes gibt.
Ja, ich glaube, gerade für die Kirche in Deutschland sind seine Impulse besonders hilfreich. Es geht um Apostolat und Mission. Machen wir uns das Wort des Herrn zu Eigen: „Fahr hinaus auf den See!“ (Lk 5,4). Lösen wir die Leinen! Fangen wir wieder an, Menschen zu fischen! Oder anders ausgedrückt: Menschen sind dabei in den Stürmen unserer Zeit unterzugehen. Fangen wir an, sie aus ihrer Not zu befreien, fangen wir an sie mit Gott in Berührung zu bringen, - mit Gott, der die Liebe ist!
Wir alle sind – um im Bild zu bleiben – Matrosen auf diesem Schiff, dazu gesandt den Menschen unserer Tage, in Natürlichkeit, Aufrichtigkeit und Freude die Hand Christi zu reichen. Bitten wir dazu die Gottesmutter Maria, die Helferin der Christen und den Hl. Josefmaria um ihre Fürsprache.
Amen.
+Dr. Dominikus Schwaderlapp
Weihbischof in Köln