Mütter von Ungeborenen als Heldinnen

Filmkritiker José García im Münchner Studententreff Schackstraße

Entgegen der allgemeinen Entwicklung in der Gesellschaft beobachtet der Filmkritiker José  García aus Köln im aktuellen Kino seit einigen Jahren eine stärkere Berücksichtigung moralischer Werte. „So wird die Familie seit Beginn des Jahrtausends vermehrt positiv dargestellt“, erläuterte er anhand verschiedener Spielfilme bei einem Vortrag im Münchner Studententreff Schackstraße. Innerhalb der so genannten „Independent-Szene“ könne man einen „Megatrend“ entdecken: Filme wie „Pieces of April – Ein Tag mit April Burns“ von Peter Hedges (2003) oder „Little Miss Sunshine“ (Jonathan Dayton, Valerie Faris, 2006) verbänden eine raue Schale, die sich durch einen mit bissigem Humor gepaarten, groben Erzählton auszeichne, mit Familienwerten.  

„Selbst ein großer Kinohit wie ,The Day After Tomorrow‘des in Amerika lebenden deutschen Regisseurs Roland Emmerich von 2004, bei dem es um eine Umweltkatastrophe apokalyptischen Ausmaßes geht, präsentiert als Subthema die Versöhnung eines bereits geschiedenen Ehepaars, was ja außerordentlich bemerkenswert ist“, berichtete García. In der britischen Produktion „Lieber Frankie“ gehe es um die Sehnsucht des zehnjährigen Sohns einer Alleinerziehenden nach seinem Vater, den er nicht kennt. Es gebe eine größere Anzahl Filme, in denen die Familie zwar nicht als „heile Welt“ gezeigt werde, „aber wohl eine Suche nach Geborgenheit in der Familie auszumachen ist“. Auch die Freundschaft werde immer häufiger als hoher Grundwert thematisiert. Beispiele dafür seien etwa „Mein bester Freund von Patrice Leconte (2006), „Drachenläufer“ von Marc Forster (2008), „Lemon Tree“ von Eran Riklis (2008) oder „Willkommen bei den Sch’tis“ von Dany Boon (2008).  

Schließlich hat García in letzter Zeit einen neuen Typus von Kinoheldinnen ausgemacht: vor allem minderjährige, ungewollt Schwangere, die ihre ungeborenen Kinder austragen wollen und das trotz zahlreicher Widerstände auch schaffen. Dahingegen werde eine Abtreibung – auch wieder ganz im Gegensatz zum vorherrschenden Trend – in so gut wie keinem Spielfilm als befriedigende Lösung eines Konflikts eingeführt. In „Juno“ von Jason Reitman aus dem Jahre 2007 tauchen stattdessen auf den riesigen Kinoleinwänden plötzlich die deutlich sichtbaren Ultraschallaufnahmen eines ungeborenen Kindes der 16jährigen Schülerin Juno MacGuff (Ellen Page) beim Besuch einer gynäkologischen Praxis auf. Dabei kann man ganz genau sehen, wie das Kind im Mutterleib Hände, Füße und Kopf bewegt. Die Schülerin hatte zunächst eine Abtreibungspraxis aufgesucht, war aber vor deren Eingang von einer Mitschülerin darauf hingewiesen worden, dass der Fötus bereits über Fingernägel verfügt. Dies bringt die junge Mutter dazu, das Ungeborene nicht töten zu lassen, sondern es auszutragen und dann nach der Geburt in die Obhut von Adoptiveltern zu geben.

von Bernd Kreuels