Wenn ich heute als Frau mit Kinderwagen durch eine Vorstandssitzung rausche – oder mit dem Laptop auf den Knien zwischen Homeoffice, Hausaufgabenbetreuung und Kinderarzt jongliere – danke ich manchmal still einem spanischen Priester, der vor 50 Jahren gestorben ist. Einem Mann, der für viele heute vielleicht zwar bekannt ist, aber kaum erkannt wurde: Josefmaria Escrivá, Gründer des Opus Dei, Heiliger der katholischen Kirche – und, man höre und staune: Pionier der Frauenförderung.
Was dieser Mann vor fast einem Jahrhundert dachte und sagte, sprengte damals jedes Korsett. Als er von Gott am 14. Februar 1930 die Eingebung bekam, dass das zwei Jahre zuvor zunächst nur für Männer gegründete Opus Dei auch Frauen offenstehen müsse, reagierte er nicht irritiert, sondern entschlossen. Innerhalb von Stunden begann er, die weibliche Abteilung zu gründen – zu einer Zeit, als Frauen weder in Spanien noch in vielen anderen Ländern Europas wählen durften.
Visionär mit Vorahnung
Schon 1939, als an europäischen Universitäten der Frauenanteil unter 15 Prozent lag, sprach Escrivá davon, dass Frauen Professorinnen, Architektinnen, Journalistinnen oder Ärztinnen sein sollten. „Träumt!“, rief er den ersten Frauen im Opus Dei zu, „die Wirklichkeit wird eure Träume noch übertreffen.“ Was für ein Kontrast zum Zeitgeist – damals wurden Frauen noch eher auf Klaviersonaten und Stickmuster vorbereitet als auf Berufung und Berufsleben.
Und heute? Mit einem Anteil von 60 Prozent gehören heute weltweit mehr Frauen als Männer dem Opus Dei an, von denen der Großteil, so wie ich, verheiratet sind und Familie haben. Sie leiten Projekte, Bildungszentren, theologische Fakultäten, karitative Einrichtungen und, ja: auch geistliche Bildungsarbeit. Leitungsstrukturen? Gibt es in weiblicher und männlicher Form: gleichwertig, unabhängig und einander ergänzend. Eine Kirche, in der weder Laien noch Frauen Statisten sind, sondern Protagonistinnen, einfach dank der Taufgnade, ganz ohne Weiheamt. Escrivá lebte dieses Prinzip – als Mann seiner Zeit und ihr doch weit voraus.
Komplementär statt gleichgemacht
Dabei predigte er nicht den Gleichmacher-Feminismus, der Unterschiede leugnet, sondern einen Feminismus mit Herz und Hirn. Männer und Frauen – beide gleich an Würde, Freiheit und Verantwortung. Aber auch verschieden. Und das ist gut so! Während mein Mann komplizierte Bedienungsanleitungen studiert, um die kaputte Glühbirne im Kühlschrank zu tauschen, erkenne ich blitzschnell, was in unserer Tochter „brodelt“, bevor sie ein Wort gesagt hat. Ist das besser? Nein. Aber eben anders. Und diese Unterschiedlichkeit – ob zu Hause oder in der Kirche – ist eine Stärke, kein Manko.
Ein Glaube, der ansteckt
Was mich am meisten berührt: Der heilige Josefmaria traute uns Frauen mehr zu als viele heutige Programme zur „Frauenförderung“. Er sah nicht nur das Potenzial, sondern auch das geistliche Charisma der Frau. Nicht als Romantik, sondern als Realität. In einem Interview sagte er: „Frauen bringen Antrieb und Fantasie hinein, weil sie dem konkreten Leben besonders nahe sind. Sie sind auf der Suche nach Lösungen.“ Das klingt nach mir. Und vielleicht auch nach dir, geschätzte Leserin.
Freiheit wird groß, wo Liebe wächst
Freiheit ist für mich nicht, dass ich „alles machen kann“, sondern dass ich mit Liebe tun kann, was ansteht – und oft auch mit Humor. Wenn die Kleine weint, das Essen anbrennt und der Drucker streikt – und ich trotzdem ein Stoßgebet schicke, statt laut zu werden, dann weiß ich: Das ist mein kleines „Ja“ zu Gott. Freiheit war für Escrivá kein leerer Begriff. Nicht: „Mach, was du willst“, sondern: „Erkenne, was Gott mit dir will – und dann tu es mit ganzer Freiheit, ganzem Herzen, ganzer Würde.“ Und ich erlebe: Wenn ich mich im Alltag wirklich mit Jesus verbinde – durch kleine, konkrete Entscheidungen –, wird genau daraus eine Quelle von Frieden. Es geht nicht um Heldentaten, sondern um Treue im Kleinen. Und wenn’s gut läuft, auch mit einem Augenzwinkern.
Mitten im Leben stehen
Was der „Spirit“ des Opus Dei in meinem Leben bewirkt? Ganz einfach: Er gibt meinem Alltag Tiefe. Es ist diese stille, aber kraftvolle Überzeugung, dass mein normales Leben nicht erst „unnormal“ werden muss, damit es heilig werden kann, sondern genau dort, wo es stattfindet, schon ein Weg zu Gott ist. Nicht erst, wenn es ruhig ist oder ich Zeit fürs Gebet habe. Sondern jetzt: beim Brote schmieren am Morgen, beim Anstellen an der Supermarktkassa, beim Zuhören in einem schwierigen Gespräch, beim Lächeln, das ich einer müden U-Bahn-Pendlerin schenke, einfach so. Die Kraft daraus hole ich aus dem Gebet. Dafür nehme ich mir täglich Zeit, sozusagen mein Coffee-Date mit Gott.
Berufung Ehe – mein Mann als mein Weg zum Himmel
Der heilige Josefmaria sprach gerne davon, dass Ehe eine echte Berufung ist. Für mich heißt das ganz konkret: Mein Mann ist nicht nur mein Partner im Alltag – er ist mein Weg zu Gott. Nicht, weil alles immer harmonisch ist, sondern weil unsere Beziehung mir zeigt, wie Gott mich meint: mit Geduld, mit Klarheit, mit Liebe. Wenn ich in einem hektischen Moment nicht aufrechne, wer heute mehr gemacht hat, sondern diene, weil ich ihn liebe – dann ist das ein geistlicher Akt, ein Schritt in Richtung Himmel.
Diese Frage ist wichtig: Was treibt mich an?
So oft fragen wir heute nach Selbstverwirklichung, nach Sinn, nach Erfüllung. Und manchmal, glaube ich, verheddern wir uns gerade dabei. Der Weg zu mir selbst fängt oft nicht bei mir an, sondern bei der Liebe, die ich anderen schenke. Die Frage, die mich immer wieder neu herausfordert, ist: Was ist meine Motivation? Warum arbeite ich? Was suche ich wirklich – Anerkennung, Kontrolle, Ruhe? Wenn ich das ehrlich anschaue und es Gott hinhalte, ist auch Neuausrichtung möglich. Dann verstehe ich: Es geht nicht darum, immer „mehr“ zu machen, sondern das Richtige – aus Liebe. In einem Gespräch mit dem pubertierenden Sohn geduldig zu bleiben. Oder meiner Kollegin wirklich zuzuhören, obwohl die eigene Agenda drängt. Gott ruft mich nicht am Strand, sondern mitten in diesem konkreten Moment – auch wenn er unplanmäßig oder nur sehr kurz ist.
Ein realistischer Träumer
Jutta Burggraf (1952-2010), eine deutsche Theologieprofessorin, die selbst dem Opus Dei angehörte, nannte den hl. Josefmaria einen „realistischen Träumer“. Einer, der keine fertigen Lösungen für alle Zeiten lieferte, sondern den Mut gab, selbst welche zu finden. Für heute. Für mich.
Ein Heiliger, der lieber das Badezimmer putzte, als in einem klerikalen Elfenbeinturm zu verschwinden. Der betonte, dass Priester dienen, nicht herrschen. Und der dafür sorgte, dass es im Opus Dei Priester gibt, die sich von Frauen ihre Dienstzeiten und Tätigkeiten vorgeben lassen – ein kirchliches Novum mit Augenzwinkern und Tiefgang.
Konkrete Projekte, gelebte Visionen
Was Escrivá predigte, wurde vielerorts Wirklichkeit: In Mexiko ermöglicht eine vom Opus Dei initiierte Mädchenschule Jahr für Jahr hunderten jungen Frauen ein Studium. In London unterstützt das Baytree Centre Migrantinnen bei der Integration. In Nigeria wurden durch ein Mikrokreditprogramm hunderte Frauen wirtschaftlich unabhängig. Und in Wien haben wir viele Jahre mit dem Verein Amal Flüchtlinge aus Syrien betreut und dabei insbesondere Frauen auf ihrem Weg in die Berufswelt begleitet. Diese Beispiele zeigen: Die Förderung der Frau ist keine Theorie, sondern konkrete Praxis.

Mein Fazit: Heiligkeit in High Heels ist möglich
Der heilige Josefmaria hat mir gezeigt, dass ich als Frau nicht nur dürfen, sondern sollen darf: Denken. Beten. Leiten. Lieben. Glauben. Er hat mir beigebracht, dass meine Welt mein Altar sein kann – egal, ob ich Nudeln koche oder ein Team führe. Und dass ich genau da, wo ich bin, Gottes Plan verwirkliche. Mit Lippenstift, Laptop – und einem Herz, das brennt.
Autorin: Juliana Kosseifi lebt in Wien, ist seit 14 Jahren verheiratet und hat vier Kinder im Alter zwischen zwei und 13 Jahren. Sie verbindet ihre Leidenschaft für die Familie mit ihrer beruflichen Tätigkeit bei der Gesellschaft für Familienorientierung (GFO).
Foto: Juliana Kosseifi © privat