Anmerkung: Dieser Artikel wurde geschrieben, als durch Papst Johannes Paul II. anerkannt worden war, dass der "Diener Gottes" Josemaria Escrivá alle Tugenden in heroischem Maß gelebt hatte. Somit bedurfte es nur noch eines Wunders, um den Weg zur Seligsprechung frei zu machen. Ohne dem Urteil der Kirche vorgreifen zu wollen, kommentiert der Autor kurz die herausragende Gestalt des als "Venerabilis" deklarierten Gründers des Opus Dei, dessen Verdienste als Vorläufer des Konzils und als Autor weltweit publizierter geistlicher Bücher er als für jeden sichtbar einstuft.
Erst nach dieser Würdigung, die in der Tat ihre letzte Bestätigung in der Heiligsprechung 2002 fand, beginnt er seine persönlichen Erinnerungen.
Trotz dieser eindeutigen offiziellen Anerkennung seiner Person (durch das Dekret) fühle ich mich persönlich nicht berufen, zumindest jetzt nicht, eine systematische Abhandlung über den Ehrwürdigen Diener Gottes Josemaría Escrivá zu schreiben, da ich den Gründer des Opus Dei bereits vor dreißig Jahren kennengelernt habe und wie Tausende von Mitgliedern des Opus Dei bis zu seinem Tod am 26. Juni 1975 ein kindliches Verhältnis zu ihm gehabt habe. Es stützte sich nicht auf häufige Besuche, die gar nicht möglich waren, sondern es entwickelte sich aus miteinander geteilten Nachrichten, Gebeten, Idealen und apostolischer Arbeit. Daraus erwuchs der Titel Vater, mit dem wir uns an den Gründer wandten, mit absoluter Natürlichkeit. Wobei er kein Vater im religiösen Sinn, sondern im Sinne eines Familienvaters war.
Nicht als wären wir uns nicht des Wertes und der Heiligkeit des Vaters bewusst gewesen, ganz im Gegenteil. Aber seine Art zu handeln und mit uns umzugehen bewirkte, dass wir ihn vor allem als uns gehörend ansahen; dieses Gefühl saß so tief, dass ich heute zwar glücklich über den Fortschritt des Seligsprechungsprozesses bin - Msgr. Escrivá gehört schließlich nicht dem Opus Dei, sondern der ganzen Kirche -, gleichzeitig aber das Gefühl habe, dass viele Unterlagen, die zur Familie gehören, intime Dinge, an die Öffentlichkeit gelangen - ein legitimer und segensreicher Vorgang, der jedoch irgendwie der Entwendung eines Besitzes gleichkommt.
Wenn ich beweisen müsste, woran ich vor allem die Heiligkeit von Msgr. Escrivá erahnt habe, würde ich sagen: an seiner so menschlichen Art, die Nächstenliebe zu leben, das heißt an seiner außergewöhnlichen Fähigkeit aus ganzem Herzen zu lieben. Dazu fällt mir eine kleine Episode ohne weitere Transzendenz ein, die mir aber bedeutungsvoll erscheint.
Es war 1961. Mit einer kleinen Gruppe von Studenten zog ich in das Haus des Vaters, in den Zentralsitz des Opus Dei in Rom. Nachdem die äußerst liebevolle Begrüßung beendet war, lud uns der Vater ein, an der heiligen Messe teilzunehmen, die er im Begriff war zu feiern. Wir gingen also in die schön gestaltete und zur Sammlung einladende Kapelle, die der Gründer normalerweise benutzte. Wegen ihrer geringen Ausmaße gab es dort keine Kniebänke, so dass wir uns auf den Marmorboden knieten, als das Glöckchen zum Sanctus läutete. Der Vater wandte sich daraufhin an Don Javier - den heutigen Generalvikar des Opus Dei -, der als Messdiener fungierte, und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Dieser kam zu uns und sagte: "Der Vater sagt, ihr sollt euch nicht hinknien, da der Boden sehr kalt ist." So war der Vater: Selbst in den feierlichsten Momenten und gerade wegen seiner ununterbrochenen Beziehung zu Gott dachte er ganz konkret an diejenigen, die bei ihm waren, und sorgte sich selbst um die Knie von 20jährigen Studenten, denen es neben anderen Dingen nichts ausmachte, in Kontakt mit dem Marmor zu kommen. Ich lade daher ruhigen Gewissens dazu ein, die Fürsprache eines Dieners Gottes anzurufen, der im Leben derart feinfühlig war.