Don Alvaro – ein Vorbild der Treue

Am 25. Juni 2009 ist es 65 Jahre her, dass der Diener Gottes Alvaro del Portillo die Priesterweihe empfing. Aus diesem Anlass veröffentlichen wir eine Predigt, die der Kölner Domvikar Michael Kahle am 23. März 2009, dem 15. Jahrestag des Todes von Bischof del Portillo, in der Pfarrkirche St. Pantaleon zu Köln gehalten hat.

Dank der Einladung unseres Heiligen Vaters, Papst Benedikt XVI., dürfen wir in diesem Jahr den 2000. Geburtstag des großen Völker- apostels Paulus in der ganzen Kirche begehen.(1) Wir werden erinnert an jenen Mann, der dem Herrn in seinen Erdentagen nie unmittelbar begegnet ist (vgl. Apg 9,1–22).(2) Und doch wurde ihm in der Stunde vor Damaskus die Gnade zuteil, in eine derartige Unmittelbarkeit mit ihm zu treten, dass er dem Ruf des Herrn folgte und zu seinem Zeugen wurde.(3) Und obwohl wir ihn als Apostelfürsten neben dem heiligen Petrus verehren, wurde er zum Kreis der Apostel erst später hinzugerechnet, denn eines unterscheidet ihn ein Leben lang: Zeuge des Lebens, Leidens und Auferstehens Jesu Christi ist er in anderer Weise geworden als die Zwölf.(4) 

Wenn wir heute den Heimgang des Dieners Gottes, Bischof Alvaro del Portillo, feiern, dann weiß ich mich in besonderer Weise dem heiligen Paulus verbunden. – Im Bewusstsein, dass jede Analogie eine größere Unähnlichkeit beinhaltet als alle Gemeinsamkeit. Denn im Gegensatz zu vielen von Ihnen, wurde mir die Gnade nicht zuteil, Don Alvaro, wie er liebevoll genannt wird, dem Nachfolger des heiligen Josefmaria an der Spitze des Opus Dei, in seinen Erdentagen zu begegnen. Und doch bin ich ihm begegnet, das möchte ich ausdrücklich unterstreichen! – In der vielleicht edelsten Form wie ein Glaubender – über die Grenze von Raum und Zeit – einem Anderen begegnen kann: im Gebet durch den und im dreifaltigen Gott.(5) 

Ein Besuch am Grab 

Aus der Hitze des römischen Tages trete ich vor Jahren mit Freunden in die wohltuende Kühle des Palazzo Viale Bruno Buozzi 75. Nach dem Gebet in der Kirche der Prälatur führt uns ein Numerarier die Treppen hinunter, an der Kapelle mit dem Sanctissimum vorbei, in die Krypta der Kirche Santa Maria della Pace. Mein Blick fällt auf die schlichte Marmorplatte: „El Padre“. Und ich weiß, hier liegt er, von dem ich bisher nur einiges gehört habe und dessen Bild ich – fasziniert über die Milde und Güte in seinen Gesichtszügen – in meinem Brevier liegen habe. Ich knie nieder und bete: „Barmherziger Gott, du hast deinem Diener Bischof Alvaro die Gnade gewährt, ein beispielhafter Hirte im Dienst der Kirche und ein Vorbild der Treue als Sohn und Nachfolger des heiligen Josefmaria, des Gründers des Opus Dei, zu sein. Hilf mir, dass auch ich den Anforderungen der christlichen Berufung in Treue nachkomme, indem ich alle Augenblicke und Umstände meines Lebens in Gelegenheiten verwandle, dich zu lieben und dem Reich Christi zu dienen. Verherrliche gnädig deinen Diener Alvaro und erhöre auf seine Fürsprache meine Bitte.“(6)

Wenn ich seit dieser Stunde der Begegnung, durch die Gnade Gottes jeden Tag aufs Neue, dem Diener Gottes Don Alvaro begegnen darf, dann scheint mir in diesen Zeilen des Gebetes zwei Grundzüge seines heiligmäßigen Lebens und Wirkens sichtbar zu werden:

 Vorbild als geistlicher Sohn des Gründers 

Schlägt man die Biographie auf, die Don Alvaro über den Gründer des Opus Dei verfasst hat, so ist das Erste aus seinem Mund gesagte und niedergeschriebene: „’Sich verbergen und verschwinden, damit allein Jesus ins Licht trete’, das war das Lebensmotto Josefmaria Escrivás.“(7) Mit einem bekannten französischen Autor können wir hier die treffende Frage stellen: „Erzählt man jemals etwas anderes als die eigene Geschichte?“(8) Und Zeilen später in der Biographie gibt uns Don Alvaro darauf die bestätigende Antwort: „Ganz ohne mein Verdienst sehe ich mich als geistlichen Sohn des Gründers, und darüber empfinde ich heiligen Stolz.“(9)

Als Sohn und Nachfolger des heiligen Josefmaria war auch für ihn nichts wesentlicher und bestimmender als „sich verbergen und verschwinden, damit allein der Herr ins Licht trete.“ Was das für ihn bedeutete und hieß, kann wohl der anfanghaft erahnen, der um das Werk Gottes weiß, das Don Alvaro als Prälat des Opus Dei aufgetragen war: In über 20 Ländern dieser Erde das Werk Gottes neu einzupflanzen in dem Bewusstsein des Wortes, das dem heiligen Apostel Paulus entstammt (10): „Ich habe gepflanzt, ein anderer hat begossen, Gott aber ließ wachsen. So ist weder der etwas, der pflanzt, noch der, der begießt, sondern nur Gott, der wachsen lässt. Denn: Beide arbeiten nur am gleichen Werk“ (1 Kor 3,6–8). Und in dieser Haltung hat Don Alvaro es vermocht, das Charisma des Gründers und damit das Charisma des Werkes und der ersten Stunde zu bewahren und doch fortzuführen und bei dieser Aufgabe, nicht selbst sich auf den ersten Platz zu setzen, sondern im besten Sinn des Wortes sich zu verbergen und zu verschwinden, damit allein der Herr ins Licht trete.

 Vorbild für die Heiligung des Augenblicks 

mit einer afrikanischen Familie

Und ein Zweites: Don Alvaro ist uns nicht nur ein Vorbild als Sohn und Nachfolger, sondern er ist uns ein leuchtendes Vorbild für die Heiligung des Augenblicks. Wenn wir wiederum die Biographie zur Hand nehmen, die er verfasst hat, dann sagt er dort an anderer Stelle: „Als Gründer hatte der heilige Josefmaria die Aufgabe, einen Weg christlicher Heiligung in allen Lebensbereichen zu bahnen.“(11) Und wieder frage ich mit jenem bedeutenden französischen Schriftsteller Marcel Proust: „Erzählt man jemals etwas anderes als die eigene Geschichte?“ Als Sohn und Nachfolger des heiligen Josefmaria bestand der Don Alvaro zukommende Auftrag in nichts anderem, als darin: „alle Augenblicke und Umstände des eigenen Lebens in Gelegenheiten zu verwandeln, um den Herrn zu lieben.“(12) Wie in einem Spiegel dürfen wir das Leben der Heiligung des Don Alvaros erblicken im Leben des heiligen Josefmaria. Im Schatten des Gründers, der voll Licht war, reifte er in der Heiligkeit, denn auch er nahm daran teil, „jedes Tagesereignis von einer übernatürlichen Warte aus zu sehen und es als Chance wahrzunehmen, Gott zu lieben, mit ihm zu sprechen und ihm zu dienen“(13) – wie Don Alvaro einmal über den heiligen Josefmaria selbst gesagt hat. So hat auch Don Alvaro das Wort des Apostels Paulus an die Korinther ins eigene Leben umgesetzt:  „Ob ihr esst oder trinkt oder etwas anderes tut: Tut alles zur Verherrlichung Gottes.“ (1 Kor 10,31) Im Bewusstsein, dass alles im Leben zur Gelegenheit werden kann, Gott zu lieben, hat er gelebt. Der Apostel Paulus sagt unmittelbar an dieses Wort anschließend den Korinthern: „Nehmt mich zum Vorbild, wie ich Christus zum Vorbild nehme“ (1 Kor 11,1). Und darin zeigt sich: Wie die Korinther den heiligen Paulus, so hat Don Alvaro den heiligen Josefmaria zum Vorbild genommen. Und beide, der heilige Paulus damals und der heilige Josefmaria heute, hatten niemand anderen zum Vorbild, als den Herrn selbst. Somit wird auch hier deutlich: in allem dem Herrn begegnen, und doch verschwinden, damit er in allem ans Licht trete.(14)

Wenn wir heute des Heimgangs Don Alvaro del Portillo gedenken, dann begegnen wir ihm heute in der wohl edelsten Form. Über die Grenze von Raum und Zeit hinweg, sind wir ihm nahe im Gebet zu Gott selbst. Und aus der Erfahrung dieser heiligen Nähe, wollen wir in tiefer Dankbarkeit und Demut zum Herrn inständig beten, ohne dem Urteil der Heiligen Kirche vorgreifen zu wollen: Verherrliche, o Gott, gnädig deinen Diener Alvaro, damit er erhoben werde zur Ehre der Altäre (15) und erhöre auf seine Fürsprache unsere Bitte, damit auch wir treue Söhne und Töchter in der Nachfolge seien und es vermögen, jeden Augenblick zu heiligen, um dir zu begegnen.

 

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(1) Vgl. Benedikt XVI., Predigt bei der Feier der ersten Vesper vor dem Hochfest Peter und Paul, 28. Juni 2007.

(2) Vgl. Benedikt XVI., Ansprache bei der Generalaudienz auf dem Petersplatz, 25. Oktober 2006.

(3) Vgl. Benedikt XVI., Predigt während des Pastoralbesuches in Assisi, 17. Juni 2007.

(4) Vgl. Benedikt XVI., Ansprache bei der Generalaudienz auf dem Petersplatz, 3. Mai 2006; Ders., Ansprache bei der Generalaudienz auf dem Petersplatz, 10. Mai 2006.

(5) Vgl. Katechismus der Katholischen Kirche: Das Gebet im christlichen Leben, 2564–2565.

(6) Prälatur Opus Dei, Privates Gebet zum Diener Gottes Bischof Alvaro del Portillo.

(7) Alvaro del Portillo, Über den Gründer des Opus Dei.

(8) Marcel Proust, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit.

(9) Alvaro del Portillo, Über den Gründer des Opus Dei.

(10) Vgl. Benedikt XVI., Generalaudienz in der Aula Paulo VI., 31. Januar 2007.

(11) Alvaro del Portillo, Über den Gründer des Opus Dei.

(12) Prälatur Opus Dei, Privates Gebet zum Diener Gottes Bischof Alvaro del Portillo.

(13) Alvaro del Portillo, Über den Gründer des Opus Dei.

(14) Vgl. Benedikt XVI., Generalaudienz in der Aula Paulo VI., 22. November 2006.

(15) Vgl. Gerichtshof des Vikariates der Diözese Rom, Sitzung zur Eröffnung des Heiligsprechungsprozesses von Bischof Alvaro del Portillo, 5. März 2004. (Vgl.)

Privates Gebet zum Diener Gottes Bischof Alvaro del Portillo

Prozessverlauf (zusammenfassender Bericht bis Juni 2008)