Brief des Prälaten (März 2007)

In seinem Brief zur Fastenzeit lädt Bischof Javier Echevarría die Gläubigen des Opus Dei dazu ein "mit Optimismus – die nötigen Kurskorrekturen vor(zu) nehmen, wie Flugzeuge oder Schiffe es tun, um an ihr Ziel zu gelangen".

Wir haben die Fastenzeit begonnen, eine liturgisch geprägte Zeit, in der uns die Kirche zu einer neuen Bekehrung einlädt. Wir alle brauchen diese Richtungsänderung, d.h. die beständige Begradigung unseres Lebens, um unser letztes Ziel zu erreichen, den Besitz Gottes und die Freude an ihm für die ganze Ewigkeit. Wir wissen jedoch, dass wir während unserer Pilgerfahrt auf dieser Erde die Richtung verlieren oder zumindest vom Weg abkommen können. Daher müssen wir – immer mit Optimismus – die nötigen Neuanpassungen vornehmen, wie Flugzeuge oder Schiffe es tun, um an ihr Ziel zu gelangen. 

Unser geliebter Johannes Paul II. schrieb, dass sich alle Menschen in statu conversionis, im Zustand der Bekehrung befinden, da sie in statu viatoris, im Zustand des Unterwegsseins zum himmlischen Vaterland sind. Er schloss daraus, dass wir in andauernder Umkehr leben müssen und dass diese Tatsache das tiefste Element unserer irdischen Wanderschaft darstellt[1]; aber, so möchte ich wiederholen, immer voll Freude und Hoffnung, weil Gott uns erwartet.

Die Fastenzeit ermutigt uns zu dieser Treue; sie ist eine besondere Gelegenheit, uns mit mehr Nachdruck um eine persönliche Änderung zu bemühen, da wir in dieser liturgischen Zeit mit einer spezifischen Gnade rechnen. Betrachten wir folgende Worte des heiligen Josefmaria: „Die Fastenzeit hat begonnen, eine Zeit der Buße, der Läuterung, der Umkehr. Leicht ist diese Aufgabe nicht. Christsein ist kein bequemer Weg: Es ist nicht damit getan, der Kirche anzugehören und dann einfach Jahr um Jahr verstreichen zu lassen. Die erste Bekehrung – ein einmaliger, unvergesslicher Augenblick, in dem wir klar erkannt haben, was Gott von uns erwartet – ist in unserem Leben, im Leben des Christen, sehr wichtig; aber noch wichtiger und schwieriger sind alle anderen Bekehrungen, die der ersten folgen. Und um das Wirken der Gnade in diesen späteren Bekehrungen zu erleichtern, müssen wir die Seele jung erhalten, den Herrn anrufen, hellhörig sein, um Falsches in uns zu entdecken und um Verzeihung bitten“.[2] 

Christi Leiden und Tod sind der größte Akt der Liebe und der totalen Selbsthingabe, der in der Geschichte verwirklicht wurde und auch in Zukunft verwirklicht wird: Der Sohn Gottes wird Mensch und stirbt, um uns von unseren Sünden zu erlösen. Darum fordert uns der Heilige Vater in diesen Wochen auf, „unseren Blick mit lebendiger Anteilnahme zum gekreuzigten Christus zu wenden, der durch seinen Tod auf Golgota uns die Fülle der Liebe Gottes offenbart hat“.[3] 

Auch der heilige Josefmaria sprach häufig diese Einladung aus. Wie oft forderte er uns auf, das Kreuz in die Hand zu nehmen und uns tapfer mit Christus zu konfrontieren und zu hören, was er uns vom Kreuz herab sagen will! Betrachten wir z.B. diese seine Worte: „Ich liebe Christus am Kreuz so sehr, dass jedes Kruzifix mir wie ein liebevoller Vorwurf meines Herrn erscheint: Ich leide, und du … feige. Ich liebe dich, und du vergisst mich. Ich bitte, und du … sagst nein. Ich hänge hier am Kreuz, die Arme ausgebreitet als Ewiger Hoherpriester, und dulde das Äußerste aus Liebe zu dir … du aber jammerst schon bei dem geringsten Unverständnis oder bei der kleinsten Demütigung“ …[4] Ich habe gesehen, wie er den Gekreuzigten mit echter Liebe und Hunger nach Wiedergutmachung küsste. 

Wenn wir uns während dieser Tage ganz ehrlich vor den gekreuzigten Heiland stellen, werden wir bald die konkreten Dinge entdecken, in denen wir uns bessern sollen. Denn das Streben nach Heiligkeit darf kein kraftloses Wollen oder ein wirkungsloser Wunsch bleiben; es muss sich vielmehr in praktische Vorsätze, in einen ganz gezielten inneren Kampf umsetzen.

Vielleicht werden wir entdecken, dass wir unser Verhalten radikal ändern müssen, weil uns die Wege, die wir gehen, nicht näher zu Gott führen. Oder – und das mag häufiger der Fall sein – es handelt sich darum, Kleinigkeiten in unserem Leben zu verbessern, die jedoch nie klein sind, wenn uns die Liebe bewegt. Wie es auch sei, vergessen wir nicht, dass – mit Worten von Papst Benedikt XVI. – „diese Umkehr in erster Linie ein freies Geschenk von Gott ist (…). Aus diesem Grund kommt er unserem Wunsch zuvor und begleitet unsere Bemühungen, umzukehren. Und der Papst fügt hinzu: Was meint denn „sich bekehren“? Es bedeutet, Gott zu suchen, mit Gott zu gehen und fügsam den Lehren seines Sohnes Jesus Christus zu folgen. Die Mühe der Bekehrung dient nicht der Selbstverwirklichung, denn der Mensch ist nicht der Architekt seines ewigen Schicksals (…). Die Bekehrung besteht darin, in Freiheit und Liebe anzunehmen, dass wir in allem von Gott, unserem wahren Schöpfer, abhängen, dass wir von der Liebe abhängig sind. Und das ist in Wirklichkeit keine Abhängigkeit, sondern Freiheit“.[5]

Bei jeder einzelnen Umkehr spielen der Anruf Gottes und die menschliche Freiheit zusammen. Gott, der seinem Wesen nach Liebe ist, hat sich uns mit absoluter Freiheit in Christus geschenkt, und er erwartet, dass wir uns seiner Liebe öffnen. „Am Kreuz bettelt Gott selbst um die Liebe seines Geschöpfes: Ihn dürstet nach der Liebe eines jeden von uns[6], hat der Heilige Vater geschrieben und aufgezeigt, wie in der Gestalt Christi am Kreuz die beiden Aspekte der caritas verschmelzen: die Liebe der Hingabe und die des Besitzes. Mehr noch, „man könnte geradezu sagen, dass die Offenbarung des Eros Gottes gegenüber dem Menschen (sein sehnlicher Wunsch, von uns geliebt zu werden) in Wirklichkeit der höchste Ausdruck seiner Agape (seine totale, bedingungslose Selbstschenkung) ist. Fürwahr nur die Liebe, in der sich die freie Selbsthingabe und der leidenschaftliche Wunsch nach Gegenseitigkeit vereinen, gewährt eine Trunkenheit, welche die schwersten Opfer leicht macht“.[7]

Mit diesen Worten seiner Botschaft zur Fastenzeit gibt Benedikt XVI. den Christen Licht, das ihnen während dieser Wochen, die ins Osterfest münden, hilfreich sein kann. Versuchen wir, es gut zu nutzen. Fragen wir uns, wie wir Tag für Tag persönlich der unermesslichen und unendlichen Liebe Gottes zu jeder und jedem einzelnen praktisch und wirksam entsprechen. Die dieser liturgischen Zeit eigenen Akte – Gebet, Buße, Werke der Nächstenliebe – können unseren Wunsch nach Umkehr in konkrete Bahnen lenken. Wie bereiten wir uns auf die drei österlichen Tage vor? Haben wir eine heilige Sehnsucht, bei Christus zu sein, mit Christus zu leiden, uns mit Christus hinzugeben? Er möchte es und bittet uns auch in seiner Passion, bei ihm zu sein.

Vielleicht können wir eine Andachtsübung wie das Gebet, die heilige Messe oder das Gebet des Rosenkranzes liebevoller verrichten. Oder mehr kleine Opfer bringen, in denen unser Bußgeist zum Ausdruck kommt; wir könnten etwa unsere Arbeit in einem Punkt, der uns besonders schwerfällt, so gut wie möglich verrichten; oder uns offen und liebevoll demjenigen zuwenden, der uns um einen Rat oder um Hilfe bittet; oder in das Essen und Trinken die Zutat einer kleinen Abtötung legen, die es uns leicht macht, diese Augenblicke in der Gegenwart Gottes zu leben. Der heilige Josefmaria empfahl immer ein Opfer, das jeder bringen kann: „etwas mehr von dem essen, was uns weniger gut schmeckt, und etwas weniger von dem, was uns besser schmeckt“. Meine Töchter und Söhne, haben wir vor Augen, dass es kein Christentum, kein persönliches christliches Leben ohne Kreuz gibt? Steht das Kreuz bei Dir jeden Tag an erster Stelle? 

Da das Gebet und die Abtötung die Säulen sind, auf denen das Leben des Christen ruht, entdecken wir, wenn wir den Wunsch nach einer neuen Bekehrung auf diesem Weg konkret werden lassen, viele verschiedene Möglichkeiten, um die Nächstenliebe besser zu leben; angefangen von der materiellen Sorge um die Bedürftigen bis hin zum Ratschlag, der anderen neue Horizonte im Kampf um ein gutes christliches Leben erschließt. Vergessen wir in diesem Zusammenhang nicht die Bedeutung des Apostolates der Beichte, das wir in dieser Fastenzeit intensivieren wollen, so dass viele Menschen vor dem Osterfest gut vorbereitet zum Sakrament der göttlichen Barmherzigkeit gehen.

Ich gebe Euch noch einen Rat, der dem entspricht, was der Heilige Vater am Aschermittwoch sagte: Bemühen wir uns um einen „intensiven Geist der Sammlung und der Reflexion“[8]. Denn in der Tat ist dies das Klima, in dem die wahren Bekehrungen reifen. Versuchen wir also, die Gegenwart Gottes im Laufe des Tages mehr zu pflegen. Vielleicht suchen wir uns ein Stoßgebet, das auf unsere persönlichen Umstände abgestimmt ist; wir können viele der Liturgie dieser Tage entnehmen. Legen wir auch Wert auf die tägliche Gewissenserforschung. Diese Minuten der Reflexion, in denen jeder allein mit Gott ist, sind ein guter Ausgangspunkt, gleichsam eine Sprungfeder, die Licht und Kraft von Gott schenkt und uns so antreiben soll, uns am nächsten Tag ernstlich zu ändern.

[1] Vgl. Johannes Paul II., Enz. Dives in misericordia, 30.11.1980

[2] Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 57

[3] Benedikt XVI., Botschaft für die Fastenzeit 2007, 21.11.2006

[4] Hl. Josefmaria, Der Kreuzweg, 11. Station, Punkt 2

[5] Benedikt XVI., Ansprache bei der Generalaudienz, 21.2.2007, Aschermittwoch

[6] Benedikt XVI., Botschaft für die Fastenzeit 2007, 21.11.2006

[7] Ebd.

[8] Benedikt XVI., Ansprache bei der Generalaudienz, 21.2.2007, Aschermittwoch